ROLLING STONE Weekender 2015: Der Freitag – mit Element Of Crime, Alabama Shakes, John Southworth uvm.
Soul aus den Südstaaten, Melancholie aus Norddeutschland und der Mann, der das Album des Jahres vorlegte: Der Freitag beim ROLLING STONE Weekender.
>>> Der Samstag beim ROLLING STONE Weekender
John Southworth
John Southworth eröffnet am Freitag den wie immer schön ausgeleuchteten Baltic Saal im ersten Stock des Weissenhäuser Strand. Mit ausgebeulter Hose, ausgebeultem Hut und sauberem Jacket sieht der Kanadier, dessen „Niagara“ 2014 von ROLLING STONE zum Album des Jahres gewählt wurde, aus wie ein Hobo im ersten Jahr. Schüchtern in sich hinein nuschelnd eröffnet er das Konzert mit „Weird Woman“, gefolgt vom zurückhaltend düsteren „Folk art Cathedral“. Der Songwriter wirkt weniger getrieben als zuletzt bei seinen Solokonzerten in kleinerem Club-Rahmen, könnte sein, dass er sich auf der großen Bühne doch noch etwas verloren vorkommt. „I Got News For You“ kommt extralang und verjazzt daher, nur das ältere, poppige „Applecart“, sorgt vor der Zugabe für einige linkische Tanzeinlagen.
(FP)
Alabama Shakes
Es ist voll im Raum der Zeltbühne, als Alabama Shakes am Freitag um 19:30 Uhr ins Rampenlicht treten. Sofort startet die Band aus Athens mit „Don’t Wanna Fight“, dem bis dato größten Hit der zweiten Platte „Sound and Colour“. Sie beginnen damit ein Set ohne übertriebene Rock-Gesten, stttdessen mit aufrichtigen Grooves. Und dafür präsentieren die eigentlich als Quartett auftretenden Musiker sich mit großem Live-Besteck: Orgel und Rhodes links und rechts von der Bühne, dahinter drei Backgroundsänger, Bass, Gitarre, Schlagzeug. Alle bringen mit geschicktem Timing die Songs nach vorn und werden vom Publikum immer wieder bejubelt. Eine steht dabei natürlich besonders im Neon: Brittany Howard. Die Sängerin und Gitarristin der Alabama Shakes beeindruckt wieder einmal mit ihrer toughen Blues-Rock-Stimme. Sie hält die Stücke fest in der Hand, gibt Timing und Tempo vor und holt mit ihrer Dynamik diese selten gewordene Tugend im Rock und Pop auf die Bühne am Weissenhäuser Strand. Denn auch, wenn die teilweise langsamen und leisen Songs nicht das Gefühl geben, auf einem stinknormalen Rockkonzert zu sein, ist es genau das, was sie ausmacht. „Wir sind wirklich so weit von zu Hause weg und es bedeutet uns unfassbar viel, das ihr so nett zu uns seid“, sagt Howard gegen Ende des Live-Auftritts zu den Zuschauern vor dem Bühnenrand. „Gern geschehen“, würden die Besucher der Zeltbühne sicherlich zurückgeben.
(MT)
The Thurston Moore Band
„That’s Why I Love You Forevermore“ singt der Mann, wie ein Mantra, immer und immer wieder, seine Musiker ziehen dazu ihre Feedback-Schleifen. Immer weiter, immer lauter, immer besser. Mit „The Best Day“ und unter dem neuen Namen „The Thurston Moore Band“ scheint der 57-Jährige endlich die Kurve gekriegt zu haben, er spielt wieder das, was er am besten kann: Punkrock-Songs mit langem instrumentalen Überbau. Seine drei Kollegen, der alte Freund Steve Shelley am Schlagzeug, James Sedwards an der Gitarre sowie Deb Googe von My Bloody Valentine am Bass (eine echte Supergroup also!) wirken in ihren stimmigsten Momenten so, wie die große andere, ehemalige Band des Leadsängers: Sonic Youth. Das muss kein Hindernis sein. Die seit 2011 ruhenden Indie-Ikonen patentierten damals jenen berühmten Sound, in dem sich alle Instrumente langsam immer lauter emporheben; manchmal klangen sie dabei wie ein Düsenjet, falls sie am Boden blieben wie Kombattanten, die sich mit scharfen Klingen gegenüberstehen. Moore ist der Pate dieser Klänge, und während sich sein Sonic-Youth-Mitstreiter Lee Ronaldo, der George Harrison der Band, mit seinen Liedern neuerdings in epischen Naturbeobachtungen übt und Kim Gordon sich in verkünstelten Projekten verliert, macht der Leadsänger mit seinen früheren Noise-Attacken nun einfach weiter.
Der kleine, kompakte Baltic Saal mit seiner niedrigen Decke ist dafür genau der richtige Ort, hier breitet sich der Lärm bis in jeden Winkel aus. Keiner der Zuschauer ruft nach Sonic Youth. „I Wanna Dedicate This Song To Angela Merkel“, ruft Thurston Moore am Ende des Zehn-Song-Sets. Die Flüchtlingskrise müsse als Gelegenheit verstanden werden, sich gegenüber hilfsbedürftigen Menschen von der menschlichsten Seite zu zeigen. Die Botschaft kommt an, die Leute im Saal jubeln. Es sind solche Momente, die stets klar machen, wie vielschichtig Moores aggressiv klingende Musik ist. Nie ein Aufruf zur Gewalt, zum Kampf aber schon: für eine bessere Welt, durch reinigend laute Stücke.
