ROLLING STONE hat gewählt: Die 500 besten Alben aller Zeiten
Der deutsche ROLLING STONE hat ein neues Ranking der 500 besten Alben aller Zeiten aufgestellt
Bob Dylan
Blood On The Tracks
Columbia, 1975
Gleich zwei Versionen sind im Angebot, wie es zu diesem wundersamen Werk kam, das als Dylans vielleicht überraschendste und überzeugendste literarische Arbeit gelesen werden kann. Wie war das noch? Bob war mit Anfang zwanzig Folkstar gewesen, mit Mitte zwanzig Superrockstar. Danach hatte er seinen Vorruhestand auf dem Land und dann sein Comeback, wieder als Superrockstar, gehabt. Jetzt war Dylan Mitte dreißig, und seine Ehe mit Sara Lownds war kaputt. Er war wieder nach New York gezogen, seine Ehe war kaputt, er interessierte sich für viel, besuchte Kunstkurse, ging aus, traf Leute, und – hatte ich das schon erwähnt? – seine Ehe war kaputt.
Die Lieder, die diese Phase für ihn und uns abwirft, sind epische Erzählungen, die jede Struktur von Zeit und Raum auflösen, sind Mathematik und Schmerz. Auch wenn man nichts weiß, hört man Schmerz wie einen knarzenden Fußboden in jeder Sekunde des Albums. Die Mathematik hingegen liegt im Personal.
Anders als in Dylans zitierwütigem 60er-Jahre-Repertoire mit seinen alttestamentarischen Monstern plus Trivia-Helden ist „Blood On The Tracks“ bevölkert von komplexen Persönlichkeiten unterwegs im wirklichen Leben, wessen auch immer das sein mag. Noch schöner, weil entrückter und gleichzeitig intimer klingen diese Lieder übrigens in den Versionen der „Bootleg Series“. Da riecht das Open Tuning nach New York, und der Schmerz hat seinen Zenit. Die andere Version? Stammt von Dylan selbst: Er war nämlich einfach nur in seiner Anton-Tschechow-Phase, und das ganze arme „Blood On The Tracks“ ist komplett ausgedacht.
(BIRGIT FUSS)