RS 04/96 „High Fidelity“ trifft „Soloalbum“: Nick Hornby im Interview
"Pur? Wovon singen die? Ist das eine Aftershave-Reklame." Nick Hornby im Gespräch mit von Stuckrad-Barre über deutsche Künstler, die Kunst des Air Guitar-Spielens und die Inflation des Mixtapes.
In den ersten Jahren des ROLLING STONE ist es schwer ein lustiges Interview zu finden, das nicht von Stuckrad-Barre geführt wurde. Keine Frage: Die Jahre beim ROLLING STONE waren die Lehrjahre des heute renommierten Autoren und Journalisten. Eine interessante Begegnung aus dieser Zeit ist das Zusammentreffen mit Nick Hornby im April 1996. „High Fidelity“ war gerade auf Deutsch erschienen, „Soloalbum“ vermutlich gerade in der Mache (es erschien 1998). Lesen Sie hier das Gespräch über deutsche Künstler, die Kunst des Air Guitar-Spielens und die Inflation des Mixtapes.
Deutsche sind momentan verrückt auf Pop-Hits aus England, was generell gut ist. Engländer aber sind nicht verrückt auf deutsche Pop-Hits, welche fast generell schlecht sind. Oder? Wir haben Nick Hornby, Schriftsteller und Popmusik-Spezialist, deutsche Chart-Säulen vorgespielt und ihn um seine Meinung gebeten.
Peter Maffay: Das klingt wie der Soundtrack eines schlechten Pornofilms, in dem ein Mann mit offenem Hemd die Hauptrolle spielt.
Pur: Oh – ist das eine Aftershave-Reklame? Wovon singen die?
Nun, sie wollen die Welt verändern, daß man sich auf sich selbst besinnt und freundlich und tolerant ist…
Da haben Pur absolut recht (lacht). Angesichts solcher Songs verstehe ich aber Deutschlands Misere beim Grand Prix d‘ Eurovision nicht.
Wozu gibt es diese Musik überhaupt?
Für Leute, die Musik hassen, aber glauben, sie müßten aufgrund gesellschaftlicher Konventionen irgendwas hören: diese Musik kann einen niemals stören, sie ist absolutes Nichts. Ich kann Hotels verstehen, die sowas in ihren Aufzügen laufen lassen, aber nicht die Menschen, die sich das ernsthaft kaufen.
The Bates: Oh je, deutscher Punkrock, hey hey. Als die Leute verstanden hatten, daß Punk ausschließlich darauf basiert, schneller und lauter zu spielen, war’s vorbei mit Punk.
Fools Garden, die sind hier auf Platz eins und Sting nur auf drei!
In der Tat merkwürdig. Unglaublich, daß dafür keiner Lizenzen verlangt; das klingt ja wie gesampelt.
Englische Texte deutscher Bands kommen nur selten aus ohne die Wendungen „wonder why“, „Go through the streets“ und “ no one ’s on telephone “ oder „the light shines bright“.
(lacht) Es klingt wie eine Parodie. Diese Band hat es geschafft, alle Text-Phrasen einzubauen – Kompliment.
Die Masse der Jugend hier hört sowas oder Trash-Dance – sollte der Musikgeschmack jeder Generation den Altvorderen ein Rätsel sein?
Ich möchte nicht altväterlich jammern: „Als ich mal jung war, war die Musik viel besser!“ In den Charts von vor 20 oder 30 Jahren waren auch in den besten Zeiten – sieben der Songs in den Top Ten scheußlich; also das hat sich nicht geändert. Mit Dancemusik kann ich nichts anfangen, und das ist gut so, denn wenn Popmusik irgendwann von allen Generationen verstanden und goutiert wird, hat sie ein Problem.
Sie lieben ja die alten Meister. Was für neue Bands mögen Sie?
Ich höre gerne neue Bands, da sie sich ja anhören wie eh und je – nimm Blur, Oasis, Pulp, das sind doch alles Referenzen. Nach Punk kann keiner mehr von der Musik einer klassischen Rockformation behaupten, daß es die noch nicht gegeben hat. Ich liebe das letzte Album von Teenage Fanclub – es ist zugleich ein wirklich gutes Byrds-Album.
