Die 20 besten Songs von R.E.M.
Die Redaktion des ROLLING STONE hat die 20 besten Lieder von R.E.M. gewählt. Auf Platz eins landete ein Song von „Automatic For The People“ - allerdings nicht „Man On The Moon“.
Die Redaktion des ROLLING STONE hat die besten Songs von R.E.M. gewählt. Das Ergebnis hält auf so manchen Plätzen Überraschungen bereit.
20. Driver 8
Fables Of The Reconstruction (1985)
Das klassische Motiv der Züge kommt bei R.E.M. mehr als einmal vor. Bei „Driver 8“ symbolisieren sie wieder einmal die Sehnsucht: „We can reach our destination, but we’re still ways away.“ Man sieht einfache Leute auf ihren Verandas sitzen und dem Southern-Crescent-Zug in der Entfernung lauschen, die große Welt ist da draußen, aber wird man jemals losfahren? Ein Thema, das auf „Fables“ auch bei „Can’t Get There From Here“ und „Maps And Legends“ eine Rolle spielt. Laut Buck das Lied, das mit seinen Akkordfolgen, Melodien und Harmonien damals „quintessential R.E.M.“ war.
19. Electrolite
New Adventures In Hi-Fi (1996)
Es dürfte ein Treppenwitz sein, den sich Labelchefs erzählen, wenn sie mal wieder der Meinung sind, eine Band sei nicht massenkompatibel genug: „Electrolite“ ist der charttauglichste Song auf „New Adventures In Hi-Fi“ – und es ist tatsächlich der letzte auf diesem Album, Nummer 14. Nichtsdestotrotz ist er zu einem echten Klassiker gereift. Das klimpernde Piano, Berrys wattenes Schlagwerk, die schwerelosen Geigenharmonien – das zeigt Buck und Mills noch einmal auf dem Höhepunkt ihrer kompositorischen Fähigkeiten. Und Stipe pflegt sein so unnachahmliches melodisches Raunen in wunderbaren Versen. Wer könnte jemals solche Zeilen singen: „Twentieth century go to sleep/ Really deep/ We won’t blink“? Die Antwort kennen auch die schärfsten Kritiker.
18. Catapult
Murmur (1983)
Vielleicht ist „Catapult“ der allerwichtigste R.E.M.-Song überhaupt. Ihr Label IRS wollte bei seinem neuen Act auf Nummer sicher gehen und engagierte den Pop-Produzenten Stephen Hague. Der diagnostizierte rhythmische Unsicherheiten und jagte die Band zur Therapie immer wieder mit Metronom durch „Catapult“, bis vor allem Drummer Berry völlig entnervt war. Die Folge: R.E.M. meuterten, forderten und bekamen „Chronic Town“-Mixer Mitch Easter – und durften die Nummern von „Murmur“ im geheimnisvoll-düsteren Folkrock-Sound aufnehmen, der ihren Ruhm begründen sollte. Ohne klickende Fessel wurde „Catapult“ ein energisch vorgetragener und druckvoll pulsender Track mit wuchtigem Bass und Beat, dem die Ambition der Band anzuhören ist.
17. Everybody Hurts
Automatic For The People (1992)
Spätestens für diesen Song hat Stipe die versponnene Lyrik der Frühphase abgelegt, um sich voll und ganz und unironisch der existenziellen Seelenpein zu widmen, der Ausweglosigkeit aus dem Alltag, den Widrigkeiten, mit denen wir alle zu kämpfen haben, und in letzter Konsequenz den Suizidgedanken. Seine Botschaft ist so universell wie zeitlos: „When you’re sure you’ve had enough of this life, well hang on/ Don’t let yourself go, ’cause everybody cries and everybody hurts sometimes.“ Und wenn dann das Schlagzeug einsetzt und die Streicher anschwellen – wer fühlt sich dann nicht für einen Moment erhaben?
