Rollender Calypso
An einem warmen Sommerabend warteten die White Rabbits im Ed Sullivan Theatre auf ihren Auftritt bei der „Late Show with David Letterman“. Ihre stolzen Eltern waren aus Columbia/Missouri extra nach New York gereist, um zu sehen, wie ihre Sprösslinge vor einem Millionenpublikum ihr „Network Television debut“ gaben. Da läutete das Mobiltelefon von Greg Roberts, dem Sänger der Band. Es war der Hauseigentümer, der den sechs jungen Männern eine schäbige Wohnung in Bushwick/Brooldyn vermietet hatte. Mitte Juli — und die Miete war noch nicht überwiesen.
Als die White Rabbits schließlich auf der Bühne standen, sah Roberts – adrett gekleidet mit Anzug und Krawatte – noch immer aus, als grüble er verzweifelt, wo er das Geld für die alte Butze auftreiben könnte. J’m so whoa-o-oo-o-oo“, sang er. Das ist der Refrain von „The Plot“, einem Song über einen Typen, der den ganzen Tag im Bett liegt, während seine Freundin das Geld verdient, „so we can have nice things.“ „Das war einer der ironischeren Momente in unserer Bandgeschichte“, kommentiert Roberts, der ein halbes Jahr später gar keine Zeit mehr hat, die Tage im Bett zu verbringen, denn seit der US-Veröffentlichung des White Rabbits-Debüts „Fort Nightly ist er ständig auf Tournee. Und dort haben die White Rabbits mit ihrer furiosen Show immerhin genügend Leute davon überzeugt, das Album zu kaufen, um die Miete zahlen und in eine etwas bessere Gegend ziehen zu können. Trotz der anfänglichen finanziellen Schwierigkeiten sei Brooklyn das beste, was ihnen hätte passieren können, so Roberts. „New York ist so unglaublich inspirierend. Man wird bombardiert von Eindrücken, lernt ständig neue Leute kennen. Ich glaube, das hat unserer Musik gut getan.“
In der Tat klingt „Fort Nightly“ wie ein melting pot, eine aufregende Verschmelzung von Traditionen, Kulturen und Stilen. Ähnlich wie etwa bei Vampire Weekend – die einige Monate später auch bei Letterman auftreten durften – muffeln die Songs nicht in der Garage vor sich hin, sondern atmen den Duft der großen weiten Welt. Während die Vampire sich arabeske Gitarreniinien aus der afrikanischen Musik saugten, hoppeln die weißen Hasen mit zwei Schlagzeugern polyrhythmisch durch ihr Repertoire. „Einige von uns sind mit Reggae und Soul aufgewachsen, und einer unserer Schlagzeuger hat in Chicago in einem World-Music-Laden gearbeitet“, erklärt Roberts die Inspiration. „Honky-tonk calypso“ haben sie ihre Musik selbst mal scherzhaft genannt und dabei noch Einflüsse wie die Specials, Sixties-Girl-Groups und vor allem die Pogues unterschlagen. Mit Letztgenannten sind die White Rabbits sogar schon aufgetreten. „Shane McGowan hatte einige Probleme, auf die Bühne zu kommen“, lacht Roberts, „aber als das geschafft war und die Band loslegte, wirkte er wie ein 20-Jähriger.“ Nach der Show seien die Pogues äußerst nett gewesen und hätten ihre jungen Verehrer mit Lob überschüttet, so Roberts weiter. Nur MacGowan sei nirgendwo zu finden gewesen, und dessen Meinung hätte ihn natürlich besonders interessiert.
Nach all der Tourerei mögen die White Rabbits ihre alten Songs schon nicht mehr hören und brennen darauf, wieder ins Studio zu gehen. Die zwei Bonus-Tracks der europäischen Version von „Fort Nightly“ zeigen schon, dass sie ihren musikalischen Horizont in den letzten Monaten erweitert haben. „Cotillion Blues“ hat mit seinen süffigen Bläserarrangements ein New-Orleans-Feel, und das Randy-Newman-Cover „The Beehive State“ intensiviert die Ragtime-Einflüsse, die im Klavierspiel des zweiten Sängers Steve Patterson schon auf den älteren Aufnahmen zu hören waren. Und das nächste Album nimmt auch allmählich Gestalt an. „Es ist keine dramatische Abkehr von dem, was wir bisher gemacht haben, eher eine natürliche Weiterentwicklung“, so Roberts. Schon auf der von Haldern Pop und dem ROLLING STONE präsentierten Tour im Mai (sehen Sie dazu auch die Seite 28 dieser Ausgabe) – werden wir einige neue Songs hören können. Einer heißt „Sea Of Rum“ – dürfte auch Shane McGowan gefallen.