ROLLING STONE wird 20. Unsere Helden, Teil 6: Noel Gallagher
Wir werden 20! Und starten mit einer Serie ins Jubiläumsjahr – über 20 Helden, die uns in den vergangenen 20 Jahren wichtig waren. Teil sechs: Noel Gallagher. Ein Porträt von Birgit Fuß
November 1994: der erste deutsche ROLLING STONE erscheint – nur wenige Monate nachdem Oasis ihr Debüt, „Definitely Maybe“, veröffentlicht haben. In den folgenden 20 Jahren sind die Briten Dauergäste im Heft. Was wären die „Randnotizen“ ohne Liam Gallaghers Totalausfälle gewesen? Wie hätte man die späten Neunziger ohne „Morning Glory“ überstanden? Liam schaffte es zweimal ohne Noel aufs RS-Cover: im Jahr 2000 (etwas voreilig wurde damals „Die Läuterung des Rüpels“ verkündet) und 2011 mit seiner neuen Band, Beady Eye (die Frage „Sind sie besser als Oasis?“ ließ sich leicht beantworten). Gemeinsam waren die Gallagher-Brüder 2002 und 2008 zu sehen, 2007 traf sich Noel zudem mit Paul Weller zum „Streiten über Mod und die Welt“. Und er zierte zweimal solo den Titel: 2005 als „Der neue Noel Gallagher: Sympathisch, bescheiden & seelengut“ (ja, wir haben auch Humor) und 2011 gleich in vierfacher Ausführung, von Klaus Voormann gezeichnet. Egal ob Oasis gerade gute oder schlechte Alben gemacht hatten, ob sie mal wieder stritten oder Harmonie simulierten: Sie waren ein paar Seiten wert. „What’s The Story?“ war keine Frage, die sich bei ihnen je stellte.
Nach vier Titelgeschichten ist allerdings auch eines klar: Gegen Noel Gallagher kann man nur verlieren. Es gibt keinen Gesprächspartner, der schlagfertiger und witziger ist. Man muss gar nicht versuchen mitzuhalten. Dafür machen Interviews mit ihm mehr Spaß als mit allen anderen. Weil man weiß, dass man nach einer halben Stunde zwar erschöpft, aber immer mit guten Zitaten rausgeht. Und mit zwei, drei Erinnerungen, über die man noch Jahre später lachen mag. Als Journalistin kann man mit Noel Gallagher also nur gewinnen.
Zum ersten Mal traf ich Noel 2002 im Büro seiner „Big Brother“-Firma in London, zum fünften Oasis-Album, „Heathen Chemistry“. Der erste Satz, den ich von ihm hörte, war: „Der Tag könnte gar nicht beschissener sein, danke!“ Der Mann, der viel Wert auf Pünktlichkeit legt, war im Stau stecken geblieben und kam deshalb zu spät zum Interview. Dann setzte er ein schiefes Lächeln auf, entschuldigte sich höflich, trank Tee mit Milch – und erklärte sich bescheiden zum „besten Songwriter Englands“. Er wetterte auch gegen „Zynismus und Apathie, die schlimmsten Wesensarten, die es gibt“.
Während sinkende CD-Absätze, illegale Downloads und bräsige Chefstrategen der Musikindustrie immer mehr zusetzten, schienen Oasis und vor allem Noel es sich in den Nullerjahren immer gemütlicher zu machen: Er fand sich damit ab, dass Coldplay ihnen den Rang abliefen, erklärte U2 freiwillig zur besten Band der Welt und Oasis zu „Außenseitern“. Er nahm keine Drogen mehr und trank weniger, Geld hatte er längst genug. Alles war gut – wäre da nur nicht dieses „laute, große Kind“ gewesen. Beim nächsten Interview, 2005 in Berlin, lobte er sogar die „naive Energie“ von Liams Songs und freute sich über das neue „Teamwork“. Bei Oasis gab es nun vier Songschreiber. Leider konnten die anderen drei es nicht so gut wie Noel, aber der war froh, dass er etwas weniger Arbeit hatte.
Auch 2008 herrschte im „Big Brother“-Büro wieder reine Eintracht. Noel gab zu Protokoll, dass er angeblich nur zwei Dinge bedauere: „dass ich aufgehört habe, Benson & Hedges zu rauchen, und mit Marlboro Lights angefangen habe und dass wir nach ,Morning Glory‘ nicht ein, zwei Jahre Pause gemacht haben, sondern gleich wieder ins Studio gegangen sind“. Später variierte er das gern und ließ die Zigaretten weg, aber man konnte sich stets darauf verlassen, dass Noel keine albernen Ausflüchte für etwaiges Fehlverhalten seinerseits suchen würde – er hält es wie die selige Queen Mum: „Never explain, never complain.“
Und dann kam die Pflaume. Liam warf sie Noel backstage an den Kopf, er ging und kam tatsächlich nicht zurück. Oasis waren vorerst Geschichte. Als 2011, wenige Monate nach dem Beady-Eye-Debüt seines Bruders, Noels erstes Soloalbum erschien, ließ er verlauten, er wolle nicht wieder mit „seven fucking Rolling Stones“ sprechen, also mit allen möglichen Ausgaben von Italien bis Australien. Effizienz, bitte! Wir vom deutschen ROLLING STONE bekamen den Zuschlag. Noels Blick war auf die Zukunft gerichtet, der Interviewort erinnerte an die Vergangenheit: Im Londoner Landmark-Hotel waren Oasis 15 Jahre zuvor im Suff wie Äffchen auf die Palmen im Innenhof geklettert. Nun kam Noel mit der U-Bahn, setzte sich gesittet an die Bar – und gab zu: „Ich hasse Veränderungen!“
Zum ersten Mal erlebte ich bei einem Noel-Interview einige Sekunden der Stille. Einmal, als er zugeben musste, dass er bei unserem letzten Gespräch 2008 auch niemals gedacht hätte, dass Oasis sich demnächst trennen würden – sein kleiner Seufzer war richtig rührend. Und nach der Frage, ob er Liam, wenn schon nicht als Sänger, so doch zumindest als Bruder vermisse, starrte er erst mal ins Leere und verschränkte langsam die Arme. „Nicht wirklich“, antwortete er schließlich – sechs Freunde, drei Kinder und eine Ehefrau reichten ihm.
2002, 2005, 2008, 2011 – eigentlich müsste 2014 der nächste Streich des Noel Gallagher folgen, er ist doch sonst so zuverlässig. Mit einem neuen Album ist aber nicht vor nächstem Jahr zu rechnen. Wir freuen uns schon auf große Songs und große Sprüche. Ohne Menschen wie ihn, stellte Noel einmal selbst fest, wäre der Musikjournalismus ganz schön langweilig. Auch damit hat er wieder mal recht.
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