ROLLING STONE Beach 2023: eine leichte Brise Arenarock am Weißenhäuser Strand
Der ROLLING STONE Beach im Rückblick: die Konzertberichte
„Wir haben gehört, dass wir hier heute die Eröffner sind. Da tut ihr euch ja einiges an“, sagt Max Rieger, Sänger und Gitarrist von Die Nerven, irgendwann mittendrin. Aber das Publikum beim ROLLING STONE Beach tut sich den Mix aus Post Punk, Noise Rock und Hardcore Metal sehr, sehr gern an. Das Stuttgarter Trio rast mit Inbrunst, Spielfreude und ein paar Showelementen (Drummer Kevin Kuhn gibt den Einpeitscher) durch ein furioses Set. Das besteht nicht nur aus Gitarrengeschredder und Bass-Schlagzeug-Explosionen. Stücke wie „Niemals“ und „Der Erde gleich“ begeistern, weil sich im Mahlstrom des Lärms immer irgendwo eine Insel der Harmonie versteckt. Und wenn einige Festivalbesucher:innen in den Chorus von „Europa“ miteinstimmen, weht sogar eine leichte Brise Arenarock über den Weißenhäuser Strand. Linksautonomer Kellerclub war gestern. Die Nerven zeigen sich reif für die große Bühne.
Die Leute hatten sechs Jahre Zeit zu lernen. Wie die richtigen Moves gehen, wie die Hüfte schwingt, wie ein Soulstar zu befeuern ist. 2017, bei seinem ersten Auftritt beim ROLLIONG STONE Beach, hatte das noch nicht so gut geklappt. Obwohl Lee Fields von der Bühne herunter Unterricht gab. Dieses Mal ging das schon sehr viel besser.
Das Publikum schwelgt und groovt im Sound des deepen Souls vonFields und seiner Band. Und der ist sichtlich zufrieden. Im roten Anzug stolziert er über die Bretter, bewegt sich trotz seiner 73 Jahre mitunter wie ein wiedergeborener James Brown und startet den Zelt-Gig gleich mit „You Can Count On Me“, was eigentlich funktionieren muss, und wenn nicht, dann ist Rhythm and Soul bei diesem Publikum verloren. Und es funktioniert, Arme rudern durch die Luft, Körper in Bewegung. Der Sänger aus North Carolina lässt seine extrem tighte Band einen sehr traditionellen Soul spielen, der ein bisschen an Bobby Womack und O.V. Wright erinnert. Gelegentlich moderat modernisiert und aufgespeedet wie das großartige „Ladies“, mit dem Fields das Publikum endgültig an sich zieht. Am Ende treibt er die Band in eine minutenlange Session, Saxofonist Freddy Deboe bläst sich fast bewusstlos und die Reihen wogen.
Ein paar Stunden zuvor war der Bandbus übrigens an der Autobahnraststätte Neustätter Bucht gesichtet worden, deren Restaurant jedoch geschlossen hatte, was Lee Fields nicht unbedingt glücklicher machte. Er aß schließlich an der Tanke einen Knacker im Stehen.
Die Band Tocotronic wird dieses Jahr 30 und leitet ihre Geburtstagsrevue – wie man es seit Jahren von ihren Konzerten kenn – mit Sergei Prokofjews „Rittertanz“ ein. Sänger Dirk von Lowtzow hat offensichtlich vorher schon ein bisschen gefeiert, führt – so scheint es jedenfalls – ein wenig beschwipst, ganz sicher euphorisiert, mit gespieltem Pathos und ein bisschen albern durchs Programm. Er diskutiert mit einem der vielen Stofftiere, die auf den Verstärkern hinter ihm sitzen – dem Weissenhäuser Strand gemäß handelt es sich um eine Kuschelmuschel, die allerdings berlinert –, ob der Zwischenruf „Fickt mein Gehirn“ aus dem Zuschauerraum ein Kompliment oder eine Sauerei ist, und singt einige der schönsten Lieder aus dem weiten Oeuvre seiner Band, die an diesem Abend so putzig erscheint wie eine Augsburger-Puppenkisten-Version von Rock’n’Roll – vielleicht auch, weil wir Dirk, Jan, Arne und Rick ebenso mit unserem eigenen Aufwachsen verbinden wie Urmel, Jim Knopf und Kater Mikesch.
