ROLLING STONE hat gewählt: Die 500 besten Alben aller Zeiten
Der deutsche ROLLING STONE hat ein neues Ranking der 500 besten Alben aller Zeiten aufgestellt
Nina Simone
I Put A Spell On You
Philips, 1965
Von allen Alben der großen zornigen Bürgerrechtlerin ist dieses das ausgeglichenste und freundlichste – trotz des Titels. Der Signature-Song von Screamin’ Jay Hawkins, "I Put A Spell On You", klingt bei Nina Simone nicht wie eine Verfluchung, sondern wie eine Verzauberung.
Captain Beefheart & His Magic Band
Trout Mask Replica
Straight, 1969
Dieses Doppelalbum klingt, als wären die Musiker auf unterschiedlichen Planeten unterwegs. Darüber bellt, grummelt und heult ein Sänger surreale Gedichte. Ein riesiger kosmischer Unfall. Man kann nicht wegsehen, nicht weghören.
Joy Division
Closer
Factory, 1980
Das zweite Album von Joy Division ist noch kälter und hoffnungsloser als das Debüt. Die Synthesizer sind eisig, die Songs handeln von der "Isolation" und dem Ewigen, "The Eternal". In "Passover" singt Ian Curtis davon, wie er sich nach dem Ende seines Lebens in ein neues aufmacht.
Bruce Springsteen
The River
Columbia, 1980
Wie so oft bei Doppelalben ist die Single der doofste Song. "Hungry Heart" rollert und schunkelt so vor sich hin, dass es die Radios lieben. Das ganze Werk ist die Passion Springsteens, allerdings auch die Geschichte derer, die "born in the USA" waren, aber nicht tanzen.
Thin Lizzy
Live And Dangerous
Vertigo, 1978
Natürlich hat Tony Visconti noch etwas nachgebessert. Viel wichtiger ist jedoch, dass der im Studio immer etwas verzagt gespielte und produzierte Lizzy-Kanon bis "Bad Reputation" hier den Druck und die Verve bekommt, die er verdient.
Steely Dan
Aja
ABC, 1977
"Aja" wurde von Donald Fagen und Walter Becker mit etwa vierzig Studiomusikern aufgenommen. Die erste Seite klingt, als hätten sie ein Jahr lang auf einem Hügel über die Songs meditiert. Beliebt wurden dann die kurzen Riff-Stücke "Peg" und "Josie". Steely Dan waren nie erfolgreicher.
Talk Talk
The Colour Of Spring
Parlophone, 1986
Eine Übergangsplatte, auf der Mark Hollis und Produzent Tim Friese-Greene noch die Hits lieferten, die man Mitte der Achtziger von einer Synthie-Pop-Band erwartete, und zugleich schon auf dem Sprung zum Jazz-Impressionismus von "Spirit Of Eden" waren.
Lana Del Rey
Norman Fucking Rockwell!
Polydor, 2019
Gibt es eine bessere Zeile als "God damn, manchild, you fucked me so good that I almost said I love you"? Lana Del Rey verknüpft Experimentierfreude mit minimalistischen Kompositionen und starkem Songwriting. Ihr Opus magnum.
Love
Forever Changes
Elektra, 1967
Im Herbst des Summer of Love erreichte Arthur Lees Geniestreich nur Platz 154 der US-Charts, doch im Nachhinein entpuppte sich die flirrende Fusion von Psychedelic Rock, Flamenco, Baroque Pop, Folk und Orchester-Arrangements als ein Schlüsselalbum seiner Ära.
Queen
A Night At The Opera
EMI, 1975
Das kaleidoskopisch vielseitige, damals noch teuerste Album aller Zeiten beginnt passenderweise mit einer Abrechnung: „Death On Two Legs“ ist dem geldgierigen Ex-Manager der Band gewidmet. Die schillernde „Bohemian Rhapsody“ bescherte Queen ihre erste Nr. 1.
U2
Achtung Baby
Island, 1991
Im Nachwende-Berlin erschufen sich U2 mit ihrem siebten Studioalbum neu, aber unter der ironisch glitzernden Oberfläche blieben sie doch die nachdenklichen Iren, die sich zum Glück nie zwischen Ehrgeiz und Ernsthaftigkeit entschieden haben. Nebenbei warf das faszinierende Werk noch den Übersong „One“ ab.
