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ROLLING STONE hat gewählt: Die 500 besten Alben aller Zeiten (Bildergalerie)
Der deutsche ROLLING STONE hat ein neues Ranking der 500 besten Alben aller Zeiten aufgestellt – fast 20 Jahre nach der ersten Bestenliste. Hier gibt es die Liste als Fotogalerie.
500
Beastie Boys
Paul’s Boutique
Capitol, 1989
Auf die Bubenstreiche von „Licensed To Ill“, unter Anleitung von Fähnleinführer Rick Rubin, folgte die Neuerfindung als Wortakrobaten und Überhipster, im Team mit den Sample-Meistern The Dust Brothers. „Shake Your Rump“ zeigt den Vorsprung der Beasties vor dem Rest der Welt.
499
My Aim Is True
Elvis Costello
Stiff, 1977
Dass Nick Lowe es geschafft hat, Gift und Galle dieses Debütanten mit einer in London gestrandeten Westcoast-Band (Clover) zu verheiraten, bleibt ein großes Low-Budget-Wunder. Die Anmutung war Punk. Stücke wie „Red Shoes“ und „Alison“ waren die Visitenkarten eines Top-Songwriters.
598
Os Mutantes
Os Mutantes
Polydor, 1968
Ende der Sixties spielten Os Mutantes als Teil der Tropicália-Bewegung eine mutig aktive Rolle im Kampf gegen die brasilianische Militärdiktatur. Drei Jahrzehnte später inspirierte der farbenfrohe Rasselbanden-Sound ihrer Debüt-LP die Lo-Fi-Ästhetik von Beck und Konsorten.
497
Throwing Copper
Live
Radioactive, 1994
Selling the drama: Das konnte Ed Kowalczyk! Auf dem dritten Album von Live gehen mächtige Melodien, sehnsüchtige Texte und inbrünstiger Gesang eine unwiderstehliche Verbindung ein. Pathos? Na klar! In College-Rock-Hits wie „I Alone“ war es aber nie Selbstzweck.
496
Vampire Weekend
Vampire Weekend
XL, 2008
Reiche New Yorker inszenieren sich als noch reichere New Yorker, mischen europäischen Barock, westafrikanische Gitarrenmusik und kalifornischen Surf-Pop und singen über Feinheiten der englischen Grammatik. Kulturelle Aneignung, done right, kann magisch sein.
495
Bat Out Of Hell
Meat Loaf
Cleveland Intl./Epic, 1977
Dem Produzenten Jim Steinman und der Urgewalt Meat Loaf gelang ein makelloses Album, das Pop, Operette und Rock-Spektakel zugleich war, mit sensationellem Spannungsbogen. Alle Sehnsüchte der Jugend, all der Herzschmerz und die Verzweiflung, eingefangen in Bombast-Hits für die Ewigkeit.
494
Feminist Sweepstakes
Le Tigre
Mr. Lady, 2001
„Feminist, we’re cal- ling you/ Please report to the front desk.“ Gern, dabei schreien wir großartige Slogans über
den Fuzz-Punk-Elek- tronik-Teppich dieser erwachsenen Riot Grrls und grooven zum (extra dafür produzierten) Les- benbar-Tanzhit „Dyke March 2001“. Resist!
493
Let There Be Rock
AC/DC
Albert, 1977
Das vierte Album von AC/DC ist ein Mittelfinger in Richtung ihres unkooperativen US-Labels Atlantic. Von Erfolgstourneen in Europa und England heiß gespielt, betet die Band einen Riff-Rosenkranz mit Hits wie „Whole Lotta Rosie“ und dem Titeltrack herunter.
492
Jens Friebe
Vorher Nachher Bilder
ZickZack, 2004
Plötzlich war da ein deutschsprachiger Songwriter, der präzise beobachten, Emotionen sprachlich fassen und Melodien schreiben konnte. Jens Friebe konnte klug sein, ohne dabei grüblerisch rüberzukommen. Mit seinem Debüt läutete er die Post-Hamburger-Schule-Zeit ein.
491
The Postal Service
Give Up
Sub Pop, 2003
Was als Fingerübung für nebenbei gedacht war, wurde zu einem stilprägenden Album: Death-Cab-For-Cutie-Sänger Ben Gibbard und Elektronik-Tüftler Jimmy Tamborello verbanden digitale Glitches, Beeps und Boops mit Indie-Pop-Songwriting. Die Computer erwachten zum Leben.
490
R.E.M.
Up
Warner, 1998
Nach „Murmur“ und „Green“ war das elfte Album so etwas wie das dritte Debüt von R.E.M., nun als Trio. Ein zerschossenes, fragiles und genau deshalb so berührendes Werk voll zauberhafter Höhepunkte – von der Liebesballade „At My Most Beautiful“ bis zur Hymne „Walk Unafraid“.
489
Eric B. & Rakim
Paid In Full
Island, 1987
Ein großer Wurf der Neuen Schule des Mittachtziger-HipHop. Im Studio von Marley Marl entstehen symphonische Sounds. DJ Eric B. ist für die handgemachten Scratches verantwortlich, über die MC und Internal-Rhyme-Erfinder Rakim seinen ambitionierten Rhyme-Flow legt.
488
Kendrick Lamar
Damn
TDE, 2017
Das Gegenteil zum Jazz-Rap und Social Commentary von „To Pimp A Butterfly“: harter Trap, industrielle Sounds, Tracks für die Tanzfläche und zum Aufdrehen des Autoradios. Kein Kendrick-Song wird auf Konzerten vehementer mitgerappt als der Piano-Banger „Humble“.
487
Johnny Cash
At Folsom Prison
Columbia, 1968
Den Man in Black, der zur Legende wurde, brachte Johnny Cash erstmals im Folsom State Prison konsequent auf die Bühne. Sein Repertoire-Kalkül verschwindet im Angesicht der Knastkulisse hinter einer Performance aus Zuckerbrot und Peitsche.
486
Phoenix
United
Astralwerks, 2000
College-Rock wie aus einer John-Hughes-Dramedy, Retro-Pop, wie er Anfang des Jahrtausends die Welt verzauberte. Vier schluffige Franzosen feiern mit ihrem Debüt die ewige Jugend („Too Young“), aber auch Herzschmerz, der natürlich nie enden wird („If I Ever Feel Better“).
485
Led Zeppelin
Houses Of The Holy
Atlantic, 1973
Zwischen den Monsterplatten „IV“ und „Physical Graffiti“ liegt Led Zeppelins schönstes und lustigstes Album. Folk-Epen („The Rain Song“) und Psych-Rock („No Quarter“) treffen auf überkandidelten Funk („The Crunge“) und Reggae-Ulk („D’yer Mak’er“).
484
Ezra Furman
Perpetual Motion People
Bella Union, 2015
Mit seinem dritten Studioalbum wuchs Ezra Furman in die Rolle als Solokünstler:in hinein. Diese Art der Rockmusik kommt ohne Klischees aus, und doch geht es ganz klassisch um Aufbrüche und Ausbrüche. Zorn und Verwirrung entladen sich in grandiosem Rabatz.
483
Bunny Wailer
Blackheart Man
Island, 1976
Der 2021 verstorbene Neville O’Riley Livingston lieferte ein frühes Meisterwerk, das parallel zu „Exodus“ von Kumpel Bob Marley erschien. All-Star-Besetzung mit Peter Tosh, die Wailers als Rhythmussektion. Marihuana, Gospel und Jamaika-Classics.
482
Robyn
Robyn
Konichiwa, 2005
Mitte zwanzig und bei einem Major-Label, sollte Robyn die schwedische Britney Spears werden. Wollte sie aber nicht. Sie kaufte sich frei, kontaktierte die Avant-Pop-Exzentriker The Knife und machte diese wegweisende Synth-Platte, die Indie-Electro in den Pop brachte – und umgekehrt.
481
Elastica
Elastica
DGC, 1995
Während andere Britpop-Acts die Sixties plünderten, initiierten Elastica ein monochrom-minimalistisches Post-Punk-Revival, das von London bis Brooklyn nie wieder ganz aus der Mode kommen sollte. Dass Wire und The Stranglers daran kräftig mitverdienten, war nur gerecht.
480
The Velvet Underground
White Light/White Heat
Verve, 1968
Lou Reed ließ seine Pop-Ambitionen auf dem zweiten Album endgültig hinter sich. Der Einfluss des Avantgardisten John Cale wuchs. Die Texte wurden (inspiriert von William S. Burroughs) expliziter, alles klang rau und verzerrt. Die Geburt des Punk.
479
The Monks
Black Monk Time
Polydor, 1966
Die irrste und visionärste Band in der deutschen Beatmusik. Fünf G.I.s, die hier hängen geblieben sind und mit repetitiv-primitivistischem Krach alles vorwegnehmen, was später bedrohlich und lustig erscheinen wird, von The Velvet Underground bis zu The Fall.
478
Kraftwerk
Radio-Aktivität
Kling Klang, 1975
Alle sagten: AKW, nee. Kraftwerk sagten: „Radio-Aktivität“, Fritz Lang, Zukunftsglauben, Future-Denken, Elektronik. Auf dem Cover der Volksempfänger. Auch das sollte schrappeln. Gegen den Strich, und trotzdem mussten es alle hören, auch die in den Wollpullis. Jeder!
477
Dig Me Out
Sleater-Kinney
Kill Rock Stars, 1997
Die neue Schlagzeugerin Janet Weiss gab den Songs der als Paar frisch getrennten Carrie Brownstein und Corin Tucker mehr Wucht und Struktur und ließ die dritte Sleater-Kinney-Platte wie ein großes Rock-Album klingen, das in den Texten zugleich alle Rock-Klischees dekonstruierte.
476
Discovery
Daft Punk
Virgin, 2001
Ein Pionier der Retromania: Daft Punk paarten EDM mit John Paul Youngs „Love Is In The Air“, Future Pop mit City Pop sowie House mit Hardrock der Siebziger, den wir später Yacht Rock nennen würden und der von dem Duo schon Anfang des Jahrtausends wieder cool gemacht wurde.
475
Schick Schock
Bilderbuch
Maschin, 2015
Dieses Album war das Gegenprogramm zum verschwitzten, bierseligen Austro-Rock von Wanda. Funk und Disco, Pop und HipHop, Dekadenz und Style, Falco und Prince. Und die Single „Maschin“ war das größte Monster, das es je über die Radiowellen auf diese Seite der Alpen schaffte.
474
Crime Of The Century
Supertramp
A&M, 1974
Das Album, das Supertramp berühmt machte. Rick Davies und Roger Hodgson hatten je vier Songs für die Platte geschrieben, aber unter Hodgsons Beiträgen sind „School“ und „Dreamer“. Davies’ „Rudy“ und „Bloody Well Right“ muten dagegen, well, etwas bieder an.
473
Chet Baker Sings
Chet Baker
Pacific Jazz, 1954
Die Platte, die jeder Balladensänger und jeder Trompeter machen wollte. Chet Baker sah unverschämt gut aus und sang Songs von Jimmy Van Heusen, Jerome Kern und Frank Loesser, vor allem aber „My Funny Valentine“, „I Fall In Love Too Easily“ und „The Thrill Is Gone“.
472
Tragic Kingdom
No Doubt
Trauma, 1996
Das Album mit „Don’t Speak“ und „Just A Girl“, aber Gwen Stefanis Band hatte mehr drauf als nur diese zwei Hits. Ihre ziemlich kalifornische Mischung aus Pop, Rock und Ska zog damals einige ähnliche Bands nach, doch keine war so perfekt auf den Punkt wie No Doubt.
471
Physical Graffiti
Led Zeppelin
Swan Song, 1975
Es sollte ihr „Sgt. Pepper“ werden. Acht neue Songs, darunter ihr Meisterwerk „Kashmir“, und Leftovers aus vergangenen Sessions füllen ein kunstvoll verpacktes Doppelalbum, das den überflüssigen Beweis antritt, Rock als Kunstform ernst zu nehmen.
470
The Natural Bridge
Silver Jews
Drag City, 1996
Ohne Gründungsmitglied Stephen Malkmus bewegte Songwriter David Berman seine Silver Jews immer weiter Richtung Alt-Country und entwickelte sich zum größten Lyricist seiner Generation: „No, the stars don’t shine upon us – we’re in the way of their light.“
469
Benji
Sun Kil Moon
Caldo Verde, 2014
Eine Sprühdose entzündet sich, die Explosion tötet die junge Mutter, die den Müll rausbringt. Der alte Mann ermordet seine kranke Frau, aus Liebe, will sich danach selbst umbringen, aber das klappt nicht. Die Welt in Mark Kozeleks Folk-Autofiktion: eine absurde Lotterie.
468
The Frenz Experiment
The Fall
Beggars Banquet, 1988
Unter dem Einfluss der Pop-affinen Brix Smith klangen The Fall auf „The Frenz Experiment“ so aufgeräumt und diszipliniert wie nie zuvor und schafften es sowohl mit dem Album als auch mit der ersten Single, einem Cover des Kinks-Hits „Victoria“, in die britischen Top 40.
467
2001
Dr. Dre
Aftermath, 1999
Dieser zweite Solostreich zeigt den Doktor erneut auf der Höhe seines Könnens. Eminem und Snoop Dog, die Dre zu Superstars gemacht hat, sind hier ebenso im Team wie Xzibit, Nate Dogg und andere Kiffer mit schwierigem Verhältnis zu Frauen. „What’s The Difference“ ist leider trotzdem geil.
466
Cosmo’s Factory
Creedence Clearwater Revival
Fantasy, 1970
Das fünfte Album innerhalb von zwei Jahren. Mit dieser Platte voller Hits waren CCR auf dem Zenit angekommen. Es konnte nur noch bergab gehen. Bald verließ Tom Fogerty die Band, weil er keine Lust mehr auf die Alleinherrschaft seines Bruders John hatte.
465
The Madcap Laughs
Syd Barrett
Harvest, 1970
Outsider-Musik vom größten Insider. Obwohl Pink Floyd, so Gilmour, das Album nur produziert haben, um Barrett zu „bestrafen“, wird kein fühlender Mensch, der sie je gehört hat, die manisch-traurige, zerbrechliche Verstrahltheit dieser Songs missen wollen.
464
Ragged Glory
Neil Young & Crazy Horse
Reprise, 1990
Old Neil hatte mit „Freedom“ seine dritte goldene Phase erreicht. Aber das wütende Crazy-Horse-Glühen fehlte noch. Hier sind es neben Youngs zornigen Gitarrensoli die Improvisationen seiner Band, die den brennenden Wagen vorantreiben und den aufziehenden Grunge Rock umarmen.
463
Sea Change
Beck
Geffen, 2002
Von der Freundin getrennt und bei Scientology gelandet, schüttet Beck wehmütig sein Herz aus. Die Welt scheint ihm ein öder Ort geworden zu sein. Die schlunzigen Eklektizismen der Vergangenheit sind aus dem Spiel, dafür gibt es Akustikgitarre und Orchesterbombast.
462
Freedom
Neil Young
Reprise, 1989
Die Wiederkehr des Meisters nach den komischen 80er-Jahren. Am Ende der Dekade waren Neil Young lauter grandiose Songs eingefallen: „Rockin’ In The Free World“, „Eldorado“, „Too Far Gone“, „Crime In The City“, „Wrecking Ball“. Bald wurde er als Godfather of Grunge gefeiert.
461
Mambo Nassau
Lizzy Mercier Descloux
Philips, 1981
Sie lebte gemeinsam mit Patti Smith in einer Wohngemeinschaft und entwickelte ein Interesse für das, was später als World Music bezeichnet wurde. Michel Esteban, Mitbegründer von ZE Records, produzierte ihr zweites Album in Nassau. Kommerziell war es kein Erfolg, doch in den Szeneclubs von New York wurde es zum Hit.
460
The Head On The Door
The Cure
Fiction, 1985
Nach vereinzelten Indie-Hits und Jahren der düsteren Selbstfindung bauten sich The Cure eine Treppe in den lukrativen Mainstream. Mit der optimistischen Leichtigkeit und dem durchgängigen Pop-Appeal nimmt das Album eine Sonderstellung im Werk der Band ein.
459
Big Science
Laurie Anderson
Warner, 1982
Die für eine multimedia-Performance komponierten Electro-Haiku klingen, als würde eine künstliche Intelligenz mit mütterlicher Gleichmut dem Zerfall der Menschheit zusehen: „This is your Captain – and we are going down.“ Mit „O Superman“ kam die Kunstmusik in die Charts.
458
Boys And Girls In America
The Hold Steady
Vagrant, 2006
Ein wunderbares Storyteller-Album, das Craig Finn, Tad Kubler und Franz Nicolay gemeinsam schrieben. Alltagsgeschichten aus Amerika, in so trockenen wie effektiven Rock verpackt, mit Kraft erzählt. Ob „Chillout Tent“ oder „Party Pit“: Man sieht alles vor sich.
457
Die Reklamation
Wir sind Helden
EMI, 2003
Dieser Band gelang auf ihrem Debütalbum etwas, das hierzulande nur alle Jubeljahre vorkommt: eingängige Popmusik mit intelligenten Texten, mit Witz und Nonchalance. Wir sind Helden waren die Ausnahme von der Regel, eine deutsche Version von Rilo Kiley.
456
Miss E… So Addictive
Missy Elliott
Elektra, 2001
Niemand groovt, niemand rappt (und niemand produziert) besser als Missy „Misdemeanor“ Elliott: „Get Ur Freak On“, mit Tabla-Rhythmen zum Niederknien und einem japanischen Intro, spiegelt die Genialität dieser großen Künstlerin und ihres Best Buddy Timbaland.
455
Swoon
Prefab Sprout
Kitchenware, 1984
Die späteren Meisterwerke lassen leicht vergessen, dass „Swoon“ eines der besten Debütalben der Achtziger ist. Sieben Jahre hatte Paddy McAloon an den Stücken gefeilt, die Bossa nova, New Wave und Great American Songbook zu Musik verbinden, wie man sie noch nicht gehört hatte.
454
She’s So Unusual
Cyndi Lauper
Portrait, 1983
Cyndi Laupers Debüt erschien im selben Jahr wie das von Madonna. Sie hatte mindestens genauso gute Popsongs („Girls Just Want To Have Fun“! „Time After Time“!) und diese herrlich krächzende Stimme. Und während Madonna es nur andeutete, sang Cyndi „She Bop“.
453
Something Else By The Kinks
The Kinks
Pye, 1967
Damals war das Album ein Ladenhüter (weil „Waterloo Sunset“ und „Death Of A Clown“ schon Monate zuvor als Singles erschienen waren), heute beglückt es als Fundgrube verlorener Kleinode wie „Two Sisters“, „Lazy Old Sun“ oder „End Of The Season“.
452
Aretha Now
Aretha Franklin
Atlantic, 1968
Das ideale Medium des Sixties-Soul war zwar die Single, aber diese LP ist eine Jukebox für sich, nicht zuletzt dank Arethas epochalen Vokal-Duellen mit den Sweet Inspirations („Think“, „I Say A Little Prayer“) sowie Tom Dowds und Arif Mardins knackigen Bläser-Arrangements.
451
Three Imaginary Boys
The Cure
Fiction, 1979
Ende der siebziger erfindet das Trio um Robert Smith den Melo-Sound der New Wave. Tracks wie „Grinding Halt“ marschieren zackig voran. Wem das Anarchy-Gebolze des Punk zu stumpf war, der konnte hier eine sensiblere Heimat finden.
450
Sweetheart Of The Rodeo
The Byrds
Columbia, 1968
Initiiert von Gram Parsons, nahmen die Byrds ein Country-Rock-Album auf, das in Nashville auf wenig Gegenliebe stieß. In der eklektischen Songauswahl von Dylan über Haggard bis William Bell verwirklicht sich Parsons’ Vision einer „Cosmic American Music“.
449
Licensed To Ill
Beastie Boys
Def Jam, 1986
Drei postpubertäre Punks aus Brooklyn, von Produzent Rick Rubin zum Rap bekehrt, lassen es krachen. Statt „Fight The Power“ kämpfen sie für das „Right To Party“, sie sampeln Aerosmith und Led Zeppelin – und landen als erster Hip-Hop-Act überhaupt prompt auf der Nummer 1 der US-Charts.
448
Titanic Rising
Weyes Blood
Sub Pop, 2019
Ein majestätisches Album voller opulenter Arrangements – erhaben und elegant. Natalie Mering thront über diesen dramatischen Songs, ihre Stimme ist warm und kräftig und voll. Der schönste Seventies-Pop seit den Seventies, von Jonathan Rado mit viel Liebe und Sorgfalt produziert.
447
Music For A New Society
John Cale
ZE, 1982
Vielleicht das beste Soloalbum von Cale – jedenfalls dasjenige, in dem er musikalische Ambitionen und melodische Kunstfertigkeit am besten miteinander verbindet, aber auch New-Wave-Ideen mit gälischer Folkmusik. „Close Watch“ ist seine allzeit schönste Ballade.
446
Around The World In A Day
Prince And The Revolution
Warner, 1985
Nach „Purple Rain“ verabschiedete Prince sich vom Rock und spielte exotische Instrumente wie Oud und Darbuka. Das Album beginnt mit einer Schlangenbeschwörerflöte und endet in einem Zwiegespräch mit Gott – Prince in einer Doppelrolle.
445
The Information
Beck
Interscope, 2006
Beck singt über unbekannte Welten und Zeitreisen. Das Klangdesign verdient alle Preise der Galaxis: In bedrohlicher Pracht hallt die Band, als würde sie im weiß beleuchteten Louis-seize-Schlafzimmer aus Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ spielen.
444
Still Bill
Bill Withers
Sussex, 1972
Auf seinem zweiten Album gelingt dem ehemaligen Flugzeugmechaniker einfach alles: tighter Funk, bluesiger Southern und süßlicher Philly Soul. Aber nicht nur der Songwriter hat hier eine Sternstunde – die von Charles Wright übergelaufene Band um Schlagzeuger James Gadson spielt göttlich.
443
Lifted Or The Story Is …
Bright Eyes
Saddle Creek, 2002
Conor Oberst verbat sich alles Schrille früherer Aufnahmen, um mit Streichern und einem (allerdings doch schrillen) Chor seine Reifung als Musiker zu feiern. Der verzagte Songwriter verließ sich dabei ganz auf die großen Melodien und haderte dennoch mit so ziemlich allem.
442
My Generation
The Who
Brunswick, 1965
Am Wendepunkt von einer aufregenden Rhythm-&-Blues-Cover-Band zur Pop-Art-Schocktruppe liefern The Who späteren Generationen Anleitungen zu Punk (im Titelsong), Jangle-Pop („The Kids Are Alright“) und der Dynamik des Power-Trios (plus Pianist Nicky Hopkins in „The Ox“).
441
The Marble Index
Nico
Elektra, 1968
Auf ihrem Debüt, „Chelsea Girl“, sah man Nico im Jahr zuvor mit den Augen ihrer männlichen Verehrer: als romantisch verklärte Muse. Auf dem von John Cale produzierten „The Marble Index“ zeigt sie, wie sie sich selbst sieht: als Todesengel und moderne Bänkelsängerin.
440
5
Sault
Forever Living Originals, 2019
Seit ihrem Politalbum „(Black Is)“ sind Sault der omnipräsenteste Geheimtipp, den es je gegeben hat. Antidot gegen Überdruss: ihr Debüt, „5“. Wie spielerisch-souverän sich Cleo Sol, Inflo & Friends durch die Geschichte von Funk und Soul grooven, bringt im Nu die Liebe zurück.
439
Sings The Blues
Nina Simone
RCA Victor, 1967
„Mr. Backlash“, singt Nina Simone im „Backlash Blues“, „du behandelst uns wie Menschen zweiter Klasse und schickst unsere Söhne nach Vietnam, aber deine Stunde, weißer Mann, hat geschlagen.“ Militant, entschlossen, nicht mehr zu besänftigen, schlägt sie dazu die Akkorde an.
438
Under The Pink
Tori Amos
Atlantic, 1994
Mit ihrem zweiten Album etablierte sich Tori Amos schon als große Songschreiberin. Ihr „Cornflake Girl“ kam fast in die amerikanischen Top Ten. Mit Streichern spielte die Sängerin immer gern, doch ihre zarten bis wilden Stücke brauchten eigentlich nur sie und ein Klavier.
437
Dig Your Own Hole
The Chemical Brothers
Freestyle, 1997
Die Erfindung von Stadion-Techno. Eine Rave-Signal-Liga mit The Orbital, Prodigy oder Underworld. Was einst DJ-basiert in Kellerclubs bollerte, mutiert ins Bandformat. Das Big-Beat-Duo Tom Rowlands und Ed Simons zieht und zerhackt Ideen aus der Psychedelia.
436
In The Aeroplane Over The Sea
Neutral Milk Hotel
Merge, 1998
G-Dur, E-Moll, C-Dur, D-Dur, so beherzt geklampft, dass die Mikrofone knacken. Dazu Posaunen und Trompeten auf einem Trauermarsch und Jeff Mangum, der surreale Gedichte über das Schöne und Schreckliche, das Fleischliche und Jenseitige bellt.
435
Whitney
Whitney Houston
Arista, 1987
Nie war das Stimmwunder besser als auf dieser quintessentiellen Eighties-Platte. „I Wanna Dance With Somebody“ singt sie so, als würde sie schon längst tanzen. Wer könnte dieser vor Charme und Charisma strahlenden Pop-Soul-Queen einen Tanz verwehren?
434
Disraeli Gears
Cream
Atco, 1967
Der Einfluss des Produzenten Felix Pappalardi wird deutlich. Er hilft der Supergroup, den Blues des Debüts in Richtung Psychedelic zu erweitern. Eric Clapton zapft endlich sein Potential als Songwriter an („Strange Brew“!) und macht sich mit dem Wah-Wah-Pedal vertraut.
433
Smiley Smile
The Beach Boys
Capitol, 1967
Brian Wilsons Meisterwerk, seine „teenage symphony to God“, war an der Psyche ihres Schöpfers und den Widerständen der anderen Beach Boys gescheitert. Die prächtigen Scherben kehrte man inklusive der Singles „Good Vibrations“ und „Heroes And Villains“ zu „Smiley Smile“ zusammen.
432
They Say I’m Different
Betty Davis
Just Sunshine, 1974
Die zweite Platte der fulminanten Soul-Sängerin, die kurze Zeit mit Miles Davis verheiratet (und womöglich für seine Neuorientierung um 1968 verantwortlich) war. Die Songs formulierten scharf Zeitgeist sowie schwarzes und weibliches Selbstbewusstsein.
431
Black Sabbath
Black Sabbath
Vertigo, 1970
Donnergrollen, Kirchenglocken und der teuflische Tritonus als kriechendes Schlepper-Riff: Mit dem Titeltrack ihres Debüts eröffnen Black Sabbath der Welt die Geburt von Heavy und Doom Metal. Ein Album wie ein Hammer-Horror-Film, noch dazu an einem Freitag, den 13., veröffentlicht.
430
This Nation’s Saving Grace
The Fall
Beggars Banquet, 1985
Das Album, auf dem The Fall plötzlich Pop wurden. Na ja, fast. Mark E. Smiths singende Ehefrau Brix gibt den Suaden ihres Gatten Struktur, die Band zeigt, dass sie mehr kann als wüten. Und wenn Smith singt, er sei der sanfte Can-Vocalist Damo Suzuki, glaubt man ihm fast.
429
All Eyez On Me
2Pac
Death Row/Interscope, 1996
Das erste Doppelalbum in der Rap-Geschichte. Labelchef Suge Knight von Death Row wirkt als Executive Producer. Zentrales Werk des US-HipHop der 1990er. Platz 1 in den US-Charts. AllMusic nennt es ein Opus magnum. Gastbeiträge von The Outlawz und Snoop Dogg.
428
Don Juan’s Reckless Daughter
Joni Mitchell
Asylum, 1977
Jede Facette von Mitchells komplexem Schaffen findet sich auf dieser ambitionierten Platte, die zugleich über das bisherige Werk hinausweist. Das epische „Paprika Plains“ ließ den auf dem Totenbett liegenden Charles Mingus nach ihr rufen.
427
Larks’ Tongues In Aspic
King Crimson
Island, 1973
Eine römische Dekadenz-Speise, diese Lerchenzungen, aber eine Delikatesse. Guter Titel für ein Album, das mit den ersten beiden Teilen des Titeltracks das Großartigste bietet, was die Band schuf. Abgeklärter, kühler waren sie geworden. Und leichter: „Easy Money“ ist Pop.
426
Bonnie And Clyde
Serge Gainsbourg & Brigitte Bardot
Fontana, 1968
Das Album enthält einige der süffigsten Popsongs der B.-B.-Phase, ist dabei charmanter und eingängiger als das Meisterwerk „Histoire de Melody Nelson“ mit Jane Birkin. Das Video zum Titelsong ist fast so cool wie der gleichnamige Film.
425
Ride The Lightning
Metallica
Megaforce, 1984
Bei „Fade to Black“ und „For Whom The Bell Tolls“ beginnt die sukzessive Kommerzialisierung. Auf einmal kann James Hetfield richtige Melodien singen, und die Gitarren üben sich in orchestriertem Schönklang. Aber noch überwiegt Gebolze.
424
Selling England By The Pound
Genesis
Charisma, 1973
Das fünfte Album verbindet das Beste aus allen Genesis-Welten: Folkloristisch-Versponnenes, Prog-Rock-Komplexität, Tony Banks’ Präludien, Peter Gabriels epische Erzählungen, Pathos und Pop-Ambitionen. Mitreißender als „Firth Of Fifth“ wurde es nicht mehr.
