Roskilde Daily: An Evening on Melancholy Hill. Der Donnerstag.
Seit Donnerstag läuft das von uns präsentierte Roskilde in Dänemark, eines der traditionsreichsten Festivals Europas. Daniel Koch ist vor Ort und verbrachte einen sonnigen Abend zwischen "Melancholy Hill" und "Plastic Beach".
Man kann es gar nicht oft genug sagen: Wer zum ersten Mal auf einem Festival wie dem Roskilde oder dem Glastonbury ist, der mag gar nicht glauben, dass solch riesige Veranstaltungen (Roskilde ca. 70.000 Besucher / Glasto ca. 150.000) auf die Weise möglich sind: Fressbuden jenseits von McCain und Pizza bzw. Pasta Mario, motivierte wie routinierte Volunteers anstelle von bärbeißigen Security-Mackern (die es an kritischen Punkten natürlich auch gibt), ein bis in die letzte Ecke liebevoll gestaltetes Festivalgelände, auf dem immer wieder mal gelungene, mal hippiesk-naive Kunst lauert, ein Line-up, das selbst großen Namen wie die Gorillaz und Prince auf die Bühne stellt, und die Gewissheit, dass man hier auf einem wirtschaftlich erfolgreichen Festival ist, dessen Gewinn für wohltägige Zwecke ausgegeben wird – für handverlesen ausgewählte Projekte und Organisationen. Wenn man dann so über die Campingplätze streift, sich am Grinsen der hübschen Däninnen erfreut, den freundlichen Klang des Wortes „tak“ im Ohr hat, den man immer hört, wenn man jemandem sein Bändchen zeigen muss – dann seufzt man zu gerne naiv auf und denkt sich: Eine bessere (Festival-) Welt ist möglich.
Der erste regulär musikbespielte Abend auf dem Roskilde (die Campingplätze sind bereits seit vergangenen Samstag offen) stand natürlich ganz im Zeichen der Gorillaz, oder vielmehr im Zeichen ihrer irdischen Stellvertreter, die nun das Ruder übernommen haben. Wer zuvor noch ein wenig Kontrastprogramm brauchte, der konnte sich im riesigen „Arena“-Zelt formidabel von Lou Koller und seinen Bandkollegen anschreien lassen. Sick Of It All versuchten dort mit „some good ol‘ hardcore-punk-rock’n’roll“ – so die Eigenverortung – die noch ein wenig sonnenträgen Gestalten in Bewegung zu bringen. Auf dem New York City-Hardcore-Aerobic-Programm standen dabei die Standards „Circle Pit“ und „Wall Of Death“, mit erstaunlichem Erfolg. Musikalisch gab es dabei gewohnt gut auf die Fresse, wahlweise mit neuem Material wie dem auf Mitgröhlkompatibilät gepolten „Based On A True Story“ oder älteren Gassenhauern wie „Scratch The Surface“. Wer es ein wenig stylisher brauchte, der konnte derweil mit dem LCD Soundsystem in den Sommerabend tanzen, was irgendwie unpassend erschien. Jamey Murphy macht sich bei Neonlicht in Koksnasengesellschaft einfach besser.
Mit halbstündiger Verspätung kündigte sich dann die Reisegruppe „Plastic Beach“ an, die in stattlicher Mann- und Fraustärke die „Orange Stage“ bevölkerte. Während das Streicherensemble samt Bläserverstärkung des Hypnotic Brass Ensembles die Bühne betrat und auf der Leinwand im Hintergrund ein Rundflug auf das Kreativressort der Gorillaz am „Plastic Beach“ flimmerte, konnte man sich kurz nicht gegen den Eindruck erwehren, dass Damon Albarn, der olle „smart arse“ einen irgendwie beschissen hat. Immerhin haben er und Jamie Hewlett uns vor Jahren eine zweidimensionale Comicband in die Welt gesetzt, die man eben nicht nur aufgrund ihres Stilbastard-Sounds schätzte, sondern eben auch, weil man die schrägen Comic-Charaktere und ihre noch vom „Tank Girl“-Geist beseelte Ästhetik bewunderte. Eine Weile wollte man – befeuert von technisch aufwendigen Brit-Awards-Auftritten – glatt daran glauben, dass Albarn es irgendwie schafft, diese Comicband namens Gorillaz wirklich zum Leben zu erwecken, und ihnen nicht bloß irdische Vertreter zu vermitteln.