Pet Shop Boys
Actually
EMI, 1987
Beseelt von der aufblühenden House-Clubkultur, geriet „Actually“, mit den Nummer-eins-Hits „It’s A Sin“, „What Have I Done To Deserve This?“ und „Heart“, tanzbarer als das Debüt, „Please“ (1986). Aber auch politischer „Rent“ und „Shopping“ etwa kommentierten Wohnungsnot und Privatisierung – Reizthemen der Thatcher-Ära.
Fela Kuti
Zombie
Mercury, 1977
Die populärste und einflussreichste Platte, die Fela Kuti und seine Band Africa 70 aufnahmen. Kuti wendet sich im Titelstück dieses Klassikers des Afro-Beat explizit gegen die Militärherrschaft in seinem Heimatland Nigeria. Das Militär schlug mit aller Härte zurück, die der Bandleader fast mit dem Leben bezahlt hätte.
Blumfeld
Ich-Maschine
What’s So Funny About, 1991
Wortkaskaden, wie man sie bis dahin noch nie gehört hatte, angesiedelt zwischen öffentlichem Diskurs und Innerlichkeit, Niklas Luhmann und D. H. Lawrence. Ein grandioser Sänger und Songschreiber, eine reduzierte, energetische Rockband. Das erste Blumfeld-Album markiert einen Zeitenwechsel im deutschen Pop.
Dolly Parton
Jolene
RCA, 1974
Feministisch ist das nicht, wenn Dolly Parton im Titelsong eine von den Genen begünstigte Rivalin anfleht, ihr doch bitte nicht den Mann wegzunehmen. Offenbar wurde der immense Erfolg der Platte dadurch jedoch nicht beeinträchtigt, es erschienen Dutzende Coverversionen, unter anderem von den White Stripes.
Tom Waits
Rain Dogs
Island, 1985
„Rain Dogs“ ist ein wenig zugänglicher als das Selbstzerstörungsalbum „Swordfish Trombones“ (1983), doch die unendlich mitfühlenden Lieder schwanken weiterhin einsturzgefährdet. Auch der Mix auf surrealistischem Captain-Beefheart-Blues und Vaudeville-Zirkusmusik ist derselbe. Romantik im Schredder.
Aretha Franklin
Amazing Grace
Atlantic, 1972
Sie kam aus dem Gospel, dann sang sie seichte Schlager, mit „Respect“ gelang ihr 1967 eine Hymne der Bürgerrechtsbewegung – aber erst mit diesem Gospel-Album, das sie fünf Jahre später auf dem Höhepunkt ihres Ruhms aufgenommen hat, wurde Aretha Franklin für alle Zeiten zur Königin des Soul.
Arcade Fire
Funeral
Merge, 2004
Hymnen auf das Leben und elegische Oden an den Tod – ehrlich emotional und ohne Angst vor Kitsch. Kathartisch arbeitet „Funeral“ verschiedene persönliche Tragödien der Bandmitglieder auf, und man entdeckt selbst in dunklen Winkeln noch Leidenschaft und die Liebe, die mit einem großen Verlust einhergeht.