(SN)
The Riptide Movement
The Riptide Movement nehmen ihren Auftrittsort wohl so ernst wie keine andere Band an diesem Tag. Die Iren spielen auf der „Alm“ (früher einmal Rondell) und sind sofort in Bierzeltstimmung. In ihrem Heimatland stürmen die Musiker um Sänger Malachy Tuohy inzwischen die Charts, gelten als vielversprechendster musikalischer Export des Landes. Der leichtblütige und rasant eingespielte Mix aus Folk-, Bluesrock und Pop erinnert zuweilen an die frühen Franz Ferdinand, allerdings ist die Aufforderung zum Tanzen hier nicht die Spur intellektuell oder eine dandyeske Pose. Mit kraftvollen, stampfenden Songs wie „All Works Out“ treiben sie das Publikum, das die „Alm“ bis auf den letzten Zentimeter ausfüllt und wie die Dubliner nach drei Liedern den Rockschweiß auf der Stirn stehen hat, in einen Rausch hinein. Bassist Gerard McGary schreit immer wieder „Ich liebe Deutschland“. Auf dem Weekender wird diese Liebe spürbar erwidert – selbst vor dem Auftrittsort, wo Fans im leichten Nieselregen mitgrölen.
(MV)
Steve Earle & The Dukes
Steve Earle ist mit Verstärkung unterwegs – gemeinsam mit The Dukes kommt Scheunenfeeling im Zelt auf, als der mächtige Kontrabass zu brummen beginnt und Mandoline, Fiedel und E-Gitarre einstimmen. Das Set enthält sowohl Earle-Klassiker wie „Galway Girl“ als auch Songs vom gemeinsamen, neuen Album „Terraplane“, das im Februar erschienen ist. Der Bandleader mag kein Mann großer Worte sein, für einen Song holt er dann aber doch etwas weiter aus: Im Zuge der Debatte um die Abschaffung der Konföderiertenflagge nach dem Massaker in Charleston hat Earle erst kürzlich den Song „Mississippi, It’s Time“ geschrieben, denn der Bundesstaat weigert sich beharrlich, das rassistische Symbol aus seiner Staatenflagge zu verbannen. Das Lied reiht sich in die lange Liste von Protestsongs ein, die Earle sich im Laufe der letzten 30 Jahre von der Seele geschrieben hat. Dem Weekender-Publikum gefällt’s und auch die weiteren neuen Tracks finden deutlich hörbar Anklang bei den Indoor-Campern.
(KB)
Jamie Lawson
Jamie Lawson hat ein Problem. Der britische Sänger, der an diesem Abend nach The Riptide Movement die Alm bespielt, gilt längst als „The Next Big Thing“. Das liegt daran, dass er der erste Musiker ist, den Ed Sheeran auf seinem eigenen Label Gingerbread Man Records zeichnete. Außerdem wird ihm nachgesagt, mindestens so gut Hörerherzen brechen und schwermutstrunken singen zu können wie Damien Rice. Das kann man nicht von der Hand weisen. Lawson schmachtet los, wirkt dabei fröhlich und ausgeglichen. Obwohl er herzzerrreißende Lieder zu putzigen Ansagen („Diesen Song widme ich meinem Cousin, der heute Hochzeitstag hat“) aufführt, scheint er mit seinen 39 Jahren doch schon ein wenig vom Leben zurechtgestutzt. „Wasn’t Expecting That“ ist Lawsons überlebensgroße Hymne und auch irgendwie ein Kommentar zu seiner derzeitigen Lebenssituation, die den Musiker wohl endgültig auf die Erfolgsspur bringt. In wenigen Tagen tritt er in der Talkshow von Ellen DeGeneres auf. Vielleicht fordert er die Moderatorin auch so freundlich zum Mitsingen auf wie das angenehm berührte Publikum auf dem Weekender.
(MV)
Element Of Crime
Der große Abschluss am ersten Tag beim ROLLING STONE Weekender gehört – wohl auch standesgemäß – Element Of Crime. Sven Regner leitet den Abend etwas herausfordernd mit „Don’t You Ever Comeback“ ein, unerwartetes Englisch von Musikern, deren deutsche Texte einem das Herz brechen können. Die Band hat in ihrem Repertoire sonst eigentlich pointiertere Opener zu bieten. Doch gleich mit „Dunkle Wolken“ sind die Startschwierigkeiten behoben. Dann stellt sich fast auf Knopfdruck jene eigentümliche Atmosphäre ein, die alle Gigs der Band wie ein immer gültiges Wiedererkennungszeichen umhüllt. Besuch von Freunden, die man vorher nicht kannte, und die plötzlich vor einem stehen und einem Lebensweisheiten mitgebracht haben. Interessant ist, dass Regeners Stimme mit den Jahren immer brüchiger und auch rauer wird, was die schroffe Melancholie seiner Texte nun auch akustisch verstärkt.
Während Songs wie „Liebe ist kälter als der Tod“ oder „Immer da wo du bist bin ich nie“ geradezu aus dem Ärmel geschüttelt werden, braucht das Publikum bei den neuen, eigentlich anschmiegsamen Liedern ihrer LP „Lieblingsfarben und Tiere“ zunächst etwas länger. Die Hits der Band, von Regener und Co. selbstbewusst nur spärlich in ihr Set integriert, erweisen sich zum Abendausklang wieder einmal als die großen Umarmungsgesten: „Delmenhorst“, das auch geografisch keine Welten vom Weissenhäuser Strand entfernt liegt, „Weißes Papier“ oder „Michaela sagt“. Songs, zum Teil 20 Jahre alt, und mittlerweile so etwas wie ein Kulturschatz, den man im Schimmer der Nacht aus einer Schatulle holt. Funktioniert immer, holt immer wieder die alten Gefühle hervor.
(MV + SN)