423
Running On Empty
Jackson Browne
Asylum, 1977
Die berühmteste Platte des kalifornischen Sensualisten. Während einer Amerikatournee in Bussen und Hotelzimmern aufgenommen, handelt das Album vom Unterwegssein. Songs wie „The Road“ und „Running On Empty“ beschreiben Monotonie und Alltag.
422
Some Girls
The Rolling Stones
Rolling Stones, 1978
Nie zuvor und nie danach hat die Band den musikalischen Zeitgeist (hier: zwischen Punk und Disco) so genuin ins eigene Werk übersetzt. Dazu so unterschiedliche Premium-Songs wie „Beast Of Burden“, „Faraway Eyes“ und ihr bestes Soul-Cover, „Just My Imagination“ von den Temptations.
421
Somewhere In Time
Iron Maiden
EMI, 1986
Das einzige Metal-Album, bei dem der Einsatz von Gitarren-Synthesizern nicht zur Zahnlosigkeit führte. Dank der erlesenen Kompositionen von Adrian Smith, der sich hier als Songwriter emanzipierte, wurde es nicht in der Szene verschmäht.
420
Ja, Panik
DMD KIU LIDT
Staatsakt, 2011
Fünf Burgenländer im Berliner Exil. Sie sind Velvet-Underground-Epigonen, die sich gegen das falsche Leben verschwören und Manifeste verfassen. Mit Lösungsvorschlägen wie „Save the planet, kill yourselves“ setzen sie ein Zeichen. „Nevermind“ ist das ewige Denkmal dieser Gruppe.
Kala
M.I.A.
XL/Interscope, 2007
Mit einem MacBook und einem Mikrofon reiste M.I.A. durch Westafrika, die Karibik, Indien und Australien. Sie nahm auf, sampelte und schuf ein originelles Fusion-Album. Ein energetischer Agitprop-Rave, der wie jedes Land der Welt klingt.
418
Deftones
White Pony
Maverick, 2000
Mit ihrem dritten Album emanzipierten sich die Kalifornier vom Nu-Metal-Stigma und betraten Alternative-Terrain. Einflüsse von Post- und Art-Rock, TripHop und Shoegaze sind erkennbar. Zu Gast sind Maynard James Keenan (Tool) und Scott Weiland (Stone Temple Pilots).
417
The Gates Of Dawn
Pink Floyd
EMI, 1967
Während Pink Floyd live das Riff von „Interstellar Overdrive“ endlos jammten, dokumentiert dieses konzise Debüt dank Produzent Norman Smith Syd Barretts kurze Blüte. Er war ein sensibler Autor zwischen kindlicher Regression und LSD-Offenbarung: Syd in Wonderland.
416
The City, Stories From The Sea
PJ Harvey
Island, 2000
Das fünfte Album von PJ Harvey klingt wie ein Neustart. Die Songs leuchten und streben gen Himmel wie die Wolkenkratzer von Manhattan. Ein Besuch in New York City vertrieb die dunklen Geister des ebenfalls berühmten Vorgängers, „Is This Desire?“.
415
Television
Television
Capitol, 1992
Ein letztes Aufbäumen, nachdem 1978 viel zu früh Schluss war. Die Gitarren-Architektur von Verlaine und Lloyd bleibt auch 14 Jahre nach ihrem Jahrhundertalbum faszinierend unergründlich. Die Songs sind exquisit vertont, klingen verschattet und sind herzerwärmend nostalgisch.
414
Fire Of Love
The Gun Club
Ruby, 1981
Robert Johnson auf Speed, eine brennende Voodoo-Puppe von Hank Williams, ein Höllenblues und ein Highway voller Geister. Das Debüt von The Gun Club ist eine diabolische Verbindung aus Punk und Americana, Jeffrey Lee Pierce der Missing Link zwischen Jim Morrison und Kurt Cobain.
413
Lanquidity
Sun Ra
Philly Jazz, 1978
Hier biegt der kosmische Jazzreisende Sun Ra doch noch kurz zur Erde ab und nimmt ein paar Signale der beliebten Fusion auf, als wäre er Miles Davis. Doch selbst zwei Gitarren können den Kurs Richtung Saturn nicht ändern: Auch im damals zeitgenössischen Kleid klingt das Arkestra ewig.
412
Herbie Nichols Trio
Herbie Nichols Trio Blue Note, 1956
Man fragt sich, warum der New Yorker Jazzpianist und Komponist von „Lady Sings The Blues“ Herbie Nichols so lange unentdeckt blieb. Auf diesen Live-Aufnahmen hörten die meisten erst nach seinem Tod, wie einzigartig er Modern, Dixieland und Karibisches kreuzte.
411
Entertainment!
Gang Of Four
EMI, 1979
Hegel-Zitate, Feedback und neomarxistischer Funk-Punk aus Leeds. Das Quintett in Oberhemden kreist um die Stakkatogitarre des 2020 verstorbenen Andy Gill. Ihre schroffe Dub-Ästhetik in Songs wie „Ether“ macht sie zu den Onkels von Franz Ferdinand oder The Rapture.
410
Approximately Infinite Universe
Yoko Ono Apple, 1973
Begleitet von der Band Elephant’s Memory, die schon auf dem Lennon/Ono-Doppelalbum „Some Time In New York City“ dabei war, nahm Yoko Ono dieses furiose Werk auf, das an Rock’n’Roll, Showtunes und Funk schnuppert, aber doch ein ganz eigenes Tier ist.
409
Pirates
Rickie Lee Jones
Warner, 1981
Was Jones auf ihrem zweiten Album aus Pop-Harmonik, Jazz-Rhythmen und Broadway-Pathos zaubert, gehört zu den unfasslichsten Fabelleistungen im Songwriting. Die Produktion des Gespanns Lenny Waronker/Russ Titelman verleiht den Stücken einen zeitlos transparenten Sound.
408
Hot Rats
Frank Zappa
Bizarre/Reprise, 1969
Die heißen Ratten, nachdem die Mothers Of Invention durch eine Zappa-Superband abgelöst worden waren: Beefheart, Guerin, Underwood sowie Harris, den er aus dem Gefängnis holte, um mit seinen Kompagnons den Jazzrock zu erfinden. Miles Davis kam einen Tick zu spät.
407
Weezer
Weezer
DGC, 1994
Die Rache der Nerds: Das Debüt von Weezer, oft einfach das „Blaue Album“ genannt und von Ric Ocasek produziert, war gleich der Höhepunkt von Rivers Cuomos Schaffen: gnadenlos eingängiger Power-Pop. Besser als „Undone – The Sweater Song“ und „Buddy Holly“ ging es nicht.
406
Time Out Of Mind
Bob Dylan
Columbia, 1997
Seine Konzertreise war unendlich, aber seine Karriere als Recording Artist schien zu Ende, als Bob Dylan einem klirrend kalten Minnesota-Winter diese unerbittlichen Lieder über das Ende der Zeit abrang. Die er schließlich mit Daniel Lanois geisterhaft inszenierte.
Nostalgia Ultra
Frank Ocean
(Eigenverlag, 2011)
Erstes Lebenszeichen des großen R&B-Erneuerers, ein selbst produziertes Mixtape. Melancholisch und fast düster, mit Samples von Coldplay, Radiohead und den Eagles. Letztere schalteten sofort ihre Anwälte ein und ließen „American Wedding“ verbieten.
404
The Roches
The Roches
Warner, 1979
Eines der faszinierendsten Debütalben aller Zeiten: Die drei Schwestern verweben Barbershop, Folk, Doo Wop und Kunstlied, krönen mit eigensinnigem Harmoniegesang und lassen alles von Robert Fripps Frippertronics verzieren. Ein Lehrstück in Idiosynkrasie und Chuzpe.
403
Diana
Diana Ross
Motown, 1980
Die Wiedergeburt der großen Soul-Diva als Disco-Queen. Von Chic produziert, wurden die ursprünglich für Aretha Franklin geschriebenen und von ihr abgelehnten Songs „Upside Down“, „My Old Piano“ und „I’m Coming Out“ zu Welthits. „I’m Coming Out“ wurde zudem zur Hymne der LGBT-Bewegung.
402
All Mod Cons
The Jam
Polydor, 1978
Es war wohl die Frustration nach einer desaströsen US-Tour im Vorprogramm von Blue Öyster Cult, die sich auf dem dritten The-Jam-Album entlud. Die Band spielte härter, und Paul Wellers sozialkritische Kommentare und Beobachtungen der britischen Alltagswelt trafen ins Schwarze.
401
Space Is The Place
Sun Ra
Blue Thumb, 1973
Die Zukunft der Schwarzen liegt nicht im reformierten Stadtteil, wie es die Black Panthers wollten, sondern an einem radikal neuen Ort: „Space Is The Place“ ist ein musikalisches Big-Band-Manifest des Afrofuturismus mit Blues, Jazz, Chants und freiem Geist.
400
Nina Hagen Band
Nina Hagen Band
CBS, 1978
Die Wessi-Genese des Ex-Teeniestars aus der DDR. Über London kommt sie zum Pub-Rock, covert „White Punks On Dope“. Mit Stachelhaaren und schriller Stimme fühlt sie sich „unbeschreiblich weiblich“. Lokomotive Kreuzberg wird zur Hausband.
399
Alive II
Kiss
Casablanca, 1977
1975 hatte „Alive!“ die Karriere von Kiss erst richtig angekurbelt. Die zweite Live-LP knüpft an inzwischen absolvierte Studioerfolge wie „Destroyer“ an und präsentiert den selbst proklamierten heißesten Bühnen-Act der Welt erneut für den mit Overdubs aufgehübschten Hausgebrauch.
398
Dirty Mind
Prince
Warner, 1980
Aus dem Soft-Soul-Musiker wurde ein Crossdresser in Strapsen und High Heels, der über Inzest und Oralverkehr sang, ohne ein Sexist zu sein. Letztmals setzt Prince durchgängig sein Falsett ein – die Gesangsstimme höflich Verlangender. Im Falsett kann man nicht schreien.
397
Fever Ray
Fever Ray
Mute, 2009
Mit schauriger Langsamkeit lässt Karin Dreijer, damals hauptberuflich noch bei The Knife, Angst und Schrecken einer Nordic-Folk-Welt in kühl zappelnde Beats tröpfeln. Die Stimme der Sängerin klingt manchmal wie auf Helium, was die psychotisch anmutenden Texte noch verstärkt.
396
Mark Hollis
Mark Hollis
Polydor, 1998
Es schien nur konsequent, dass Mark Hollis nach dem abstrakten, in die Stille hinein gespielten Talk-Talk-Wunder „The Laughing Stock“ verstummte. Doch ein Album schuldete er seiner Plattenfirma noch, und er schenkte uns diese wie ein Holzhaus in der Nacht knarzende Flüstermusik.
395
Rocket To Russia
The Ramones
Sire, 1977
Das Label wollte den kommerziellen Durchbruch, Johnny Ramone eine bessere Platte machen als die Sex Pistols. So erschufen die Ramones den Pop-Punk und untermauerten ihr Image als ernstzunehmende Scherzkekse. Das letzte Album in Originalbesetzung.
394
Electric Warrior
T. Rex
Fly, 1971
Marc Bolan lässt den Hippie-Folk hinter sich und erfindet ganz nonchalant Sleaze und Glam-Rock. Fast alles hier ist ein bisschen albern, aber ebendas ist das Befreiende an „Get It On“ und „Hot Love“. Die Psychedelik ist im sterbensschönen „Cosmic Dancer“ noch da.
393
Kiss Me Kiss Me Kiss Me
The Cure
Fiction, 1987
„I’ll kiss you from your feet to where your head begins!“, jauchzt Robert Smith zum Motown-Beat. Schon der Arbeitstitel des siebten The Cure-Albums offenbarte Getriebenheit: „1,000,000 Virgins“. Smith bezeichnete das Album als Barcelona: rot, laut, feurig.
392
Double Negative
Low
Sub Pop, 2018
Ein spätes Hauptwerk der Reduktionisten aus Duluth/Minnesota: Sie lassen so viel weg, dass man am Ende kaum noch weiß, welche Instrumente sie überhaupt spielen. Vielleicht umgibt die Musik von Mimi Parker und Alan Sparhawk daher eine Aura des Transzendentalen.
391
No Other
Gene Clark
Asylum, 1974
Gene Clark widmete sich in seinen Liedern den letzten Dingen, sein Produzent Thomas Jefferson Kaye wollte in den Pop-Himmel. Ihr ambitioniertes Werk verschlang Unmengen Zeit und Geld, wurde als Studioexzess verhöhnt und Jahrzehnte später rehabilitiert.
390
It Serves You Right To Suffer
John Lee Hooker
Impulse!, 1966
Auf seinem Album für das Impulse!-Label spielte John Lee Hooker mit einem Jazztrio, was den eigenwilligen, naturgewaltigen Sänger und Gitarristen nicht weiter störte. Im grandiosen Titelsong ließ er sich mit federndem Beat von Panama Francis auf ein Tänzchen ein.
389
Chelsea Girl
Nico
Verve, 1967
„The Velvet Underground & Nico“ war gerade erschienen, da nahm Nico bereits ihr barockes Folk-Solodebüt auf. Ihr Lover, der völlig unbekannte Songwriter Jackson Browne, schrieb ihr drei Lieder, die Bewunderer John Cale, Lou Reed, Tim Hardin und Bob Dylan steuerten bei.
388
The Modern Dance
Pere Ubu
Blank, 1978
Geprägt von der sterbenden Industriestadt Cleveland/Ohio, von David Thomas’ vibrierender Fistelstimme und Allen Ravenstines Synthesizer-Störgeräuschen ist dieses bis heute außergewöhnliche Rockalbum so etwas wie die Schnittstelle zwischen Prog und Punk.
387
Raw Power
Iggy & The Stooges
Columbia, 1973
Iggy Pop schien erledigt, ließ andere machen – Bowie produzierte diese Proto-Punk-Grandezza, und Henry Rollins wagte sich später an eine Neuabmischung. Aber nie sang Iggy besser: „Gimme Danger“, „Death Trip“, heute Klassiker. Iggy sah damals dem Tod ins Auge.
386
Waiting
Fun Boy Three
Chrysalis, 1983
Geniales Spätwerk im Nachhall des Ska-Revivals. Terry Hall verlässt The Specials mit 23 Jahren: Auf zu neuen Ufern mit Neville Staple und Lynval Golding. Melancholische Popsongs, produziert von David Byrne. Jane Wiedlin von den Go-Go’s schreibt den Hit „Our Lips Are Sealed“.
385
Machine Gun
Peter Brötzmann Octet
BRÖ, 1968
Im politisch heißen Mai 1968 war Bremen das Zentrum des Jazz. Was der deutsche Saxophonist Peter Brötzmann und seine europäischen Freunde in Eigenregie aufnahmen, war die folgenreichste Abrissbirne für den kontinentalen Free Jazz samt versteckten Streicheleien. Und natürlich: Agitation!
384
Survivor
Destiny’s Child
Columbia, 2001
Da waren’s nur noch drei, und eine stach doch heraus: Beyoncé Knowles. Sie schrieb und produzierte mit. Das Klischee, dass hier nur Marionetten singen, zerbrach. Die Gruppe bald auch. Was blieb: stählerne Empowerment-Hits wie „Independent Women“ und „Bootylicious“.
383
A Day At The Races
Queen
EMI, 1976
Ein Jahr nach „A Night At The Opera“ erschien dieses ebenfalls nach einem Marx-Brothers-Film benannte Album. Der Gospel-Pop von „Somebody To Love“ ragte heraus. Unbekannte Perle: „Teo Torriatte (Let Us Cling Together)“, Brian Mays Hommage an die japanischen Fans.
382
The Warning
Hot Chip
EMI, 2006
Das ist das Meisterstück von zwei Nerds, deren Maschinen noch mal billiger waren als die ihrer Väter. Joe Goddard und Sänger Alexis Taylor haben auf „The Warning“ den Intello-Krach von Aphex Twin noch im Rücken und den Ruhesessel der globalen Raver am Flughafen bereits im Ohr.
381
Andromeda Heights
Prefab Sprout
Kitchenware, 1997
Nicht mal die etwas stark überzuckerte Produktion kann darüber hinwegtäuschen, welch grandiose, schwerelose und schwer romantische Songs der Poet und Pop-Utopist Paddy McAloon hier hinzauberte. Im Rückblick die letzte große Prefab-Sprout-Platte.
380
Illinois
Sufjan Stevens
Asthmatic Kitty, 2005
Der Prog-Folk, das zirpende Miniorchester, der Melodienreichtum, die komplexen Arrangements: Stevens’ ungeheure Musikalität war nie konzentrierter als auf „Illinois“. Auch sein größter Moment ist auf der Platte: „John Wayne Gacy, Jr.“, ein erschütterndes Lied über einen Kindermörder.
379
Divers
Joanna Newsom
Drag City, 2015
Für Liebende ist der Tod nicht abstrakt. Es gibt die Möglichkeit eines Verlusts, den man nicht wird ertragen können. Joanna Newsom, die geniale Folk-Musikerin, Harfenspielerin, Pianistin und Poetin, spricht: „Love is not a symptom of time. Time is just a symptom of love.“
378
In Dub Conference, Volume One
Harry Mudie Meet King Tubby’s
Moodisc, 1976
Gipfeltreffen der Gechillten: Produzent Mudie und King Tubby, Pionier des Dub. Überraschend treten Streicher auf. Und trotz avantgardistischem Hall und Studiokram herrscht der Wille zur Melodie.
377
Giant Steps
John Coltrane
Atlantic, 1960
Zwei Wochen nach den Sessions zu „Kind Of Blue“ von Miles Davis ging Coltrane wieder ins Studio – und machte alles anders: Statt einen Akkord auszureizen, jagte er durch krasse Tonartwechsel. Bis heute ist das Titelstück Prüfstein für Jazzer: Nudelst du noch, oder spielst du schon?
376
Technique
New Order
Factory, 1989
Ende der Achtziger haben sich die unermüdlichen Avantgardisten von New Order in Pioniere des Manchester Rave und der Rave-O-Lution verwandelt. In den glitzernden, euphorischen Songs von „Technique“ erklingt aber auch schon Melancholie angesichts der verschwindenden Jugend.
375
II
Led Zeppelin
Atlantic, 1969
Man hört dem Album nicht an, dass es aus Studio-Stückwerk entstand. Auch wenn man sich (weiterhin) ungeniert bei Bluesern wie Willie Dixon („Whole Lotta Love“) und Howlin’ Wolf („The Lemon Song“) bedient, gelingt den Briten eine ingeniöse Blaupause des Hardrock-Hedonismus.
374
Ray Of Light
Madonna
Maverick, 1998
Der zweite Frühling von Madonna – oder war es schon der dritte? Nach „Evita“ vertraute sie ihrer Stimme etwas mehr, sie gab sich spiritueller und spielte mit orientalischen Klängen. Am Ende waren es aber doch einfach herrliche Popsongs – und „Frozen“ ließ alle Herzen schmelzen.
373
Yoshimi Battles The Pink Robots
The Flaming Lips
Warner, 2002
Die längst überfällige Fusion der Psych-Rocker mit Electro und sanfter HipHop-Rhythmik. Bei Songs wie „Do You Realize??“ reichte ein Fragezeichen allein nicht aus, um sicherzustellen, dass wir alle diesem Trip folgen würden.
372
Tender Prey
Nick Cave And The Bad Seeds
Mute, 1988
Hier kommen Nick Caves Leidenschaften zusammen: Elvis Presley, Johnny Cash, der Blues. Cash sang später dann tatsächlich „The Mercy Seat“. Er hätte auch „Up Jumped The Devil“, „Deanna“, „Mercy“ und „City Of Refuge“ singen können. Die Bad Seeds entfesseln dazu ein Inferno.
371
Palais Schaumburg
Palais Schaumburg
Phonogram, 1981
Die Hamburger entwickelten eine avantgardistisch-eckige Tanzmusik mit Texten, die sich stark an Dada orientierten: „Gibst du mir Wasser, rühr ich den Kalk!“, schrie Holger Hiller, während die anderen trommelten und tröteten, als wären sie aus New York.
370
Purple Mountains
Purple Mountains
Drag City, 2019
Nach dem Megaerfolg von „Too-Rye-Ay“ gab Kevin Rowland den Van Morrison mit sieben feinsten keltischen Souls. Höhepunkt: das 12-Minuten-Opus „This Is What She’s Like“, gewidmet seiner Partnerin, der Geigerin Helen O’Hara.
369
Don’t Stand Me Down
Dexys Midnight Runners
Mercury, 1985
Bevor er diese Welt verließ, hinterließ Kevin Rowland den Van Morrison mit sieben feinsten keltischen Souls. Höhepunkt: das 12-Minuten-Opus „This Is What She’s Like“, gewidmet seiner Partnerin, der Geigerin Helen O’Hara.
368
Aaliyah
Aaliyah
Blackground, 2001
Sie war vierzehn, als sie ihre ersten Songs aufnahm, und zweiundzwanzig, als sie bei einem Flugzeugabsturz starb – auf dem Rückweg von einem Videoshoot, der ihr drittes und letztes Album promoten sollte. Auf ihr lebt Aaliyah als eine der großen Stimmen des modernen R’n’B.
367
Sail Away
Randy Newman
Reprise, 1972
Der Titeltrack ist ein Werbejingle für Sklavenhändler, „God’s Song“ häretischer als Black Metal. Auf seinem dritten Album stößt Newman uns mit Wonne in den Abgrund, der zwischen seinen schwelgerischen Arrangements und der pointierten Weltverzweiflung der Texte gähnt.
366
Scott 3
Scott Walker
Philips, 1969
Die Emanzipation des Songwriters Scott Walker. Zwar ließ er wieder drei Jacques-Brel-Songs ins Englische übertragen, etwa „Ne me quitte pas“. Aber seine eigenen Songs „It’s Raining Today“, „Copenhagen“, „30 Century Man“ und „Winter Night“ prägten das Bild vom traurigen Existenzialisten.
365
Good Old Boys
Randy Newman
Reprise, 1974
Ein Sittenbild der Südstaaten aus der Feder eines unzuverlässigen Erzählers. Randy Newman singt aus der Sicht seiner Figuren über Sklaverei, Rassismus, Gewalt in der Familie, Inzest, Politik und Integrationsprobleme. Doch die Musik scheint all das wie ein lindernder Balsam zu überdecken.
364
Ball Pompös
Udo Lindenberg
Telefunken, 1974
Die Reeperbahn-Saga beginnt ohne Hut im weißen Anzug. Deutsch als Rocksprache ist plötzlich möglich, mit Songs über Typen wie „Jonny Controlletti“ oder Stehgeiger „Rudi Ratlos“. Dazu Action satt in „Honky Tonky Show“. Die Typenrevue des Panikorchesters nimmt Fahrt auf.
363
Sandinista!
The Clash
CBS, 1980
Der Ruf dieses politico-Punk-Epos ist zweifellos besser gealtert als jener von Nicaraguas Sandinisten. Man verwarf diese Dreifach-LP einst ob ihrer Halbfertigkeit und Überlänge, dabei liegt genau darin ihr roher Charme, von „Hitsville UK“ bis „Something About England“.
362
Little Criminals
Randy Newman
Warner, 1977
Randy Newman hatte nicht die Absicht, dass seine Satire „Short People“ ein Hit werden würde. Wurde sie aber. Andere Songs befassen sich mit einer Polizeiparade, einem texanischen Mädchen beim Begräbnis ihres Vaters und einem Lustmörder in Düsseldorf.
361
Now Is Early
Nicolette
Shut Up And Dance, 1992
Im Opener, „no government“, singt Nicolette von dem utopischen Wunsch nach harmonischem Zusammenleben. Die folgenden Songs, produziert von Shut Up And Dance, sind so radikal in ihrer Verbindung von Beats und Gesang wie auf keinem anderen Album Anfang der 90er-Jahre.
360
Yeezus
Kanye West
Def Jam, 2013
Eine manische, aggressive, radikale Platte. Kanye West sampelt „Strange Fruit“ über einen rauen Trap-Beat, zerschießt seine Lieder mit Industrial-Lärm, rappt von einem „Black Skinhead“ und „New Slaves“, seine Politik ist rabiat und chaotisch. Der Rock’n’Roll des 21. Jahrhunderts.
359
Hans-A-Plast
Hans-A-Plast
Lava/No Fun, 1979
Die Band um Sängerin Annette Benjamin setzte Hannover auf die Landkarte des Punk. Feministischer und politisch radikaler als die überpräsenten Rheinländer, trafen Hans-A-Plast mit Liedern wie „Es brennt“ oder „Lederhosentyp“ einen Nerv – nicht nur unter Hausbesetzern.
358
Endtroducing…..
DJ Shadow
Mo’ Wax, 1996
Mit 24 Jahren kollagierte der Kalifornier DJ Shadow das erste Album, das nur aus Samples bestand. Etwas düsterer, instrumentaler Hip-Hop, viel Trip-Hop. In England: Pop. Ein Wegweiser in die Zukunft, gebaut mit kleinem Werkzeug – Sampler, Plattenspieler, digitale Bandmaschine.
357
Sheer Heart Attack
Queen
EMI, 1974
Thrash Metal, Musical-Grandezza, irrwitzige Fantasy-Exkursionen, verspielte Piano-Miniaturen, herrliche Albernheiten: Diese stilistische Wundertüte bescherte Queen ihren ersten echten kommerziellen Erfolg, nicht zuletzt dank der charmanten Single „Killer Queen“.
356
Rock Bottom
Robert Wyatt
Virgin, 1974
Nach einem Fenstersturz querschnittsgelähmt, wurde der begnadete Schlagzeuger Robert Wyatt ein beseelter Sänger, der diese ozeanischen Liebeslieder für seine Freundin Alfie Benge (sie heirateten am Erscheinungstag des Albums) mit einer Art-Rock-Supergroup aufnahm.
355
The Hangman’s Beautiful Daughter
The Incredible String Band
Elektra, 1968
Die Lieder entspringen der britischen Folk-Tradition, aber es gibt auch sägende Sitar-Drones zu hören, Tabla-Rhythmen und Ouds, hymnische Chöre und leiernden Minnesang. Ein vielstimmiger Klang globalisierter Exotik.
354
Sam’s Town
The Killers
Island, 2006
Amerikanische Träume und was aus ihnen werden kann. Auf dem zweiten Killers-Album verwandelte sich Brandon Flowers kurzzeitig in einen glamourösen Springsteen, und der klassische Rock stand der Las-Vegas-Band sehr gut. Von Flood und Alan Moulder angemessen wuchtig produziert.
353
The Lexicon Of Love
ABC
Neutron, 1982
Die glamouröseste Band des britischen Pop-Sommers 1982, ein Album überschwänglicher, sinfonisch umfasster funky Lovesongs. In einem schwingt der Goldlamé tragende Sänger seine Liebe wie ein Lasso: „Yippie-aye-yippie-aye-yeah!“ Das pure Glück.
352
Otis Blue
Otis Redding
Volt, 1965
Mit seinem dritten Album etablierte sich Redding als prägnanteste Stimme des Southern Soul. Mit der Stax-Hausband Booker T. & The M.G.’s und hitzigen Bläsern im Rücken entringt er Songs von Sam Cooke, Jagger/Richards und Motown ein Maximum an Funk, Intensität und Herzensblöße.
351
Sound Of Silver
LCD Soundsystem
DFA, 2007
Mit Liedern über seine Midlife-Crisis wurde James Murphy zum Hipster-Daddy der Indie-Sleaze-Generation. Die Mischung aus Rock, House, Funk und Mitgröl-Rave stiftete Gemeinschaft, bevor das Internet die Pop-Welt endgültig in Mikronischen atomisierte.
350
Original Pirate Material
The Streets
Locked On, 2002
Ein Manifest des britischen Hip-Hop. Musikalisch steht Mike Skinners Debüt in der Tradition elektronischer Tanzmusik wie Garage. Textlich und sprachlich entfernt es sich von den Stereotypen des US-Hip-Hop und spielt in der Lebenswelt eines englischen Lads.
349
The Blueprint
Jay-Z
Def Jam, 2001
Das sechste Album des Rappers erschien an einem Schicksalstag – dem 11. September 2001 – und wurde zu einem Sprungbrett seiner Karriere. Der von Kanye West und Just Blaze fett produzierte Sound wurzelt überwiegend in Soul-Samples, Jay-Z präsentierte sich dazu als charmanter Bad Boy.
348
Van Halen
Van Halen
Warner, 1978
Auf ihrem Debüt stellten Van Halen gleich alles aus, was sie konnten: In Hardrock-Klassikern wie „Runnin’ With The Devil“ sang sich David Lee Roth die Kehle wund, und 1:42 Minuten „Eruption“ zeigten, dass das Wort „Gitarrist“ für Eddie Van Halen eine krasse Untertreibung ist.
347
Screamadelica
Primal Scream
Creation, 1991
Eine überwältigende Collage, die den Zeitgeist von 1991 perfekt auf den Punkt bringt – mit allem, was Bobby Gillespie damals lieb und teuer war: House, Gospel, Ambient, Dub, Psychedelic – und immer wieder The Rolling Stones. Man wollte dazu Drogen nehmen und rumtanzen.
346
Holy Diver
Dio
Warner, 1983
Bei Rainbow und Black Sabbath hat sich Ronnie James Dio die Reputation geholt, um danach schließlich mit seiner eigenen Band aus alten Kombattanten und dem jungen Gitarrengenius Vivian Campbell den Rahm abzuschöpfen. Bereits dieses Debüt ist ein Hardrock-Klassiker.
345
Tender Buttons
Broadcast
Warp, 2005
2005 waren Broadcast nur noch ein Duo. Dieser Umstand zeigte sich in einem auf das Wesentliche reduzierten Album. Diese Musik aus frühen elektronischen Sounds, Wave-Psychedelica und Sixties-Pop ist manchmal kalt, manchmal zärtlich, immer aber betörend.