Darkness On The Edge Of Town
Bruce Springsteen
Columbia, 1978
Die fiebrige Antithese zu „Born To Run“, wiewohl die Motivation der Protagonist:innen dieselbe ist: die Flucht aus der Enge des Alltags. Es gibt keinen besseren Springsteen-Song als „Racing In The Street“: ein Hymnus, der seinen Höhepunkt nie erreicht, weil die Träume im Sterben liegen. (MG)
Songs Of Leonard Cohen
Leonard Cohen
Columbia, 1967
Der Poet Leonard Cohen wollte seine Lyrik mit spartanisch arrangierter Musik untermalen, Produzent John Simon staffierte die Stücke dann doch noch ein wenig aus. Die berückende Intensität von „Suzanne“, „So Long, Marianne“, „Hey, That’s No Way To Say Goodbye“ und „Sisters Of Mercy“ ist geblieben. (ISM)
Doolittle
Pixies
4AD, 1989
„Monkey gone to Heaven“ verkündet die spirituelle Hierarchie: „If man is five and the Devil is six, then God is seven“, erklärte Black Francis, der vor allem nach der Brutalität in der Bibel gierte. Den Durchbruch der Pixies markierte „Doolittle“ 1989 wegen seiner Popqualität: „Wave Of Mutilation“ bot Melodien für drei Songs. (SN)
Die Mensch-Maschine
Kraftwerk
Kling Klang, 1978
Nichtdeutschsprachige kennen zwar leider nur die inferiore englische Version von Kraftwerks komplettestem Album ("Das Model", "Die Roboter", der Titelsong), aber allein der Sound dieser Düsseldorfer Produktion verkörpert auch nach 45 Jahren noch das Paradox eines ewigen, globalen Klangs der Zukunft. (RR)
I Am A Bird Now
Antony & The Johnsons
Secretly Canadian, 2005
In Trauergesängen thematisiert Transgenderkünstler Antony Hegarty den Konflikt zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit, Leben und Tod. Die Eindringlichkeit dieser grandiosen, zittrigen Jahrhundert-Soulstimme lässt auch jene der Gastsänger Boy George und Lou Reed verblassen. (MV)
Pearl
Janis Joplin
Columbia, 1971
Drei Monate nach ihrem Tod veröffentlicht, wird Janis Joplins zweites Soloalbum immer ein Versprechen bleiben, das sie nicht mehr einlösen konnte. Wie sie Kris Kristoffersons Sehnsuchtshymne „Me And Bobby McGee“ singt und ihre Kapitalismuskritik „Mercedes Benz“ schmettert: so einzigartig wie herzzerreißend. (BF)
Seventeen Seconds
The Cure
Fiction, 1980
Auf ihrem zweiten Album pflegen The Cure eine Kunst des Verschwindens, ihre Lieder sind so minimalistisch, dass sie fast nicht existieren. Mit erstaunlichem Effekt: Noch das leiseste Wimmern von Robert Smith wirkt hier maximal intensiv. Man meint einer ins Jenseits entfleuchenden Seele zuzuhören. (JB)
The Teaches Of Peaches
Peaches
Kitty-Yo, 2000
Ein enges rotes Höschen, über dem der Bauchnabel blitzt, dazu Songs mit Titeln wie „Fuck The Pain Away“, untermalt von minimalistischem Electro-Brummen und -Klacken: Das Debüt von Peaches war ein Statement des Weniger-ist-mehr und eine feministische, sexpositive Neuerfindung der Stooges. (JZ)
Music From Big Pink
The Band
Capitol, 1968
Das Debüt von Dylans damaliger Begleittruppe. Der einstige Bandleader tritt noch als gelegentlicher Ko-Autor und Coverkünstler in Erscheinung, doch Eigenkompositionen wie „The Weight“ zeigen, dass das kanadische Roots-Kollektiv mit Vorzeigesüdstaatler Levon Helm längst groß und unabhängig ist. (FT)
After The Gold Rush
Neil Young
Reprise, 1970
Neil Young nutzte den kreativen Schub des Jahres 1970 für eines seiner zentralen Alben. Natürlich dominieren die Hits: „Only Love Can Break Your Heart“, „Southern Man“ und der seherische Titelsong. Doch das Album, auf dem traumhaft mehrstimmig gesungen wird, ist auch insgesamt ein Goldrausch. (JS)
Ram
Paul & Linda McCartney
Apple, 1971
Der manische Gegenentwurf zum Lo-Fi-Solodebüt. Paul McCartney zeigt die ganze Palette seines Könnens, vom hingeworfenen Akustikstückchen bis zur Pop-Sinfonie, vom räudigen Rocker bis zur zarten Ballade. Linda stiftet Selbstvertrauen und singt die schönsten Harmonien. Power-(Couple-)Pop! (MB)
Fetch The Bolt Cutters
Fiona Apple
Epic, 2020
Mit einem Bolzenschneider befreit Fiona Apple sich von allem, was sie am Boden halten will: dem Patriarchat, der Depression, der Isolation. Ein Meisterwerk, ein Kunststück aus Piano und Perkussion, aus Chants und Knochen. „Kick me under the table all you want/ I won’t shut up.“ (JJ)