16. These Days
Lifes Rich Pageant (1986)
Eine der ersten unverschämt eingängigen R.E.M.-Hymnen auf dem Album, das Buck später einmal „die Bryan-Adams-Platte von R.E.M.“ nannte. Ein ungerechtes Urteil, denn auf „Lifes Rich Pageant“ war bei allem Pop nichts billig oder anbiedernd, und „These Days“ ist das beste Beispiel dafür. Ein paar Zeilen daraus fassen zusammen, was R.E.M. bis heute ausmacht, auch wenn Stipe das „we“ vielleicht universeller angelegt hatte: „We are young despite the years/ We are concern/ We are hope despite the times.“
15. At My Most Beautiful
Up (1998)
Eine sonderbare Mischung aus Resignation und Hoffnung durchtränkt diesen außergewöhnlichen Lovesong. Das schleppende Piano, das scheppernde Tamburin, die zögerlichen Beats, der leise Gesang, das sehnsüchtige „Dip-dip-dip-dip“ des Beach-Boys-Chorus’ – all das klingt wie ein einziges ausgedehntes Seufzen, wie widerwilliger Abschied nach langer Gegenwehr. Dabei erzählt dieser Song doch eine tröstliche, nach vorne weisende Story. Eine emotionale Doppelbödigkeit, die sich aus der Entstehung von „Up“ erklärt. Nach dem Abschied von Bill Berry war den Hinterbliebenen noch unklar, ob der „dreibeinige Hund“ R.E.M. jemals laufen lernen würde.
14. Fall On Me
Lifes Rich Pageant (1986)
Nein, kein Hit, es reichte lediglich für US-Platz 94. Dabei besteht die berauschende Hymne selbst den direkten Vergleich mit „Losing“ oder „Everybody Hurts“. Knapp drei Minuten pure Schönheit sind das, beseelt vom Sixties-Gefühl der Byrds und der Mamas & Papas. Und wenn sich Stipes Stimme zum Refrain emporschraubt, wenn Mills seine Gegengesänge sanft einklinkt, dann möchte man den Atem anhalten. Nun, thematisch wäre das nicht nötig, in der nach vielen tief reichenden Metamorphosen aufgenommenen Fassung handelt der Song nun nicht mehr von saurem Regen, sondern indifferent von Unterdrückung und einem Kerl, der Federn und Gewichte vom Schiefen Turm von Pisa schmeißt. Aber in allem Ungefähren entwickelt der Song eine Mut machende Kraft wie kaum ein zweiter.
13. Maps And Legends
Fables Of The Reconstruction (1985)
Die dicht und müde schimmernden Gitarren verleihen dem Song etwas Einlullendes, Schweres. Stipe besuchte damals in Athens gerne Senioren, führte Gespräche, ließ sich bewirten. Ein ehemaliger Erdkundelehrer, der ihm bei den Altennachmittagen oft auf der Orgel vorspielte, soll der Hauptdarsteller des Liedes sein – das der Sänger auf der Bühne aber auch anderen Zeitgenossen widmete. Auf der abenteuerlichen „Fables“-Platte ein eher konventionelles Stück, umso größer der Ohrwurm. Und umso dramatischer der Backgroundgesang von Mills, der wie ein ganzer Kirchenchor klingt.
12. Country Feedback
Out Of Time (1991)
Die Vorsätze, die Stipe für „Out Of Time“ hatte, setzte er bei „Country Feedback“ vorbildlich um: 1. Liebeslieder schreiben. 2. Nichts Politisches. 3. Singular statt Plural. „Durch das ,we‘ klang immer alles so hymnisch“, befand er. Hier erzählt er nun aus der Pespektive eines verzweifelten Liebhabers, der nicht fassen kann, wie alles so schiefgehen konnte: „We’ve been through fake-a-breakdown/ Self hurt, Plastics, collections/ Self help, self pain, EST, psychics, fuck all/ I was central/ I had control/ I lost my head …“ Wenn er immer wieder „it’s crazy what you could’ve had“ singt und die Stimme vor Verzweilfung fast kippt, zerreißt es einem das Herz. „Country Feedback“ war lange Zeit Stipes liebster R.E.M.-Song, und er ist auch ein klassisches Beispiel für R.E.M.-Pragmatismus: Im Studio hieß das Stück immer nur „Country Feedback“, weil man keinen passenden Titel fand. Am Ende blieb es dann einfach dabei.
11. Walk Unafraid
Up (1998)
Fast stakkatoartig erzählt Stipe die Geschichte eines Außenseiters, der sich nicht geschlagen geben will: „Everyone walks the same/ Expecting me to step/ The narrow path they’ve laid/ They claim to/ Walk unafraid/ I’ll be clumsy instead/ Hold my love me or leave me high …“ Da fanden sich natürlich viele R.E.M.-Fans wieder, denn dies ist ja die Band für die Nerds – für die, deren Frisuren immer schlecht saßen, die in der Schule ausgelacht wurden und doch wussten, dass sie sich nicht zu schämen brauchen. Celebrate the contradiction! R.E.M. gaben den Uncoolen eine Stimme. Sie hatten nur ihr Talent und keine weiteren Rockstarqualitäten, und doch titelte der US-Rolling Stone im Jahre 1989: „America’s hippest band“! Die offizielle Bestätigung, dass man es auch ohne Oberflächlichkeiten schaffen kann.
