Auf die Finger geschaut

ROLLING-STONE-Check: Ist Johnny Depp ein guter Gitarrist – oder ein Schauspieler, der einen Rockstar spielt?

Er sieht aus wie ein Rockstar, er spielt Konzerte mit echten Rockstars — und er trägt seine Gitarre wie ein Rockstar. Aber wie gut ist Johnny Depp eigentlich tatsächlich als Gitarrist? Der Frage geht ROLLING STONE nach.

Ein Hollywoodstar, der einen auf Rockstar macht, sagen die einen. Ein waschechter Musiker, der eigentlich zuerst Profi-Gitarrist werden wollte, dann aber eben doch zu einem der bekanntesten Schauspieler überhaupt wurde, meinen die anderen. Oder um es etwas simpler mit Amber Heard zu sagen: Alte Männer, die Gitarre spielen! Spätestens seit Johnny Depp 2015 gemeinsam mit Alice Cooper, Aerosmith-Gitarrist Joe Perry und anderen Schwergewichten als Allstar-Kollektiv (beziehungsweise Nobel-Coverkapelle) Hollywood Vampires zu touren begann, war klar, dass es der Schauspieler ernst meint mit der Musik.

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Nun, da er mit Jeff Beck — einem der größten Gitarristen aller Zeiten — nicht nur Konzerte spielt, sondern sogar ein gemeinsames Album aufgenommen hat, fragen sich viele umso mehr: Ist Johnny Depp eigentlich tatsächlich ein so guter Gitarrist, dass ein Kaliber wie Beck mit ihm arbeiten will? Oder hat er einfach das Glück, dass jeder — auch Keith, auch Jeff — eben Buddy von Captain Jack Sparrow sein möchte? Ein großer Befürworter von Depps Gitarrentalent ist Hollywood-Vampires-Bandkumpel Alice Cooper. Der erzählte vor einiger Zeit im „Mistress Carrie“-Podcast: „Er hat gerade ein Album mit Jeff Beck aufgenommen! Er ist ein viel besserer Rockstar, und es steckt in ihm, er war ein Gitarrist, lange bevor er Schauspieler wurde. Wenn er also mit Joe Perry auf der Bühne steht, tauscht er mit Joe die Lead Parts, und Joe sagt: ‚Ja, er ist gut‘. Und ich kann Johnny voll und ganz vertrauen, dass er da oben jeden Leadpart übernimmt.“

Werfen wir doch einfach anhand von einigen YouTube-Videos der letzten Jahre einen Blick auf Depps Gitarrenspiel und unternehmen einen Versuch der Einordnung.

Die Sache mit den Gitarrensoli

2016 machte ein Video eines Hollywood-Vampires-Konzerts in Wisconsin die Runde, in dem Depp das Gitarrensolo des Led-Zeppelin-Klassikers „Whole Lotta Love“ übernimmt. Johnny, natürlich in voller Rockstar-Montur mit jeder Menge raushängenden Stofftüchern, setzt hier ab etwa 3:35 zum Slide-Solo auf seiner Les Paul Junior an. Dafür erntete er im Internet viel Spott. Der Grund: Rein optisch macht das Gehabe vielleicht was her, jedoch spielt Depp hier eher atonale und ungelenke Slide-Kakophonien. Sieht lässig aus (wie auch nicht, bei einem Kerl wie Depp), ist aber weder in irgendeiner Form versiert noch angenehm zu hören … und ergibt spielerisch auch gar keinen Sinn. „Ich wette, er war auf echt gutem Zeug und fühlte sich wie ein Gitarrenheld“, schreibt ein YouTube-Kommentator zu Depps Performance — und ein anderer ätzt: „Ich weiß nicht, warum sein erstes Mal mit einem Slide unbedingt auf einer Bühne passieren muss“. Formulieren wir’s mal ganz, ganz vorsichtig: Zumindest in puncto Slide-Nutzung ist Depp nicht zwingend in einer Liga mit Derek Trucks und anderen Bottleneck-Könnern.

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Nur aufgrund eines missglückten Solos sollte man aber nicht darauf schließen, dass er immer so miserabel Leadgitarre spielt. Bei folgendem Backstage-Video macht er (diesmal auf einer SG Junior) eine deutlich bessere Figur.

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Bei einer Blues-Session mit Paul McCartney und einer Reihe von anderen Musikern griff Depp ebenfalls zum Bottleneck, hielt sich mit dem Slidespiel aber nobel zurück und passt gut rein.

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Depp, der Rhythmusgitarrist

Einen weitaus besseren Eindruck machte Depp 2015, als er mit den Hollywood Vampires bei Rock in Rio auftrat. Hier hielt er sich relativ zurück — kein Wunder, teilte er sich die Bühne doch mit zwei anderen Gitarristen, darunter Joe Perry. Hier spielte Depp eine durchaus solide Rock-Rhythmusgitarre, spielte sich mit Joe Perry Riffs und Licks hin und her und agierte konsistenter, als man es in anderen Performances gesehen hatte.

