Weshalb Kamala Harris zur Stunde so viele Menschen begeistert

Harris stellt sich dem unwahrscheinlichen Showdown. Unterstützung kommt von Barbra Streisand

Ihre Ansprache an die Nation hält Barbra Streisand vor einem Regal, in dem viele rot gebundene Scharteken nicht ganz akkurat angeordnet sind. Sind es Gesetzestexte, die Encyclopaedia Britannica, Bücher zur amerikanischen Geschichte? Hinter Streisands Tisch sieht man eine altertümliche Lampe. Streisand mag keine öffentlichen Auftritte, aber sie hat etwas zu sagen: Sie spricht sich für Kamala Harris aus. Das ist insofern nicht überraschend, weil Streisand immer die demokratischen Kandidaten unterstützte. „Happy Days Are Here Again“, die Hymne der Demokratischen Partei seit Franklin Roosevelt, gehört zu ihrem Repertoire.

Mit einer gewissen Schärfe in der Stimme bemerkt sie, dass sie den Slogan „Make America great again“ nicht mehr hören will. Der Satz sei Unsinn, denn „America IS great since 1776“. Große amerikanische Präsidenten – sie nennt Washington, Franklin, Lincoln – hätten das Wohl ihres Landes jederzeit über ihr eigenes gestellt. Nicht so der Egoist Donald Trump. Er solle dorthin geschickt werden, wohin er gehöre: zu seinem Golfcart.

Dann greift Streisand zu einem Becher mit Trinkhalm: „I’ll take a sip.“

Der Wahlaufruf aus der häuslichen Behaglichkeit von Malibu ist bei YouTube zu finden. Derweil ist der Konvent der Demokratischen Partei in Chicago zu Ende gegangen. Dort akzeptierte Kamala Harris ihre Nominierung mit einer flammenden Rede, in der sie ankündigte, die Spaltung des Landes überwinden zu wollen. Das war natürlich auch die Agenda von Joe Biden, der noch in seiner letzten Rede zur Lage der Nation eine altväterliche Versöhnlichkeit und gutmütigen Patriotismus demonstrierte. Nun aber geht ein Ruck durch die Demokratische Partei, denn nach dem unglücklichen Scheitern von Hillary Clinton hat Harris mit Tim Walz („bodenständig und nahbar“) gute Chancen, den schon enteilten Trump zu besiegen.

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Neben der liberalen Hollywood-Gemeinde meldete sich aus England Charli XCX mit „Kamala is brat“ zu Wort. Die Göre, der Bengel. Harris, die als Vizepräsidentin unauffällig und nicht immer geschickt agierte („Waren Sie denn schon an der mexikanischen Grenze?“), hat eine Euphorie ausgelöst, die den Konvent überstehen wird. Niemals hätte Joe Biden den bramsigen Trump schlagen können. Er machte einfach keinen präsidentiellen Eindruck mehr, weshalb ein Schauspieler, George Clooney, es ihm sagen musste.

Kamala Harris macht einen sehr präsidentiellen Eindruck. Mit ihr stehen Stärke, Eloquenz und Charisma auf der Bühne, und noch denkt man nicht an die „Mühen der Ebene“ aus dem Leitartikel. Man hat es gern, wenn von Aufbruch und neuem Morgen die Rede ist. Harris sieht aus wie die ideale Besetzung für die amerikanische Präsidentin. Und Tim Walz sieht aus wie der ideale rustikale Sidekick.

Harris kann gewinnen

Und wünschen wir uns in Deutschland nicht auch solche rauschenden Parteitage, bei denen Stimmungskanonen wie Olaf Scholz und Friedrich Merz auf die Pauke hauen? Gut, wir hatten 1995 den legendären Putsch von Oskar Lafontaine und den Schulz-Express, und wir haben Markus Söder und Ricarda Lang. Aber natürlich fehlen der Glamour und das Pathos, und das ist auch gut so.

Das Momentum der Kamala Harris liegt darin, dass eine aussichtslose Situation noch gewendet werden konnte und es nur zwei Konkurrenten um die Präsidentschaft gibt, entweder-oder. Man könnte von „Dezisionismus“ sprechen. Oder von einer Entscheidung der Vernunft. Und deshalb versammeln sich die Liberalen nun hinter Kamala Harris, während Trump von den wenigen schrägen Gestalten aus dem Schaugeschäft unterstützt wird: Kid Rock, Kanye West, Hulk Hogan.

Es ist ein unwahrscheinlicher Showdown, und Kamala Harris kann ihn gewinnen.

I’ll take a sip.

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