Auch das kann beim Beach passieren: Da ist man an der wunderbaren Ostsee, und dann hat man gar keine Zeit, das Meer zu genießen. So ging es Tristan Brusch, der so freundlich war, mit der Band Girl And Girl die Auftrittszeiten zu tauschen, weil deren Flieger Verspätung hatte. Also konnten flexible Zuschauer:innen direkt vom gewaltigen Krawall der Nerven in die zarte Melancholie des hochtalentierten Songschreibers tauchen – der etwas Probleme hatte, sich auf der kleinen Bühne des „Möwenbräu“ zu konzentrieren. „Meine Musik funktioniert am besten, wenn Ihr die Schnauze haltet“, erklärte er völlig zu recht. Seine Lieder sind es wert, genau gehört zu werden. Begleitet von Geige, Altsaxofon, Bassklarinette und manchmal Keyboard, lag der Fokus doch ganz auf dem Mann mit der Gitarre und seinen Chanson-Pop. Ob sehnsüchtige Balladen wie die vom „Baggersee“, das Theater-Stück „Woyzeck“ oder das drastische Liebeslied „Seifenblasen platzen nie“: Brusch fand die richtige Balance zwischen Zurückhaltung und Dramatik. Als dann immer noch Leute weiterlaberten bei leisen, wehmütigen Preziosen wie „Am Herz vorbei“, wollte man ihm wie in dem Song zurufen: Liebster, sei nicht traurig! Deine Musik dringt auch an den paar Dröhnbüdeln vorbei ins Herz! Zu „Am Rest“ durften endlich alle laut sein, es entstand ein netter kleiner Chor. Der tolle Auftritt endete mit „Für Theo“ – und weil der am nächsten Tag sechs Jahre alt wurde, fuhr Brusch im Anschluss sofort heim – das Ostseebad kann warten.
Es stand zu befürchten, dass Peter Hein keine sonderlich gute Laune hat. Fotoverbot bei den Fehlfarben – so was kommt beim RS-Beach sehr selten vor. Auch passte dem Sänger der Rauch nicht, der durch den vollgepackten Baltic-Saal waberte – dafür gäbe es ja die Bar, merkte er korrekt an. Die Lieder seiner Band klangen trotz der Widrigkeiten immer noch kraftvoll, auch wenn Hein behauptete, er könne sie sich inzwischen gar nicht mehr merken, und hin und wieder blitzte die Erinnerung auf, was für eine Sensation manche dieser Stücke in den 80er-Jahren waren. Bei „Grauschleier“ hüpfte Hein zweimal kurz wie ein junger Hund, Kurt Dahlke machte hinterm Keyboard lustige Tanzbewegungen, es kam Schwung in die Sache. Sie hätten nun ja wohl bewiesen, „dass wir gar nicht ganz scheiße sind“, konstatierte Hein und wirkte langsam etwas weniger grantig. Natürlich spielten sie dann noch „Paul ist tot“, und am Ende konnte man sich seinem Resümee anschließen: „Schön, dass nicht nur die Stücke gut gealtert sind, sondern auch Ihr. Find ich gut!“
Beim ROLLING STONE Talk am Samstag war der großartige Auftritt von Dinosaur Jr. ein innig diskutiertes Thema. Redakteur Sassan Niasseri schien bemerkt zu haben, dass Die Nerven ein paar Dezibel lauter waren (also an den 100 Dezibel kratzten), während Festivalveranstalter Stephan Thanscheidt zu berichten wusste, dass die massiv empfundene Lautstärke des US-Trios eher mit der subjektiv empfundenen Überraschung durch den Einsatz von Gitarrenpedalen („Mascis‘ Gitarrenpedal-Aufbau ist so groß wie unser Talkpodium“) zustande gekommen sei. Egal. Wenn sich am Freitagabend auf der die Zeltbühne die Marshall-Verstärker übereinanderschichten, ist wieder mal die Zeit für den ergrauten Gitarrengottzottel und seine Mitstreiter Lou Barlow und Murph gekommen. Ein souveränes Headlinerset, ihr einziger Auftritt übrigens in Deutschland. Zwar nicht im Rahmen ihrer „Where You Been“-Jubiläumstour, dafür mit einer Hits-Revue als würdige Alternative. Dinosaur Jr. reihen „Feel The Pain“ an „Start Choppin’“, das Cure-Cover „Just Like Heaven“ an „Freak Scene“. Sie sind Legenden.
