ROLLING STONE hat gewählt: Die 500 besten Alben aller Zeiten
Der deutsche ROLLING STONE hat ein neues Ranking der 500 besten Alben aller Zeiten aufgestellt
Patti Smith
Horses
Arista, 1975
Es ist nicht verbrieft, ob sich Patti Smith für ihr Debütalbum die Nächte über die Reihenfolge der Songs um die Ohren schlug. John Cale hatte „Horses“ ja bewusst stümperhaft produziert, um einen Klang zu bekommen, der die rohe Energie dieser jungen, ungestümen Künstlerin und ihrer fantastischen Band konservierte.
Aber was für ein Glücksfall ist es, dass ausgerechnet „Gloria: In Excelsis Deo“ in den Kosmos dieser demütigen Dichterin einführt, die durch magische Zufallsbegegnungen in einem New York zur Musik gelangte, dessen Ungeheuerlichkeit sie just genau zu der Zeit beschwor, als es langsam zu zerfallen begann. „Jesus died for somebody’s sins but not mine“, sprechsingt Smith, und wie könnte eine Platte mit einem stärkeren Leitspruch beginnen? Alles ist in dieser zwanglosen Van Morrison-Neubearbeitung schon da: das Wilde, das Lebensbejahende, die lyrische Hingabe, die Verneigung vor den literarischen und musikalischen Helden.
Smith bereitete die Welt auf das vor, was dann irgendwann Punk hieß. Sie misst sich furchtlos mit Bob Dylan, sie hypnotisiert sich selbst („Free Money“), sie faucht wie Lou Reed und kräht wie William S. Burroughs, sie hat die schwebenden, epischen Kompositionen („Birdland“, „Land“), sie kniet sich tief in ihre eigenen unruhigen Gefühle („Kimberly“), und wo ihre sich Lenny Kaye mit seiner ungestümen Gitarre für sie auf („Break It Up“).
Patti Smith musste den Namen ihres schriftstellerischen Helden Rimbaud nicht erwähnen, um ihre Ambitionen zu veräußern, „Horses“ musste nicht darauf aufmerksam machen, dass es ein Kunstwerk eigenen Ranges war.
Smiths Lebensmensch Robert Mapplethorpe kleidete dieses Geschenk für eine unruhige Generation, deren Götter bald verglüht sein sollten, mit einem Coverfoto ein, das in seiner Androgynität eines der aussagekräftigsten und persönlichsten in der Geschichte der Rockmusik sein dürfte.
(MARC VETTER)