Roskilde, Tag 4: Ein starkes Ende
Der gestrige Sonntag war der entspannte und meist sonnige Abschluss eines wieder mal gelungenen Roskilde Festivals: Björk verabschiedete die Mengen, R. Stevie Moore präsentierte seinen schlumpfblauen Bart und Dr. John gab den seelenvollen Blues-Zeremonienmeister.
Ein Rundgang am frühen Mittag über den „Festivalpladsen“ und die Camping-Areale zeigte sofort, dass sich bereits die Schlussphase des Roskilde 2012 abzeichnete. Am festivaleigenen Bahnhof sammelten sich die Abreisenden, lehnten sich an ihr Gepäck und nippten müde an ihren Dosenbieren. Die Straßen waren bevölkert von Rollkofferträgerinnen, vollgepackten Fahrrädern und Rucksackträgern, denen man das – meist eine Woche währende – Feiern an den Augenringen ablesen konnte. Aber man sah auch die andere Fraktion, die am letzten Tag noch einmal auf- und durchdreht und damit beginnt, den Campingplatz zu zerlegen und zerfeiern. Der Anblick von jungen Menschen, die mit den Füßen voran in ihre Zelt sprangen, war jedenfalls kein seltener.
Auf dem Festivalgelände selbst ging es derweil entspannter zu. Wer sich entschieden hatte noch zu bleiben, der genoss den erstaunlich sonnigen Tag, hockte sich auf die Wiese vor der Orange Stage, oder zog von Bühne zu Bühne – wo man sich dann über die sichtbar gelichteten Reihen freuen konnte, weil man endlich mal Platz hatte. Ein erkennbarer Schwerpunkt des Sonntags war sicher das formidabel besetzte World Music-Paket. Wobei der Begriff ja immer zu kurz greift. Mit Tamikrest im Odeon-Zelt gab es zum Beispiel den schon von den Desert Sessions bekannten Sound aus Tuareg-Musik und Shoegaze-Gitarren. Auf der Orange Stage waren derweil die vielleicht bekanntesten musikalischen Gesandten Malis zu Gast: Das ebenfalls blinde Ehepaar Amadou & Mariam, das ja seit Jahren von der Pop-Prominenz hofiert wird, flirrte im Sonnenschein zwischen urafrikanischen Klängen und hörbaren westlichen Einflüssen.
Wer eher den amerikanischen Musiktraditionen verbunden war, der wurde mit einem mal wieder großartigen Alabama Shakes-Konzert belohnt und – früher am Nachmittag – mit einer Soul-, Blues- und Jazz-Messe von Dr. John. Dabei musste Mr. Rebennack Jr. die meiste Zeit nicht mal von seinem Klavier aufstehen. Seine Live-Band folgte ihm auch so in die Sümpfe New Orleans. Verschrobenes gab es dann im Gloria-Zelt am frühen Abend, wo R. Stevie Moore ein paar Songs aus seinen rund 400 in Eigenregie produzierten Alben zum Besten gab. Der greise Lo-Fi-Onkel, der in jüngster Zeit dank junger Fürsprecher wie Ariel Pink seinen zweiten Frühling erlebt, wirkt live genauso, wie man sich einen Menschen vorstellt, der die meiste Zeit in seiner Wohnung verbringt und Songs über das Daheimbleiben, das Daheim-Musikhören, das Daheim-Essen-Machen und das Daheim-Popeye-Schauen schreibt. Da kann man dann vielleicht nicht erwarten, dass Jemand vor Publikum funktioniert, wie es andere Künstler tun. Munter war das jedoch allemal, wie R. Stevie Moore in seinen schlumpfblau gefärbten Bart grummelte und die Menschen mit „Where are my bitches?!“ begrüßte, was er sich wohl von Wiz Kalifa und Co. abgehört hatte. Nach einem Bandset wurde es dann jedoch recht unhörbar, weil sich Moore mit einem knappen „Thank you for having us“ verabschiedete, um dann eine Weile lang jedes Instrument einmal selbst zu spielen – wobei dabei nicht gemeint ist, dass er zwangsläufig Songs geschweige denn Solos spielte. Da war es fast zuviel Klamauk – was schade ist, da Moore einige Songperlen in seinem riesigen Oeuvre hat.
Der Abend gehörte schließlich zwei starken Frauen: Erst zeigte Santigold im Arena-Zelt, dass sie musikalisch mehr drauf hat, als Pop-Häschen wie Katy Perry und Co. Mit starker Band und Tänzerinnen entschied sie sich für eine Inszenierung, die zwar auch Choreographie-Elemente der ganz Großen Blenderinnen wie Madonna und Gaga zitierte, die aber eher charmant und tatsächlich dem Song dienend schienen. Björk gebürte die Ehre, das Roskilde Festival abzuschließen – und sie tat es nach einem hypnotischen, bunten Set auf eine Weise, die zeigte, dass diese so gern mit der Hochkultur flirtende Künstlerin auch mit Festivalpathos umgehen kann. Zum dunklen sägenden Beat sang sie diese Zeilen, die so perfekt zu einem politischen Festival wie dem Roskilde passen:
„Declare independence / Don’t let them do that to you / Declare independence / Don’t let them do that to you / Make your own flag / Make your own flag / Make your own flag / Make your own flag / Raise your flag higher, higher Raise your flag higher, higher Raise your flag higher, higher.“
Ein starkes Ende.
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