Am Samstagnachmittag eröffnen Will Butler + Sister Squares den Baltic Saal mit ihren an Dschungelpop meets Talking Heads angelehnten Darbietungen aus ihrem Debütalbum aus diesem Jahr, und benannt nach der Band selbst. Auf kleineren Bühnen war der jüngere der beiden Butler-Brüder noch nie zu sehen. Während er bei Arcade Fire wie ein kleiner Affe von Bühnenseite zu Bühnenseite hetzte, ist er nun als Bassist/Gitarrist und Sänger an seine Position am Mikro gebunden. Seine Songs erinnern natürlich an den wilden Karneval seiner ehemaligen Band, bei der er 2020 ausstieg. Vielleicht kein Zufall allerdings ist, dass die Musik der früheren Indie-Heroen seit Lil‘ Wills Abgang nicht besser wurde.
Butlers Gesang erinnert an die gehetzte Dringlichkeit Tom Verlaines, und bei der Melodieführung ist noch ein wenig Luft nach oben, manches versandet in Chaos und Gefrickel. Aber er hat Charisma, und seine Sister Squares bestehen aus einem engagierten Drummer sowie drei Multiinstrumentalistinnen/Background-Sängerinnen, die sogar eine Tanz-Choreografie einstudiert haben. Diese Fünf scheinen sich gefunden zu haben. Das zweite Album dieses Projekts sollte man definitiv noch abwarten.
Schon vor zehn Jahren war Charlotte Brandi eine kleine Sensation, als sie das Me in Me And My Drummer war. Das Ende des Duos war im Namen angelegt. Aber seit einigen Jahren macht sie Platten unter ihrem Namen: „The Magician“ (2019) und nun „An den Alptraum“ mit deutschen Songtexten, eine betörende Sammlung von Kunst-, Gute-Nacht- und Minneliedern zu ihrem Keyboardspiel, Bass und Schlagzeug.
Und nun, auf der Bühne des Baltic-Saals, bedienen drei Frauen diese Instrumente, Brandi in der Mitte, manchmal mit Gitarre. Der Baltic-Saal ist so etwas wie der Meeresgrund der Ostsee: Alles wird verschluckt. Charlotte Brandi, erkältet nach einer Tournee, haut tapfer auf die Tasten und grüßt den „Rolling Stone Beach, Ihr Süßen“. Sie hat eine enorme theatralische Begabung, und ihre Songs sind noch besser. Sie steigern sich aus vertierten Nursery Rhymes in ausufernde Klavier-Ekstasen. „Jetzt hab‘ ich den Text vergessen – wie ging der noch?“, ruft sie einmal. „Verdammt, ich hasse es, mich zu verspielen!“ Wenn dies Verspielen ist, möchte ich nur noch Verspielen hören.
„Wir waren das Projekt Charlotte Brandi, und wir spielen einen letzten Song.“
Zum Abschied sagt Charlotte Brandi: „Es geht nicht, es ist ein Festival. Aber die Liebe kommt an, und sie kommt zurück.“
Man könnte sagen, dass diese Beach-Ausgabe das Festival mit zwei der legendärsten Songschreiber des amerikanischen Postpunk ist – und mit zwei der besten Gitarristen der Welt: Bob Mould und J. Mascis. Erwachsene Männer weinen, wenn sie an Hüsker Dü und Dinosaur Jr denken. Während Mascis aber im Trio auftritt, steht Mould allein mit seiner elektrischen Gitarre auf der Bühne. Wie, keine Band?
