Rolling Stone Weekender: So war der Samstag
Egal ob auf der großen oder den kleinen Bühnen: Auch der Samstag hatte seine Momente und Überraschungen. Zum Beispiel einen furiosen Auftritt von Father John Misty im Rondell und den krönenden Festivalabschluss von Calexico.
Schade, dass noch keiner auf die Idee gekommen ist, morgens ein Konzert im Edeka Jens zu veranstalten. Wenn sich alle in die Brötchenschlange einreihen, könnte man sich einen übernachteten Songwriter, der sich den Kater von der Seele singt, gut vorstellen. Andererseits gehört es zum Weekender-Samstag dazu, dass man sich die freien Stunden mit Strandspaziergängen vertreibt, oder mit einem zünftigen Plattenkauf – da würden einem frühe Konzerte nur den Zeitplan sprengen. Das geht übrigens auch den Künstlern so. Calexico, die den Abend mit einem bejubelten Gig krönten, schwärmten noch von der Bühne, dass es ein wundervoller Tag gewesen sei, und man stundenlang an der Ostsee entlang gewandert war.
Aber der Reihe nach: Schon die ersten Veranstaltungen des Tages fanden vor vollen Reihen statt. So zum Beispiel die Lesung des geschätzten Kollegen Maik Brüggemeyer, der aus seinem Buch „Das Da-Da-Dasein“ vorlas. Ganz der findige Selbstvermarkter, der er nicht ist, sparte er sich den Büchertisch nach der Lesung, und empfahl stattdessen, die Mängelexemplare seines Romans beim Marketplace von Amazon zu erwerben. Auch die von Jens Balzer geleitete Talk-Runde mit der Rolling Stone Redaktion fand großen Anklang. Selbst Veranstalter Folkert Koopmans von FKP Scorpio gesellte sich dazu. Klingt nach einer doofen Floskel, aber man muss es mal wieder stellen: Ein so familiäres Festival findet man in der heimischen Festivallandschaft selten – das merkte man gerade in dieser Runde.
Das eigentliche Musikprogramm wurde dann von Jacqueline Blouin eröffnet, die manch einer vielleicht noch als Autorin unseres Blattes in Erinnerung hat. Begleitet von Violine und akustischer Gitarre sang sie ihre getragenen Folksongs wie „I Love Daddy“ oder „Burn Bambi Burn“ – beides bezirzende Grenzänger zwischen Naivität und erwachsenem Songwriting. Gleich vier Zugaben musste sie geben, bevor sie Bühne im Rondell verlassen durfte. Blind Pilot, die momenten mit Calexico touren, mussten den Vorschusslorbeeren gerecht werden, die sie vom Veranstalter höchstselbst überreicht bekommen hatten. Koopmans unterstrich während der Talkrunde den Anspruch, überraschende Künstler aufzubieten, und nannte die Band aus Portland als exemplarisches Beispiel. Zu Recht: Ihr sehnsüchtiger Indiepop hätte ein größeres Publikum verdient. Später baten Calexico, die ähnlich begeistert waren, Blind Pilot zu sich auf die Bühne, um gemeinsam einen Song zu spielen. Also: Bitte alle mal „3 Rounds And A Sound“ kaufen – wenn das jeder Leser macht, haben wir die Band ruckzuck auf Platz 1 der Albencharts.
Wer zu Luke Temple und seinen Here We Go Magic wollte, musste sich in Geduld üben. Aufgrund von Tonschwierigkeiten hatte sich der Soundcheck verzögert, und die wartende Menge vor dem Rondell war dem gewohnten Dadaismus eines solchen Vorgangs ausgesetzt: „Hey, hey, hey, hey… ho ho ho… go go go…. the monitors sound like crap… ho ho ho… yeah yeah… the mic … change the mic… this one’s fucked.“ Das muss man sich nun einfach in einer zehnminütigen Endlosschleife vorstellen. Die Menge nahm’s mit Humor und skandierte: „Wir wollen rein!“. Das Konzert versöhnte dann aber doch alle, vor allem als man zum Abschluss das grandiose „How Do I Know“ spielte – schade, dass keiner so tanzte, wie die Hauptdarsteller des Videos zum Song…
Auch bei Evan Dando musste sich manch einer in Geduld üben. Anfangs reichte eine lange Schlange vom Baltic Festsaal bis in die Galerie herunter, in der sich auch Marcus Wiebusch von Kettcar mit seiner Dame befand. Man nahm es gelassen, wartete bis man reinkonnte und sah dann, dass Dando zwar mit Kontrabass und Akustikgitarre angereist war, aber ohne die angekündigte Juliana Hatfield. Ob der die in New York vergessen hat, wo er noch am selben Tag gestartet war – man erfuhr es nicht. Aber man sah, dass Dando eigentlich in ganz guter Verfassung zu sein scheint, was ja bei manchen Touren in der Vergangenheit nicht der Fall war. Nicht jeder Lemonhead-Classic oder Dando-Solosong funktioniert in akustischer Spielart, aber oft genug packte einen diese einzigartige Stimme. Mal ehrlich: Kann ein fühlender Mensch dem „Outdoor Type“ widerstehen? Mitnichten. Und dann widmete Dando den Song auch noch jener längst vergessenen Band, die diesen tollen Song noch besser hinbekommen hat als die Lemonheads: „This one is for Sharon Stoned.“ Danach hatte man noch so manche Momente, in denen man gar nicht zum Trinken kam, weil man, immer wenn man den Bierbecher ansetzte, einen Refrain in den Mund bekam, den man einfach mitsingen musste. So geschehen bei „All My Life“ – da kann man wirklich nur die Strophen mittrinken.