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10. (Don’t Go Back To) Rockville
Reckoning (1984)
Auf der Dauertour nach „Murmur“ schwitzte R.E.M.s musikalischer backbone Buck, Mills und Berry neue Songs förmlich aus. „Rockville“, 1980 als Postpunk-Knaller fabriziert, geriet nur deshalb auf „Reckoning“, weil Band-Anwalt Bertis Downs die Nummer so mochte. Text und Musik stammen von Mills, der so Lynda Stipes Freundin Ingrid Schorr überreden wollte, Athens doch nicht zu verlassen. Im Studio bremste die Band ihren alten Heuler ein und versetzte ihn mit einer Portion Countryfolk.
09. It’s The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)
Document (1987)
Ist es nicht die ultimative Hedonismuskritik mit hedonistischen Mitteln? Ein bisschen Nonsens, ein bisschen Poesie, ein bisschen Kunst, ein bisschen Punk, dargeboten in diesem irrwitzigen Sprechgesang. Die Trommel kündet einen Marsch an, „that’s great, it starts with an earthquake, birds and snakes, an aeroplane, Lenny Bruce is not afraid”, tönt Stipe. Man kann versuchen, seine kryptische Phrasierung zu entschlüsseln, man kann den Endzeitszenarien viel Bedeutungsschwere beimessen – oder man kann sich einfach der durchgeknallten Partystimmung hingeben. Inzwischen der Rausschmeißer bei R.E.M.-Konzerten.
08. You Are The Everything
Green (1988)
„Sometimes I feel like I can’t even sing/ I’m very scared for this world, I’m very scared for me/ Eviscerate your memory/ Here’s a scene …“ Und dann entwirft Michael Stipe eine Szene, die so gut wie jeder nachvollziehen kann: wie man als Kind auf dem Autorücksitz hockt, aus dem Fenster guckt und denkt, dass einem die Welt absolut nichts anhaben kann – so auch später zu Hause: „Late spring and you’re drifting off to sleep/ With your teeth in your mouth.“ Hat jemand mal gezählt, wie oft Zähne in Stipes Songtexten vorkommen? Nicht ganz so prominent wie Schwerkraft und Mond oder Furcht und Hoffnung, aber doch erstaunlich häufig – und hier als Zeichen dafür, das alles in Ordnung ist: Zähne noch da, Tod weit weg.
07. Talk About The Passion
Murmur (1983)
Über Leidenschaft zu sprechen, wirkt ja meist eher leidenschaftslos. Nicht so hier: Die eindringliche Hingabe, mit der Stipe über Hunger und Armut singt, wirkt in jeder Sekunde wahrhaftig: „Empty prayer, empty mouths, Talk about the passion/ Not everyone can carry the weight of the world.“ Natürlich gehört der Textdichter durchaus zu jenen, die das Gewicht der Welt bisweilen schultern können. Aber man hörte und spürte eben auch immer, wie sehr ihn die damit einhergehende Last beklemmt. Vielleicht ist es diese Aufrichtigkeit, die die besondere Klasse dieses Mannes ausmacht. Michael Stipe wirkte zu keinem Zeitpunkt seiner Karriere überlebensgroß oder berauscht von der eigenen Bedeutung.
06. Nightswimming
Automatic For The People (1992)
Damals gab es ja noch MTV, und bisweilen lernte man Songs durch Videos kennen. So auch hier: Plötzlich erklangen Mills’ mächtige Klavierakkorde, die flirrenden Streicher von John Paul Jones, der vor Ergriffenheit heisere Gesang von Michael Stipe. Auf dem Bildschirm: Fragmente der Einsamkeit, die Stipes Ballade über den Verlust der Unschuld trefflich illustrieren. Aus einer Gruppe von Freunden, die einst nach durchfeierter Nacht zusammen schwimmen gingen, war eine der größten Bands der Welt geworden. „These things they go away/ Replaced by everyday“. Atemberaubend.
05. So. Central Rain (I’m Sorry)
Reckoning (1984)
Georgia lag unter einer Gewitterglocke, als Peter Buck vom Tourstopp in L.A. aus zu Hause anrufen wollte – die Leitung war tot, schöne Metapher für die Einsamkeit des Unterwegsseins. Das davon inspirierte Stück brachte R.E.M. so nahe an eine Hit-taugliche Single, wie es der Zufall damals selten wollte: Die raffinierte, psycho-folkige Strophe mündet in einen ungeheuer eingängigen Refrain, dessen Slogan für die 7-inch zum Songtitel hinzugefügt wurde, zur leichteren Identifizierung. Wenige Konsumenten merkten es: „So. Central Rain“ kam nur bis Platz 85 der Charts. Fürs Video sang Stipe den Song übrigens neu ein. Er wollte nicht zum Playback mimen.