Bob Mould spielt Rock ohne Roll. Ein weniger muskulöser und versierter Mann könnte unmöglich anderthalb Stunden die Melodien aus der elektrischen Gitarre zerren. Eine Weile, nach dem Ende von Hüsker Dü 1988, trat Mould allein auf, in den Neunzigern mit dem Trio Sugar. Aus beiden Phasen spielt er an diesem Abend Songs, die man nicht sofort erkennt: „See A Little Light“, „Hoover Dam“ und „If I Can Change Your Mind“. Er bringt auch einige neue Stücke, die im nächsten Jahr auf einem Album erscheinen werden. Dann spielt er „Too Far Down“ von „Candy Apple Grey“, dem Meisterwerk von Hüsker Dü.
Bob Moluld hat jetzt ein kleines, treues Publikum, er ist mit sich im Einklang. „Thanks for having me“, sagt er. Mould hat eine Wohnung in Berlin. Am nächsten Tag fährt er dorthin zurück.
Es gibt sie manchmal: diese Momente, wenn ein temporeiches Konzert sich in einen Rausch hineinsteigert. Bei Shred Kelly, der seit 2012 Anlauf zum großen Wurf nehmenden Indie-Folk-Kapelle aus Kanada, war das im Zelt am Samstagnachmittag spätestens mit „The Bear“ der Fall, ihrem kleinen Hit, den das Debütalbum In The Hills“ abwarf. Eine von zischelnder Keyboardmelodie angetriebener Hymne, die sich live in ein strahlendes, im Vergleich zur Single vielfach gestrecktes Inferno verwandelt, in das sich die Musiker – allen voran der schlagfertige Drummer Ian Page-Shiner, der hier immer wieder aufs Gaspedal drückt – regelrecht hineinfallen lassen. Rock-Schweiß mit Banjo-Einsatz. Mögen auch manche Songs zu sehr auf Überschwang setzen, der Euphorieausstoß stimmt, die zuckrigen Mitsing-Balladen gefallen, Sage Bride und Tim Newton teilen sich elegant den Stimmeinsatz – und auf den Spuren von Dead South (abzüglich schrägen Humors und dunkler Geschichten) gelingt die Verbindung mit dem Publikum auf Anhieb.
Zum Einstieg gibt es Elektro-Orgel, zum zweiten Stück erklingt die Flöte, doch am wohlsten fühlen sich L.A. Edwards, dieses kleine Familienunternehmen aus Kalifornien mit dem Hang zu miniaturisierten Pathosrock-Gesten aus dem Repertoire von Springsteen und Petty, mit ihren wüstentrockenen Gitarrenriffs. Sänger Luke Edwards, der den Charme eines von Rampensaualbernheiten befreiten Dave Grohl versprüht, ruht jede Sekunde dieses unverzagten Auftritts am Samstagabend in der Alm in sich. Er reckt die Siegerfaust, der Zeigefinger geht nach oben. Adressiert er die Rockgötter? Ermahnt er das Publikum, das noch Besseres kommen möge? Fordert er seine Truppe zur Konzentration auf? Es fällt jedenfalls leicht, sich in den warmen Harmonien und der Americana-Romantik zu verlieren, die auch mal in Gefühlvolles oder Dunkles abgleiten, stets aber zurückfinden zum schnörkellosen Gitarrenrock-Vortrag, der seine Vorbilder von Jackson Browne bis Lucinda Williams stolz umarmt.
Am Samstagabend trat ein weiterer Soul-Act beim Festival auf, Thee Sacred Souls aus San Diego im Baltic Saal. Eigentlich ein Trio, hat sich die Band am Weißenhäuser Strand um einen Gitarristen und zwei Sängerinnen verstärkt. Und, ja, sie sind as vintage as can be, klingen 100% late-sixties-/early-seventies-informiert, changieren zwischen Smokey Robinson, dem jungen Marvin Gaye und gelegentlich auch Curtis Mayfield. Sänger Josh Lane trägt lange Dreadlocks und verfügt über ein kraftvolles Falsett, das am schönsten im Duett mit Jensine Benitez zur Geltung kommt, in „Happy And Well“ zum Beispiel, mit dem wunderbaren Refrain „They can have the world, I just want my baby“. Nicht alle Lyrics sind so gelungen, manche ein wenig unterkomplex, Liebe und Frieden die Themen der Band, Songs wie „Can I Call You Rose?“, „Easier Said Than Done“ oder der Uptempo-Stomper „Running Away“ aber tatsächlich mitreißend – und zumindest in der Mitte des Saals bildet sich ein Pool aus Tänzern und Tänzerinnen, fast wie bei einem Northern-Soul-Allnighter.