344
Rum Sodomy & The Lash
The Pogues
Stiff, 1985
Nie funktionierte die Pogues-typische Mischung aus Traditionals und Originalen, Trinkliedern und Dramen, Tanz und Schunkel besser als auf ihrem zweiten, von Elvis Costello produzierten Album. „A Pair Of Brown Eyes“ sind Shane MacGowans lichteste fünf Minuten.
343
Bringing It All Back Home
Bob Dylan
Columbia, 1965
Den aufgeputschten Übergang vom Folk zum Rock werteten viele seiner Fans als kompletten Verrat an der Gegenkultur, zu deren Messias sie Dylan gemacht hatten. Dabei ist die Platte musikalisch und textlich wegweisend für alles, was da noch Großes kommen sollte.
342
British Steel
Judas Priest
Columbia, 1980
Steeler, Rage, Grinder – der enorme Einfluss eines Albums zeigt sich auch daran, dass Songs zu neuen Bandnamen werden. Schon auf den Alben davor sind Judas Priest eine komplette Metal-Band in Vollleder-Montur, aber auf „British Steel“ entstehen die Hits und Hymnen.
341
Miami
The Gun Club
Animal, 1982
Country trifft auf Post-Punk, Blondie (Debbie Harry singt Harmonien, Chris Stein produziert) trifft auf Creedence Clearwater Revival (Gun Club covern „Run Through The Jungle“), und Sänger Jeffrey Lee Pierce beschwört die Geister von Jim Morrison und Tim Buckley.
340
Station To Station
David Bowie
RCA, 1976
Bowie beschrieb seine Kunstfigur Thin White Duke als Barden, der über Romanzen singt, aber nichts fühlt. Später entlarvte er seinen hochklassigen Art-Rock scherzhaft als Junkie-Planlosigkeit. Selten führte ein psychischer Niedergang zu packenden Songs.
339
Damn The Torpedoes
Tom Petty And The Heartbreakers
Backstreet/MCA, 1979
Die makelloseste Heartbreakers-Platte ist eine Feier des schlanken, nach Aufbruch und Abenteuer gierenden Rock’n’Roll, in den US-Südstaaten verwurzelt, aber ohne Lokalpatriotismus und Erdenschwere. Petty hob mit „Refugee“ ab.
338
Something To Write Home About
The Get Up Kids
Vagrant, 1999
Das Emo-Album, auf das sich alle einigen konnten: Matt Pryor hatte viel Weezer gehört, und der Punk-Pop seiner Get Up Kids entwickelt eine ähnliche Energie. Lyrisch und durch den drastischen Gesang eher bittersüße Pille als Bubblegum.
337
The Velvet Underground
The Velvet Underground
MGM, 1969
Das dritte Velvet Underground-Album hat kein Andy-Warhol-Cover, keine John-Cale-Avantgarde und keine Skandalsongs, es ist einfach das am besten klingende, konsistenteste Album der Band. „Candy Says“! „Pale Blue Eyes“! „After Hours“! Pop ohne Art.
336
Song Cycle Van Dyke Parks
Warner, 1967
Maverick oder Genie? Van Dyke Parks war beides. Freilich sperrte sich seine anspruchsvolle Tonkunst gegen gängige Vermarktungsversuch. Orchestraler Avant-Pop mit Ragtime-Allüren? Chamber-Folk zu Showtunes? Es dauerte fünf Jahre, bis sich die Produktionskosten amortisiert hatten.
335
American Recordings
Johnny Cash
American, 1994
Es ist Produzent Rick Rubins Verdienst, dass Cash in den Neunzigern für die Grunge-Generation zum Sinnbild von Country-Coolness wird. Auf Akustikgitarre und Bassbariton reduziert trägt der Mann in Schwarz fesselnd Liedgut von Cohen, Waits und Danzig vor.
334
The Stranger
Billy Joel
Columbia, 1977
Seit 1972 hatte Billy Joel in jedem Jahr eine Platte veröffentlicht, aber richtig erfolgreich war keine. Nun holte er den Produzenten Phil Ramone ins Studio – und die Songs bekamen Schliff und Schmiss: „Movin’ Out“, „Vienna“, „Just The Way You Are“ … Der Piano Man wurde ein Superstar.
333
Our Mother The Mountain
Townes Van Zandt
Poppy, 1969
Das zweite Album des texanischen Songpoeten stellt einige seiner besten Songs vor – stellvertretend sei an dieser Stelle nur „Kathleen“ genannt –, während „Tecumseh Valley“ eine Neuaufnahme ist, hier geerdet von Cracks wie James Burton und Charlie McCoy.
332
XOXO
Casper
Selfmade/Four, 2011
Das zweite Album von Benjamin Griffey alias Casper ging gleich auf Platz 1 der deutschen Charts. HipHop war dem Rapper längst zu eng geworden, er wagte jetzt auch Rock, Thees Uhlmann kam nicht zufällig vorbei. Das Beeindruckende blieb aber seine Emphase, das dauernd Dringliche.
331
You Can’t Hide Your Love Forever
Orange Juice
Polydor, 1982
Orange Juice hatten alles, um die größte Indie-Pop-Band der Achtziger zu werden: die Anleihen bei Byrds, Velvet Underground und Al Green, die gewitzten Lyrics, den charismatischen Sänger. Sie lösten sich 1984 auf, die Smiths übernahmen.
330
American III: Solitary Man
Johnny Cash
American, 2000
Mit Rick Rubin im Regiestuhl und der zurückgenommenen Unterstützung der Heartbreakers adressiert Cash mit Tom Pettys „I Won’t Back Down“ Gesundheitsprobleme und Durchhaltewillen. Neil Diamonds titelstiftender Song, U2s „One“ und Caves „The Mercy Seat“: triumphal.
329
Into The Music
Van Morrison
Mercury, 1979
Im Vergleich zu anderen ambitionierten Alben von Van Morrison wirkt „Into The Music“ beinahe gefällig. Was freilich daran liegt, dass hier Rhythm & Blues, Soul und gälische Folklore mit großer Vollkommenheit und Natürlichkeit verschmelzen. Die reinste, fließende Musikalität.
328
Madvillainy
Madvillain
Stones Throw, 2004
Ein enorm einflussreicher Klassiker des experimentellen HipHop. Mit virtuosem Turntablism und herrlich obskuren Samples treibt Madlib die furiosen, sich überschlagenden Reime von MF Doom auf die Spitze. Das Böse ist hier immer und überall – ein aberwitziger Swing for a Crime.
327
No More Shall We Part
Nick Cave And The Bad Seeds
Mute, 2001
Es gibt vielleicht bessere, abgründigere, experimentierwütigere Cave-Platten. Aber es gibt keine Platte, auf der er als Komponist und Schmerzensmann so umwerfend ist wie auf dieser zum Sterben schönen Balladensammlung aus dem Reich der Schwarzen Romantik.
326
Dirt
Alice In Chains
Columbia, 1992
Der Schlüsselsong „Junkhead“ ist ein wilder Trip aus Drogen- und Suizid-Dystopien. Die kaputte Seite von Grunge. Ihr Cameo-Auftritt mit „Would?“ in Cameron Crowes epochalem Slacker-Film „Singles“ prägte den Mythos von Seattle mit. Sänger Layne Staley starb im April 2002.
325
Ready To Die
The Notorious B.I.G.
Bad Boy, 1994
Die x-te Neuerfindung eines meisterhaften Wortschmieds und der Queen of Pop. Styler, der seine düsteren Reime so elegant in die Welt schickte wie kaum ein anderer. Auch Sean Combs und DJ Premier sorgten für Flufgigkeit und Tricks mit knochentrockenen Beats dafür, dass „Ready To Die“ zum Meilenstein wurde. Biggies einziges Album zu Lebzeiten.
324
Music
Madonna
Maverick, 2000
Die x-te Neuerfindung der Queen of Pop. Achtes Studioalbum, diesmal mit rosa Cowboyhut, Country-Atmo und Electro-Beats. Der französische Produzent Mirwais Ahmadzaï sorgt für Fluffigkeit und Tricks beim Sound, auch William Orbit schraubt mit an der Erneuerung des Wilden Westens.
323
True Blue
Madonna
Sire, 1986
Madonna widmete ihr drittes Album ihrem damaligen Ehemann, Sean Penn. Sie dachte über die Liebe in all ihren Formen nach, öffnete ihre Musik in diverse Richtungen und ließ uns mit Stücken wie „Live To Tell“ glauben, sie könnte in Würde altern. Sie war immerhin schon 28 damals.
323
Double Nickels On The Dime
Minutemen
SST, 1984
Der Beginn einer neuen Freiheit im US-Hardcore-Punk: Jazz, Funk, sogar Americana prägen die weiterhin rauen Songs des kalifornischen Trios. Nach dem Tod von Sänger/Gitarrist D. Boon 1985 gründen Mike Watt und George Hurley die ebenfalls einflussreichen fIREHOSE.
321
Ys
Joanna Newsom
Drag City, 2006
Auf ihrem Debüt spielte sie die Harfe in ihre Folk- und Poetry-inspirierten Lieder noch allein, auf den Glauben zu fassen. Ihr Nachfolger lässt sie sich bei fünf epischen Stücken von einem über 30-köpfigen Orchester begleiten. Die Arrangements schrieb Van Dyk Parks. Das „Sgt. Pepper“ der Nullerjahre.
320
Designer
Aldous Harding
4AD, 2019
Die Schönheit von Aldous Hardings Musik entzieht sich immer dann, wenn man glaubt, sie fassen zu können. Das zeigt sich nirgends so gut wie auf dem dritten Album der Neuseeländerin. Die warmherzigen, kunstvollen Folk-Pop-Songs sind schon jetzt.
319
Homogenic
Björk
One Little Indian, 1997
Die Nineties kamen zuletzt zurück wie die Untoten. Wer statt „Frozen“-Geigen oder „Mr. Vain“-Uffz mal die Molekularküchenversion des Techno-und-Emo-Jahrzehnts genießen will, sollte zu „Homogenic“ greifen. Ganz Björk, ganz Zeitgeist und ganz betörende Avantgarde. Cause she’s the hunter.
318
Divide And Exit
Sleaford Mods
Harbinger Sound, 2014
Schon das siebte Album des UK-Duos, aber die meisten kapierten erst jetzt, wie großartig die mies gelaunten Hymnen der Sleaford Mods sind. Die Zeiten waren reif für die Grummler. Ihre Schimpftiraden und allzu realistischen Alltagsbeobachtungen: unwiderstehlich.
317
Rattlesnakes
Lloyd Cole And The Commotions
Polydor, 1984
Die Geburt eines der besten englischen Songschreiber. Cole gebärdet sich auf diesem Debüt als Bohemien, stets eine Dylan-Platte oder ein Buch von Joan Didion unterm Arm. Die Musik offenbart den jugendlichen Überschwang zwischen Jangle-Pop und Folk-Rock.
316
Nebraska
Bruce Springsteen
Columbia, 1982
In einem Holzhaus in Colts Neck schrieb Springsteen an Songs, die vom Film noir inspiriert waren. Mit einem Vierspurgerät nahm er Gesang, Akustikgitarre und Mundharmonika auf. Die Arrangements mit der E Street Band misslangen – also veröffentlichte er das Demo des Meisterwerks.
315
Born To Die
Lana Del Rey
Polydor, 2012
Mit dem Multi-Hit-Album wird Lizzy Grant zur Pop-noir-Heroine der Zehnerjahre. Millionenfache Verkäufe und Debatten über ihr antifeministisches Frauenbild – was sie kämpferisch dementiert. Los Angeles als „Dark Paradise“. Nicht nur ihr Fashion-Style geht um die Welt.
314
Body Talk
Robyn
Konichiwa, 2010
Das siebte Album der Schwedin erwies sich als „Indestructible“, wie ihre Hitsingle. Robyn gelang es, futuristischen Dance-Pop zu fabrizieren, ohne dabei gefühllos zu klingen. Man konnte auf dem Tanzboden praktisch die Tränen glitzern und die Lebensfreude explodieren sehen.
313
For Emma, Forever Ago
Bon Iver
Jagjaguwar, 2007
Die Nähe, die Stille, das Falsett: Man war verzückt von der emotionalen Kraft der Lieder, die Justin Vernon in einer Hütte in Wisconsin aufnahm. Heute versteht man, dass er da seinen Nukleus formte, aus dem er danach ein ganzes Genre revolutionierte.
312
Fresh Fruit for Rotting Vegetables
Dead Kennedys
Alternative Tentacles, 1980
„Kill the Poor“, „Let’s Lynch The Landlord“, „California Über Alles“: Jello Biafra verwandelte seine Wut in Witz, seine Rage in Riffs und machte mit seiner Band eine anarchische Punk-Platte, die Thrash Metal genauso antizipierte wie den Pop-Punk der Neunziger.
311
Zen Arcade
Hüsker Dü
SST, 1984
die zentrale lärm- orgie von Hüsker Dü: Das berserkerhafte Trio brauchte für seine meist sehr kurzen Krach-Atta- cken ein Doppelalbum. Aber schon auf dieser frühen Platte zeigte sich das Talent für außer- ordentliche Melodien, die Gitarrist Bob Mould und Schlagzeuger Grant Hart schrieben.
310
Parklife
Blur
Food, 1994
Die Ankunft des Britpop im Mainstream dank bierseligem Titelsong und breiten Fin-de-Siècle-Balladen wie „To The End“ und „This Is A Low“. Dabei vergisst man heute gern, wie frisch und fremd sich der Electropop von „Girls & Boys“ im Kontext der damaligen Charts anhörte.
309
Heart Of The Congos
The Congos
Blood And Fire, 1977
Das Meisterwerk einer der größten jamaikanischen Vocal Groups. Während Cedric Myton (Falsett) und Roydel Johnson (Tenor) über spirituelles Erwachen und kulturellen Stolz singen, hält sich sogar der Produzent Lee Scratch Perry mit Klangeffekten zurück.
308
69 Love Songs
The Magnetic Fields
Merge, 1999
Die Magnetic Fields werden auf ewig „the band with those 69 love songs“ sein. Das ist ungerecht, denn Stephin Merritt ist einer der vielseitigsten Songschreiber seiner Generation. Aber es ist auch folgerichtig, denn nur hier bekommt man derart misanthropische Balladen als Lebenshilfe.
307
High Violet
The National
4AD, 2010
Aus verzerrten Gitarren, Bläsern und Streichern weben die Dessner-Brüder dichte Stimmungsstücke, die von Matt Berningers romantischem Bariton tief schwarz gefärbt werden. Seine Zurückhaltung ist die Anspannung vor dem Ausbruch. Er schreit: „Your voice is swallowing my soul!“
306
Hot Buttered Soul
Isaac Hayes
Enterprise, 1969
Soul wird zur epischen Sinfonie. Das Album enthält nur vier Stücke, darunter eine 12-Minuten-Version von „Walk On By“ und 19 Minuten „By The Time I Get To Phoenix“. Elegisch, schwelgerisch wogt die Musik, samten brummt Hayes‘ Bariton. Ein Meilenstein.
305
Mellon Collie And The Infinite Sadness
The Smashing Pumpkins
Virgin, 1995
Kurt Cobain war tot, und Billy Corgan führte die Generation X mit einem Doppelalbum auf die Gipfel der Verzweiflung. „Mellon Collie“ ist das „The Wall“ der Neunziger, ein ambitionierter, postmoderner, tarantinoesker Versuch in Classic Rock.
304
Transformer
Lou Reed
RCA, 1972
Wer bin ich und wie viele, und wie oft kann man sich neu erfinden? 1971 hat Davie Bowie vom Wert des Wechselns und Wandels gesungen, ein Jahr später singt er im Background, wenn Lou Reed sich dazu bekennt, ein „Transformer“ zu sein. Gemeinsam gehen sie auf der wilden Seite.
303
Germfree Adolescents
X-Ray Spex
EMI, 1978
Eine der wichtigen frühen Punkbands um die afrobritische Sängerin Poly Styrene und die Saxofonistin Lora Logic, die mit „Oh Bondage Up Yours!“ einen gern missverstandenen Jahrzehntsong schufen und sich nach dem ersten Album gleich wieder auflösten.
302
Repeater
Fugazi
Dischord, 1990
Post-Hardcore, voll in die Fresse. Ein zweites „Waiting Room“ hat „Repeater“ zwar nicht zu bieten, dafür einen unfassbar dichten Bandsound, der nie in Rockismus abstürzt. Die Texte von Ian MacKaye sind so hellwach, wie man es vom Vater der Straight-Edge-Szene erwarten darf.
301
Gris-Gris
Dr. John
ATCO, 1968
Der Nightripper nimmt uns auf seinem Debüt als Dr. John mit auf eine psychedelische Reise zu den Wurzeln des R&B. Uralte Voodoo-Rituale, von afrikanischen Sklaven nach New Orleans importiert, stehen im Zentrum. „I Walk On Guilded Splinters“ wurde oft gecovert, doch nie erreicht.
300
If You Want Blood, You’ve Got It
AC/DC
Atlantic, 1978
Bon Scotts Live-Vermächtnis. Über die Song-Auswahl lässt sich streiten, „Sin City“ und „Dog Eat Dog“ fehlen, „The Jack“ ist entbehrlich. Aber das Konzept AC/DC funktioniert mittlerweile auf jeder Bühne, und die Band weiß das.
299
Exodus
Bob Marley & The Wailers
Island, 1977
Marleys erstes Album aus dem Londoner Exil vereinte Späthippies und Punks, Stadionrocker und Discotänzer. Perfekt austariert in Protest- und Lovesongs, transzendiert „Exodus“ mit dem Titelsong, „Jamming“ und anderen großen Songs Pop, R&B und Rock in spiritueller Hitze.
298
Ideal
Ideal
Virgin, 1980
Der Mauerstadt-Mythos für das Frühstücksradio. „Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin!“, singt die Hagenerin Annette Humpe an der Orgel. Ihr Herrentrio ist noch im Deutschrock verwurzelt, und Songs wie „Blaue Augen“ bauen eine melodische Brücke zur Neuen Deutschen Welle.
297
Sky Blue Sky
Wilco
Nonesuch, 2007
Als nach Jahren der Depression und Tablettenucht ein paar Sonnenstrahlen in die Welt von Wilco-Mastermind Jeff Tweedy fielen, kam dieser Kristall aus Folk-Pop, Prog-Rock, Country und Soul zum Vorschein. „Sky Blue Sky“ ist auch die Sternstunde von Gitarrist Nels Cline.
296
Let It Be
The Beatles
Apple, 1970
Es hätte eine andere Platte werden sollen – und nicht ihre letzte. Paul McCartney wollte wieder so aufnehmen, wie sie einige Jahre zuvor begonnen hatten, und schrieb auch schöne Lieder. „Get Back“ oder „Maggie Mae“ haben den nostalgischen Rock’n’Roll-Charakter, den er beabsichtigte.
295
Cuz I Love You
Lizzo
Nice Life/Atlantic, 2019
Lizzos Durchbruch als glamourös-humorvoller Soul-Pop-Star fiel eher zufällig mit ihrem dritten Album zusammen, da zeitgleich ihr zwei Jahre alter Track „Truth Hurts“ auf TikTok viral ging. Zum Glück, denn sie hatte schon überlegt, die Musik wegen des ausbleibenden Erfolgs aufzugeben.
294
22, A Million
Bon Iver
Jagjaguwar, 2016
Nach dem Folk-Debüt und dem pastoralen Zweitwerk nun Justin Vernons abstrakte elektronische Dritte. Der Höhepunkt ist wohl das erstaunliche „715 CREEKS“, ein dekonstruierter Solo-Gospel, in dem Vernon seine warme Stimme durch ein Heer an Vocodern und Filtern jagt.
293
Safe As Milk
Captain Beefheart & His Magic Band
Buddah, 1967
Wenn der weiße Mann den Blues singt, kann er nicht über die Traumata der Black Community singen, das hatte Don Van Vliet intuitiv verstanden. Er sang: „You can’t lose, with the stuff you use/ Abba Zaba go-zoom Babbette baboon.“ Ein Genie.
292
If You’re Feeling Sinister
Belle And Sebastian
Jeepster, 1996
Nach ihren frühen Singles galten die Schotten als die ästhetisch anspruchsvollste neue Band. „If You’re Feeling Sinister“ erfüllte die schönsten Hoffnungen mit filigranem Folk-Pop, idiosynkratischen Harmoniegesängen und einer putzigen Ministranten-Attitüde.
291
Full Moon Fever
Tom Petty
MCA, 1989
Mit Ende dreißig schuf Tom Petty diese grandiose Kombination aus Heartland-Rock und Power-Pop, indem er die Studiotür für Kollegen von den Traveling Wilburys öffnete. Jeff Lynnes Produktion garantierte einen Hit, und Petty schrieb einige seiner schönsten Songs.
290
Mingus Ah Um
Charles Mingus
Columbia, 1959
Die Vermählung von Tradition und Sophistication, Komposition und Improvisation, Hard Bop, Blues und Gospel gelang Charles Mingus wohl nie so perfekt wie auf seinem Debüt für Columbia Records. Das Feuer und die Dynamik seines Ensembles machen es zu seinem Meisterwerk.
Ein vollendetes Debütalbum. Doch 1969 bemerkte kaum jemand die Qualität dieser poetischen, zwischen Jazz und Pop changierenden, von Pentangles Danny Thompson am Bass angetriebenen und von Robert Kirbys Streichern verzierten dunklen Lieder.
Copyright: Island
288
Strangeways, Here We Come
The Smiths
Rough Trade, 1987
Sie wussten es noch nicht, aber „Strangeways“ blieb die letzte Platte der Smiths, die sich während der Aufnahmen zerstritten. Marr hatte einige Bläser arrangiert, und er und Morrissey schrieben wie die Götter („Death Of A Disco Dancer“, „Girlfriend In A Coma“).
287
808s & Heartbreak
Kanye West
Roc-A-Fella, 2008
Nach dem Tod seiner Mutter brauchte Kanye einen neuen Sound. Er komponierte minimalistische Electronica – und sang. Weil er nicht singen kann, sang er durch einen AutoTune-Filter, der, voll aufgedreht, keine Korrektur mehr war, sondern ein neuer Klang. Stilprägend.
286
Trio
Trio
Mercury, 1981
Karge Gitarrenriffs, simpelste Rhythmen, auf Phrasen reduzierte Texte, vorgetragen in einem Sprechgesang ohne Modulation. Die Reduzierung des Pop auf die wesentlichen Ingredienzen. New-Wave-Minimalismus. Der Welthit „Da Da Da“ war erst in der dritten Auflage auf dem Album.
285
Damaged
Black Flag
SST, 1981
Die Westküste tritt auf den Punk-Plan. Volle Pulle Hardcore aus L.A. Wütend und aggressiv. Henry Rollins als oberkörperfreier Berserker am Mikro, Powergitarrist Gregg Ginn knallt rein. Ein Grundstein des legendären SST-Labels. Teenager-Fäusteballen mit „Life Of Pain“ und „Rise Above“.
284
Lifes Rich Pageant
R.E.M.
I.R.S., 1986
Schluss mit dem Verstecken: Im Kern blieben R.E.M. die verzauberte Südstaatenband, doch plötzlich waren Michael Stipes kritische Texte deutlich zu verstehen. Politisch und poetisch, eindringlich und bewegend, dazu herrliche Melodien. „Begin the Begin!“
283
Pink Moon
Nick Drake
Island, 1972
Schöner kann Introvertiertheit nicht klingen. Mit seiner Stimme und seinem Gitarrenpicking war sich der Songwriter selbst genug (das bisschen Klavier mal ausgenommen). Die unfassbar zarten, zauberhaften Lieder erzählen aber auch, was für eine Katastrophe diese Einsamkeit ist.
282
More Specials
The Specials
2 Tone, 1980
Musikchef Jerry Dammers wollte eine Fortentwicklung nach dem Neo-Ska-Boom ihres ersten Albums auf 2 Tone: Früher TripHop und filmscoretaugliche Tracks wie „Stereotypes“ oder „International Jet Set“, die durch die Stimme von Terry Hall ihren besonderen Twist bekommen.
280
A Rush Of Blood To The Head
Coldplay
Parlophone, 2002
Die Singles „In My Place“, „The Scientist“ und „Clocks“ ebneten den Weg für den internationalen Durchbruch der Band, die kurz darauf schon Stadien füllte. Ihr Grammy-dekoriertes zweites Album steht in 13 Millionen Haushalten.
279
Pieces Of A Man
Gil Scott-Heron
Flying Dutchman, 1971
Jazz, Soul und Funk liefern das Fundament für politisch aufgeladene Texte. „The Revolution Will Not Be Televised“ bleibt als Wegweiser für HipHop der markanteste Track, „Lady Day And John Coltrane“ und „Home Is Where The Hatred Is“ sind weitere Meilensteine.
278
Du und wieviel von deinen Freunden
Kettcar
Grand Hotel van Cleef, 2002
Das Debüt der Hamburger, kein „befindlichkeitsfixierter Aufstand“, wenngleich schon „hetero und männlich“ – doch Kettcar waren bereits damals viel mehr als Emo-Rock, ihre Lieder erzählten klug von unserem Alltag, ohne klugzuscheißen.
277
Turn On The Bright Lights
Interpol
Matador, 2002
Die mit quengelnden Gitarren aufgerufene allgemeine Verzweiflung und das Leiden an Ich und Welt legen schnell den Vergleich zu Joy Division nahe. Doch die New Yorker sind keine Minimalisten – sie kleiden ihre Wut in ein hochkomplexes Soundgewand.
276
…Baby One More Time
Britney Spears
Jive, 1999
Britneys Debüt ist das Bubblegum-Pop-Maximum, unverschämt eingängig, von großer Kunstfertigkeit und Künstlichkeit. Mastermind Max Martin wurde zum zentralen Pop-Architekten der nächsten zwanzig Jahre und Britney zur ewigen, auch tragischen Ikone.
275
Q: Are We Not Men? A: We Are Devo!
Devo
Warner, 1978
Electro-Avantgarde aus Akron/Ohio. „Mongoloid“ („one chromosome too many“) würde man heute wohl nicht mehr so schreiben. Passt aber genauso wie „Satisfaction“ als Roboter-Dance-Track in die Dada-Ästhetik der Ex-Kunststudenten.
274
Carrie & Lowell
Sufjan Stevens
Asthmatic Kitty, 2015
Sufjan Stevens kontempliert über den Tod seiner Mutter und verzichtet auf den elektronischen Prog-Folk der vorangegangenen Alben. Mit allerlei Saiteninstrumenten im Zentrum entstehen wundervoll sanfte, tief berührende Lieder über Trauer und spirituellen Trost.
273
Construção
Chico Buarque
Philips, 1971
Aus dem Exil nach Brasilien zurückgekehrt, nahm Buarque sein dunkelstes Album auf. Für hiesige Ohren mögen hochinfektiöse Stücke wie „Cordão“ nach ewiger Sonne über dem Zuckerhut klingen, doch finden sich in den Texten immer wieder codierte Anklagen gegen Zensur und Staatsterror.
272
The Good Son
Nick Cave & The Bad Seeds
Mute, 1990
Der wilde Mann nahm diese herrliche Balladenplatte mit Klavier und Shanty-Gesängen auf. „Foi Na Cruz“, „The Ship Song“, „Lucy“ und „The Good Son“ waren doch sehr anders als die früheren Stücke der Bad Seeds. Manche nahmen es Nick Cave übel, aber neue Hörer kamen hinzu.
271
I’m Wide Awake, It’s Morning
Bright Eyes
Saddle Creek, 2005
„We are nowhere and It’s Now“, sang Conor Oberst aus Omaha/Nebraska, und er war mit seinen fantastischen Indie-Rock-Songs auf einem von mehreren Höhepunkten seines Schaffens. Am Ende („Road To Joy“) kniet sogar Beethoven nieder.
270
Crooked Rain, Crooked Rain
Pavement
Matador, 1994
Stephen Malkmus, dem Posterboy der „Slacker“-Neunziger-Jugendkultur, war nicht alles egal, auch wenn er sang, als würde er Kaugummi kauen. Ein Meisterwerk über verliebte Sommer („Gold Soundz“), Paarberatung („Cut Your Hair“) und Altersträume („Range Life“).
269
The Score
Fugees
Columbia, 1996
Während der Hip-Hop drum herum schon zum Gangsta-Rap regredierte, gelingt dem Trio eine Sternstunde des Genres, ein gültiges, spirituelles, humorvolles Werk, getragen von Reggae-Grooves und samtenem Flow. Der Hit „Ready Or Not“ wird zur Blaupause für den R&B der Nullerjahre.
268
Where Did Our Love Go
The Supremes
Motown, 1964
Die Supremes waren 1964 erfolgreicher als die Beatles, und „Where Did Our Love Go“ ist ein unsterblicher Soul-Song. Dass das zweite Album der Gruppe um Diana Ross bloß eine Zusammenstellung von Single-A- und -B-Seiten ist, davon drei Nummer-eins-Hits – geschenkt.
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267
Ultraviolence
Lana Del Rey
Polydor, 2014
Nachdem Lana Del Rey für „Born To Die“ viel Häme hatte einstecken müssen, legte sie auf „Ultraviolence“ eine 180-Grad-Wendung hin: Westerngitarren statt HipHop-Beats, psychedelische Layer-Vocals und verzerrte Bässe lassen das Album glühen wie die Luft überm Death Valley.