04. Drive
Automatic For The People (1992)
Die Single, die das größte Album von R.E.M. eröffnet. Im Jahr nach „Smells Like Teen Spirit“ setzten sie dem Stück von Nirvana eine majestätische Hymne der jugendlichen Orientierungslosigkeit entgegen, von Bucks zirpender Gitarre, dem irisierenden Akkordeon und flirrenden Streichern getragen. Die Anfangszeilen gehören sogar unter Stipes vielen merkwürdigen Formulierungen zum Kryptischsten und Amüsantesten: „Smack, crack, bushwacked/ Tie another one to the racks, baby.“ Dann gönnt er der nächsten Generation eine Bestandsaufnahme von wunderbarem Zynismus: „Hey, kid, rock and roll/ Nobody tells you what do do, baby.“ Der Vers wird dann in „Nobody tells you where to go“ abgewandelt. Der sardonische Witz der elegischen Ballade scheint auch in den anderen Strophen auf: „Maybe you did, maybe you walk/ Maybe you rock around the clock/ Tick-tock. Tick-tock.“ Ein Meisterstück des Defätismus und des Surrealismus.
03. Man On The Moon
Automatic For The People (1992)
Waren die Amis wirklich auf dem Mond? Ein ganz großer, wüstenpanoramahafter Song über Täuschung, Spiel, Imitation. Die Steel Guitar klingt wie weit entfernt, gibt dem Stück die unwirkliche Note, während Stipe feierlich durch die Weltgeschichte blättert: Petrus, Moses, Darwin. Und Elvis, dessen Stimme er sich ausleiht: „Hey, baby!“ Als er klein war, sah der Sänger den Komödianten Andy Kaufman, wie er im TV auf einem Kinderplattenspieler das „Mighty Mouse“-Lied laufen ließ. Diesem frühen Rock’n’Roll-Moment zollt Stipe hier Tribut: Andy, der lustige Rebell, ist gerade beschäftigt. Er ringt mit Bären. So konkret und rätselhaft zugleich waren R.E.M. selten.
02. Losing My Religion
Out Of Time (1991)
In den 90er-Jahren der wohl am häufigsten von todtraurigen Teenagern an Lagerfeuern missbrauchte Song. Heute hört man ihn in jedem Kaufhaus, in jedem Supermarkt, sogar am Pissoir in der Stammkneipe. Doch beweist all das nur die Unzerstörbarkeit dieser meisterlichen Miniatur. Den Unterschied zum gewöhnlichen Mainstream macht natürlich Stipes gebetsmühlenartiges Lamento: „That’s me in the corner/ That’s me in the spotlight/ Losing my religion“. Dazu erklingt Bucks unverkennbares Mandolinen-Picking. „Losing My Religion“ ist vieles: perfekter Popsong, sehnsuchtsvolle Ballade und unverstelltes Manifest. So formvollendete vier Minuten sind R.E.M. danach nicht wieder gelungen. Aber vielleicht wollen sie auch bloß nicht im Einkaufsradio laufen.
01. Find The River
Automatic For The People (1992)
Das letzte Stück auf „Automatic“, die Fortsetzung von „Nightswimming“ – und ein Abgesang auf die Kindheit. Stipe beginnt die Reise sanft mit „Hey now, little speedyhead“, die große Stadt wartet. Es sind die letzten Momente der Unschuld, die hier beschrieben werden – ein Sujet, aus dem später ein ganzes Album wurde („Reveal“). Der Sommer als kleine Ewigkeit, die doch enden muss. Die fließende Melodie, der aufmunternde Background-Gesang von Mike Mills – „Find The River“ ist so elegisch wie mitreißend. Keine Ahnung, was ein „bayberry moon“ ist, auch der Gang durch den Duftgarten – „bergamot and vetiver“, später dann „ginger, lemon, indigo/ Coriander stem and rose of hay“ – ist ein Rätsel, aber das Finale versteht jeder, der weiß, wie sich ein Aufbruch anfühlt: „Strength and courage override/ The privileged and weary eyes/ Of river poet search naivete/ Pick up here and chase the ride/ The river empties to the tide/ All of this is coming your way.“ Es gibt kein tröstlicheres Lied.
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