Dass Josh Lane in einer Songsansage den tödlichen Autounfall eines Freundes mit dem Gedenken an die Todesopfer „in Palestine“ verbindet (ohne jene in Israel zu erwähnen), irritiert gelinde gesagt ein bisschen und mindert etwas die Freunde über einen ansonsten tollen Auftritt.
Der kanadische Songwriter Jerry Leger und seine Band The Situation hätten ihr Debüt beim ROLLING STONE Beach mit einem Knall beginnen und die Menge mit einigen wuchtigen Rock’n’Roll-Stücken ihrer fabelhaften letzten Platten für sich einnehmen können. Doch sie wollen sich langsam in die Herzen zu schleichen, und führen zunächst ihr stimmungsvolles, in Melancholie und Orgeltönen badendes neues Album „Donlands“ in seiner ganzen Pracht auf. Dass sich die Zuhörer am Ende eines langen Konzerttages darauf einlassen und gebannt lauschen, spricht für die Qualität dieser Musik zur blauen Stunde, erklärt sich aber auch mit der Inbrunst und Intensität der Darbietung. Leger singt sich auf seiner Reise in die Einsamkeit die Seele aus dem Leib. Am Ziel angekommen, dreht die Band noch mal richtig auf, groovt sich durch ältere Stücke, die selbst für bisher mit Legers Werk nicht vertraute Ohren wie Klassiker klingen müssen.
Es braucht schon ordentlich Chuzpe, um sich ganz allein mit Gitarre auf die riesige Zeltbühne zu stellen. Klar, dass Thees Uhlmann die hat. Und dann fiel ihm gleich beim ersten Song, „Fünf Jahre nicht gesungen“, die zweite Strophe nicht ein. Für andere wäre die Show danach vielleicht gelaufen gewesen, nicht so für Thees. Er spielte unverdrossen die besten Tomte- und Solo-Songs und freute sich mit dem Publikum darüber, dass es wieder mal so ein schönes Festival war – und genau das ist sein Alleinstellungsmerkmal: Thees Uhlmann steht zwar im Scheinwerferlicht, aber er ist doch immer auch noch selbst Fan – und wie zum Beweis spielte er „Liebeslied“ von den Toten Hosen und später „48 Stunden“ von Kettcar. Da saß jedes Wort, und das Fehlen der Band war gar kein Manko, sondern sorgte für Nähe und Wärme in dem Zelt, von dem Peter Hein am Vortag noch behauptet hatte, es wäre ihm zu kalt. Kommt halt immer auf die Perspektive an.
Das Sextett um die Gebrüder Markus und Micha Acher setzt zum Abschluss des Festivals noch einmal Energiereserven im Publikum frei. The Notwist entfalten einen anderthalbstündigen Sog aus effektig-verspulten, melodisch vernebelten, experimentell verschachtelten und bittersüß-eingängigen Miniaturen, die alle auf traumwandlerische Art miteinander verbunden zu sein scheinen. Schicht um Schicht bauen sie ihre polyphonen Wunderwerke. Radiohead und Sonic Youth klingen an. Überall fiept und flimmert es prächtig. So driftet die Band dahin durch mehr als drei Jahrzehnte Band-Geschichte, von einigen Hardcore-Gesellenstücken („Agenda“) bis zur Avant-Pop-Meisterklasse („Pick Up The Phone“). Besonders hervorzuheben ist der norwegische Jazzer Karl Ivar Refseth, der den Sound mit seinem Vibraphonspiel durchwebt, durchpulst, bereichert. Im Kern sind The Notwist oberbayrisch, aber ihre Musik könnte auch aus Detroit stammen. Oder vom Mars.