Wie steht es mit ihrer Toleranz in bezug auf den Musikgeschmack anderer? Rob Fleming, der Held aus „High Fidelity“ kommt zu dem bemerkenswerten Schluß, daß ein Song von Simply Red unverzeihlich sei und zwei Simply Red-Songs ein Kriegsverbrechen…
Ein wenig muß ich mich vom Protagonisten distanzieren, aber früher habe ich durchaus auch so gedacht.
Und jetzt sind Sie klüger?
Rob Fleming merkt ja im Verlauf der Handlung auch, daß es Dinge gibt, die noch wichtiger sind als eines Menschen Plattensammlung; ich karikiere die Männer, die an einer Plattensammlung den Charakter einer Person definitiv festmachen. Ich kann diese Männer zwar verstehen…
Weil auch Sie sich früher die Liebe zu Frauen mit Tina Turner-Platten verkniffen haben, so schön sie auch waren?
Jeder hat so angefangen, richtige Musikliebhaber sind wahnsinnnige Snobs. Es ist komisch, weil es doch immer heißt, die Popkultur sei so unglaublich demokratisch, aber diese Musikverrückten sind die undemokratischsten Leute, die es gibt (lacht).
Bei aller Einsicht: Sind Sie immer noch wild auf Musik?
Ja, ich verbringe weiterhin viel zu viel Zeit in Plattenläden.
Aber nur in kleinen, exotischen Spezialläden, von Verrückten geführt?
Das ist doch Ehrensache. Ich war auch noch nie im Virgin Megastore, weil ich es für ein absolutes Verbrechen halte, Platten wie Obst zu verkaufen, und das meine ich ernst.
Sind Plattensammler verrückt oder die Leute, die sich einmal im Jahr einen Sampler mit den Hits des Jahres kaufen?
Jede Art von Obsession zerstört deine Objektivität und auch deine Freundschaften. Und Männer neigen zu merkwürdigen Obsessionen. Zum Beispiel dazu, andere Menschen, speziell Frauen, mit selbstbespielten Kassetten zu überhäufen. Was ein überaus arroganter Vorgang ist, weil man versucht, anderen seinen Geschmack beizubringen.
Welcher Frau haben Sie zuletzt eine Kassette mit schöner Musik bespielt?
Der Frau, die jetzt meine Frau ist.
Und auch „High Fidelity“, von männlichen Journalisten gefeiert, ist eigentlich ein Buch für Frauen?
Ja, das stimmt. Männer lieben es, weil sie sich darin wiederfinden, und Frauen glauben, durch den Blick in die Welt eines Musik-Verrückten die Männer besser verstehen zu können.
Kennen Sie Frauen, die sich wie Rob Fleming der Musik verschrieben haben?
Nein. Frauen können Musik lieben, aber die Ruhe bewahren, wenn ihnen mal irgendeine Live-B-Seite aus Japan durch die Lappen geht. Andererseits mißtraue ich jedem, der keiner Obsession nachgeht.
Sind Hörer von Dylan oder Costello depressiver, weil sie die Welt mehr verstehen als die Collins-Gemeinde?
Jawohl. Sie beschränken sich oft auf Nachempfinden, kapseln sich ab. Wenn man viel liest und viel Musik hört, fühlt man zu intensiv. Es ist sehr schwierig, diese Intensität nach Ende einer Platte aufrechtzuerhalten.
Eine Spaltung der Wahrnehmung…
Ja, das Leben enttäuscht einen derart Sensibilisierten meistens.
Ist Pop realistisch?
Nein, das wäre der Tod von Pop.
Spielen Sie selbst ein Instrument?
Ein bißchen Mundharmonika… Und natürlich air-guitar.
Selbstverständlich. Mit Vom-Bett-Springen?
Ja, sehr! Früher bin ich allerdings häufiger vom Bett gesprungen, das hat sich, wie so manches, gelegt.
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