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Johnny an der Akustikgitarre

2010 holte Eddie Vedder bei einem Konzert seinen Kumpel Depp für eine Akustikversion des Vedder-Solosongs „Society“ auf die Bühne. Dabei handelt es sich um ein ganz einfaches Stück in A-Moll: Standardakkorde, Standard-Voicings, keine großen Finessen, keine komplizierten Rhythmen oder Abläufe. Hier lässt Depp —  die Akustikgitarre knietief hängend, als wolle er eine Akustik-Skatepunk-Band gründen — Vedder die Rhythmusarbeit erledigen, den Song tragen. Er spielt ein paar Akkorde rein, macht immer wieder Pausen, akzentuiert den einen oder anderen Dreiklang. Das tut er mit einem Hauch von Keith Richard’schem Laissez Faire. Natürlich kann Keith das viel besser, aber Johnny hat sich’s wohl von Freund Keith abgeguckt. Anschließend darf er zum Solo ansetzen. Dieses hält er recht simpel und umreißt dabei die Gesangsmelodie, spielt kleine Verzierungen. Gastauftritt geglückt, die Münder standen allerdings wohl eher wegen seiner Person offen, als wegen seines Gitarrenspiels.

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In folgendem Video spielt Depp eine Solo-Akustik-Version des Dylan-Songs „The Times, They Are a-Changin’“. Simple Akkorde, Johnny verharrt auf manchen von ihnen ein wenig zu lange, zieht die Takte in die Länge. Das geht vielleicht als künstlerische Freiheit durch, und wir wollen auch nicht so streng sein — allerdings lässt es die Performance auch nicht so wirklich rund wirken.

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Die Sache mit Johnny Depp und Jeff Beck

Keine Frage, Jeff Beck ist ein Ausnahmegitarrist. Einer, der nicht nur einen ganz eigenen Sound hat, sondern sich auch mit Ende 70 stetig weiterentwickelt, seinen Klang und sein Spiel nach vorne treibt. Sein Spiel ist virtuos und mitreißend, immer noch. Wenn Beck jemanden in seine Band aufnimmt, sind das meistens ganz große Könner und Könnerinnen — oder? Denken wir doch nur mal an die großartige Tal Wilkenfeld am Bass, die bereits mit Anfang Zwanzig in Becks Band tätig wurde und für Staunen sorgte.

Macht das Johnny Depp somit zum Gitarrenvirtuosen? Nicht wirklich — denn von dem, was wir bisher von der Zusammenarbeit kennen (zum Beispiel die Single „This Is A Song For Miss Hedy Lamarr“ aus Depps Feder), geht natürlich das virtuose Gitarrenspiel auf Jeff Becks Konto — Depp begleitet eher, bei genanntem Song sogar nur relativ sporadisch, übernimmt dafür die Lead Vocals. Mal ehrlich: Dass Jeff Beck ihn zur Zusammenarbeit geladen hat, weil er ihn als ebenbürtigen Gitarristen ansieht, nimmt sowieso niemand an. Bei Beck und Depp haben zwei Freunde Spaß — das hat Beck auch betont, als er vom ersten Treffen mit Depp sprach und meinte: „We haven’t stopped laughing ever since“.

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Depps Signature Gitarre

Übrigens: Johnny Depp hat seit einigen Jahren sogar seine eigene Signature-Gitarre — die Duesenberg Alliance Johnny Depp.

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Kurzer biografischer Blick zurück

Johnny Depp ist nicht erst seit gestern Musiker, das ist bekannt. Ende der Siebziger brach er die Schule ab, um Musiker zu werden. Seine erste Band, Flame — die sich später in The Kids umbenannte — brachte es zwar nie zu dem erwünschten Ruhm (Depp war damals gerade mal im Teenager-Alter), einige Support-Slots für Iggy Pop, Talking Heads und The B-52s waren aber drin. Hier gibt es ein Video von The Kids zu sehen, in auch Depp zu sehen ist.  Wie es weiterging, wissen wir: Depp widmete sich der Schauspielerei, die Band löste sich auf. Es war nicht die letzte Gruppe, in der er spielte — so richtig los ging’s mit der Musik aber erst wieder in letzten Jahren.

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Fazit

Depp bekommt als Gitarrist gleichermaßen sehr viel Häme als auch viel überschwängliches Lob. Das hat einfach damit zu tun, dass er nicht nur einer der bekanntesten, sondern auch der polarisierendsten Schauspieler ist. Sieht man von all diesen Dingen ab, von der Häme, den Vorschusslorbeeren, der Voreingenommenheit, dem Hollywoodstar-Bias und dergleichen, dann geht Depp durchaus als im Grunde solider Rockgitarrist durch. Er hält es spielerisch simpel, bewegt sich im vertrauten Bereich der Pentatonik beziehungsweise der Blues-Skalen. Sein Spiel ist im Blues und im Rock verwurzelt, viele seine Freunde sind Superstars in dem Genre.

Ob Alice Cooper recht hat und Depp tatsächlich in jeder Situation die Leads übernehmen könnte, sei dahingestellt — in einen Band-Kontext mit mehr als solider Rhythmusbasis und hochkarätigen Co-Gitarristen funktioniert Depps Spiel. Vor allem dann, wenn er nicht so cool rüberkommen will wie bei seinen berüchtigten Slide-Soli.

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