Rude Boys & Wondergirl
Herrgottnochmal: Muß man sich denn alles gefallen lassen? Muß man sich von seiner Ex öffentlich als Egomane, Macho und emotionaler Eisklotz beschimpfen lassen? Muß man sich sein eigenes bilaterales Versagertum schon vor der ersten Zigarette aus dem Radio anhören und abends auf der Bühne von zehntausend mitsingenden Fans entgegengeschmettert bekommen? Muß man das wirklich mitmachen: Daß jeder neue Text der Ex (die Gwen Stefani heißt und unglücklicherweise gleichzeitig Sängerin in der Band ist, in der man spielt), daß also jede neue Single von einem selbst handelt? Daß jedes Interview mit dem neuen Charts-Wunder unweigerlich nach spätestens vier Minuten bei der Frage landet, warum man dieses entzückende, süße, erotische Wondergirl hat sitzen lassen?
Niemand weiß, ob Tony Kanal glücklich damit ist, daß seine sexuelle Vergangenheit momentan dreimillionenfach in den CD-Türmen amerikanischer Teenager steht, aber wenn er auch nur ein bißchen feinfühlig wäre, müßte er umgehend von der Golden Gate Bridge springen.
Macht er aber nicht Er sei überhaupt nicht der Arsch, als der er dargestellt werde, mault er lakonisch, und irgendwer da draußen werde das schon merken, also, und musikalisch stimme doch alles. Bei Abba und Fleetwood Mac hatten die Herren schließlich das gleiche Problem und bei denen endete das auch nicht in Depression, sondern in ein paar Millionen mehr auf dem Konto.
Komischer Fall, diese No Doubt: seit knapp zehn Jahren zusammen, mit einem eingefrorenen Album und einem zweiten, das auch über ein Jahr auf Eis lag, bevor es auf einmal in die Charts kletterte, gezogen von der Single „Just A Girl“ (die, klar, von der armen Gwen handelt).
No Doubt sind die Ex-Lover Tony Kanal und Gwen Stefani (und Tom Dumont und Adrian Young – aber die spielen keine tragende Rolle), und No Doubt machen ebenso nette wie komische Musik – Ska nannte man das einmal in den frühen 80ern. Rhythmen wie aus einem hyperventilierenden Metronom, furzende Bläser, merkwürdig phrasierte Zeilen – abgeschossen wie aus einer abgesägten Kalaschnikoff. Hatte man eigentlich ad acta gelegt War wohl zu früh.
Nun ist Ska im kalifornischen Orange Country, wo No Doubt herkommen, nichts Ungewöhnliches: Eine halbe „Sunshine State“-Generation hat sich schon Vorjahren das abgehackte Geschnatter von Madness oder Exploited zugelegt, Porkpie-Hüte aufgesetzt und Klamotten gekauft, die aussehen, als seien sie aus von New Yorker Taxen abgezogenen Checker Board-Aufklebern geschneidert. 15 Jahre später fahren die Inline-Skater-Kids mit den „Rude Boy“-Stickern der „2-Tone“-Bewegung plötzlich wieder auf den britischen Ska-Sound ab – warum auch immer. Vielleicht, weil das Wetter in London so ähnlich ist.
„Tragic Kingdom“, das aktuelle No Doubt-Album, wird den Kult zur Massenware wandeln, und wenn schon nicht für einen Sommer, dann wenigstens für den Frühling. Falls Tony Kanal durchhält. Und Gwen Stefani weiter über ihn ablästert und dabei ihr charismatisches Dreifaltigkeits-Image aus Barbie-Puppe, Hindu-Göttin und Club-Kid durchzieht. „Wir haben genauso viel Scheiße erlebt wie andere Bands“, meint sie, „bloß singen wir nicht darüber.“ Ein bißchen gelogen ist auch gelogen. Just a girl? Wahrscheinlich. No Doubt about it.