Die Hauptbühne hatte derweil einen recht wilden Einstand: Animal Collective füllten die Bühne mit fantastischen Visuals, neonverwischten Videoaufnahmen, kruden Plastikzähnen und ihrem ausufernden Weirdo-Sound, der einem ganz herrlich das Hirn verrenkt, wenn man sich als Hörer von klassischen Songstrukturen verabschiedet hat. Harte Kost, die manch einen überforderte, aber viele begeisterte. Teitur hingegen hatte danach einen schweren Stand mit seiner ruhigen Theatralik. Wie er da so seitlich zum Bühnenrand in einem Wigwam aus Scheinwerferstrahlen saß und über einen Spiegel am hinteren Bühnenpfeiler auf die spärlich gefüllten Publikumsreihen schaute – das sah schon ein wenig wehmütig aus.
Die beste Show des Tages fand derweil im Rondell statt – wo Father John Misty mit seiner Band aufspielte. Josh Tillman, einst Drummer der Fleet Foxes, zelebriert auf dem Debüt mit diesem Moniker psychedelischen, hochmelodischen aber irgendwie verdrogt anmutenden Folk. Und es ist schade, dass er damit noch für viele eher in der Kategorie Geheimtipp rangiert. Na ja – zumindest die im Rondell anwesenden dürfte er nun in der Tasche habe. Das liegt zum einen an Songs wie „Only Son Of The Ladies Man“ oder „Nancy From Now On“, zum anderen aber an seiner unfassbaren Bühnepräsenz. Und daran erkennt man auch, warum er nicht mehr am Drumkit sitzen wollte: Dieser Typ gehört ins Rampenlicht! Smartass, der er ist, pöbelte er zwischen den Songs ins Publikum, scharwenzelte sich überkandidelt über die Bühne und verströmte sogar beim permanenten Hochziehen der Nase einen gewissen Sex-Appeal. „THIS Magazine, Rolling Stone, gave me two stars for one of my records. It’s a…“ – Naserümpfen – „… pleasure to be here.“ Auch schön war folgende Ansage: „OK, who’s next? Who wants to hit me? Who is the biggest, meanest, nastiest… „ – Pause – „… female in this room.“ Ohne die Lacher abzuwarten, spielte man dann „Nancy From Now On“. Wer das Video dazu kennt, versteht auch die Ansage: Das beginnt nämlich mit einer Szene, in der Tillman auf dem Boden liegt – unter dem Stiefel einer Domina. Hach, man hätte all diese Sprüche mitschneiden müssen. Aber auch ohne ein solches Tondokument wird man diese spöttischen, stechenden Augen so schnell nicht vergessen.
Schade, dass man derweil große Teile der Show von Two Gallants verpasste, die es ähnlich wie die Black Keys verstehen, also Duo zu brillieren. Allerdings brauchen Tyson Vogel und Adam Stephens dazu keine im Bühnendunkel versteckten Mitmusiker. Furioser Abschluss des Sets war ihr Song „Nothing To You“, bei dem sie ihre anfangs sichtbare Übermüdung in Grund und Boden spielten.
Mark Lanegan lieferte auf der Hauptbühne ein gewohnt solides Set ab, aber irgendwie vermochte er nach Father John Misty und Two Gallants diesmal nicht ganz so begeistern, wie man es gewohnt war. Vielleicht muss man seinem sonst so angenehmen statischen Auftreten mit einer anderen Euphoriekurve entgegentreten.
Tja, und dann war es auch schon an den letzten Acts des Tages, den Rolling Stone Weekender zu beschließen. Hannah Cohen wirkte mit ihren fragilen Song im Witthüs ein wenig hilflos, was daran lag, dass sie gegen den dröhnenden Rock’n’Roll von The Tremolo Beer Gut anspielen musste, die in Hörweite auf der Galeria eine Show spielten. Admiral Fallow aus Schottland gaben einen mit dem schönen „Isn’t This World Enough“ versöhnliche Folkklänge mit auf den Weg. Calexico lieferten dann den krönenden Abschluss: So voll wie bei ihnen war das Zelt nie zuvor gewesen. So viel Bewegung war nie zuvor im Publikum. Und so dankbare Worte hatte man von der Bühne an dem Wochenende noch nicht gehört.
Übrigens kann man sich die Konzerte des ROLLING STONE Weekenders im WDR ansehen:
Sonntag auf Montag, 09.12.2012 ab 00:15 Uhr Rockpalast Rolling Stone Weekender 2012 (1/2)
Sonntag auf Montag, 16.12.2012, ab 01:05 Uhr Rockpalast Rolling Stone Weekender 2012 (2/2)