Das muss auch Damon Albarn bewusst gewesen sein, als er sich entschied, selbst vermehrt ins Bühnenlicht zu treten und die Gorillaz als reine Live-Band auf Tour zu schicken. Nur so ließe sich erklären, warum der Typ eine solch größenwahnsinnige Überwältigungs-Orgie inszeniert. Denn mal ehrlich: Allein Albarn und der immer noch übercoole Paul Simonon plus ein paar Mietmusiker hätte schon ähnliches Interesse hervorgerufen.
Aber: Wenn schon Gorillaz, dann auch richtig. Dann kann man auch mal die Orange-Stage mit mehr als zwei Dutzend Musikern vollpacken, sie ihn Murdoc-inspirierte Querstreifen-plus-Kapitänsmützen-Outfits stecken und mal richtig Halligalli machen – salopp gesprochen. Dann kann man auch mal Gaststars wie Bobby Womack an Bord nehmen oder die betörende Yukimi Nagano, hauptberuflich bei Little Dragon, für zwei Songs auf die Bühne holen, oder auf einmal das The Lebanese National Orchestra for Oriental Arabic Music aufspielen lassen. Da macht es dann auch gar nix mehr aus, das zum Beispiel Mos Def von einem Aushilfsrapper vertreten werden musste und Snoop Dog und De La Soul bloß von der Leinwand sangen.
Auch ohne die volle Starladung war es nämlich ein unglaublich arsch- und herzbewegendes Live-Konzert. Albarn wirkte aufgekratzt wie ein kleines Kind im Comicladen, während seine Mitmusiker – von der smart die Geige streichenden Blondine, bis zu den ständig in Bewegung trötenden Bläsern, über das Clash-Urgestein Simonon – eine Euphorie von der Bühne strahlten, die jedem anwesenden sagte: So jung kommen wir nicht mehr zusammen. Und schon gar nicht in dieser Runde.
Ging das Intro und „Welcome To The World Of The Plastic Beach“ noch ein wenig im anfänglichen Soundbrei unter (was durchaus klar ging, denn wer will schon bei solch einem Bandmonster am Mischpult stehen), fanden die Gorillaz recht schnell in den Tritt und sorgten in ihren besten Momenten für eine Darbietung, die man nicht so schnell vergessen wird. „Stylo“ war ein solches Highlight, vor allem, wenn man dabei das stolze Strahlen in Albarns Augen sah, als dieser verschmitzt grinsend Bobby Womack bestaunte, der sich – trotz Opa-Alter im Muscle-Shirt – auf die Bühne groovte und vor der kollektiven wippenden Crowd eine geradezu beseelte Sangesperfomance brachte. „Kids With Guns“ ging ebenso in Mark und Bein, trotz fehlender Starpower, aber mit tollen Hewlett-Visuals im Background.
Ein Verweilen „On Melancholy Hill“ in der Abendsonne konnte man ebenso wenig ausschlagen, vor allem weil Albarns entrückter Vortrag einen in den Moment zurückbrachte, in dem man auf dem Glastonbury im letzten Jahr mit dem selben Mann und anderer Band „Out Of Time“ war. „Clint Eastwood“ im Zugabenteil wurde dann genau die Hymne, die es noch zum Abschluss brauchte, leider ohne die echten De La Soul. „Empire Ants“, bei dem Miss Little Dragon live in weiß das Publikum mit ihrem Charme und ihre außergewöhnlichen Stimme um den Finger wickelte, war dann wirklich nicht mehr zu überbieten. Oder doch: Noch einmal dank der Unterstützung von Bobby Womack. „Cloud Of Unknowing“ sang dieser, umklammerte dabei das Mikro mit beiden Händen, drückte es vor seine Brust, schaute über das Publikum hinweg und wurde dann von einer spontanen Jubelwelle inmitten des Songs getroffen, was ihn augenscheinlich den Tränen nahebrachte. Und was machte Albarn: Der stellte sich an seine Seite, nahm ihn in den Arm, grinste debil und glücklich und freute sich über das, was er da mit all diesen Leuten angerichtet hatte.
So endete der erste – durch und durch sommerliche – Roskilde-Abend auf eine Weise, die man kaum mit der Eröffnung im letzten Jahr vergleichen konnte. Da nervte nämlich ein arrogante Live-Nulpe namens Kanye West und schickte einen enttäuscht nach Hause. In diesem Jahr war’s das Gegenteil: Man fragte sich, was zum Henker da denn die nächsten Tage noch besseres kommen möge. Aber da lauert ja noch der kleine große Prince am Sonntag. Der wäre der Kandidat, der’s toppen könnte. Oder doch Patti Smith? Oder die Them Crooked Vultures? Wir bleiben auf dem Laufenden und schreiben drüber, sobald wir’s wissen.
Daniel Koch