266
Jailbreak
Thin Lizzy
Vertigo, 1976
Ihr letzter Versuch, nachdem „Nightlife“ und „Fighting“ kommerziell enttäuscht hatten. Der Druck lockt Thin Lizzy noch einmal aus der Reserve. Brian Robertson und Scott Gorham lassen ihre Gitarren so schön singen, da kann auch die maue Produktion nichts verderben. Phil Lynotts Stimme eh nicht.
265
The Suburbs
Arcade Fire
Merge, 2010
Nach den Themen Tod und Erlösung auf den beiden Vorgängeralben gehen die Kanadier den wehmütigen Weg zurück in die Jugend. Zu veränderter, berauschend intensiver Klangkulisse geht es dennoch viel um Vergänglichkeit und Verlust, mit furiosen Melodien und trotzigem Pathos.
264
High Land, Hard Rain
Aztec Camera
Rough Trade, 1983
Roddy Frames Debüt gehört zu den Meisterwerken des Glasgower Postcard-Pop. Er war gerade volljährig und schrieb die besten Songs neben Landsmann Edwyn Collins. „Oblivious“ oder „Walk Out To Winter“ konnte Frame kaum noch übertreffen. Oder irgendwer sonst.
263
Anti
Rihanna
Westbury Road/Roc Nation, 2016
„Good girl gone bad“, und diesmal glaubte man es ihr: Im zweiten Jahrzehnt ihrer Karriere lieferte der Popstar einen unerwarteten Höhepunkt, ein düster-urbanes Album für die Nacht, eine hypnotische Reise durch die dunkle Stadt, sexy und psychedelisch und von ungeahnter Tiefe.
262
The Fame Monster
Lady Gaga
Interscope, 2008
Im Sommer 2008 hatten die USA eine neue Queen of Pop. Während die alte – Madonna – nur noch Bonbons („Hard Candy“) verkaufte, veröffentlichte Stefani Germanotta als Lady Gaga ein hitpralles Album, auf dem sie sich als selbstbestimmte Souveränin präsentierte.
261
Roxy Music
Roxy Music
Island, 1972
Für dieses Debütalbum wurde der Ausdruck „artsy“ überhaupt erst erfunden. Glam und Travestie treffen auf Rock’n’Roll und Jazz-Funk, Brian Enos Synthesizer auf Bryan Ferrys Vaudeville-Stimme. Rockmusik trug ordentlich Make-up auf und naschte in Äther getränkte Erdbeeren.
260
Ace Of Spades
Motörhead
Bronze, 1980
Das Artwork des kommerziell größten Erfolgs der Band inszeniert das damalige Trio als Spaghettiwesternhelden, fotografiert in einer britischen Sandgrube. Nie klang Zocker-Rock-’n’-Roll auf Speed abgebrühter, gewiefter und verführerischer als auf Motörheads viertem Album.
259
World Of Echo
Arthur Russell
Upside, 1986
Im New Yorker Underground war der Cellist und Komponist Arthur Russell eine feste Größe. Immerhin das minimalistische Electro-Ambient-Art-Pop-Meisterwerk „World Of Echo“ schlug auch außerhalb der Avantgardekreise, in denen er sich bewegte, Wellen (wenn auch viel zu kleine).
258
K.O.O.K.
Tocotronic
L’Age D’Or, 1999
Das Monumentalalbum der Hamburger: Dirk von Lowtzow sang jetzt wunderbar melancholische Lieder wie „Unter der Schnellstraße“, „Morgen wird wie heute sein“, „Das Geschenk“ und „Let There Be Rock“. Ihr Rock wurde immer epischer, und ein Waldhorn erklingt auch.
257
The Wall
Pink Floyd
Harvest, 1979
Mit „The Wall“ setzte Roger Waters sein Ego endgültig gegen die Band durch, danach war sie zerstört. Sein Großentwurf über Kindheitstrauma, Kriegshass und die Isolation des Rockstars hat eine immense Kraft, lebt aber – ein letztes Mal – genauso von der Musikalität seiner Bandkollegen.
256
Tracy Chapman
Tracy Chapman
Elektra, 1988
Das Debüt der amerikanischen Singer-Songwriterin wurde von etlichen Labels abgelehnt, die sich dann angesichts der Hits „Talkin‘ Bout A Revolution“ und „Fast Car“ hoffentlich angemessen ärgerten. Starke, schlichte Lieder, von dieser tiefen Stimme so berührend gesungen.
Copyright: Courtesy of the artist
255
Super Fly
Curtis Mayfield
Curtom, 1972
„Super Fly“ ist der Soundtrack zum Blaxploitation-Film gleichen Namens und gilt als einer der funkiesten Soundtracks aller Zeiten. Curtis Mayfield, der für seine sozialbewussten Texte und seine einprägsamen Melodien bekannt ist, komponierte und sang die Songs für diesen bahnbrechenden Soundtrack. Songs wie „Pusherman“ und „Freddie’s Dead“ sind absolute Klassiker, die den Sound der frühen 1970er-Jahre perfekt einfangen. Dieser Soundtrack ist nicht nur ein wichtiger Teil der Musikgeschichte, sondern auch ein Spiegelbild der sozialen und politischen Probleme seiner Zeit.
254
Déjà Vu
Crosby, Stills, Nash & Young
Atlantic, 1970
„Déjà Vu“ ist ein Hippie-Klassiker und ein bedeutendes Album in der Rockgeschichte. Die Band Crosby, Stills, Nash & Young vereint großartige Talente, darunter David Crosby, Stephen Stills, Graham Nash und Neil Young. Das Album bietet eine Mischung aus brillanten Songs, darunter das Titelstück „Déjà Vu“, das kraftvolle „Almost Cut My Hair“, Nashs „Teach Your Children“ und das bezaubernde „Our House“. Mit Neil Young wurde die Band noch besser und schuf ein Album, das ihren musikalischen Einfluss und ihre Bedeutung festigte.
253
Heaven Or Las Vegas
Cocteau Twins
4AD, 1990
Monsters of Melancholia seit 1980. Eine der Vorzeigebands des Londoner Labels 4AD, das sich früh auf Avantgarde-Gothic spezialisiert hatte. Zum Restart wird der enigmatische Engelsgesang von Elizabeth Fraser populär, „Iceblink Luck“ steigt in die UK-Top-40.
252
Jagged Little Pill
Alanis Morissette
Maverick, 1995
Mit „Jagged Little Pill“ schaffte die kanadische Sängerin Alanis Morissette ihren Durchbruch. Das Album, ihr drittes Studioalbum, wurde zu einem enormen Erfolg. Hits wie „You Oughta Know“ und „Ironic“ liefen ständig auf MTV und verhalfen ihr zu weltweiter Bekanntheit. Die Songs auf dem Album sind geprägt von Morissettes ehrlichen und kraftvollen Texten, die oft Selbstbewusstsein und Selbstempowerment ausstrahlen. „Jagged Little Pill“ ist ein Meilenstein in der Popmusik und bleibt ein bedeutendes Werk in Morissettes Karriere.
251
Bryter Layter
Nick Drake
Island, 1971
Joe Boyd produzierte Drakes zweites Album mit größerer Besetzung. Es erreichte seinerzeit jedoch kein größeres Publikum. Heute erkennt man die karge Schönheit dieser für Drakes Verhältnisse recht hoffnungsvollen Lieder, allen voran das unendlich romantische „Northern Sky“.
250
The Freewheelin’ Bob Dylan
Bob Dylan
Columbia, 1963
Auf seinem Debüt klang der Junge, der sich Bob Dylan nannte, noch wie ein Woody-Guthrie-Imitator. Mit Liedern wie „Blowin’ In The Wind“ und „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ offenbarte er sich auf dem zweiten Album bereits als Amerikas größte Stimme.
249
Burial
Burial
Hyperdub, 2006
Burials Debüt ist von einer Melancholie durchzogen, wie man sie auch in leeren Nachtbussen findet. Es knackst und knistert, überall ist Verfall. Beats wie das träge Rattern eines mit Graffiti übersäten Geisterzugs. Die große Party ist vorbei, die Zukunft findet ohne uns statt.
248
Parade
Prince And The Revolution
Warner, 1986
Ein Pop-Jazz-Album mit zwölf Songs in nur 40 Minuten, eine Meisterleistung der Reduktion. Wendy & Lisa erhalten gebührenden Platz mit „Sometimes It Snows In April“. Bei „Kiss“ darf man sich nicht täuschen lassen: Prince flirtet darin nicht – er erteilt Befehle.
247
L’etat et moi
Blumfeld
Big Cat, 1994
Das wichtigste Album der Hamburger Schule als Kommentar zur Wiedervereinigung. Distelmeyer singt: „Ich heiße Einheitsarchitekt/ Du kannst auch Blödmann zu mir sagen“ und „Ab nach Berlin/ Da, wo die Leute aus Heimweh hinziehn“. In der Hauptstadt reiften wieder Weltbeherrschungspläne.
246
Behaviour
Pet Shop Boys
Parlophone, 1990
Zu den Münchner Retro-Synthie-Klängen ihres Produzenten Harold Faltermeyer blickte das Duo ebenso weise wie wehmütig auf eine Dekade der verpassten Chancen und (unnötigen) Exzesse zurück. „Being Boring“ war kein Chart-Hit, gilt heute aber als ihr größter Song.
245
American Water
Silver Jews
Drag City, 1998
„In 1984 I was hospitalized for approaching perfection“, singt der Dichter David Berman zur Albumeröffnung. „American Water“ ist gespickt mit solchen Bonmots und Geistesblitzen und klingt dazu wie eine Schaukelstuhl-Version der Schwesterband Pavement.
244
Non-Stop Erotic Cabaret
Soft Cell
Some Bizarre, 1981
Suicide in soft: das Duo Marc Almond/David Ball schuf die schwülsten Synthie-Pop-Songs der Dekade. Soft Cell klingen, als würden sie aus einem neonbeleuchteten Fummelkino stammen, und erzählen von Sehnsucht, Begierde und gebrochenen Herzen.
243
The Gilded Palace Of Sin
The Flying Burrito Brothers
A&M, 1969
Ein Meilenstein in der unwahrscheinlichen Erfolgsgeschichte des Country-Rock vom Nischendasein zur Markgröße. Rädelsführer war einmal mehr Gram Parsons, indes Chris Hillman den besonnenen Part übernahm. Gemeinsam schrieben sie Genreklassiker.
242
C’est Chic
Chic
Atlantic, 1978
Nile Rodgers’ Gitarre und Bernard Edwards’ warmer Bass prägen einen Sound, der ein ganzes Genre prägte. „Le Freak“ wurde unzählige Male gesampelt, die Disco-Eleganz von „I Want Your Love“ ist unübertroffen und „At Last I Am Free“ eine der schönsten Balladen ihrer Zeit.
241
Musique Automatique
Stereo Total
PIAS, 2001
Wir tanzen im Viereck, wir tanzen konzentriert – 2001 hatte das konzentrierte Tanzen zu elektronischer Musik derartig den Höhepunkt erreicht, dass es jemanden wie Françoise und Brezel brauchte, um alles auf den Boden der Lo-Fi-Tatsachen zurückzuholen.
240
The Lamb Lies Down On Broadway
Genesis
Charisma, 1974
Nichts war mehr wie vorher und nachher alles anders. Mit einem Trip durch Pop und Kultur, Rock und Geschichte, verlegten Genesis ihre Stücke von New statt York und flirrende Feier ihres Willens zur Fusion von Blues, Country und Rock. Eines der besten Konzeptalben überhaupt.
239
At Fillmore East
The Allman Brothers Band
Capricorn, 1971
Der Mitschnitt dreier Konzertabende in New York City beschert den Southern-Rock-Vorreitern den Durchbruch. Als Jam-Band-Manifest verlegten sie ihre Stücke vom Heckenland in die Metropole. Eines der besten Live-Alben aller Zeiten.
238
Ladies Of The Canyon
Joni Mitchell
Reprise, 1970
Ihr drittes Album und ihr erstes Meisterwerk. Mitchells Sittenbild aus der neureichen Edelhippie-Kolonie in den Hügeln von L.A. ist ebenso bissig wie berührend. Crosby, Stills & Nash.
237
Tocotronic
Tocotronic
L’Age D’Or, 2002
„Eines ist doch sicher: Eins zu eins ist jetzt vorbei“, sang Dirk von Lowtzow im programmatischen „Neues vom Trickser“. Die Texte wurden auf Tocotronics „Weißem Album“ offener, die Klangräume weiter, und die Band entkam endgültig dem Klischee der Trainingsjacken-Indie-Jungs.
236
Paris 1919
John Cale
Reprise, 1973
Wer weiß schon, was die surrealistische Poesie von „Antarctica Starts Here“ zu bedeuten hat, doch für ein einziges Mal erschienen das rätselhafte Kammerpop-Songwriting des überbegabten Komponisten John Cale mit all seinen Romantizismen elegant und jede Verschrobenheit genießbar.
235
Please
Pet Shop Boys
Parlophone, 1986
Natürlich ging es in den 80er-Jahren nicht nur kalifornischen Rock-, sondern auch britischen Popbands ums Geldverdienen, aber niemand sang derart sarkastisch darüber. Aufsteigerträume wie „Suburbia“ paarten sich mit Finanztipps: „Opportunities (Let’s Make Lots Of Money)“.
234
Silent Shout
The Knife
Mute, 2006
Schattiger Electro aus Schweden. Das Duo Olof und Karin Dreijer verortet sein Band-Ethos auf dem dritten Album mit der Aura der Rave-Kultur. Ihr Video zu „Silent Shout“ flirtet gleichermaßen mit Comic Culture wie mit bildender Kunst. Klangdesigner mit Schmackes.
233
James Blake
James Blake
Polydor, 2011
Die ganze Nacht über den Laptop gebeugt, jedes Detail präzise platzierend: so stellt man sich den jungen Künstler bei der Arbeit vor. Blake verbindet kalte basslastige Elektronik mit hyperemotionalem Gesang, legt so viel Soul in die Stimme, dass es selbst ChatGPT zu Tränen rührt.
232
Stadtaffe
Peter Fox
Downbeat/Warner, 2008
Die 17 Jahre lang einzige Soloplatte des Sängers der Reggaeband Seeed ist eine ambivalente Hommage an seine Heimatstadt Berlin. Mit dem Produzententeam The Krauts hat Fox ein zeitloses Meisterwerk erschaffen, das sich rhythmisch zwischen Konkretem und Allgemeingültigkeit bewegt.
231
The Chronic
Dr. Dre
Death Row, 1992
Der Klassiker des G-Funk rollt auf dicken Schlappen, schwer beladen mit alten Soul-Samples, soft und smooth im Sound – aber immer hundertprozentig Gangsta. Eine schillernde afroamerikanische Kunstwelt, die leider oft als alternatives Disneyland missverstanden wurde.
230
Liberty Belle And The Black Diamond Express
The Go-Betweens
Beggars Banquet, 1986
Während der Rest der Welt Synthie-Pop hörte, ließen die Go-Betweens Akkordeon und Orgel, Celli, Violinen und Fagott ins Studio, verneigten sich vor CCR und Byrds und machten ihr perfektes Pop-Album. Es war halt nur nicht der Pop von 1986.
229
It’s Alive
Ramones
Sire, 1979
Bei 28 Songs in unter einer Stunde Spielzeit ist schnelles Einzählen unabdinglich. Von „Blitzkrieg Bop“ bis „Cretin Hop“ wird die Klassikerdichte der ersten drei Platten geballt auf die Bühne gebracht. Geschenkt, dass das erste Live-Album der US-Punk-Instanz im UK mitgeschnitten wurde.
228
The Reminder
Feist
Polydor, 2007
Weil „1234“ weltweit in einem Werbespot erklang, interessierten sich plötzlich alle, vom Feuilleton bis zum Indie-Blog, für die Kanadierin. Die Songs auf ihrem dritten Album sind von erhabener Schönheit, Feists Stimme unwiderstehlich – vor allem bei „The Limit To Your Love“.
227
The Greatest
Cat Power
Matador, 2006
Lokale Musikergrößen wie Mabon „Teenie“ Hodges waren wohl selbst überrascht, wie wenig „klassisch“ sie auf dieser Memphis-Hommage klingen, die mit Tracks wie „Love & Communication“ vor allem das Reifezeugnis der großen Singer-Songwriterin Chan Marshall geworden ist.
226
Young, Gifted And Black
Aretha Franklin
Atlantic, 1972
Definitiv eines ihrer besten Alben und ein Statement afroamerikanischen Selbstbewusstseins. Der Titelsong stammt von Nina Simone, und auch das Beatles-Cover „The Long And Winding Road“ gelingt Aretha Franklin souverän, ebenso wie ihre eigenen Stücke.
225
Court And Spark
Joni Mitchell
Asylum, 1974
Textlich ein tiefer Blick in die Künstlerinnenseele, voller Selbstzweifel und Unsicherheiten, musikalisch komplex und unwiderstehlich. Auf halbem Weg zwischen Folk und Jazz machte Joni Mitchell mit dem slicken „Court And Spark“ ihr bis dahin erfolgreichstes Album.
224
Arular
M.I.A.
XL, 2005
Auf ihrem Debüt als M.I.A. verdichtet Maya Arulpragasam die vielfältigen kulturellen Einflüsse ihres Londoner Umfelds zu postkolonialen Hymnen. HipHop, Electro, indische Trommeltänze und singhalesische Chöre verbinden sich zu einer neuen, ekstatischen Form von Weltmusik.
223
Catch A Fire
The Wailers
Island, 1973
Die Wailers waren bereits zehn Jahre aktiv, als sie mit ihrem Island-Debüt die Weltbühne eroberten. Bob Marley verschmolz Reggae mit Rock, Rebellion mit Rasta-Spiritualität und schuf damit einen Fusion-Sound, der weder auf Jamaika noch sonst wo seinesgleichen hatte.
222
Moon Safari
Air
Virgin, 1998
Der French Touch, bis dahin vornehmlich als Vinyl-Maxi erhältlich, geht ins Albumformat. In ihren schwebenden Electronica-Tracks wird gern das „Filmische“ betont. Paris bekommt mit „Kelly Watch The Stars“ oder „La Femme d’argent“ eine wirkmächtige elegant-eklektizistische Note.
221
Violator
Depeche Mode
Mute, 1990
„Personal Jesus“ klingt noch so frisch wie damals. Depeche Mode widerstanden allen Trends: House, Acid, Rave – für 1990 also eine hochmoderne Platte, und wer sie entdeckt, könnte nicht sagen, wann sie einst erschien. Für ein semi-elektronisches Album eine echte Leistung.
220
Inspiration Information
Shuggie Otis
Epic, 1974
In „XL-30“ pluckert ein Drum-Computer, doch war dieses ignorierte R&B-Kleinod weniger visionär, als David Byrne später glaubte. Schön verlieren kann man sich in diesem soulfulen Eigenbrötler-Trip des von Al Kooper geförderten Gitarrenwunderkinds noch heute.
219
Fear Of Music
Talking Heads
Sire, 1979
Wer wissen will, wie das Lower Manhattan zwischen Mudd Club im Süden und CBGB im Norden Ende der Siebziger klang, muss nur das dritte Talking-Heads-Album auflegen: Disco und New Wave, afrikanische Rhythmen und Art-Pop-Spleen. „This ain’t no party, this ain’t no disco …“
218
XO
Elliott Smith
DreamWorks, 1998
Nach „Either/Or“ hatte Elliott Smith zum ersten Mal ein Budget. Man hört es: Streicher und schöne Instrumente, prächtige Arrangements. Die hohen Produktionswerte verstärken die emotionale Kraft. „Waltz #2 (XO)“ ist eines der schönsten Lieder, die je geschrieben wurden.
217
King Of The Delta Blues Singers
Robert Johnson
Columbia, 1961
Der Mann mit den langen, kräftigen Fingern und der durchdringenden Stimme, der als Gitarrist und Erzähler die Grenzen des Genres sprengte, starb bereits 1938 und wurde mit dieser Compilation für eine ganze Generation zum ultimativen Blues-Mann.
216
Goo
Sonic Youth
DGC, 1990
Nach „Daydream Nation“ unterschrieben Sonic Youth einen Vertrag bei Geffen und nahmen ein Album wie ein Wirbelwind auf. Das von Kim Gordon gesungene „Tunic (Song For Karen)“, „Kool Thing“ (mit Chuck D) und „Disappearer“ gehören zu den großen Songs der US-Noise-Rock-Band.
215
1989
Taylor Swift
Big Machine, 2014
Sie kehrte Nashville den Rücken, um von New York aus in den Pop-Olymp aufzusteigen. Mit dem nach ihrem Geburtsjahr benannten Album befreite sich Taylor Swift endgültig vom braven Country-Girl-Sound und -Image. Eine künstlerische Wiedergeburt zu Synthie-Pop-Klängen.
214
Badmotorfinger
Soundgarden
A&M, 1991
In „Jesus Christ Pose“ nahm Chris Cornell die Kehrseiten des Ruhms vorweg, der Soundgarden dann ereilte. Das dritte Album der Seattle-Band war mehr Metal als Grunge – vom Gesang über die bratzenden Gitarren bis zum treibenden Schlagzeug eine Wucht.
213
The Smiths
The Smiths
Rough Trade, 1984
Späteres mag ausgefeilter klingen, doch ihre Vision war schon auf dem Debüt geformt. Zu Marrs flirrenden Gitarrenmotiven singt Morrissey so ungestüm und vieldeutig vom Ende der Unschuld, von Missbrauch, Scham und Begehren, dass alle Unverstandenen sich erkannt fühlten.
Copyright: OHNE
212
Metallica
Metallica
Elektra, 1991
Wie weit kann man sich von seinen Wurzeln entfernen, ohne die Stammkundschaft zu verprellen? Eben so weit wie Metallica hier. Die Puristen ziehen die Stirn kraus, aber gegen die Überzeugungskraft solcher Hooks sind sie machtlos. Definiert den Metal-Mainstream der Neunziger.
211
Loveless
My Bloody Valentine
Creation, 1991
Shoegaze auf dem Label Creation, das durch diese teure Produktion ins Taumeln gerät. Kolportiert werden 250.000 Pfund. Ein Noise-Meilenstein des Indie-Rock. Lärm in Zeitlupe, Feedbackgitarren, massiver Drone-Sound. Traumschleier wabern über dem gewaltigen Getöse.
210
Yankee Hotel Foxtrot
Wilco
Nonesuch, 2002
Jeff Tweedy trieb Wilco mithilfe von Jim O’Rourke und mit komplexen Sounds, die zugleich melancholisch-heiter und gespenstisch sind, den Alt-Country-Geist aus. Das Label roch ein Desaster, verabschiedete sich – doch das Album wurde ein Triumph.
209
Blond
Frank Ocean
XL, 2016
Exerzitien zu Sex und Männlichkeit, gepaart mit umfangreichen „Tonhöhenverschiebungen“ im Gesang. Mehr Experiment und Soundgefummel als im Vorgänger, „Channel Orange“. Ein innovativer Mix aus Süßlich und Stockhausen, fein abgeschmeckt mit dem Geist des Soul. Genieplatte.
208
It’s My Life
Talk Talk
EMI, 1984
Die zweite Platte der englischen Psychedelic-Pop-Band. „It’s My Life“ wurde ein Riesenhit, „Such A Shame“, „Renée“, „Tomorrow Started“ und „Does Caroline Know?“ sind noch besser. Tim Friese-Greene produzierte das majestätische Album mit den Songs von Mark Hollis und Paul Webb.
207
Sometimes I Might Be Introvert
Little Simz
Age 101, 2021
Ein Hiphop-Opus, eine grandiose Verbindung orchestraler Grooves mit Neo-Soul und Afrobeat, von Simz’ virtuosem Flow vereint. Eine Platte, die so vollendet umgesetzt ist, dass sie bereits zwei Jahre nach Erscheinen auf Listen wie dieser auftaucht.
206
The Number Of The Beast
Iron Maiden
EMI, 1982
Mit Bruce Dickinson am Mikro definieren Iron Maiden das Genre Heavy Metal noch einmal neu und machen damit die junge Proleten-Avantgarde kommerziell hoffähig. „The Number Of The Beast“ ist das erste Metal-Album an der Spitze der UK-Charts.
205
Off The Wall
Michael Jackson
Epic, 1979
Mit dieser LP wuchs Jackson über seine Motown-Jugend hinaus, perfektionierte seinen Stil und fand in Quincy Jones einen kongenialen Produzenten, der ihm den Weg zum Superstar ebnete. Grooves und Arrangements auf Tracks wie „Don’t Stop ’Til You Get Enough“ sind nicht von dieser Welt.
204
For Your Pleasure
Roxy Music
Island, 1973
Der schwarze Diamant des Glam-Rock, so mondän wie Covergirl Amanda Lear. Kein anderer Popsong hat die westliche Dekadenz so treffend beschrieben wie „In Every Dream Home A Heartache“. Der düster hüpfende „Bogus Man“ ist ein albtraumhaftes Vergnügen.
203
Like A Prayer
Madonna
Sire, 1989
Was macht man, wenn man schon mit allem provoziert hat? Einfach weiter provozieren. Mit üppigem Dekolleté verführt Madonna im Video zum Titelsong ihres vierten Albums einen schwarzen Heiland. Ansonsten: überraschend viel Tod, Trennung und Düsternis. Vater, Mutter, Liebhaber
202
Parachutes
Coldplay
Parlophone, 2000
Im mondbeschienenen Fahrwasser von Radiohead und Travis erreichten Coldplay mit ihrem Debüt Platin-Status und gewannen bei den Grammys 2002 den Preis für das beste Alternative-Album – vor allem dank „Yellow“. Das Coverfoto haben sie mit einer Wegwerfkamera aufgenommen.
201
Siamese Dream
Smashing Pumpkins
Virgin, 1993
Zartes, Episches und Brachiales aus hundert Gitarren, fast alle von Billy Corgan selbst gespielt. „Today“ war der schönste traurige Rocker, „Disarm“ die schönste traurige Ballade. Niemand wusste, was „the killer in me is the killer in you“ bedeutet, aber alle fühlten es.
200
Digital ist besser
Tocotronic
L’Age D’Or, 1995
Das Debütalbum der Hamburger Jungs, die mit dieser Verweigerungsplatte überraschend auf ihre Liebe zur CD verwiesen. Klagelieder wie „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ und „Samstag ist Selbstmord“ wurden rasch sprichwörtlich.
199
Third
Portishead
Island, 2008
Portisheads drittes Meisterwerk klingt wie eine Warnung vor harschen Zeiten. Kaum TripHop-Nostalgie, dafür Maschinengewehrsalven, Krautrock, John-Zorn-Jazz und tief fliegende Grooves. Das Trio öffnet mit rabiaten Fade-outs Abgründe und verschwindet dann in Nebelhorn-Getöse.
198
… I Care Because You Do
Aphex Twin
Warp/Sire, 1995
Die Mischung aus himmlischen Melodien und Knallsalto-Beats sei in luziden Träumen zu ihm gekommen, erklärte Richard D. James alias Aphex Twin. Dass die Alternative Nation so sehr darauf ansprang, war ein unwahrscheinlicher Triumph für den teuflischen Geek.
197
Transatlanticism
Death Cab For Cutie
Barsuk, 2003
Ein sehnsüchtiges, sensibles Album, stilprägend für Indie-Emo-Sounds der Nullerjahre (und ihre Renaissance). Ben Gibbard ist ein präzise-poetischer Songwriter, der von Chris Wallas Produktion und der hervorragenden Rhythmusgruppe unterstützt wird.
196
Enter The Wu-Tang (36 Chambers)
Wu-Tang Clan
Loud/RCA, 1993
In New York machten 1992 genialistische Chaosreime eines acht- köpfigen Rap-Clans die Runde. Martial Arts als Kunstform, HipHop als wilde Nummernrevue. Eine Supergroup mit späteren Solo-Stars wie Method Man, Ol’ Dirty Bastard und Raekwon.
195
Untrue
Burial
Hyperdub, 2007
Auch das zweite Album des Dubstep-Geisterbeschwörers sucht die Dunkelheit, doch Vokal-Samples bringen nun mehr Funkeln in die dystopische Melancholie. Burial wirkt wie ein Lee Perry aus der Zukunft, „Untrue“ ist seine Brücke zwischen Massive Attack und Cormac McCarthy.
194
Live Rust
Neil Young & Crazy Horse
Reprise, 1979
Nachdem Neil Young auf „Rust Never Sleeps“ schon eine Seite live aufgenommen hatte, brachte er das Album und frühere Songs auf die Bühne. „Live Rust“ ist sein schönstes Live-Dokument mit exemplarischer Auswahl: „Powderfinger,“ „Cortez,“ „Like A Hurricane,“ „Hey Hey, My My.“
193
Journey In Satchidananda
Alice Coltrane
Impulse!, 1971
Die Alben, die Alice Coltrane in den Siebzigerjahren aufnahm, handeln von Schmerz und Erleuchtung. Hier wendet sie sich der indischen Musik und Philosophie zu. Den Klang dominieren ihre Harfe und die Drones einer Tamboura. Am Saxofon: Pharoah Sanders.
192
Californication
Red Hot Chili Peppers
Warner, 1999
Kalifornien, in Klang gegossen. Anthony Kiedis hat seine Singstimme gefunden, John Frusciante, gerade dem Drogentod von der Schippe gesprungen, spielt sonnige Akkordfolgen und wunderbar simple Soli. Sein Zusammenspiel mit Flea war nie schöner als auf dem Titeltrack.
191
The Stone Roses
The Stone Roses
Silvertone, 1989
Die mancunische Vermählung von Dancefloor und Live-Bühne, nicht ganz so durchgeknallt wie die Happy Mondays. Freestyle-Rhythmus-Britpop mit Anglerhütchen und Jackson-Pollock-Kunstcover. „I Wanna Be Adored“ oder „Made Of Stone“ haben Stadionrock-Qualitäten.
190
Neon Golden
The Notwist
City Slang, 2002
„This is all I know, sitting still to watch the engines come and go“: Zwischen Kammerpop, Jazz und Britpop changieren die Koordinaten auf dem vielleicht anrührendsten Album der Weilheimer. Spinnereien aus dem Werkzeugkasten als musikalische Suche nach der verlorenen Zeit.
189
Songs Of Love And Hate
Leonard Cohen
Columbia, 1971
Er habe bei den Aufnahmen an Depressionen gelitten, so Cohen, das erkläre die Düsternis und den Mangel an Distanz in „Avalanche“ oder „Famous Blue Raincoat“. Paul Buckmasters dichte Arrangements sorgen für ein kongeniales Klangerlebnis.
188
The Modern Lovers
The Modern Lovers
Beserkley, 1976
Diese verspätete Veröffentlichung von 1971/72 schmucklos hingeschleuderten Demos der ersten Band des besessenen Velvet-Underground-Fans Jonathan Richman fand über die Jahrzehnte ihre historische Bestimmung als prägender Urtext sämtlicher „naiver“ Indie-Bands.
187
Suicide
Suicide
Red Star, 1977
Retrofuturismus starts here: Das New Yorker Duo Alan Vega/Martin Rev kreuzte Rockabilly mit Synthesizer und klang, als würde man in eine Eistruhe mit Kurzschluss schauen. Damals war das Suicide-Debüt (sieben Songs in 31 Minuten) ein Ladenhüter, heute ist es längst Weltkulturerbe.
186
Last Splash
The Breeders
4AD, 1993
Das Nebenprojekt von Pixies-Bassistin Kim Deal wird zu ihrem Hauptjob. Ein beständiges Indie-Meisterwerk, überschäumender Pop-Rock. Die Electro-Hexer Prodigy verwenden ein Sample für ihren Superhit „Firestarter“. Das Video zu „Cannonball“ drehen Spike Jonze und Kim Gordon.
185
Cold Fact
Rodriguez
Sussex, 1970
Wegen Spannungen im Studio und schlechtem Marketing hat der Musiker aus Detroit mit „Cold Fact“ zunächst keinen Erfolg. Doch in Südafrika bildet sich ein Hype, Songs wie „Establishment Blues“ werden zu Anti-Apartheid-Hymnen. Ein Dokufilm beschert Sixto Rodriguez 2012 ein Comeback.
184
Post
Björk
One Little Indian, 1995
So offen und so frei, so bunt und vielfältig, so experimentell und mutig, so postmodern und idiosynkratisch, wie ihr zweites Album klang, musste man 1995 davon ausgehen, dass Björk uns den Pop der fernen Zukunft brachte. Doch diese ist leider bis heute nicht eingetreten.
183
Vs.
Pearl Jam
Epic, 1993
Nach ihrem Debüt, „Ten,“ gelang Pearl Jam das fast Unmögliche: ein großartiges zweites Album, trotz des Drucks und der fehlenden Zeit, trotz Grunge-Hype und allem anderen. Sie zogen etwas die Handbremse an, aber schafften dennoch ein Dutzend beeindruckender Songs.
182
Odessey And Oracle
The Zombies
CBS, 1968
In melancholische Mellotron-Klänge und Chöre getränktes Glanzstück des britischen Baroque Pop. Beginnt perfekt mit der grazilen Gefängnisballade „Care Of Cell 44“ und endet ebenso mit „Time Of The Season“, der klingenden Definition von „Groovy, baby“.
181
Wildflowers
Tom Petty
Warner, 1994
Ja, es ist gut, König zu sein, und sei’s nur für einen Tag. Hier ist Tom Petty auf dem Songwriter-Zenit, umspielt von lang Vertrauten und neu Anvertrauten (Steve Ferrone). „You were so cool back in high school, what happened?“ So was kann und darf nur ein König fragen.
180
Dusty In Memphis
Dusty Springfield
Atlantic, 1969
Ein hinreißendes, hochklassiges Album der britischen Soul-Diva, aufgenommen in Memphis und New York. „Son Of A Preacher Man“ kam in den Billboard Hot 100 auf Platz 10, das Album floppte aber zunächst beiderseits des Atlantiks und wurde erst Jahre später kanonisiert.
179
Blood Sugar Sex Magik
Red Hot Chili Peppers
Warner, 1991
In den Achtzigern versuchten die Red Hot Chili Peppers vergeblich, ihre unbestreitbare Energie auf einem Album zu bündeln. Es brauchte Rick Rubin. Mit dieser wilden Mischung aus Rap, Funk und Rock prägten sie das kommende Jahrzehnt fast wie Nirvana.
178
There’s A Riot Goin’ On
Sly And The Family Stone
Epic, 1971
Der Idealismus, die Aufbruchsstimmung und die Kampfeslust der frühen Sly-And-The-Family-Stone-Meisterwerke kippt hier in Zynismus und Dekadenz. Desillusioniert und egomanisch führt Sly Stone in seine persönliche Dystopie. Der narkotische Groove ist unwiderstehlich.
177
Lady In Satin
Billie Holiday
Sony Legacy, 1958
Im Studio trank die Sängerin Wodka, als wäre er Wasser. Ihre Stimme, eines der schönsten Instrumente des 20. Jahrhunderts, hatte massiv gelitten. Doch der Kult des Kaputten greift nicht: „Lady In Satin“ ist der Triumph großer Kunst über die Grenzen des Körpers.
176
Colossal Youth
Young Marble Giants
Rough Trade, 1980
Das Trio aus Wales hinterließ nur ein Album mit minimalistischem Pop, der mit den Jahrzehnten immer einflussreicher wurde. Ein Klopfen, ein Basslauf, eine Keyboardmelodie und dazu der zarte Gesang, der mal Paisley-Kleider, mal Anzüge tragenden Alison Statton.
175
Autobahn
Kraftwerk
Kling Klang, 1974
Krautrock ohne lange Haare und Patschuli. Kein Hasch mehr nötig. Treibende Rhythmik, aber mit sehr smarten Typen. Düsseldorf statt Kreuzberg. Nicht Neu!, aber zeitlos. Alle klugen Bands bewundern Kraftwerk, immer noch. „Autobahn“ ist die ausgestorbene coole Bundesrepublik.
174
Different Class
Pulp
Island, 1995
Die Band um Jarvis Cocker kreierte ein Konzeptalbum über das britische Klassensystem, war sich dabei aber auch bewusst, auf dem Höhepunkt der von Oasis und Blur dominierten Britpop-Ära eine Klasse für sich zu sein. „Common People“ wurde und blieb ihr größter Hit.
173
Illmatic
Nas
Columbia, 1994
Das Debüt von Nas ist ein mit poetischem Genius und dokumentarischer Präzision gefertigtes Selbstporträt eines schwarzen Teenagers auf den Straßen von Queens/NY. Mit Hilfe von u. a. DJ Premier, Pete Rock und Q-Tip setzte das Album Maßstäbe für alle künftigen HipHop-Produktionen.
172
Modern Vampires Of The City
Vampire Weekend
XL, 2013
Gibt es ein anderes Album, das so überbordend experimentell ist und zugleich so catchy? Kein Moment, der nicht überrascht. Zum ersten Mal dringt Dunkelheit durch. Ezra Koenig, unterm Kronleuchter gefangen, bedauert das Verstreichen der Zeit.
171
Motomami
Rosalía
Columbia, 2022
Ihr Mix aus traditionellen Flamenco-Elementen und zeitgenössischem (Electro-)Pop verschiebt unsichtbare Grenzen: Rosalía hat mit „Motomami“ eine Brücke zwischen katalanischer Tradition und Moderne geschlagen, bei der auch Feminismus und soziale Gerechtigkeit ihren Platz bekommen.
170
Bridge Over Troubled Water
Simon & Garfunkel
Columbia, 1970
Das finale Meisterwerk des Duos. Der Titelsong offenbart die hinreißendste Vokaldarbietung, die man je von Garfunkel gehört hat. Auch „The Boxer“, „El Condor Pasa“ und „Cecilia“, Simons erster Ausflug in die Weltmusik, wurden Klassiker.
169
In Utero
Nirvana
DGC, 1993
Der halbe Ruhm für „In Utero“ gebührt Produzent Steve Albini. Als Handwerker des Underground und Pop-Hasser holte er die Band aus dem Rockstarhimmel zurück in die Garage, ließ sie ruppig, aber auch körperreich, wie ein Raubtier klingen. Hier lieben glamouröse Hooklines den Lärm.
168
xx
The xx
Young Turks, 2009
Beinahe hypnotisch wechseln sich die isolierten Stimmen von Romy Croft und Oliver Sim ab, die über den minimalistischen Indie-Rock-Kompositionen liegen. „xx“ ist ein Lehrstück, denn es beweist allen, die nur im großen Brimborium Gänsehautmomente vermuten: Sparsam ist oft besser.
167
Knef
Hildegard Knef
Polydor, 1970
Das dritte und beste Album, das Hildegard Knef mit dem Komponisten Hans Hammerschmid aufnahm. Statt traditioneller Chansons und Schlager arrangierte er psychedelische Sounds um den Sprechgesang der „größten Sängerin ohne Stimme“, wie Ella Fitzgerald die Knef nannte.
166
Psychocandy
The Jesus And Mary Chain
Blanco y Negro, 1985
Eine Wall of Rückkopplungen und dahinter die himmlischsten Melodien. Die Geister von The Velvet Underground und den Ronettes in einem Raum. „Psychocandy“ ist ein Gründungsdokument des Shoegaze und weist den Weg in die Retro-Seligkeit des Britpop.
165
To Bring You My Love
PJ Harvey
Island, 1995
Dass PJ Harvey die größte britische Musikerin der letzten 30 Jahre ist, sollte sich herumgesprochen haben. Ein Genie des Wesentlichen. Angezerrte Gitarrentöne, eine versteckte Hi-Hat und eine Stimme, die tausend Liebesgedichte und feministische Kampfschriften ersetzt.
164
In The Wee Small Hours
Frank Sinatra
Capitol, 1955
Ava Gardner hatte ihn verlassen, Frank Sinatra schoss mit der Pistole auf ihr Foto und schwor, sich nie wieder zu verlieben. Dann nahm er mit Arrangeur Nelson Riddle diese olympische Sammlung von Songs aus dem Great American Songbook auf, die das LP-Format etablierte.
163
Wild Is The Wind
Nina Simone
Philips, 1966
Damals diente dieses Album dem Label Philips bloß zur Resteverwertung, aber neben umwerfenden Interpretationen (vom Titelsong oder dem Musical-Stück „Lilac Wine“) gebietet insbesondere Simones furchtlose Rassismusstudie „Four Women“ bis heute Respekt.
162
In The Court Of The Crimson King
King Crimson
Island, 1969
Brachial hymnt sich das Mellotron durch das Album, das andererseits eine Fragilität besitzt, wie man sie vorher nie gehört hatte. Schock und Verführung. Wie das so ist am Hof des scharlachroten Beelzebub. Die Geburt des Progressive Rock.
161
All Things Must Pass
George Harrison
Apple, 1970
George Harrisons von Phil Spector produziertes erstes Solo-Studioalbum nach der Trennung der Beatles war auch das erste 3-LP-Album der Musikgeschichte. Mit an Bord u.a. Ringo Starr, Klaus Voormann, Eric Clapton, Ginger Baker – und sein größter Hit, „My Sweet Lord“.
160
I Put A Spell On You
Nina Simone
Philips, 1965
Von allen Alben der großen zornigen Bürgerrechtlerin ist dieses das ausgeglichenste und freundlichste – trotz des Titels. Der Signature-Song von Screamin’ Jay Hawkins, „I Put A Spell On You“, klingt bei Nina Simone nicht wie eine Verfluchung, sondern wie eine Verzauberung.
159
Trout Mask Replica
Captain Beefheart & His Magic Band
Straight, 1969
Dieses Doppelalbum klingt, als wären die Musiker auf unterschiedlichen Planeten unterwegs. Darüber bellt, grummelt und heult ein Sänger surreale Gedichte. Ein riesiger kosmischer Unfall. Man kann nicht wegsehen, nicht weghören.
158
Closer
Joy Division
Factory, 1980
Das zweite Album von Joy Division ist noch kälter und hoffnungsloser als das Debüt. Die Synthesizer sind eisig, die Songs handeln von der „Isolation“ und dem Ewigen, „The Eternal“. In „Passover“ singt Ian Curtis davon, wie er sich nach dem Ende seines Lebens in ein neues aufmacht.
157
The River
Bruce Springsteen
Columbia, 1980
Wie so oft bei Doppelalben ist die Single der doofste Song. „Hungry Heart“ rollert und schunkelt so vor sich hin, dass es die Radios lieben. Das ganze Werk ist die Passion Springsteens, allerdings auch die Geschichte derer, die „born in the USA“ waren, aber nicht tanzen.
156
Live And Dangerous
Thin Lizzy
Vertigo, 1978
Natürlich hat Tony Visconti noch etwas nachgebessert. Viel wichtiger ist jedoch, dass der im Studio immer etwas verzagt gespielte und produzierte Lizzy-Kanon bis „Bad Reputation“ hier den Druck und die Verve bekommt, die er verdient.
155
Aja
Steely Dan
ABC, 1977
„Aja“ wurde von Donald Fagen und Walter Becker mit etwa vierzig Studiomusikern aufgenommen. Die erste Seite klingt, als hätten sie ein Jahr lang auf einem Hügel über die Songs meditiert. Beliebt wurden dann die kurzen Riff-Stücke „Peg“ und „Josie“. Steely Dan waren nie erfolgreicher.
154
The Colour Of Spring
Talk Talk
Parlophone, 1986
Eine Übergangsplatte, auf der Mark Hollis und Produzent Tim Friese-Greene noch die Hits lieferten, die man Mitte der Achtziger von einer Synthie-Pop-Band erwartete, und zugleich schon auf dem Sprung zum Jazz-Impressionismus von „Spirit Of Eden“ waren.
153
Norman Fucking Rockwell!
Lana Del Rey
Polydor, 2019
Gibt es eine bessere Zeile als „God damn, manchild, you fucked me so good that I almost said I love you“? Lana Del Rey verknüpft Experimentierfreude mit minimalistischen Kompositionen und starkem Songwriting. Ihr Opus magnum.
152
Forever Changes
Love
Elektra, 1967
Im Herbst des Summer of Love erreichte Arthur Lees Geniestreich nur Platz 154 der US-Charts, doch im Nachhinein entpuppte sich die flirrende Fusion von Psychedelic Rock, Flamenco, Baroque Pop, Folk und Orchester-Arrangements als ein Schlüsselalbum seiner Ära.
151
A Night At The Opera
Queen
EMI, 1975
Das kaleidoskopisch vielseitige, damals noch teuerste Album aller Zeiten beginnt passenderweise mit einer Abrechnung: „Death
On Two Legs“ ist dem geldgierigen Ex-Manager der Band gewidmet. Die schillernde „Bohemian Rhapsody“ bescherte Queen ihre erste Nr. 1.
150
Achtung Baby
U2
Island, 1991
Im Nachwende-Berlin erschufen sich U2 mit ihrem siebten Studioalbum neu, aber unter der ironisch glitzernden Oberfläche blieben sie doch die nachdenklichen Iren, die sich zum Glück nie zwischen Ehrgeiz und Ernsthaftigkeit entschieden haben. Nebenbei warf das faszinierende Werk noch den Übersong „One“ ab. PF
149
Actually
Pet Shop Boys
EMI, 1987
Beseelt von der aufblühenden House-Clubkultur, geriet „Actually“, mit den Nummer-eins-Hits „It’s A Sin“, „What Have I Done To Deserve This?“ und „Heart“, tanzbarer als das Debüt, „Please“ (1986). Aber auch politischer „Rent“ und „Shopping“ etwa kommentierten Wohnungsnot und Privatisierung – Reizthemen der Thatcher-Ära. (ISM)
148
Zombie
Fela Kuti
Mercury, 1977
Die populärste und einflussreichste Platte, die Fela Kuti und seine Band Africa 70 aufnahmen. Kuti wendet sich im Titelstück dieses Klassikers des Afro-Beat explizit gegen die Militärherrschaft in seinem Heimatland Nigeria. Das Militär schlug mit aller Härte zurück, die der Bandleader fast mit dem Leben bezahlt hätte. (MB)
147
Ich-Maschine
Blumfeld
What’s So Funny About, 1991
Wortkaskaden, wie man sie bis dahin noch nie gehört hatte, angesiedelt zwischen öffentlichem Diskurs und Innerlichkeit, Niklas Luhmann und D. H. Lawrence. Ein grandioser Sänger und Songschreiber, eine reduzierte, energetische Rockband. Das erste Blumfeld-Album markiert einen Zeitenwechsel im deutschen Pop. (SZ)
146
Jolene
Dolly Parton
RCA, 1974
Feministisch ist das nicht, wenn Dolly Parton im Titelsong eine von den Genen begünstigte Rivalin anfleht, ihr doch bitte nicht den Mann wegzunehmen. Offenbar wurde der immense Erfolg der Platte dadurch jedoch nicht beeinträchtigt, es erschienen Dutzende Coverversionen, unter anderem von den White Stripes. (WD)
145
Rain Dogs
Tom Waits
Island, 1985
„Rain Dogs“ ist ein wenig zugänglicher als das Selbstzerstörungsalbum „Swordfish Trombones“ (1983), doch die unendlich mitfühlenden Lieder schwanken weiterhin einsturzgefährdet. Auch der Mix auf surrealistischem Captain-Beefheart-Blues und Vaudeville-Zirkusmusik ist derselbe. Romantik im Schredder. (JS)
144
Amazing Grace
Aretha Franklin
Atlantic, 1972
Sie kam aus dem Gospel, dann sang sie seichte Schlager, mit „Respect“ gelang ihr 1967 eine Hymne der Bürgerrechtsbewegung – aber erst mit diesem Gospel-Album, das sie fünf Jahre später auf dem Höhepunkt ihres Ruhms aufgenommen hat, wurde Aretha Franklin für alle Zeiten zur Königin des Soul. (JB)
143
Funeral
Arcade Fire
Merge, 2004
Hymnen auf das Leben und elegische Oden an den Tod – ehrlich emotional und ohne Angst vor Kitsch. Kathartisch arbeitet „Funeral“ verschiedene persönliche Tragödien der Bandmitglieder auf, und man entdeckt selbst in dunklen Winkeln noch Leidenschaft und die Liebe, die mit einem großen Verlust einhergeht. (KB)
142
Darkness On The Edge Of Town
Bruce Springsteen
Columbia, 1978
Die fiebrige Antithese zu „Born To Run“, wiewohl die Motivation der Protagonist:innen dieselbe ist: die Flucht aus der Enge des Alltags. Es gibt keinen besseren Springsteen-Song als „Racing In The Street“: ein Hymnus, der seinen Höhepunkt nie erreicht, weil die Träume im Sterben liegen. (MG)
141
Songs Of Leonard Cohen
Leonard Cohen
Columbia, 1967
Der Poet Leonard Cohen wollte seine Lyrik mit spartanisch arrangierter Musik untermalen, Produzent John Simon staffierte die Stücke dann doch noch ein wenig aus. Die berückende Intensität von „Suzanne“, „So Long, Marianne“, „Hey, That’s No Way To Say Goodbye“ und „Sisters Of Mercy“ ist geblieben. (ISM)
140
Doolittle
Pixies
4AD, 1989
„Monkey gone to Heaven“ verkündet die spirituelle Hierarchie: „If man is five and the Devil is six, then God is seven“, erklärte Black Francis, der vor allem nach der Brutalität in der Bibel gierte. Den Durchbruch der Pixies markierte „Doolittle“ 1989 wegen seiner Popqualität: „Wave Of Mutilation“ bot Melodien für drei Songs. (SN)
139
Die Mensch-Maschine
Kraftwerk
Kling Klang, 1978
Nichtdeutschsprachige kennen zwar leider nur die inferiore englische Version von Kraftwerks komplettestem Album („Das Model“, „Die Roboter“, der Titelsong), aber allein der Sound dieser Düsseldorfer Produktion verkörpert auch nach 45 Jahren noch das Paradox eines ewigen, globalen Klangs der Zukunft. (RR)
138
I Am A Bird Now
Antony & The Johnsons
Secretly Canadian, 2005
In Trauergesängen thematisiert Transgenderkünstler Antony Hegarty den Konflikt zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit, Leben und Tod. Die Eindringlichkeit dieser grandiosen, zittrigen Jahrhundert-Soulstimme lässt auch jene der Gastsänger Boy George und Lou Reed verblassen. (MV)
137
Pearl
Janis Joplin
Columbia, 1971
Drei Monate nach ihrem Tod veröffentlicht, wird Janis Joplins zweites Soloalbum immer ein Versprechen bleiben, das sie nicht mehr einlösen konnte. Wie sie Kris Kristoffersons Sehnsuchtshymne „Me And Bobby McGee“ singt und ihre Kapitalismuskritik „Mercedes Benz“ schmettert: so einzigartig wie herzzerreißend. (BF)
136
Seventeen Seconds
The Cure
Fiction, 1980
Auf ihrem zweiten Album pflegen The Cure eine Kunst des Verschwindens, ihre Lieder sind so minimalistisch, dass sie fast nicht existieren. Mit erstaunlichem Effekt: Noch das leiseste Wimmern von Robert Smith wirkt hier maximal intensiv. Man meint einer ins Jenseits entfleuchenden Seele zuzuhören. (JB)
135
The Teaches Of Peaches
Peaches
Kitty-Yo, 2000
Ein enges rotes Höschen, über dem der Bauchnabel blitzt, dazu Songs mit Titeln wie „Fuck The Pain Away“, untermalt von minimalistischem Electro-Brummen und -Klacken: Das Debüt von Peaches war ein Statement des Weniger-ist-mehr und eine feministische, sexpositive Neuerfindung der Stooges. (JZ)
134
Music From Big Pink
The Band
Capitol, 1968
Das Debüt von Dylans damaliger Begleittruppe. Der einstige Bandleader tritt noch als gelegentlicher Ko-Autor und Coverkünstler in Erscheinung, doch Eigenkompositionen wie „The Weight“ zeigen, dass das kanadische Roots-Kollektiv mit Vorzeigesüdstaatler Levon Helm längst groß und unabhängig ist. (FT)
133
After The Gold Rush
Neil Young
Reprise, 1970
Neil Young nutzte den kreativen Schub des Jahres 1970 für eines seiner zentralen Alben. Natürlich dominieren die Hits: „Only Love Can Break Your Heart“, „Southern Man“ und der seherische Titelsong. Doch das Album, auf dem traumhaft mehrstimmig gesungen wird, ist auch insgesamt ein Goldrausch. (JS)
132
Ram
Paul & Linda McCartney
Apple, 1971
Der manische Gegenentwurf zum Lo-Fi-Solodebüt. Paul McCartney zeigt die ganze Palette seines Könnens, vom hingeworfenen Akustikstückchen bis zur Pop-Sinfonie, vom räudigen Rocker bis zur zarten Ballade. Linda stiftet Selbstvertrauen und singt die schönsten Harmonien. Power-(Couple-)Pop! (MB)
131
Fetch The Bolt Cutters
Fiona Apple
Epic, 2020
Mit einem Bolzenschneider befreit Fiona Apple sich von allem, was sie am Boden halten will: dem Patriarchat, der Depression, der Isolation. Ein Meisterwerk, ein Kunststück aus Piano und Perkussion, aus Chants und Knochen. „Kick me under the table all you want/ I won’t shut up.“ (JJ)
130
Marquee Moon
Television
Elektra, 1977
Im New Yorker CBGB fanden Mitte der Siebziger Kunst und Punk zusammen wie eine chemische Verbindung. Doch erst im Studio schälte die Band aus den genialen Gitarrenduellen zwischen Tom Verlaine und Richard Lloyd einen wogenden, geheimnisvoll klaren Sound heraus. Der Titelsong ist ein Kunststück für die Ewigkeit. (MV)
129
IV
Led Zeppelin
Atlantic, 1971
Jimmy Page dirigiert ein hochpotenziertes Repertoire aus Blues, Hardrock und englischem Folk. Das epische „Stairway To Heaven“ wird zum Klassiker. Der steinerne Sound, den Page in Headley Grange aufnimmt, ist so markant und greifbar, dass man ihn körperlich spürt. Dann kommt der Groove von „When The Levee Breaks“. (JS)
128
Push The Sky Away
Nick Cave & The Bad Seeds
Bad Seed Ltd., 2013
Mick Harvey hatte die Bad Seeds verlassen, die alte Freundschaft war aufgebraucht. Warren Ellis, bei den comichaften Grinderman bereits Caves wichtigster neuer Kreativpartner, spielte die Violine und so ziemlich jedes andere Instrument. Caves Songwriting erreichte höchste Höhen. (AW)
127
The Marshall Mathers LP
Eminem
Aftermath/Interscope, 2000
Nach dem Durchbruch mit der „Slim Shady LP“ schrieb Eminem in nur zwei Monaten ein Album, auf dem er die Auswirkungen des Erfolgs, seine Drogenexzesse und Begegnungen mit manischen Fans („Stan“) lyrisch verarbeitete. Bis heute eine der erfolgreichsten Rap-Platten aller Zeiten. (AW)
126
Diamond Life
Sade
Epic, 1984
Sogar in den an Merkwürdigkeiten reichen 80er-Jahren konnte man nicht glauben, dass diese Platte wirklich ist. Die Sängerin, Sade Adu, ist perfekt. Die Songs – falscher Soul, falscher Jazz und richtiger Pop – sind perfekt. Der Songschreiber, Gitarrist und Saxofonist Stuart Matthewman ist perfekt. Das Plattencover ist perfekt. (AW)
125
The Hissing Of Summer Lawns
Joni Mitchell
Reprise, 1975
Joni Mitchell hatte das Songformat nach dem slicken „Court And Spark“ abgehakt und wandte sich komplexeren Erzählformen zu. Sie brillierte mit mäandernden Songpoemen, die ihre Wurzeln in Jazz und elektronischer Musik hatten. In „The Jungle Line“ hört man den ersten Einsatz von Sampling im Pop.
MB
124
The Village Green Preservation Society
The Kinks
Pye, 1968
Mangels Hits und Rockposen seinerzeit weitgehend ignoriert, gilt dieser zarte Liebesbrief an ein semifiktives Idyll der Nordlondoner Vorstadt heute zu Recht als Ray Davies’ größter Wurf. Von Kindheitssehnsucht beseelte Songs verzaubern als klingende Kapitel seiner kauzig-kammermusikalischen Erzählung.
RR
123
Pussy Whipped
Bikini Kill
Kill Rock Stars, 1993
In diversen Chroniken als erstes großes Riot-Grrrl-Album der Pop-Historie geführt. Der Signature-Track „Rebel Girl“, produziert von Rocker-Queen Joan Jett, ist das „Manifest“. Sängerin Kathleen Hanna und Begleitung verquicken auf „Pussy Whipped“ wilden Spaß mit einem Neunziger-Rezept für Punk-Chaos. (RN)
122
Computerwelt
Kraftwerk
Kling Klang, 1981
Die Dystopie einer (musikalischen) Digitalwelt, die nur noch aus Einsen und Nullen besteht („Nummern“), die Isolation des PC-Süchtigen („Computerliebe“), die Angst vor Überwachung („Computerwelt“). Musik über eine Zukunft, die längst zum Jetzt geworden ist. Außerdem ein Wegbereiter von Synthie-Pop und HipHop. (SN)
121
Hunky Dory
David Bowie
RCA, 1971
Dass Bowie ein Ch-Ch-Chamäleon war, war bei Album Nr. 4 längst bekannt, er sang darüber sogar im Eröffnungsstück, „Changes“. Neu waren die prägende Pianopräsenz, etwa im episch herausragenden „Life On Mars?“, und die Hommage-Laune: Besungen wurden etwa Bob Dylan, Andy Warhol und The Velvet Underground. (ISM)
120
Grace
Jeff Buckley
Columbia, 1994
Ätherisch erhobene Arrangements durchqueren diverse Genres, von Alternative bis Jazz, während Jeff Buckleys anrührende Vier-Oktaven-Stimme über allem thront. Die Intensität und Hingabe auf seinem einzigen Studioalbum sind kaum in Worte zu fassen. Und niemand hat Cohens „Hallelujah“ je ergreifender interpretiert. (ISM)
119
Laughing Stock
Talk Talk
Verve, 1991
Musik, die klingen soll wie ein Raum, den man betreten kann. Die Perfektionisten Mark Hollis und Tim Friese-Greene arbeiteten ein Jahr lang mit über 50 Musiker:innen an diesem abstrakten und sublimen Nachfolger des bereits radikalen „Spirit Of Eden“. Eine Synthie-Pop-Band auf dem Weg in die Stille. (MB)
118
Alles wird gut
D.A.F.
Virgin, 1981
Maschinen, die schwitzen. Männer, die schwitzen. Sätze, die schwitzen. Es geht um Liebe, Sex, Körper, Masochismus, Sadismus, Hitler und Mussolini. Es geht also um alles. Und alles ist gut. Das radikalste, visionärste Album der deutschen New Wave. Es brachte Disco auch zu Menschen, die Tanzen für unseriös halten. (JB)
117
In Rainbows
Radiohead
Eigenvertrieb/XL, 2007
Nie klangen Rock und Elektronik bei Radiohead harmonischer. Nigel Godrichs Produktion steckt voller Echos, tief-frequenter Schallwellen, abrupter Höhenmodulationen. Und Thom Yorke singt: „15 steps, then a sheer drop.“ Allein zu „Videotape“ gibt es einige YouTube-Tutorials über den „geheimen Drumrhythmus“. (SN)
116
Daydream Nation
Sonic Youth
Enigma, 1988
Mehr als nur ein weiteres Post-Punk-Album: Dissonante Riffs und abstrakte Kompositionen stellen den alternativen Konsens infrage. In „Daydream Nation“ spiegeln sich futuristische Paranoia und dystopische Zukunftsgedanken, die für die späten Achtziger unausweichlich schienen. Post-Punk, here we go. (KB)
115
Lady Sings The Blues
Billie Holiday
Clef, 1956
Bei den Sessions aus den Jahren 1954 bis 1956, bei denen Lady Day unter anderem von Kenny Burrell und Paul Quinichette begleitet wurde, hatte ihr Gesang nicht mehr die Brillanz früherer Aufnahmen. Doch sie kompensiert die fehlende Präzision mit enormer Präsenz und einer dem Leben abgerungenen Tiefe. (MB)
114
Let England Shake
PJ Harvey
Island, 2011
Eine Frau stellt sich über ihr Land. Was sie sieht, ist ein ausbeuterisches, bellizistisches Regime, das sich den Anschein einer liberalen Demokratie gibt. Und sie sieht, wie aus Menschen Mörder werden. „Let England Shake“ klingt so majestätisch und zerschossen wie ein bröckelndes Empire. (MG)
113
Born In The U.S.A.
Bruce Springsteen
Columbia, 1984
Eins der erfolgreichsten Alben aller Zeiten, natürlich. Nach „Nebraska“ kam Springsteen mit lauter sensationell mitreißenden Hymnen zurück – vom Titelsong angefangen bis zum melancholischen Ende mit „My Hometown“. 47 Minuten, die bis heute definieren, was Rockmusik bedeuten kann. (BF)
112
Searching For The Young Soul Rebels
Dexys Midnight Runners
EMI, 1980
Punk und Soul standen sich in Großbritannien näher als anderswo. Kevin Rowland und seine Band kreuzten den Uptempo-fixierten Northern Soul mit Van Morrison, gaben sich klassenkämpferisch und liebeskrank und nahmen das leidenschaftlichste Debüt der frühen Achtziger auf. (SZ)
111
good kid, m.A.A.d city
Kendrick Lamar
Aftermath/Interscope, 2012
Auf seinem zweiten Album breitet Kendrick Lamar sein Leben auf den drogen- und gewaltverseuchten Straßen seiner Heimatstadt Compton aus. Die raue Wirklichkeit, eingebettet in smoothe, verträumte, atmosphärische Sounds. Klug, reflektiert, komplex. Gangsta-Rap, gegen sich selbst gewendet. (MB)
110
Clube da Esquina
Milton Nascimento & Lô Borges
Odeon, 1972
Das „white album“ des Tropicalismo, nur dichter und abgefahrener. „Clube da Esquina“ ist ein albumgewordenes Zauberland. Der Bossa-Erneuerer Nascimento und der erst 20-jährige Lô Borges nehmen die mal sonnigen, mal rätselhaften Stücke zur Zeit der Militärdiktatur auf. (EP)
109
The Low End Theory
A Tribe Called Quest
Jive, 1991
Ein Höhepunkt des Conscious Rap, ein neuer, lässiger und minimalistischer Sound, geprägt von Breaks und Jazz-Samples. Oft brauchte es nicht mehr als Bass, Drums, eine Trompete und den Rap. „Check The Rhime“ ist das beste Beispiel dafür, wie der Tribe aus New York 1991 das neue Cool erfand. (SZ)
108
Check Your Head
Beastie Boys
Capitol, 1992
Die jüdische Hardcore-Punk-Crew kehrt nach dem eklektischen HipHop-Großwerk „Paul’s Boutique“ zu den Wurzeln zurück. Sequenzer beiseite – sie lassen ihre Reime um Gitarre, Bass und Drums kreisen. Der Ursprung auch der selbstständigen Konzeptband mit Studio, Printmagazin und dem Label Grand Royal. (RN)
107
In A Silent Way
Miles Davis
Columbia, 1969
Die mit großem Ensemble an einem Tag eingespielte blaue Stunde des Fusion brachte die Jazz-Puristen auf. Der ozeanische Sound, der hier durch die magische Verbindung von Fender Rhodes und Orgel entstand, sollte Jahre später in der Ambient Music und dem Werk so mancher Krautrock-Band widerhallen. (MB)
106
The Joshua Tree
U2
Island, 1987
Eins der sehr wenigen Alben, auf denen nichts Überflüssiges ist, sondern die Essenz der Band, wie sie damals war – auf der Suche, mit großen Augen und großem Herzen, einem großen Sendungsbewusstsein und, ja, einem großen Ego auch. Gleich drei Hits als Einstieg, wie alle Songs voller Leidenschaft und Tiefe. (BF)
105
Highway To Hell
AC/DC
Atlantic, 1979
Der internationale Durchbruch der Band und der letzte Streich des allmächtigen Sängers Bon Scott. Was für eine schöne Seele in dem Mann wohnte, zeigt sich gar nicht unbedingt in den härteren Hitnummern (wobei es auf diesem Album eigentlich nur Hits gibt), sondern im Slow-Blues-Shuffle „Night Prowler“. (FS)
104
A Hard Day’s Night
The Beatles
Parlophone, 1964
Schwarz-weiß war einfach schöner. Wie im gleichnamigen Film hüpfen die Beatles schwerelos und sinnlos, kichernd und tatendurstig über Liebeslieder, die ihre Peergroup nicht überfordern. Und sie schaffen es dennoch, dabei musikalisch ein Fass aufzumachen: 13 Lennon/McCartney-Songs, 13 Ideen. Respekt! (ZYL)
103
Baduizm
Erykah Badu
Kedar, 1997
Aufsehenerregendes Debüt der Turban tragenden Soul-Sängerin. Kühle, reduzierte HipHop-Beats treffen auf Badus warmen Gesang, ein jazzy Flow zieht sich durch die 14 Tracks, Kritiker fühlten sich an Portishead und Billie Holiday erinnert, Jazzbassist Ron Carter gibt sich bei „Drama“ höchstpersönlich die Ehre. Ein Meilenstein. (SZ)
102
On The Beach
Neil Young
Reprise, 1974
Der Erfolg von „Harvest“ (1972) habe ihn zum Middle-of-the-Road-Künstler gemacht, erklärte Neil Young. Er sei daraufhin auf den Straßengraben zugesteuert. „On The Beach“ ist das Herz seiner „Ditch Trilogy“, ja vielleicht das Herz seines gesamten Werks. Ein schonungsloses Album über den Verlust und das Ende jeder Illusion. (MB)
101
Ten
Pearl Jam
Epic, 1991
„Ten“ ist eines dieser klassischen Alben, deren Hits („Alive“! „Jeremy“! „Even Flow“!) so oft gespielt wurden, dass man darüber fast vergessen konnte, was für eine Leistung das gesamte Debüt war. Selten klang eine so junge Rockband so entschlossen – und die Innerlichkeit des Grüblers Eddie Vedder machte den Unterschied. (BF)
100
Ramones
Ramones
Sire, 1976
Ein Albumtitel, so direkt wie die Musik selbst: „Ramones“ ist das Debütalbum der Band, die sich nach einem Pseudonym von Paul McCartney benannte und mit drei Akkorden fast so viel erreichen konnte wie ihr Namenspatron. Simplizität war ihr Credo, um sich von den Led Zeppelins und Pink Floyds ihrer Zeit abzuheben. Das Resultat: ein zeitloses, gefeiertes Genre. (KB)
99
Straight Outta Compton
N.W.A
Priority, 1988
Die Supergruppe um Dr. Dre, Ice Cube und Eazy-E kehrt ihre Erfahrungen von Gettokriminalität, Rassismus und Polizeiwillkür in wütende Kampfansagen und Ermächtigungsfantasien um. Die Westcoast wurde zur Hip-Hop-Macht. Einst wegen Gewaltverherrlichung und Sexismus gebrandmarkt, gilt ihr Debüt heute als Monument des Hardcore Gangsta Rap. (FC)
98
Either/Or
Elliott Smith
Kill Rock Stars, 1997
Über Elliott Smith ist gesagt worden, er lasse eine Gitarre klingen wie zwei und zwei wie vier. Es sind die traurigsten Gitarren. Seine Akkordfolgen sind ebenso raffiniert wie intuitiv, er ist mehr Komponist als Songwriter, aber hier ist er noch Komponist ohne Orchester. Er singt nah ins Mikro, flüstert dir ins Ohr. Depeschen aus der Depression. Was er im Leben nicht konnte, gelang ihm in der Kunst: „Say Yes.“ (JJ)
97
Wish You Were Here
Pink Floyd
Harvest, 1975
Syd Barrett erscheint im Studio, aber er ist schon da, vor allem in der überlangen Meditation über die Abwesenheit „Shine On You Crazy Diamond“, aber auch im Titellied. Pink Floyd entwickeln einen im Vergleich zum Vorgänger viel eleganteren, manchmal gleißenden Sound. Rick Wright entwirft fantastische Synthesizerklänge, David Gilmour spielt die Soli seines Lebens. (JS)
96
Reign In Blood
Slayer
Def Jam, 1986
Mit seiner ersten Metal-Produktion verlieh Rick Rubin der Band eine im Genre ungekannte Präzision und Schlagkraft. Nackenbrechende Rhythmen, Gitarrensoli wie zornige Hornissen, gebellte Satzfetzen, die in pubertärer Erregung von Mord, Verstümmelung, Satan und leider auch dem Holocaust künden. „Reign In Blood“ bleibt die ewige Instanz für kompromisslose Härte. (FC)
95
Ege Bamyası
Can
United Artists, 1972
Can schlossen die avantgardistischen Einflüsse von Karlheinz Stockhausen und der Minimal Music mit rohem Funk, raffiniertem Jazz und dem einzigartigen Gesang des ehemaligen Straßenmusikers Damo Suzuki kurz. „Ege Bamyası“ ist zugänglicher als der ungestüme Vorgänger „Tago Mago“. Die Single „Spoon“, Titelmusik des TV-Thrillers „Das Messer“, wurde sogar ein Hit. (JZ)
94
A Seat At The Table
Solange
Columbia, 2016
Mit ihrem dritten Album trat Solange Knowles 2016 aus dem Schatten ihrer großen Schwester Beyoncé und schuf ein makelloses, fast überinszeniertes Meisterwerk: Conscious Soul, so stylish wie sensibel, auch funky und psychedelisch, immer präzise und unmissverständlich. Sie fordert ihren Platz am Tisch – und Selbstermächtigung war damals noch kein Buzzword. (SZ)
93
Blackstar
David Bowie
Columbia, 2016
Den skelettartigen Major Tom, der im Video zum Titelsong der Ewigkeit entgegentreibt, hätte man als Ansage lesen können: Als größtmögliches Finale inszenierte Bowie sich im Duett mit dem Tod. Das ausufernde Schlussstück klingt wie ein Aufbruch in die Nacht, wehmütig und gelöst zugleich. Zwei Tage nachdem der schwarze Stern erschien, ging Bowie in die Unendlichkeit. (FP)
92
Definitely Maybe
Oasis
Creation, 1994
Das Debüt mit „Supersonic“ und „Live Forever“ rebelliert gegen die vorhersehbare Leere des Lebens, ohne die Hoffnung zu verlieren – nach der Grunge-Implosion um Seattle eine willkommene Abwechslung. Für Britpop-Fans eine Offenbarung, für die Gallaghers der Anfang ihrer damals noch gemeinsamen Karriere, zu der sie sich im Opener „Rock ‚N‘ Roll Star“ großspurig bekennen. (KB)
91
The B-52’s
The B-52’s
Warner, 1979
Why don’t you dance with me? Es gibt keinen Grund! Wer die hinreißende, demokratische, dynamische Energie, die aus diesen Songs sprüht, nicht spürt, ist doof und ein Limburger Käse. Die Band aus Athens knallt ihr Beehive-gestärktes New-Wave-Debüt all jenen vor den Latz, die sich in den späten Siebzigern in die Seriosität ihrer jeweiligen Szenen zurückziehen wollten. (ZYL)
90
Paranoid
Black Sabbath
Vertigo, 1970
Die Band als Bösewicht: Mit okkulter Koketterie brachten die „Sab Four“ das Konzept der comic-haften Corporate Identity in die Rockwelt. Der Brachialtango von „Iron Man“ wurde zur Urzelle des Heavy Metal, die sich bis heute in Abertausenden Riffs weiter teilt. Viele versuchten den bleischweren Groove nachzuahmen, selbst Cindy & Bert coverten „Paranoid“. (FP)
89
Tago Mago
Can
United Artists, 1971
„Diese Burschen sitzen auf hölzernen Stühlen und spielen elektrische Instrumente. Es wäre besser, wenn sie auf elektrischen Stühlen säßen und hölzerne Instrumente spielen würden.“ So beschrieb ein Schweizer Journalist Anfang der Siebziger ein Konzert von Can. „Tago Mago“ ist ihre beste Platte, insbesondere wegen der Improvisations-Epen „Halleluwah“ und „Aumgn“. (JB)
88
Astral Weeks
Van Morrison
Warner, 1968
Van Morrison führt uns vor, wie man mit Musik auf eine spirituelle Reise gehen kann. Mit schwebenden, in Trance gespielten Liedern, die irgendwo anfangen und irgendwo aufhören, die hoch hinauswollen aus dem Profanen und deren Protagonisten bloß einen Kuss brauchen, um wiedergeboren zu werden. Es ist ekstatischer Folk-Soul-Jazz als organische Form, in Zungen gesungen. (JS)
87
Debut
Björk
One Little Indian, 1993
Die Ex-Sängerin der Sugarcubes debütierte mit einem Soloalbum, das die Pop-Welt zum Staunen brachte. House, Jazz, Trip-Hop und der exaltierte Gesang der Isländerin wirbeln hier wild durcheinander und finden doch auf eine fast natürliche Weise zusammen. Die grandiosen Videos zu „Human Behaviour“ und „Venus As A Boy“ laufen heute in Kunstausstellungen. (JZ)
86
Bitches Brew
Miles Davis
Columbia, 1970
James Brown und Karlheinz Stockhausen? Okay! Ergab im Universum von Miles Davis ungefähr das, was „Bitches Brew“ ausmachte. Nicht die erste Jazzrock-Platte, aber doch ein durch und durch erfolgreicher Höllenritt. Hat schon am Start eine halbe Million Exemplare verkauft. Fusion war gekommen, um zu bleiben. „Bitches Brew“ machte Schule (und Geschichte). (PH)
85
3 Feet High And Rising
De La Soul
Tommy Boy, 1989
Omas und Opas erzählen von einer der größten Debüt-LPs ever, allein die streamende Jugend mag ihnen kaum mehr glauben, war dieser zündende Moment der Hip-Hop-Historie bisher doch wegen rechtlicher Dispute – zunächst über Tausende Samples, dann zwischen der Band und ihrem Ex-Label – auf digitalen Plattformen bis 2023 unauffindbar. (RR)
84
Elvis Presley
Elvis Presley
RCO Victor, 1956
Am 28. Januar 1956 entdeckte Amerika seinen neuen König. Elvis Presley hatte seinen ersten landesweiten TV-Auftritt in der CBS-„Stage Show“. Fünf weitere folgten. „Heartbreak Hotel“ kletterte an die Spitze der „Billboard“-Charts, und Ende März erschien das Debütalbum: eine explosive Mischung aus Rockabilly, Blues, R&B, Country und Pop. (MB)
83
Old Nobody
Blumfeld
Black Cat, 1999
Statt Indie-Rock zelebrierte Jochen Distelmeyer nun die großen Gefühle des Pop, von manchen als Seichtigkeit missverstanden. Abgespeckte Sprache ermöglichte einfachere Identifikation – Blumfeld reichten uns die Hand, wollten verstanden werden: Michael Girkes „Kommst Du mit in den Alltag“ als Eintritt in die Normalbiografie des Nicht-mehr-Träumers. (SN)
82
Channel Orange
Frank Ocean
Def Jam, 2012
Bis vor kurzem gab es dieses grundstürzende Album nur als Bootleg auf Vinyl, es lebt also im Stream. Denn Frank Ocean ist ein Modernist, ein queerer Hipster, ein Stevie Wonder unserer Zeit. Kein anderes Werk hat R&B und Hip-Hop Anfang der Zehnerjahre so entscheidend neu definiert wie „Channel Orange“. Einen Grammy für das „Best Urban Contemporary Album“ gab’s auch. (SZ)
81
Elephant
The White Stripes
XL/Beggars, 2003
„Elephant“, wie auch seine minimalistischen Garagen-Bluesrock-Vorgänger, wurde in wenigen Tagen aufgenommen, war trotzdem das bis dahin elaborierteste Album des Duos – und dank der Hymne „Seven Nation Army“ auch das erfolgreichste. Led Zeppelin sind nicht fern, und ausgerechnet Burt Bacharach gibt vor, worum es hier geht: „I Just Don’t Know What To Do With Myself“. (MV)
80
Rage Against The Machine
Rage Against The Machine
Epic, 1992
So klingt die Wut zusammengekocht, komprimiert zu acht Zeilen, die wichtigsten – „Some of those that work forces/Are the same that burn crosses“ – bringen das gesamte beschissene, strukturell abgründig tief sitzende Rassismusproblem der USA auf den Punkt. Zack de la Rocha ist ausnahmslos authentisch, Tom Morello lässt seine Gitarre schreien. (ZYL)
79
(What’s The Story) Morning Glory?
Oasis
Creation, 1995
„Wir sind die Band, auf die ihr alle gewartet habt“, tönten Oasis 1994 großspurig. Und lösten das vollmundige Versprechen umstandslos ein. Nicht zuletzt mit dieser zweiten LP, die den Britpop-Boom zum Exportschlager machte. Es war eine aufregende Zeit unter dem Rule-Britannia-Banner, trotz des Flirts mit Tony Blair, drei famose Alben lang, immerhin. (WD)
78
Homework
Daft Punk
Virgin, 1997
Disco als Verheißung und Ort der Freiheit. Zwei junge Franzosen, Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo, beleben sie Mitte der Neunziger mit ihrer Single „Da Funk“ und schließlich ihrem Debütalbum neu, mit Loops und Filtern, mit Wiederholung und Verzögerung, mit ekstatischen Momenten, Hysterie und Hedonismus. Und irgendwann kommt immer der Bass. (SZ)
77
The Kick Inside
Kate Bush
EMI, 1978
Eine Teenagerin, die komplexe Songs wie „Wuthering Heights“ schreibt, umgeben von mächtigen Männern wie Produzent Andrew Powell oder Mentor David Gilmour, dazu genügend Industrie-Cash, um ihr Debüt sechs Jahre lang anzubahnen – wie konnte das gut gehen? Kate Bush war stur und klug genug, ihre eigenwillige Vision gegen wohlmeinende Ratschläge durchzusetzen. (RR)
76
Scott 4
Scott Walker
Philips, 1969
Als konsequente Fortentwicklung der drei Vorgänger sah Scott Walker sein viertes Soloalbum, weg von eher klassischen Balladen, hin zu eigenen, immer undurchdringlicheren Songs. Zum Beispiel „The Seventh Seal“, basierend auf einem Film von Ingmar Bergman über einen Ritter im Mittelalter, der sich auf eine Partie Schach mit dem Tod einlässt. Absorbierend! (WD)
75
The Stooges
The Stooges
Elektra, 1969
Das Debüt der Stooges erschien in der Woche des Woodstock-Festivals. Doch statt Psychedelia und Peace zu zelebrieren, zeigten die Außenseiter aus Detroit, wie viel an Urkraft noch im Rock’n’Roll zu entfesseln war. Iggy Pops sich windender Körper wurde zu einem Instrument eigenen Ranges – die Wiedergeburt von Elvis als nackter Affe. Die Hippies hassten es, Punks machten eine Masche draus. (FP)
74
Let It Bleed
The Rolling Stones
Decca, 1969
Vergewaltigung droht „just a shot away“, die Dekade endet im Geheul der Armageddon-Gitarren von „Gimme Shelter“. Auch die anderen Songs von „Let It Bleed“ sind wenig erbaulich, ob atavistischer Blues über vergebliche Liebe, Country-Frivolität zur Fiddle oder nächtliche Heimsuchung durch einen sinistren Schurken. Nur „You Can’t Always Get What You Want“ spendet etwas Trost. (WD)
73
Back In Black
AC/DC
Atlantic, 1980
Produzent Mutt Lange weist dem neuen Sänger den Weg in die allerhöchsten Keifregister. Man hört Brian Johnson an, dass er seine Gesundheit ruiniert, um sich seines großen Vorgängers Bon Scott halbwegs würdig zu erweisen. Das klappt auch darum so gut, weil der Fundus an Riffs, die direkt aus den Triebdrüsen von Teenagern gewonnen werden, immer noch unerschöpflich scheint. (FS)
72
Keine Macht für Niemand
Ton Steine Scherben
David Volksmund, 1972
Keine Stimme agitiert besser als die von Rio Reiser (und keine unterscheidet sich stärker von unserer Stimmen-Agitations-Vergangenheit). Seine Textdramaturgie ist perfekt, die Scherben haben die richtigen Sätze, die richtige Attitude, die richtigen Akkorde und die richtige Energie, um die Welt zu verändern. Dass es nicht geklappt hat, ist zum Heulen. (ZYL)
71
Hejira
Joni Mitchell
Asylum, 1976
Der Albumtitel ist der Begriff für die Reise Mohammeds. Joni Mitchell war nach dem Ende einer Liebe (mit John Guerin) im Auto in die Wüste gefahren. In „Amelia“ erinnert sie in einer Allegorie an den Alleinflug und das Verschwinden der Amelia Earhart: „Amelia, it was just a false alarm.“ Jaco Pastorius spielt die herrlichsten Fretless-Bass-Läufe. (AW)
70
Neu!
Neu!
Brain, 1972
Eine der glühenden, rumpelnden Sonnen des Krautrocks, von so erstaunlicher musikalischer Schönheit, dass diese sechs Tracks eventuell sogar den fernen Tod unserer eigenen irdischen Sonne überdauern werden. Neu!, ursprünglich ein Ableger der frühen Kraftwerk, lassen ihre Musik in unerbittlichem Motorik-Viervierteltakt durch die Zeit gleiten, lebendig, sperrig, bis heute unverwüstlich. (SZ)
69
Surfer Rosa
Pixies
4AD, 1988
Auf dem Cover sehen wir eine barbusige Tänzerin, einen zerrissenen Vorhang, ein Kruzifix: Sexualität und Religion, Trieb und Schuldgefühle. Black Francis betet, will Sex, aber alles tut weh. Songs voller Abseitigkeiten, verbunden durch Dialogzeilen des Grauens („I said you fucking die“) und der Selbstironie („There were rumours he was into field hockey players“). (SN)
68
Master Of Puppets
Metallica
Elektra, 1986
Die perfekte Legierung aus berückend eingängigem Schönklang und brachialem Riff-Geballer. Thrash Metal mit melodischer Raffinesse ist also kein Widerspruch. James Hetfield zerknurrt grandios die Hooklines, aber noch generieren Gitarren den melodischen Überschuss. Und so kommt das beste Metallica-Stück aller Zeiten, das überirdische „Orion“, sehr gut ohne Gesang aus. (FS)
67
Remain In Light
Talking Heads
Sire, 1980
Brian Eno und David Byrne führen weiter, was sie auf „Fear Of Music“ (1979) begannen. Und wie! Der Post-Punk-Funk, die dissoziierten Texte, die afrokubanischen Rhythmen und das gute Gespür für ebenso kantige wie unwiderstehliche Hooks sind fabelhaft. Berühmt wurde „Once In A Lifetime“, das beunruhigende Lied über das Erwachen aus der Hypnose des Alltäglichen. (JS)
66
Graceland
Paul Simon
Warner, 1986
Siri, was ist kulturelle Aneignung? Kein Album ist so schwer und so leicht zu lieben wie „Graceland“. Paul Simons Neigung zum Leichten, zugleich Komplexen, seine mühelosen Melodien, die sich wunderschön mit den fröhlichen Jams verbinden, die er in Johannesburg aufgenommen hat, mit Bakithi Kumalos aberwitzigen Bassläufen und den Chören von Ladysmith Black Mambazo. (JJ)
65
Disintegration
The Cure
Fiction, 1989
Der mittlere Teil des Triptychons mit „Pornography“ und „Bloodflowers“. Nach „Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me“ schrieb Robert Smith diese ausschweifenden, mäandernden Welt-schmerz-Etüden mit flächigen Keyboardkaskaden. Schwelgerische Traurigkeit liegt in den überlangen Stücken, und Smiths Gesang klingt wie Weinen. Das dunkelste Lied klingt am heitersten: „Lovesong“. (AW)
64
Monarchie und Alltag
Fehlfarben
Welt-Rekord, 1980
Meisterwerk des deutschen Punk und Manifest einer Generation. Noch heute singen und murmeln wir bei Konzerten mit: „Was ich haben will, das krieg ich nicht. Und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht.“ Altersgenossen denken an die hölzernen Kneipen jener bleiernen Zeit. Flipper in der Ecke, RAF-Logo auf dem Klo, Aschenbecher immer randvoll. (JZ)
63
Cut
The Slits
Island, 1979
Debüt und zentrales Werk des feministischen Londoner Bandprojekts um Sängerin Ari Up, formiert 1976 im Aufgalopp des Punk. Später kommt Gitarristin Viv Albertine dazu. Die Songs sind chaotisch, aggressiv, rhythmisch, kompromisslos. Sie bleiben geniale Dilettantinnen, die live keiner Konfrontation mit dem Lederjackenpublikum ausweichen. 1981 ist ihre Aufgabe beendet. (RN)
62
Electric Ladyland
The Jimi Hendrix Experience
Track, 1968
Jimi Hendrix wollte das Trio-Konzept seiner Experience transzendieren und lud Musiker ins Studio ein. Die Aufnahmen, unterbrochen von lukrativen Gigs, dauerten über ein Jahr und kreuzten weiße und schwarze Musikgeschichte mühe- und übergangslos. Es ist immer noch ein Rock-Album, aber eines, „das dabei ist, sich in etwas ganz anderes zu verwandeln“ (David Stubbs). (FS)
61
Spirit Of Eden
Talk Talk
Parlophone, 1988
Die Antithese zum Synthie-Pop der Achtziger. In einem weiten, von Kerzen und Ölrädern beleuchteten Kirchenschiff ließen Songwriter Mark Hollis und Produzent Tim Friese-Greene Dobro-Gitarristen, Trompeter, Oboisten, Organisten und Geiger zu Rhythmus-Tracks improvisieren und mischten daraus eine Musik, die klang, als würde eine Jazzband Kirchenlieder spielen. (MB)
60
The Doors
The Doors
Elektra, 1967
Mit „Break On Through“ eröffneten die Doors ihr Debüt gleich nervenaufreibend. Jim Morrisons Schreie aus dem tiefen Nichts, dazu Ray Manzareks dominante Orgel, John Densmores Groove und Robby Kriegers Feinsinn ergeben einen vielschichtigen, faszinierenden Sound. Und „The End“ ist das dunkelste Stück Rockmusik, das man sich 1967 vorstellen konnte. (BF)
59
Exile On Main St.
The Rolling Stones
Rolling Stones, 1972
Der Mythos geht so: Steuerflucht, Südfrankreich, Jetset, Heroin, nächtliche Sessions im kalten Kellergewölbe einer südfranzösischen Belle-Époque-Villa, bei denen immer irgendwer fehlte, Gram Parsons und William S. Burroughs schauten vorbei. Widrige Umstände, die auch Pop-Millionäre an den Rand des Blues trieben und sie zu ihrem beseeltesten Album inspirierten. (MB)
58
Beggars Banquet
The Rolling Stones
ABKCO, 1968
Vom sinistren „Sympathy For The Devil“ bis zur (fast) versöhnlichen Hymne „Salt Of The Earth“ erzählt das siebte Stones-Album von den Widersprüchen und Umbrüchen des Moments und wirkt doch zeit- und präzedenzlos. Mit ihrem neuen Produzenten Jimmy Miller schuf die Band ein explosives Amalgam aus akustischem Blues, schneidendem Rock’n’Roll und triumphaler Rüdheit. (FC)
57
Nightclubbing
Grace Jones
Island, 1981
Die Godmother of Diversity und ihr bestes Album: Chris Blackwell holt die androgyne Disco-Diva 1980 in seine Compass Point Studios auf die Bahamas und spielt mit ihr zwei Dutzend Songs (darunter Covers von Bill Withers bis Astor Piazzolla) in einem eigens kreierten New-Wave-Reggae-Dub ein. Heute ist „Nightclubbing“ längst so ikonisch wie die Königin selbst. (SZ)
56
It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back
Public Enemy
Def Jam, 1988
„Bass, how low can you go?“, skandiert Chuck D zu kreischenden Sirenen. Unterlegt von einem dichten Scratch- und Sample-Gewebe, das sich neben den üblichen Funk-Quellen aus diversem Geräusch zu einer Wall of Noise fügt, schufen sie mit ihrem zweiten Album ein wütendes Hip-Hop-Äquivalent zu Marvin Gayes „What’s Going On“. (FC)
Copyright: Steinbrecher
55
Supa Dupa Fly
Missy Elliott
Elektra, 1997
Zusammen mit ihrem musikalischen Partner Timbaland zielte die Rapperin und Produzentin geradewegs in die Zukunft. „Supa Dupa Fly“ war der Auftakt einer Reihe von feministisch grundierten und musikalisch betont futuristischen Hip-Hop-Neuerfindungen. Umgeben von einem Weltklasseteam schüttelt Queen Missy völlig neue Rap-Stile und Beats aus dem Ärmel. (JZ)
54
Who’s Next
The Who
Track, 1971
Aus Pete Townshends gescheiterter Science-Fiction-Opern-Konzept „Lifehouse“ destilliert Ko-Produzent Glyn Johns eine kohärente Einfach-LP voller Klassiker, von „Baba O’Riley“ bis „Won’t Get Fooled Again“. Dabei duellieren sich John Entwistle und Keith Moon in Bestform mit von Townshend programmierten Synthesizer-Tracks, und Roger Daltrey reift zum Rockgott. (RR)
53
Rubber Soul
The Beatles
Parlophone, 1965
Zwei Jahre vor dem psychedelischen Global High deuten die Beatles auf Robert Freemans düsterem, seltsam verzogenem Coverfoto Veränderung an. Die Musik macht klar: Out mit den weiß-westlichen Instrumenten, an denen sich die Silhouetten identifizieren ließen, in mit dem sexy fuzzy Indian stuff. Es geht nicht mehr um Mainstream. Sie machen ihre nowhere plans for nobody. (ZYL)
52
The Specials
The Specials
2 Tone/Chrysalis, 1979
Der berühmte „Tritt gegen das Tanzbein“ aus Coventry, der den Auftakt zum Ska-Revival der Spätsiebziger markiert. Musikalischer Kopf ist Jerry Dammers, Terry Hall singt mit unverkennbarer Stimme. 2 Tone wird zu einer Lebens- und Soundphilosophie, die die karibischen Wurzeln im englischen Pop, als Alternative zum weiß dominierten Punk, swingend fortschreibt. (RN)
51
Sticky Fingers
The Rolling Stones
Rolling Stones, 1971
Erstmals auf ganzer Länge mit Mick Taylor an der Gitarre trägt die Band ihr Herz für Roots-Rock auf der hier erstmals in Erscheinung tretenden Zunge. Sessionmaterial aus dem Muscle Shoals Sound Studio in Alabama, darunter „Wild Horses“ und „Sister Morphine“, strotzt neben genuinem Country Rock wie „Dead Flowers“ nur so vor Americana-Authentizität im Britrock-Kontext. (FT)
50
Live Through This
Hole
DGC, 1994
Courtney Love wirkte gefährlich. Und irre begehrenswert. Wie die Musik ihrer Band Hole. „Watch me break and watch me burn“, singt Love in „Miss World“ – eine Zeile, die klingt wie eine Vorahnung, denn ein halbes Jahr nach dem Ende der Aufnahmen und eine Woche vor der Veröffentlichung von „Live Through This“ im April 1994 nahm sich Loves Ehemann Kurt Cobain das Leben. (SZ)
49
Appetite For Destruction
Guns N’ Roses
Geffen, 1987
Das Hardrock-Album der 80er-Jahre. Vom Anfangsschrei in „Welcome To The Jungle“ über die Rauschgeschichten von „Nightrain“ und „Mr. Brownstone“ bis zur Hymne „Paradise City“ eine einzige Abfolge von Hits. GN’R beschrieben so stimmig ihr Leben zwischen Gosse und Glamour. Mit dem Riff zu „Sweet Child O’ Mine“ machte Slash sich unsterblich. (BF)
48
Steve McQueen
Prefab Sprout
Kitchenware/Columbia, 1985
Das zweite Album von Prefab Sprout als Manifest des englischen Sophisti-Pop zu bezeichnen, könnte den Zugang zu diesen erhebenden Liedern erschweren. Unter dem brillanten Sound schlägt das wilde Herz eines Romantikers, der Liebes- und Eifersuchtsdramen mit unvergleichlicher Anmut bestaunt. „Steve McQueen“ ist New Wave plus Smooth Soul, John Keats plus Gershwin. (MG)
47
Never Mind The Bollocks …
Sex Pistols
Virgin, 1977
Das eigentliche Ereignis waren natürlich die Singles „Anarchy In The U.K.“, „God Save The Queen“, „Pretty Vacant“ und „Holidays In The Sun“, die dann später auf dem ersten und einzigen Studioalbum der britischen Pionier-Punks enthalten waren. Die anderen Songs sind aber auch nicht übel. Alles Sicherheitsnadelstiche durch das Ohr des Britischen Empires. (FT)
46
Thriller
Michael Jackson
Epic, 1982
Ein Album der Superlative mit sieben Top-Ten-Singles, bahnbrechend für Popmusik, Gesang, Performance und Videokunst. Es bietet alles für jeden: Rock, Soul, Funk, McCartney, Toto und Eddie Van Halen. Dabei erzählt Jackson mit Tracks wie „Billy Jean“ und „Wanna Be Startin’ Somethin’“, wie glatt und brüchig die perfekt polierte Oberfläche ist, auf der er tanzt. (FC)
45
Parallel Lines
Blondie
Chrysalis, 1978
Mit ihrem dritten Album ließen Blondie die CBGB-Punk-Szene weit hinter sich und eroberten die Welt. „Heart Of Glass“ wurde von einem vier Jahre alten Rock-Reaggae-Demo zur leuchtenden Disco-Nummer und das Zugpferd der Platte. Blondie waren eine Band, doch die Manifestation von Frontfrau Debbie Harry als stilprägende Ikone war nicht mehr aufzuhalten. (NWG)
44
Born To Run
Bruce Springsteen
Columbia, 1975
Er sei während der Aufnahmen gestorben und wiedergeboren, sagte Springsteen später. Zeit dafür war genug, denn er arbeitete ein Jahr daran. Der Titelsong war 1974 schon an Radiosender verschickt worden. Springsteen holte Steven Van Zandt und Jon Landau hinzu, änderte die Arrangements. Als die Platte fertig war, warf er das Acetat wütend in den Pool. (AW)
43
The Queen Is Dead
The Smiths
Rough Trade, 1986
Der Titel des dritten Smiths-Albums war seiner Zeit um 36 Jahre voraus. Auch die Lage des Landes in der eiskalten Thatcher-Ära, die Morrissey im Titelsong besingt, ist heute ähnlich prekär, seine eigene allerdings hat sich verschlechtert. So originell wie auf dieser Platte hat er nie wieder getextet, so virtuos wie bei diesen Tracks hat Johnny Marr nie wieder die Sixties belehnt. (MB)
42
The Miseducation Of Lauryn Hill
Lauryn Hill
Ruffhouse/Columbia, 1998
Mit ihrem Solodebüt wurde die Ex-Fugees-Sängerin Lauryn Hill 1998 zum letzten Soul-Superstar des 20. Jahrhunderts. Ein Album von dringlicher Sozialkritik und alles umarmender Spiritualität, vorgetragen im weichen Patois der Karibik, gehalten und getrieben von den avanciertesten Beats jener Zeit, scharf zugefeilt und wunderbar groovend. (JB)
41
Harvest
Neil Young
Reprise, 1972
Neil Young hat sehr viele Platten und sehr viele sehr gute gemacht, aber „Harvest“ ist die erfolgreichste und die bekannteste. Die Straßenmusiker spielen am liebsten „Heart Of Gold“. Young selbst spielt gern „Old Man“ und „The Needle And The Damage Done“. In den letzten Jahren wurde das bizarre „A Man Needs A Maid“ überraschend populär, etwa bei Dave Gahan und den Tindersticks. (AW)
40
The Dark Side Of The Moon
Pink Floyd
Harvest, 1973
Mit diesem Album lösten Pink Floyd sich endgültig von ihrer psychedelischen Phase und kondensierten ihre ausufernden Trip-Jams zu klaren Liedern. Das Album ist Waters’ erste große Kapitalismuskritik und eine mitfühlende Reflexion über den Tod. Der Star aber ist die Band, die Art-Rock-Jazz, Blues und Psychedelik unfassbar toll zusammenspielt. (JS)
39
Blue Lines
Massive Attack
Wild Bunch/Virgin, 1991
Eines der wichtigsten Alben der 90er-Jahre. Es dokumentiert die Geburtsstunde des TripHop, jenes bekiften, entschleunigten Grooves (hier am majestätischsten in „Daydreaming“), der nicht nur cool, sondern auch pathetisch und polyrhythmisch sein konnte: unsterblich in der zweiten Single des Albums, „Unfinished Sympathy“. Die Crew aus Bristol bleibt Maßstab für Downbeats. (SZ)
38
Are You Experienced
The Jimi Hendrix Experience
Track, 1967
Drei Singles waren schon erschienen, aber erst das Debüt bewies endgültig, was Hendrix über die zirzensische Live-Nummer hinaus musikalisch zu bieten hatte: Psychedelic, Blues, Jazz, Hardrock und eine Experimentierfreude, die alle elektroakustischen Errungenschaften der Zeit auf originäre Weise instrumentalisiert. So hat eine Gitarre nie zuvor geklungen. (FS)
37
Lemonade
Beyoncé
Parkwood, 2016
Das sechste Studioalbum der Queen of Pop ist eine Abrechnung mit dem ehebrechenden Jay-Z, an deren Ende die großzügige Versöhnung steht. Das Album, auch als Kurzfilm veröffentlicht, verwebt mit Adaptionen von Blues bis Rap, Features von Kendrick Lamar oder Jack White und Samples von Led Zeppelin bis Malcolm X auf höchstem Niveau politische und kulturelle Querverweise. (NWG)
36
Dummy
Portishead
Go! Beat, 1994
Von Triphop sprach noch niemand, als Beth Gibbons betörend schön zu außerirdisch anmutenden Samples von Geoff Barrow über Angst und Einsamkeit sang. Wenn man aus Bristol kam, war die Vertonung des Elends kein Kunstgriff. „Sour Times“, „Numb“ und „Roads“ schienen aber aus einer schwermütigen Zukunft zu kommen. War bald unheimliche Kunstvermissagen-Begleitmusik. (MV)
35
My Beautiful Dark Twisted Fantasy
Kanye West
Roc-A-Fella, 2010
Als der Zeiger auf der Genie-Wahnsinn-Waage noch (gerade so) in die richtige Richtung wies und Introspektion ihm noch halbwegs möglich war, kulminierten Kanyes Ambition, sein Größenwahn, sein Selbsthass, seine Fähigkeiten als Produzent und sein Geschmack als Kurator in diesem harten, heftigen, progressiven Hip-Hop-Album. (JJ)
34
Automatic For The People
R.E.M.
Warner, 1992
Nach „Losing My Religion“ zogen sich R.E.M. zurück und schufen in Rekordzeit ein Dutzend makellose Lieder über Magie und Verlust, Vergänglichkeit und Tod – mit den größten Melodien, den schönsten Orchesterarrangements (von John Paul Jones) und Texten voller Mitgefühl und Hoffnung. Es ist fast unfassbar, wie dem Quartett so ein Werk gelingen konnte. (BF)
33
When We All Fall Asleep, Where Do We Go?
Billie Eilish
Interscope, 2019
Eilish flüstert, und die ganze Welt hört zu: Als kreative Introspektive einer Teenagerin offenbart das daheim produzierte Album auf unkindliche Weise die Sorgen, Ängste und Wünsche der Generation Z – ein Segen für die Popwelt. Die Experimentierfreude mit ASMR-Anleihen deutet einen musikalischen Shift an, der sich nun nicht mehr aufhalten lässt. (KB)
32
Low
David Bowie
RCA, 1977
Den fahlen Weltraum-Vampir auf dem Cover hatte Bowie in Berlin bereits abgestreift. Mit Dreitagebart kam er in die Hansa Studios, wo er mit Krautrock im Ohr und Brian Eno am Pult aufgekratzten Avantgarde-Pop kreierte. „Sound And Vision“ mit Synth und Saxofon – nie mehr gestattete sich der Regisseur seines eigenen Mythos so viel Narrenfreiheit wie hier. (FP)
31
Purple Rain
Prince And The Revolution
Warner, 1984
Der Meilenstein des Funk-Rock, die Vereinigung von Schwarz und Weiß, der Titelsong eine Springsteen-Hommage und „When Doves Cry“ jener legendäre „Tanzflächen-Geniestreich ohne Bass“. Für die Textzeile „I met her in a hotel lobby, masturbating with a magazine“ aus „Darling Nikki“ wurde damals der „Warning: Explicit Lyrics!“-Sticker als Warnhinweis eingeführt. (SN)
30
Highway 61 Revisited
Bob Dylan
Columbia, 1965
Bob Dylan präsentiert das Pop-Album als geschlossenes Kunstwerk. Viele werden ihm folgen. Die Songs beschreiben eine wilde Reise durch die surreal verfremdeten Vereinigten Staaten. Der Songwriter, nicht länger Protestsänger, sondern ein hedonistischer New Yorker Hipster und Dichterfürst, erzählt den amerikanischen Traum auf LSD. (MB)
29
I Never Loved A Man The Way I Love You
Aretha Franklin
Atlantic, 1967
Ihr erstes Album mit dem Produzenten Jerry Wexler und das erste, bei dem sie weitgehende künstlerische Freiheit genoss, war ihr bis dahin erfolgreichstes. Gekrönt von Arethas Interpretation des Otis-Redding-Songs „Respect“, bei dem sie die Geschlechterrollen tauschte und das Lied zur Hymne der Bürgerrechtsbewegung machte. (SZ)
28
Songs In The Key Of Life
Stevie Wonder
Tamla, 1976
Aus einem Füllhorn afroamerikanischer Musik durchdringt Wonder in 21 Songs Schlüsselmomente menschlicher Existenz: Freude und Schmerz, Liebe und Hass, Geburt und Tod, Sehnsucht nach Transzendenz, Erkenntnis, Gerechtigkeit. Hier fühlt sich das Schwere oft leichter an, als es ist – und das Leichte nie banal. 104 magische Minuten, keine zu viel. (JF)
27
Unknown Pleasures
Joy Division
Factory, 1979
Ian Curtis singt von Selbsthass, Verzweiflung und Scham. Seine Stimme und die Musik seiner Band – den singenden Bass von Peter Hook, die splittrige Gitarre von Bernard Sumner, das sonderbar stolpernde Schlagzeug von Stephen Morris – stellt der geniale Produzent des Albums, Martin Hannett, in gewaltige, kalt hallende Räume hinein. Ein Album, das Leben verändert. (JB)
26
Trans Europa Express
Kraftwerk
Kling Klang, 1977
Die Schiene als Zukunft der Mobilität? Hier ist sie, bereits 1977: Ach, wäre das echte Europa doch nur so ordentlich, so endlos und so wohlklingend wie der Synthanorma Sequenzer, der als elektronischer Zugwurm über die Platte stampft. Die trockenen menschlichen Stimmen der Düsseldorfer sind auf ihrem sechsten Album, „Trans Europa Express“, nur noch da, um daran zu erinnern, dass vor der KI-Musik die frisierten Mensch-Maschinen Florian Schneider, Ralf Hütter, Wolfgang Flür und Karl Bartos die Beats bastelten. (ZYL)
25
Sign O’ The Times
Prince
Warner, 1987
Seinen größten Triumph formte Prince aus den Trümmern zweier gescheiterter Beziehungen: Er hatte sowohl seine Geliebte Susannah Melvoin als auch seine Band The Revolution verloren. Die Zerrissenheit spiegelt sich in diesem Doppelalbum wider, das den 28-Jährigen gleichermaßen als treuen Ehemann („Adore“) wie als Aufreißer („Hot Thing“) präsentiert. Prince trug eine Brille und Gewänder, er wollte wie sein Vorbild Stevie Wonder als politischer Künstler wahrgenommen werden – was ihm mit dem Titelsong auch gelang. (SN)
24
The Rise And Fall Of Ziggy Stardust …
David Bowie
RCA, 1972
Nach Folk, bluesigem Hardrock und Art-Pop konsolidiert sich Bowies Stilfindungs-Phase (vorübergehend) im Glam Rock. Inhaltlich hält das Quasi-Konzeptalbum über den vom Himmel gefallenen androgynen Rocker Ziggy Stardust auch Popkultur und Starkult den Spiegel vor. Musikalisch kongenial von Gitarrist, Pianist und Streicher-Arrangeur Mick Ronson unterstützt, verschmilzt Bowie Protopunk mit Hardrock und frühem Rock’n’Roll, darüber wie Sternenstaub der alles verbindende Pop. (FT)
23
OK Computer
Radiohead
Parlophone, 1997
Nichts hatte die Verpuppung vorweggenommen: Radiohead hatten nach zwei Alben begriffen, was sie nicht mehr wollten, und machten ein Album mit allem, was übrig blieb. Die Dekonstruktion, der Verzicht auf Formeln, die immense kreative Freiheit, all das hat auch ein Vierteljahrhundert später nichts an Kraft eingebüßt. Zumal man im Rückblick begreift, dass das Album die Kälte, Anonymität und Paranoia des digitalen Zeitalters vorwegnahm. Im Mittelpunkt steht natürlich Thom Yorke, der den Schock der modernen Monade direkt in Gesang verwandelt.
JS
22
Curtis
Curtis Mayfield
Curtom, 1970
Zwischen der Bestandsaufnahme einer von Krieg, Rassismus, Sexismus, Umweltzerstörung und Drogen erschütterten Gesellschaft „(Don’t Worry) If There’s A Hell Below We’re All Going To Go“ und der erhebenden Hymne „Move On Up“ bewegt sich das erste Soloalbum von Curtis Mayfield. Der Mann mit der hohen Stimme und dem sanften Auftritt hatte mit den Impressions einen eigenständigen urbanen Soul-Sound entwickelt – elegant und Pop-affin, zugleich tief im Gospel verwurzelt und zunehmend politisch. Als einer der ersten schwarzen Künstler reklamierte er 1968 mit der Gründung seines eigenen Labels, Curtom, die volle Souveränität über seine Produktionen. Auf „Curtis“ entwickelte er einen singulären Klangkosmos – vielschichtig, funky und filigran, stets mit der für Chicago so typischen opulenten Leichtigkeit und Fülle an Texturen, orchestriert mit satten Streicher- und Bläsersätzen, Harfen und Percussion –, der sich auch heute noch jeder nostalgischen Anverwandlung entzieht. Der Mayfield-Sound lässt sich allenfalls als Sample reproduzieren. (FRANK CASTENHOLZ)
21
Kind of Blue
Miles Davis
Columbia, 1959
Miles Davis wird oft zugeschrieben, mit dem berühmtesten Jazz-Album der Welt die modale Spielweise begründet zu haben, die sich an ruhenden Akkorden und ihren Tonleitern ausrichtet, anstatt an komplizierten Melodien. Bereits auf dem 1958 in Paris improvisierten Soundtrack für Louis Malles Noir-Krimi „Fahrstuhl zum Schafott“ kann man hören, wie Miles nicht so sehr harmonische Wechsel, sondern filmische Stimmungen spielt. Doch „Kind of Blue“ arbeitet immerhin mit Skizzen von Songs, wenn auch keine schnellen, sondern nur mittlere und langsame. Dies ermöglicht es jedem Akkord, sich in jede Ritze des Raums zu schleichen und ihn vollständig auszufüllen, ähnlich wie eine Schauspielerin.
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Der Grund, warum es keine festen Regeln für diese Platte gibt, liegt an der herausragenden Band, die alles verwandelt. Im Studio sind neben Paul Chambers am Bass und Jimmy Cobb am Schlagzeug nur Stars vertreten: John Coltrane am Tenor-Sax, bereits ein Bandleader in seinem eigenen Recht und bekannt für das Brechen von Schallmauern; Cannonball Adderley am Alt-Sax, der Coltranes Höhenflug einfängt und ihm den bluesigen Boden zeigt; der impressionistische Pianist Bill Evans, der die Band bereits verlassen hatte, bevor Miles ihn spontan ins Studio holt – zum Erstaunen von Wynton Kelly, der nur auf „Freddie Freeloader“ Klavier spielt. Diese Konstellation sprüht vor Energie. Stücke wie „So What“ oder „All Blues“ sind Standards in Jam-Sessions, da sie einfach zu spielen sind – bis die Solos beginnen, dann wird es für die Durchschnittsmusiker schwierig. Aber genau hier hebt diese Band ab. Es ist unfassbar, dass die Hälfte von ihnen zu dieser Zeit noch Heroin konsumiert hat.
(TOBI MÜLLER)
Copyright: Michael Ochs Archives
20
Tapestry
Carole King
Ode, 1971
Carole King ist eine Pionierin im Bereich des Singer-Songwriter-Genres. Sie interpretierte das Stück „You’ve Got a Friend“ elf Jahre später (und mittlerweile von Gerry Goffin geschieden) selbst, in einer entschleunigten, melancholischen Pianofassung – mit Backing Vocals von Joni Mitchell (die gerade im benachbarten Studio ihr Meisterwerk „Blue“ aufnahm) und James Taylor.
James Taylor, der auf „Tapestry“ Akustikgitarre spielte, nahm „You’ve Got a Friend“ ebenfalls auf und veröffentlichte es als Single. Seine Version wurde zu einem Nummer-eins-Hit und gewann 1972 einen Grammy als „Song of the Year“. Carole King gewann ihrerseits bei derselben Verleihung gleich vier Auszeichnungen. „Tapestry“ markierte ihren Durchbruch als Künstlerin und war das erste Album, das den Grammy in der Kategorie „Album of the Year“ gewann.
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Nach ihrem kaum beachteten Debüt „Writer“ (1970) wurde sie endlich als Künstlerin adäquat gewürdigt und erhielt Anerkennung für ihre musikalische Begabung. Carole King war die erste Frau, die den Grammy in der Kategorie „Album of the Year“ gewann.
(INA SIMONE MAUTZ)
Copyright: Michael Ochs Archives
19
To Pimp a Butterfly
Kendrick Lamar
TDE/Interscope, 2015
Das virtuose Album umarmt die Geschichte der afroamerikanischen Musik und entwickelt daraus eine Vision für die Zukunft. Jedes Stück ist übervoll mit persönlichen Referenzen und kulturellen Anspielungen – die für Europäer allerdings nicht immer leicht zu verstehen sind. Doch der Funk von „King Kunta“ nimmt einen ebenso mit wie das hoffnungsvolle Mantra „Alright“. Im Prinzip geht es um Entwicklung, Wachstum und Transzendenz der schwarzen Community – von der Raupe zum Schmetterling.
Das außergewöhnliche Cover zeigt den Rapper und einige seiner Freunde in Siegerpose vor dem Weißen Haus, am Boden ein weißer Richter, der offensichtlich nicht mehr viel zu melden hat. Auch mit „The Blacker the Berry“, das sich auf die rassistischen Vorfälle in Ferguson 2014 bezieht, positioniert sich Kendrick Lamar in der langen Tradition afroamerikanischer Musiker, die sich mit Bürgerrechten und Rassismus auseinandersetzen.
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Doch bei aller zornigen Anklage vertritt der Rapper auch eine höhere Moral, beklagt seine eigene Schuld, damals in den Gangs von L.A.: „So, why did I weep when Trayvon Martin was in the street/ When gangbanging make me kill a nigga blacker than me? Hypocrite!“ Ein großer amerikanischer Poet. (ROBERT ROTIFER)
18
London Calling
The Clash
CBS, 1979
„Phoney beatlemania has bitten the dust“, sang Joe Strummer typisch arrogant im apokalyptisch stampfenden Titelstück zur Einleitung des dritten und besten Clash-Albums. Dabei war die Entscheidung der Band, ausgerechnet Guy Stevens als Produzent zu verpflichten, ein implizites Eingeständnis der wahren Kontinuität hinter dem Punk-Mythos der Stunde null. Jener manische Alkoholiker, der während der Studiosessions zwecks Vermittlung der richtigen Rock’n’Roll-Attitüde mit Sesseln warf, hatte nämlich eine Dekade zuvor als der wohl einflussreichste DJ der Londoner Sixties-Szene mit seiner legendären Plattensammlung Leute wie The Who, die Stones und die Beatles zum Tanzen gebracht bzw. mit Inspirationen versorgt.
(weiterlesen auf nächster Seite)
Auf „London Calling“ gab Stevens The Clash nun Lizenz und Mut, von allen Quellen der Weisheit zu trinken, sei es Rockabilly („Brand New Cadillac“), Swing („Jimmy Jazz“), Bo-Diddley-Beat („Hateful“), Reggae („The Guns Of Brixton“, „Revolution Rock“), Ska („Rudie Can’t Fail“, „Wrong ‚Em Boyo“), Disco („Train In Vain“) oder Phil-Spector-Bombast („The Card Cheat“). Das Ergebnis war ein schludrig-spontanes Feuerwerk der Ideen und Stile. Kulturelle Aneignung hat nie besser geklungen. (ROBERT ROTIFER)
Copyright: Getty Images/Michael Putland
17
A Love Surpreme
John Coltrane
„Göttlich: John Coltrane ‚It was like Moses coming down from the mountain‘“, sollte Alice Coltrane später zu dem Saxofonisten Branford Marsalis sagen. Im Spätsommer 1964 hatte John Coltrane sich für knapp zwei Wochen in der Dachetage über der Garage seines Hauses in Dix Hills auf Long Island abgeschottet – auch vor seiner eigenen Familie. Jetzt stand er vor seiner Partnerin und verkündete, er habe endlich die vierteilige Suite geschrieben, zu der ihn bereits 1946 eine Vision inspiriert hatte.
Gleich mit dem eröffnenden Gongschlag wird klar, dass hier mit allen Regeln des Jazz im Namen eines höheren Ziels gebrochen wird. „A Love Supreme“ ist die Verneigung eines Giganten vor seinem Schöpfer. Ein Gebet, eine Versenkung und Danksagung. Jazz als spiritueller Ausdruckstanz, der soundgewordene Pfad aus dem Dunkel ans Licht.
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Und es passt damit in die Zeit der Suche einer Generation nach einem Gegenentwurf zur bestehenden Gesellschaft. Pop-Texte handeln von alternativen Lebensentwürfen, individueller Freiheit und immer öfter auch von spiritueller Erleuchtung. „A Love Supreme“ ist das erste Jazz-Album, das verkauft und gehört wird wie eine Pop-Platte. All praise to God.
(ERIC PFEIL)
Copyright: Bettmann Archive/Bettmann
16
Hounds Of Love
Kate Bush
EMI, 1985
Kate Bush ist die Königin, und ihr fünftes Album, „Hounds Of Love“, ist ihr Meisterwerk (und, wie diese Liste zeigt, das beste Album der Achtziger). Es enthält die eingängigsten und am kunstvollsten gewirkten Songs ihrer Karriere, „Running Up That Hill (A Deal With God)“ und „Cloudbusting“, das wuchtige „The Big Sky“ und das herzzerreißend zarte Klagelied „Mother Stands For Comfort“. Kate Bush ist hier auf dem Höhepunkt ihrer Kunst als Songwriterin.
(weiterlesen auf nächster Seite)
Zugleich gebraucht sie die neue Technologie des Samplings, um die erstaunlichsten Sounds zu erzeugen – und vor allem um ihren exaltierten Gesang zum Material zu machen, um mit sich selbst im Chor zu singen. „Hounds Of Love“ zeigt eine Künstlerin, die sich in eine Vielzahl von Identitäten und Rollen aufzuspalten versteht – und die am Ende doch alles zu einem Gesamtkunstwerk verbindet, einem schillernden Bild künstlerischer Authentizität. (JENS BALZER)
Copyright: Dave Hogan/Dave Hogan
15
Blood On The Tracks
Bob Dylan
Columbia, 1975
Gleich zwei Versionen sind im Angebot, wie es zu diesem wundersamen Werk kam, das als Dylans vielleicht überraschendste und überzeugendste literarische Arbeit gelesen werden kann. Wie war das noch? Bob war mit Anfang zwanzig Folkstar gewesen, mit Mitte zwanzig Superrockstar. Danach hatte er seinen Vorruhestand auf dem Land und dann sein Comeback, wieder als Superrockstar, gehabt. Jetzt war Dylan Mitte dreißig, und seine Ehe mit Sara Lownds war kaputt. Er war wieder nach New York gezogen, seine Ehe war kaputt, er interessierte sich für viel, besuchte Kunstkurse, ging aus, traf Leute, und – hatte ich das schon erwähnt? – seine Ehe war kaputt. Die Lieder, die diese Phase für ihn und uns abwirft, sind epische Erzählungen, die jede Struktur von Zeit und Raum auflösen, sind Mathematik und Schmerz. Auch wenn man nichts weiß, hört man Schmerz wie einen knarzenden Fußboden in jeder Sekunde des Albums. Die Mathematik hingegen liegt im Personal.
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14
Is This It
The Strokes
RCA, 2001
Für eine Band, über die selbst ihre Bewunderer sagen, dass Originalität nicht zu ihren Qualitäten gehört und sie im Kern Retro sei – für so eine Band ist es erstaunlich, dass es niemanden gibt, der klingt wie sie. Niemand klingt wie die Strokes. Weder unter den reflexhaft als Vorbild genannten CBGB-Bands der Siebziger – gibt es wirklich einen Television-Song, der so klingt wie „Someday“ oder „Last Nite“? – noch unter den in den frühen Nullerjahren industriell angefertigten „The“-Bands. Niemand klingt wie sie. Weil keiner außer ihnen die so elegant zusammenspielenden E-Gitarren von Albert Hammond Jr. und Nick Valensi hat, deren Rhythmus-und-Lead-Wechselspiel man übellaunigen Aliens zeigen könnte, um ihnen einen Grund zu geben, die Menschheit trotz allem doch nicht zu eliminieren.
Niemand außer den Strokes hat Julian Casablancas, diesen lakonisch-sardonischen Charmeur, der vom Desinteresse eines Too-cool-for-school-Rockers mühelos zur emotionalen Vehemenz eines Sixties-Soulsängers oder gar ins Falsett wechselt. (Und das hat der ständig als Vorbild genannte Lou Reed nie gemacht!) Melodien fliegen Casablancas nur so zu, als wäre es das Einfachste auf der Welt, catchy und cool zu sein.
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Für eine Band, über die selbst ihre Bewunderer sagen, dass Originalität nicht zu ihren Qualitäten gehört und sie im Kern Retro sei – für so eine Band ist es erstaunlich, dass es niemanden gibt, der klingt wie sie. Niemand klingt wie die Strokes. Weder unter den reflexhaft als Vorbild genannten CBGB-Bands der Siebziger – gibt es wirklich einen Television-Song, der so klingt wie „Someday“ oder „Last Nite“? – noch unter den in den frühen Nullerjahren industriell angefertigten „The“-Bands. Niemand klingt wie sie. Weil keiner außer ihnen die so elegant zusammenspielenden E-Gitarren von Albert Hammond Jr. und Nick Valensi hat, deren Rhythmus-und-Lead-Wechselspiel man übellaunigen Aliens zeigen könnte, um ihnen einen Grund zu geben, die Menschheit trotz allem doch nicht zu eliminieren.
Niemand außer den Strokes hat Julian Casablancas, diesen lakonisch-sardonischen Charmeur, der vom Desinteresse eines Too-cool-for-school-Rockers mühelos zur emotionalen Vehemenz eines Sixties-Soulsängers oder gar ins Falsett wechselt. (Und das hat der ständig als Vorbild genannte Lou Reed nie gemacht!) Melodien fliegen Casablancas nur so zu, als wäre es das Einfachste auf der Welt, catchy und cool zu sein.
Das Ding ist: Für Casablancas war es das Einfachste auf der Welt. Weil er jung und vermögend war, ein Rich Kid, das Boheme spielte? Ist es die Überheblichkeit der herrschenden Klasse, die da so lässig ins Mikrofon croont? Vielleicht, aber diese Bachelor-Arbeit müssen andere schreiben. Die Songs – „Hard To Explain“, „Barely Legal“, „New York City Cops“ – sind über jeden Zweifel erhaben. (JAN JEKAL)
Copyright: Getty Images/Kevin Winter
13
Blue
Joni Mtichell
Reprise, 1977
Anders als einige ihrer männlichen Kollegen pflegt Joni Mitchell keine Kultur der Wehleidigkeit. Die von Elvis Costello geprägte „’Fuck me, I’m sensitive‘ Jackson Browne school of seduction“ hat sie zwar besucht, aber schnell wieder verlassen. Auf ihrer vierten Platte betritt sie eine Ebene, auf der Herz und Intellekt eins werden. Vielleicht glühen diese Songs deshalb länger nach als die vieler Bekenntnisalben jener glorreichen Songwriter-Ära. Abgesehen davon, dass Mitchell mit „Blue“ neue, teils bis heute unerreichbare Standards in Sachen Phrasierungskunst und Originalität auf diversen Saiteninstrumenten setzte, rauben einem die zehn Stücke auch nach unzähligem Hören den Atem. Kaum jemand hat so befreit über die Liebe geschrieben, niemand so befreiend über die Suche nach dem wahrhaften Gefühl gesungen.
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Mindestens die entwaffnende Selbstverortung „All I Want“, das zärtliche „Little Green“, der elegische Titelsong und die Heimweh-Ode „California“ gehören zum Besten, was die Kultur Nordamerikas hervorgebracht hat. Aber es sind „River“ und „A Case Of You“, mit denen man nicht fertig wird: die schale Harmonie der anderen, ein Abschiedsschmerz, eine Seelenverwandtschaft, das blaue Leuchten des Fernsehers und eine Karte von Kanada.
(MAX GÖSCHE)
Copyright: Redferns/Charlie Gillett Collection
12
Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band
The Beatles Parlophone, 1967
Nach den tumultartigen Tourneen des Jahres 1966 zogen die Beatles den Stecker. Sie wollten da nicht mehr raus. Sie reisten stattdessen nach innen. Sie wollten nicht mehr sie selbst sein. Sie erfanden das Sich-neu-Erfinden. Wie Gershwins „Rhapsody In Blue“ mehr als vierzig Jahre zuvor oder Kendrick Lamars „To Pimp A Butterfly“ fast fünfzig Jahre später zählt „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ zu den Werken, die die bis zu ihrem Erscheinen gültigen Definitionen populärer Musik infrage stellten und zeigten, welche radikalen Ausdrucksformen und Ambitionen sich auch innerhalb des sogenannten Mainstreams umsetzen ließen.
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Und „Sgt. Pepper“ ist selbstverständlich noch viel mehr als ein Album: Es ist eine kulturelle Ikone, eine Kombination aus Kunst, Mode, Drogen und Sinnsuche, ein wildes Spiel mit Referenzen und ein Bekenntnis zur Künstlichkeit, ein Spiegel seiner Entstehungszeit und die offizielle Eröffnung des Pop-Maskenballs, auf dem Identitäten verwischen, sich an- und ausziehen lassen. Ziggy Stardust und die Spiders From Mars sind ebenso direkte Nachfahren von Sergeant Pepper und seiner Lonely Hearts Club Band wie später die ständig wechselnden Alter Egos von Madonna oder Lady Gaga. Durch „Sgt. Pepper“ wurde die Popmusik bunt. A splendid time was guaranteed for all.“
(MAIK BRÜGGEMEYER)
Copyright: Getty Images/Mark and Colleen Hayward
11
Abbey Road
The Beatles
Apple, 1969
„Come Together“ steht am Anfang des letzten Albums, das die Beatles aufnahmen – zueinander zu finden war 1969 für die Band schwierig geworden. Doch trotz der Streitereien (und natürlich wegen des zurückgekehrten George Martin) kommt das Genie der Band auf ‚Abbey Road‘ auf eine unfassbare Weise zusammen. So trotzt die Musik ihren Schöpfern, die einfach nicht gelernt hatten, miteinander zu reden. Ein paar Lieblingsmomente: Wie ‚I Want You (She’s So Heavy)‘ bei 2:25 in ein Santana-artiges Latin Feel kippt. Wie sanft die Akustikgitarre den Anfang von ‚Here Comes The Sun‘ spielt – das
ganze Lied ist in zehn Sekunden erzählt. Wie toll
die Gesänge in den psychedelischen Akkorden von ‚Because‘ ineinanderfließen. Einfach die ganze erhabene Traurigkeit von ‚Golden Slumbers‘ – ein- einhalb ergreifende, von Streichern und Bläsern illuminierte Minuten. Da ist man mittendrin im besten Medley aller Zeiten: Statt unvollendete Lieder fertig zu schreiben, hängten McCartney und Martin acht Fragmente kunstvoll aneinander – auch wenn Lennon, der die ersten Aufnahmetage wegen eines Autounfalls verpasste, diese Idee nicht sonderlich mochte.
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„Abbey Road“ ist eines der Alben, die klangtechnisch die 70er-Jahre einläuten. Die unbehauene Produktionsästhetik der Sixties weicht hier einem feinen, wohltemperierten und warm komprimierten Sound – einem Sound, den man danach auf unzähligen Rock- und Pop-Platten hörte. „Abbey Road“ ist das Classic-Rock-Album der Beatles.
(JÖRN SCHLÜTER)
Copyright: YouTube/VEVO
10
Back To Black
Amy Winehouse
Island, 2006
Amy Winehouse wird von einem Londoner Insidertipp zum Weltstar. Jazz und Ska sind erst mal passé. R&B der traditionellen Schule kommt mit ihr im neuen Jahrtausend an. Der Girlgroup-Soul der 1960er steht Pate. Songs wie „Rehab“ (Alkohol) oder „Love Is A Losing Game“ (Herz/Schmerz) verbinden die Musik mit ihrem derben Privatleben zwischen Euphorie und Absturz.
Ein wahres, wildes Leben tragisch nah am „Live fast, die young“-Klischee des Rock’n’Roll, das ihren Vortrag so einzigartig macht. Und wie meist in großen Pop-Momenten spielt Style eine wichtige Rolle: die hochgetürmte Bienenkorbfrisur, ihre Tattoos in den Videos. Eine bittersüße Kombi, die ihr Produzentengespann gleichwohl in einen organisch leichtfüßigen Sound kleidet.
Salaam Remi war bereits beim Debüt, „Frank“, dabei. Nun unterstützt ihn kongenial Mark Ronson aus New York, der über sein DJ-Deck hinweg bereits Mainstream-Luft bei Großkalibern wie Christina Aguilera oder Robbie Williams schnuppern konnte. Remis „Tears Dry On Their Own“ kupfert mit melancholischem Gruß bei der Soundschule des Motown-Labels ab. Ronson wiederum vertraut auf kohärente Arrangements, die der wankelmütig selbstzerstörerischen Aura von Winehouse Halt geben.
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„We only said goodbye with words/ I died a hundred times/ You go back to her/ And I go back to black“, heißt es düster im Titelsong. Dieser nimmt ihre immerwährende Krise vorweg, aus der sie trotz all der Anerkennung mit Grammy Awards und Millionenverkäufen nicht herausfindet – Winehouse stirbt im Juli 2011 im Alter von 27 Jahren an einem fatalen Cocktail aus Pillen und Schnaps.
RALF NIEMCZYK
Copyright: Getty Images/Dan Kitwood
9
Horses
Patti Smith
Arista, 1975
Es ist nicht verbrieft, ob sich Patti Smith für ihr Debütalbum die Nächte über die Reihenfolge der Songs um die Ohren schlug. John Cale hatte „Horses“ ja bewusst stümperhaft produziert, um einen Klang zu bekommen, der die rohe Energie dieser jungen, ungestümen Künstlerin und ihrer fantastischen Band konservierte.
Aber was für ein Glücksfall ist es, dass ausgerechnet „Gloria: In Excelsis Deo“ in den Kosmos dieser demütigen Dichterin einführt, die durch magische Zufallsbegegnungen in einem New York zur Musik gelangte, dessen Ungeheuerlichkeit sie just genau zu der Zeit beschwor, als es langsam zu zerfallen begann. „Jesus died for somebody’s sins but not mine“, sprechsingt Smith, und wie könnte eine Platte mit einem stärkeren Leitspruch beginnen? Alles ist in dieser zwanglosen Van Morrison-Neubearbeitung schon da: das Wilde, das Lebensbejahende, die lyrische Hingabe, die Verneigung vor den literarischen und musikalischen Helden.
Smith bereitete die Welt auf das vor, was dann irgendwann Punk hieß. Sie misst sich furchtlos mit Bob Dylan, sie hypnotisiert sich selbst („Free Money“), sie faucht wie Lou Reed und kräht wie William S. Burroughs, sie hat die schwebenden, epischen Kompositionen („Birdland“, „Land“), sie kniet sich tief in ihre eigenen unruhigen Gefühle („Kimberly“), und wo ihre sich Lenny Kaye mit seiner ungestümen Gitarre für sie auf („Break It Up“).
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Smith bereitete die Welt auf das vor, was dann irgendwann Punk hieß. Sie misst sich furchtlos mit Bob Dylan, sie hypnotisiert sich selbst („Free Money“), sie faucht wie Lou Reed und kräht wie William S. Burroughs, sie hat die schwebenden, epischen Kompositionen („Birdland“, „Land“), sie kniet sich tief in ihre eigenen unruhigen Gefühle („Kimberly“), und wo ihre sich Lenny Kaye mit seiner ungestümen Gitarre für sie auf („Break It Up“).
Patti Smith musste den Namen ihres schriftstellerischen Helden Rimbaud nicht erwähnen, um ihre Ambitionen zu veräußern, „Horses“ musste nicht darauf aufmerksam machen, dass es ein Kunstwerk eigenen Ranges war.
Smiths Lebensmensch Robert Mapplethorpe kleidete dieses Geschenk für eine unruhige Generation, deren Götter bald verglüht sein sollten, mit einem Coverfoto ein, das in seiner Androgynität eines der aussagekräftigsten und persönlichsten in der Geschichte der Rockmusik sein dürfte.
(MARC VETTER)
Copyright: Lynn Goldsmith
8
Blonde On Bonde
Bob Dylan
(Columbia, 1966)
Die Cover mancher Platten sehen so legendär aus, dass man sie sofort kaufen möchte, ohne einen Song gehört zu haben. Das Foto mit dem Wuschelkopf Bob Dylans auf „Blonde On Blonde“ ist so legendär, weil der Fotograf Jerry Schatzberg es verwackelt hat. Natürlich sah Dylan, dass es genau richtig war für ein Album, auf dem die Hawks, nachmals als The Band und Dylans Begleitband berühmt, Al Kooper an der Orgel, Joe South und Charlie McCoy an den Gitarren und Hargus „Pig“ Robbins am Piano spielten. Die Aufnahmen begannen im Herbst 1965 in New York und wurden im Frühjahr 1966 in Nashville fortgesetzt.
Manche Platten möchte man sofort des Albumtitels und der Songtitel wegen kaufen, und auch solch eine Platte ist „Blonde On Blonde“: „Rainy Day Women #12 & 35“, „Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again“, „Temporary Like Achilles“, „Absolutely Sweet Marie“, „Leopard-Skin Pill-Box Hat“. Dann hört man das Album, und es haut einen um. Dergleichen hatte die Welt noch nicht gehört. Als hätte Thomas Pynchon Songs mit Hoagy Carmichael und John Coltrane geschrieben, so surrealistische, vollkommen grundstürzende und unabweisbare Gebilde. Aber auch ganz formstrenge, wunderschöne Lieder wie „Visions Of Johanna“ und „Just Like A Woman“, die klingen, als wären sie schon immer da gewesen.
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Dylan hatte einen Begriff für den Klang der Platte: „that thin, wild mercury sound“. Außerdem ist es das erste Doppelalbum überhaupt. Und auf der vierten Seite ist nur ein Song, „Sad Eyed Lady Of The Lowlands“.
Die Welt staunte und die Propheten wunderten sich.
(ARNE WILLANDER)
Copyright: Redferns/Val Wilmer
7
The Beatles
The Beatles
Apple, 1968
Alles ist weiß: das Cover. Das Rauschen. Das Gewand von Maharishi Mahesh Yogi. Der Bobtail von Paul McCartney, „Martha“. Die Zähne von Mia Farrows Schwester Prudence, die – nicht nur im übertragenen Sinne – drinnen, in ihrer Depression bleibt, statt rauszukommen, obwohl John sie so nett bittet: „Won’t you come out to play/ Greet the brand new day?“
Die Beatles sind auf dem Cover ihres 1968er-Albums nicht mehr zu sehen, nicht mal mehr, wie eine Platte zuvor, in Blaskapellen-Verkleidung. Vier Entitäten auf der Höhe ihres musikalischen Schaffens, die sich derart gut kennen, dass sie auch solo performen können, wie Paul (with a little help from Ringo) bei „Why Don’t We Do It In The Road?“, wie John beim Liebeslied für seine Mutter, „Julia“, über deren Verlusttrauma er sich erst mit Yoko Onos Hilfe bewusst wurde: „When I cannot sing my heart/ I can only speak my mind.“
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6
Pet Sounds
The Beach Boys
Capitol, 1966
„We’ve evolved 800 percent in the last year“, hatte Brian Wilson errechnet. Tatsächlich konnte der Evolutionssprung von „Barbara Ann“ zu „Good Vibrations“ binnen eines knappen Jahres nicht gewaltiger sein. Und dazwischen lag sein Opus magnum, ein Beach-Boys-Album, das mehr war als die Summe von Hitsingles. Ein künstlerisches Statement, hochambitioniert, über Monate ertüftelt und perfektioniert vom begnadeten Musikus.
Kein radikaler Bruch mit der Bandtradition allerdings, denn das größte Pfund, mit dem Brian zu wuchern verstand, blieb die überragende Gesangsleistung des Quintetts. Auf den Schwingen dieser Harmonies trafen seine Songs sicher ihr Ziel, nicht konzeptionell befrachtet und doch klug eingebunden in den Rahmen eines Gesamtwerks.
Eingangs bekennt sich „Wouldn’t It Be Nice“ zu unkeuschen Träumen, verschiebt deren Erfüllung aber auf ein späteres Ehegelöbnis. Das Plädoyer für jugendliche Enthaltsamkeit schoss in die US-Single-Charts, während im UK die Rückseite reüssierte, ein feierlicher Liebesschwur für die Ewigkeit: „God Only Knows“.
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Soulsearching betreibt der von Selbstzweifeln geplagte Songwriter auf „I Just Wasn’t Made For These Times“, das melodisch robust gesponnene Seemannsgarn „Sloop John B“ erschien manchem Fan indes eher als Fremdkörper auf einer LP, deren Rezeptionsgeschichte ohnehin alles andere als linear verlief.
„Pet Sounds“ hatte zwar von Anfang an begeisterte Fürsprecher, darunter auch etliche Musikerkollegen, aber Brian Wilson musste Jahre warten, bis sein Geniestreich auch in Kritikerkanons endlich die gebührende Anerkennung fand.
(WOLFGANG DOEBELING)
Copyright: Michael Ochs Archives
5
Rumours
Fleetwood Mac
Warner, 1977
An „Rumours“ kam damals selbst die hiesige Intelligenzija nicht vorbei. So erkannte die von Hans Magnus Enzensberger herausgegebene Zeitschrift „Kursbuch“ in ihrer „Jugend“-Ausgabe nach der erwartbaren Mäkelei über zu viel US-Politur ohne echten Tiefgang immerhin „modernen Pop-Realismus“. Dabei war es ja genau andersherum, und genau das war die Kunst der Band: Fleetwood Mac verwandelten „Trauma, Trauma“ (Christine McVie) in radiofreundliche Begleitung für den Alltag, ohne dessen dunklen Kern zu verleugnen.
Denn die Realität bestand für das untereinander oft stumme Quintett zu diesem Zeitpunkt darin, ihr Beziehungschaos in und über ihre Musik zu verhandeln, gefüttert auch von nicht unbedingt den Realitätssinn stärkenden Koks-Linien, die von Kalifornien bis Alaska gereicht haben dürften.
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Auf dem Cover posieren Mick Fleetwood und Stevie Nicks. Doch trotz „Dreams“ (ihrer einzigen US-Nummer-eins) ist „Rumours“ vor allem das Album von Lindsey Buckingham, der schon die Vorabsingle „Go Your Own Way“ mit einem Trademark-Solo antrieb und stets seine Vision des perfekten Pop vor Augen hatte, und nicht zuletzt das der wunderbaren Christine McVie, die ihren Ex bespöttelte („You Make Loving Fun“), den Chef in sanftem Sarkasmus badete („Oh Daddy“), zwischendurch einen Liebesstrahl wie von einem anderen Stern schickte („Songbird“) und mit „Don’t Stop“ sogar noch Luft für ein bisschen Zukunft hatte.
Die Kritik erklärte „Rumours“ schon 1977 weitestgehend zum Klassiker, und der wurde das Album dann auch. Nur Robert Hilburn („L.A. Times“) hörte eine „frustratingly uneven“ Platte. Vermutlich hatte er zu viel Adorno gelesen.
(JÖRG FEYER)
Copyright: Getty Images/Frank Edwards
4
Nevermind
Nirvana
DGC, 1991
Als im Spätsommer 1991 zunächst Metallica ihr „Black Album“ und Guns N’ Roses das Geschwisterplattenduo „Use Your Illusion“ veröffentlichen, reibt sich die Musikpresse ob des erwarteten Gigantenkampfs zwischen Heavy Metal und Hardrock bereits die Hände. Dass letztlich „Nevermind“, das am 24. September veröffentlichte zweite Album eines Underdog-Trios aus dem Bundesstaat Washington, diejenige Platte ist, die die Musiklandschaft revolutionieren, die Gitarrenmusik um den Genrebegriff „Grunge“ erweitern und weltweit die Charts dominieren wird, ahnt damals noch nicht einmal die Band selbst.
Was wohl auch der eklatante Unterschied zum bis dato vorherrschenden Rockstar-Lebensentwurf ist: Nirvana wollten nie primär berühmt werden, sondern einfach nur ihr Ding machen. Und das ist im Fall von „Nevermind“ die dynamisch wilde Vision, Punk und harten Rock mit der Melodieverliebtheit der Beatles zu kreuzen. Mit Dave Grohl als Schlagzeuger-Neubesetzung, einem Major-Label im Rücken und Butch Vig am Neve-Pult navigiert Kurt Cobain – Sänger, Gitarrist, Songschreiber und künftiger Alternative-Rock-Antiheld – sensibel und krawallig zugleich durch einen Emotionalsturm aus introspektiven Texten und ergreifenden Hooks.
„Smells Like Teen Spirit“ gerät zur ersten Single-Hymne der Generation Grunge. Es folgen weitere („Come As You Are“, „Lithium“, „In Bloom“). Dabei darf man ruhigere Deep Cuts wie „Polly“ oder „Something In The Way“ keineswegs unterschlagen. Den anfangs vom Label erhofften Absatz von 250.000 Einheiten hat „Nevermind“ gleich hundertfach übertroffen.
(FRANK THIESSIES)
Copyright: Redferns/Paul Bergen
3
Revolver
The Beatles
Parlophone, 1966
Eigentlich hätten die Beatles in der ersten Hälfte des Jahres 1966 ihren dritten Spielfilm drehen sollen: eine Westernkomödie nach Richard Condons Roman „A Talent For Loving“. Doch Manager Brian Epstein lehnte das Drehbuch ab (das dann schließlich 1969 mit Richard Widmark in der Hauptrolle verfilmt wurde), sodass die Beatles plötzlich unerwartet viel Zeit hatten, um sich auf die Produktion ihres nächsten Albums zu konzentrieren.
Sie verbrachten im Frühjahr 1966 etwa 220 Stunden im Studio, während es bei dem im Dezember 1965 erschienenen Vorgänger, „Rubber Soul“, gerade mal 80 Stunden gewesen waren. Ihre musikalischen Ideen wurden komplexer, ihre Forderungen wurden anspruchsvoller, ihr Produzent George Martin war nun nicht mehr alleinige Autorität im Kontrollraum, sondern ebenso wie der junge Toningenieur Geof Emerick vor allem ein Erfüllungsgehilfe.
Treibende Kräfte waren dieses Mal Paul McCartney und George Harrison. Bisher im Schatten des durch depressive Verstimmungen und die Wirkung von LSD nun allmählich weniger produktiven Bandleaders John Lennon, erblühten seine Juniorpartner und entfalteten ihre musikalischen Persönlichkeiten. Harrison brachte seine Leidenschaft für indische Musik ein, McCartney seine Liebe zu Music Hall und Motown und sein neu gewecktes Interesse an der Avantgarde. Die größte Entgrenzung stieß allerdings Lennon selbst mit „Tomorrow Never Knows“ an. Dieses sich mithilfe seiner Freunde zu einem psychedelischen Drone entwickelnde Ein-Akkord-Stück war der erste Song, den die Beatles für das neue Album aufnahmen, und er gab die Richtung vor.
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„Revolver“ ist das radikalste Album der Beatles, oszilliert in gerade mal 35 Minuten zwischen indischem Raga, Motown-Soul, Kammermusik und Acid Rock, Kunst- und Kinderlied, Musique concrète und Prä-Rock-’n’Roll-Balladen. Alles war möglich, und alles gelang. Trotzdem galt es bis in die Neunziger hinein bei Kritikern (und, was die Verkäufe angeht, auch bei Fans) weniger als die Nachfolger „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, „The Beatles“ und „Abbey Road“. Ein Grund dürfte sein, dass in den USA 1966 eine um drei (Lennon-)Stücke gekürzte Version des Albums erschien, die wiederum in dem Tumult um Lennons Äußerung, die Beatles seien populärer als Jesus, unterging. Für nachfolgende Generationen – vor allem für die durch die „Beatles Anthology“ Mitte der Neunziger angefixte Britpop-Generation – ist das, die Energie der frühen und die Experimentierfreude der späten Beatles vereinende Werk, zu Recht das Nonplusultra der Fabness.
(MAIK BRÜGGEMEYER)
Copyright: Getty Images/Mark and Colleen Hayward
2
What’s Going On
Marvin Gaye
Motown, 1971
Im letzten 500er-Ranking unserer US-Kollegen belegte „What’s Going On“ Platz 1. Der war in den vergangenen Jahrzehnten immer für „Pet Sounds“, „Blonde On Blonde“ oder ein Album der Beatles reserviert. Nun, „What’s Going On“ ist so etwas wie das „Sgt. Pepper’s“ des Soul, aufgeladen mit einem erstarkten afroamerikanischen Selbstbewusstsein. Es ist ein politisches Album, aber vor allem ein Album, das die Sprache und Harmonie des Rhythm & Blues erweiterte, das sich vom Uptempo-Sound der Motown-Hitfabrik emanzipierte, Jazz hineinließ und Soul neu definierte.
Marvin Gayes erstes selbst produziertes Album markiert Anfang der 70er-Jahre eine Zeitenwende in der Popmusik. Als er 1970/71 „What’s Going On“ aufnimmt, hat er eine tiefe Schaffenskrise überwunden, ist die gleichnamige Single entgegen den Erwartungen seines Chefs Berry Gordy in den USA ein Nummer-eins-Hit geworden. Der den Katzenjammer nach der Euphorie der Bürgerrechtsbewegung und die Tragödie von Vietnam reflektierende Song kommt auf Samtpfoten daher, ist in einen orchestralen Flow gehüllt, von einem weichen Bass geführt, vereint auf bis dahin ungehörte Weise Soul und Jazz. Und über allem Gayes leidenschaftliches Falsett.
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Im Studio arbeitet er erstmals weitgehend allein mit seinen Musikern, er ist Autor und Produzent und frei wie nie zuvor. Das Album variiert diese Grundstimmung, thematisiert gesellschaftspolitische Fragen, lässt die Musik elegant und deep in einen besseren Morgen grooven. Und selbst ein die Umweltzerstörung anprangernder Song wie „Mercy Mercy Me“ klingt wie ein Liebeslied.
Marvin Gaye ist einer der ersten afroamerikanischen Künstler, die das Format Album als Kunstform nutzten und sich durch die Arbeit daran überhaupt erst wirklich als Künstler entdeckten. „What’s Going On“ steht für eine Freiheit, die Generationen von Musikern und Musikerinnen den Weg bereitete. Und: Es ist ein unwahrscheinlich bewegendes Album.
(SEBASTIAN ZABEL)
Copyright: Getty Images/Paul Natkin
1
The Velvet Underground & Nico
The Velvet Underground & Nico
Verve, 1967
Der Anfang von Underground-Musik, wie wir sie kennen. Inzwischen ist uns ihre Klangsprache vertraut, damals war sie ganz neu: Der Sound ist roh, garagig und relativ monoton, die Musik klingt, als könnte man sie anfassen. Leicht versetztes Schlagzeug. Zwei Akkorde, abwechselnd über die Gitarre gezogen. Ein einziger Ton, der den ganzen Song lang dröhnt. Darüber Lou Reed, der halb spricht, halb singt: über Drogen, gescheiterte Existenzen, Lack-und-Leder-Sex, die Sonntage und Montage nach wilden Partys, an denen man sich in einen heulenden Clown verwandelt. Über das Warten im falschen Stadtviertel, das süße Nichts … Gut, „Oh! Sweet Nuthin’“ war auf einem anderen Album, aber hören kann man es doch, das Nichts, zwischen den Songs, auf dem Debüt der Velvets, dem mit der berühmten Banane. Peel slowly and see.
Menschen sterben, Ideen leben für immer, wie es ausgerechnet im Trailer zu Greta Gerwigs aktuellem „Barbie“-Film heißt. Die glamourösen Starlets der Sechziger sind fast alle tot, Edie nur noch ein Foto, die Factory abgerissen, Warhols Superstars Geschichte, Nico von ihrem Fahrrad gefallen, Warhol an den Spätfolgen des Attentats auf ihn krepiert. Aber die Songs sind noch da, und sie klingen, als würden sie jedes einzelne Mal wieder in genau diesem Augenblick gespielt, in der Ferne der vergangenen Jahrzehnte.
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Denn während die Beach Boys und die Beatles 1967 auf große Orchester setzten, nahmen The Velvet Underground alles weg, was man nicht brauchte. Aber was sie behielten, klingt bis heute wie gerade aufgenommen. „Sunday Morning“ in seiner reduzierten, bedrohenden Süße: „Watch out, the world is behind you!“ „I’m Waiting For The Man“? „He’s never early, he’s always late/ First thing you learn is that you always gotta wait“ gilt bis heute: Drogendealer kommen nach wie vor immer zu spät. Passt aber auch, wenn man auf den Bus oder die Uber-Eats-Lieferung warten muss. Man muss genau hinhören. Etwa bei der Bridge von „Venus In Furs“: „I am tired, I am weary/ I could sleep for a thousand years/ A thousand dreams that would awake me/ Different colors made of tears.“ Die Poetik der Zeilen ist nicht leer: Natürlich, die Farben verschwimmen, weil man vor Erschöpfung oder Kummer Wasser in den Augen hat. Das Fossil eines Augenblicks. Die Sehnsucht nach einer Zeit, die man nicht erlebt hat.
Vermutlich war es in Wirklichkeit ziemlich ätzend damals, im New York der Sechziger. Vielleicht ist sich das Leben in den großen Städten immer ähnlich. Ohne die Velvets hätte es jedenfalls weder Nirvana noch Sonic Youth noch all die andere kratzbürstig-ambitionierte Indie-Musik so gegeben. Eigentlich der ganze „dekonstruktivistische“ Rock seit den Nineties hat außer im Punk in Velvet Underground seine Wurzeln. Zugleich klingt niemand wie sie. Sie waren ihr eigenes Genre und sind es bis heute geblieben.
(JULIANE LIEBERT)
Copyright: Redferns/Adam Ritchie
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