ROLLING STONE wird 20. Unsere Helden, Teil 2: Bryan Ferry
Wir werden 20! Und starten mit einer Serie ins Jubiläumsjahr – über 20 Helden, die uns in den vergangenen 20 Jahren wichtig waren. Teil zwei: Bryan Ferry. Ein Porträt von Jürgen Ziemer
Zum ersten mal ist mir Bryan Ferry 1974 im Wohnzimmer meiner Eltern begegnet. Er, ein dekadenter Rock’n’Roll-Dandy im weißen Anzug, mit glänzender Schmalztolle und blasiertem Upperclass-Gehabe. Ich, ein pickeliger Teenager, der mit weit offenem Mund eine Live-Sondersendung des „Musikladens“ verfolgte. Mit „Editions Of You“ zertrümmerten Roxy Music an diesem Abend meine Welt. Danach war ich bereit für die Zukunft.
Den leibhaftigen Bryan Ferry traf ich erst Jahrzehnte später, im Frühjahr 2002 in einem Salon des Hamburger Hotels Vier Jahreszeiten. Aus dem jungen Paradiesvogel war inzwischen ein reifer Bonvivant geworden. Ein passionierter Landedelmann, Kunstsammler und Frauenheld, dem sein Biograf David Buckley trotzdem eine gewisse Schüchternheit nachsagt. Allerdings nicht an diesem Tag. Zuerst glaubte ich, das gelungene neue Soloalbum „Frantic“ sei der Grund für Ferrys Hochstimmung oder die erfolgreiche Reunion-Tour mit Roxy Music. Doch es war die junge Tänzerin Katie Turner – die uns während des Interviews mit einer Videokamera kichernd umkreiste. Und Ferry kicherte zurück.
„Ich mag keine Trainingsanzüge mit Streifen“, sagt er, als ich ihn nach einer Definition von Stil frage. „Was gefällt mir außerdem nicht …?“, überlegt er weiter. „Turnschuhe?“, mischt sich Katie Turner ein. „Uuuuhh, Turnschuhe …“, ekelt sich Ferry. „Bomberjacken!“, quietscht die Tänzerin. „Nein, mit Turnschuhen und Bomberjacke zeige ich mich nicht so gern“, prustet der Gentleman im dunkelblauen Blazer. Doch dann haut Katie Turner so etwas wie den ultimativen Ekel-Joker auf den Tisch: „Speedos!“ Ferry kippt vor Lachen fast nach hinten weg, beim Gedanken an die grellbunten und lächerlich kleinen Minislips. Gespielt verzweifelt ruft er: „Da würde ich ja eher Boxershorts anziehen!“
Die Beziehung mit Katie Turner, die damals begann, dauerte etliche Jahre. Doch als mich Bryan Ferry 2010 durch seine Londoner Stadtwohnung führte, um mir einige Bilder des Pop-Art-Künstlers Richard Hamilton zu zeigen, wirkte das Schlafzimmer wie eine ewige Junggesellenbude: dunkle Laken auf einem gigantischen schwarzen Bett, schwere hohe Vorhänge und Stofftapeten, wie aus einer Opiumhöhle des Fin de siècle. Nur eine kleine Parfümsammlung auf einem der beiden Nachttische verriet: You never sleep alone. Zumindest nicht, wenn du Bryan Ferry heißt.
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