ROLLING STONE hat gewählt: Die 500 besten Alben aller Zeiten
Der deutsche ROLLING STONE hat ein neues Ranking der 500 besten Alben aller Zeiten aufgestellt
The Beatles
Revolver
Parlophone, 1966
Eigentlich hätten die Beatles in der ersten Hälfte des Jahres 1966 ihren dritten Spielfilm drehen sollen: eine Westernkomödie nach Richard Condons Roman „A Talent For Loving“. Doch Manager Brian Epstein lehnte das Drehbuch ab (das dann schließlich 1969 mit Richard Widmark in der Hauptrolle verfilmt wurde), sodass die Beatles plötzlich unerwartet viel Zeit hatten, um sich auf die Produktion ihres nächsten Albums zu konzentrieren.
Sie verbrachten im Frühjahr 1966 etwa 220 Stunden im Studio, während es bei dem im Dezember 1965 erschienenen Vorgänger, „Rubber Soul“, gerade mal 80 Stunden gewesen waren. Ihre musikalischen Ideen wurden komplexer, ihre Forderungen wurden anspruchsvoller, ihr Produzent George Martin war nun nicht mehr alleinige Autorität im Kontrollraum, sondern ebenso wie der junge Toningenieur Geof Emerick vor allem ein Erfüllungsgehilfe.
Treibende Kräfte waren dieses Mal Paul McCartney und George Harrison. Bisher im Schatten des durch depressive Verstimmungen und die Wirkung von LSD nun allmählich weniger produktiven Bandleaders John Lennon, erblühten seine Juniorpartner und entfalteten ihre musikalischen Persönlichkeiten. Harrison brachte seine Leidenschaft für indische Musik ein, McCartney seine Liebe zu Music Hall und Motown und sein neu gewecktes Interesse an der Avantgarde. Die größte Entgrenzung stieß allerdings Lennon selbst mit „Tomorrow Never Knows“ an. Dieses sich mithilfe seiner Freunde zu einem psychedelischen Drone entwickelnde Ein-Akkord-Stück war der erste Song, den die Beatles für das neue Album aufnahmen, und er gab die Richtung vor.
„Revolver“ ist das radikalste Album der Beatles, oszilliert in gerade mal 35 Minuten zwischen indischem Raga, Motown-Soul, Kammermusik und Acid Rock, Kunst- und Kinderlied, Musique concrète und Prä-Rock-’n’Roll-Balladen. Alles war möglich, und alles gelang. Trotzdem galt es bis in die Neunziger hinein bei Kritikern (und, was die Verkäufe angeht, auch bei Fans) weniger als die Nachfolger „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, „The Beatles“ und „Abbey Road“. Ein Grund dürfte sein, dass in den USA 1966 eine um drei (Lennon-)Stücke gekürzte Version des Albums erschien, die wiederum in dem Tumult um Lennons Äußerung, die Beatles seien populärer als Jesus, unterging. Für nachfolgende Generationen – vor allem für die durch die „Beatles Anthology“ Mitte der Neunziger angefixte Britpop-Generation – ist das, die Energie der frühen und die Experimentierfreude der späten Beatles vereinende Werk, zu Recht das Nonplusultra der Fabness.
(MAIK BRÜGGEMEYER)