ROLLING-STONE-Helden: Stuart A. Staples – Schwelgerischer Dandy

Zum Beginn seiner Karriere mit den Tindersticks kokettierte Stuart A. Staples noch mit seiner Weltflucht. Inzwischen ist der musikalische Feingeist in Würde gealtert. Und er hat seine Band noch einmal neu erfunden.

Als die Tindersticks vor fast 30 Jahren von Nottingham nach London kamen und dort die Songs für ihr Debüt aufnahmen, tauchten sie in eine vibrierende Musik-Szene ein, ein ideales Biotop für eine Band, die mit gängigen Britpop-Trends nichts zu tun hatte.

Mehr zum Thema
Tindersticks sind die Meister der melancholischen Zwischentöne

Damals, 1993, traf ich Stuart A. Staples zum ersten Mal. Beim Interview im Hotel Hafen Hamburg gab er sich als Dandy, dem nichts fremder erschien, als sich mit den Gesetzmäßigkeiten und Regeln des Musikgeschäfts auseinanderzusetzen. Die Tindersticks, das fasziniert mich bis heute an ihnen, existierten in ihrem eigenen Kosmos aus Pulp-Lyrik, überhöhter Tragik und schwelgerischer Melancholie.

Im Herbst 2013 traf ich Staples erneut. Anlass war das kunstvoll mit neuen Interpretationen alter eigener Songs ausgestattete Jubiläums-Album „Across Six Leap Years“. Staples, ein immer noch dandyhafter, aber in Würde ergrauter Familienvater Ende 40, der seit Langem in Frankreich auf dem Land lebt, gab sich bescheidener als damals, er hat die Härten des Geschäfts kennengelernt.

Die Tindersticks haben sich neu erfunden

Mit leiser Stimme erzählt er mir in einem Berliner Café davon, wie er vor einigen Jahren fast den Glauben an sein Talent als Musiker verloren hatte. Die Konsequenz war die Auflösung der Tindersticks und der Versuch einer Solo-Karriere, die vor allem der Selbstfindung diente. Heute, nach mehreren grandiosen Spätwerken wie „The Something Rain“, wirkt die Band, obwohl gealtert und gereift, beinahe so vital wie zu ihrer Anfangszeit.

Tindersticks
Tindersticks

Inzwischen bei ihrem eigenen Label, Lucky Dog, müssen auch die Tindersticks sich breit aufstellen, um den Lebensunterhalt von bis zu vier Bandmitgliedern samt Familien bestreiten zu können: „Ein wenig hier, ein wenig da, dann läppert es sich schon zusammen“, sagt Staples. Plattenverkäufe und Tournee-Einnahmen seien ein großer Teil, aber nicht umsonst lässt die Band sich immer wieder für Soundtrack-Scores anheuern und lieferte auch erstmals die Musik für eine große Ausstellung in Belgien über den Ersten Weltkrieg.

Mehr zum Thema
20 legendäre melancholische Songs für Herbst und Winter

All das geschieht mit Leidenschaft, aber eben auch, um die Rechnungen bezahlen zu können.

Der Archiv-Text stammt aus der Reihe „ROLLING STONE wird 20. Unsere Helden“, die zum 20. Jubiläum des ROLLING STONE erschien.

Richard DUMAS & Suzanne OSBORNE
Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates