Roland Kaiser: Ein Mann mit Haltung
Er ist ein Phänomen: Seit 50 Jahren nimmt ROLAND KAISER Platten auf – und wird immer noch populärer. Zugleich positioniert er sich klar gegen rechts. ROLLING STONE bat den Gentleman des erotischen Schlagers zum Gespräch

Alle Achtung, dieser Herr ist auch halb privat elegant gekleidet. Richtig privat kann er ja selten sein. Man kennt Roland Kaiser in Deutschland. Jedes Jahr veranstaltet er die „Kaisermania“ – 53 Konzerte gab er am Elbufer in Dresden vor der eindrucksvollen Kulisse der Stadt und des Flusses. Im letzten Jahr feierte er sein 50. Bühnenjubiläum dort – „50 Jahre, 50 Hits“. Nicht einmal Roland Kaiser hat 50 Hits, aber dieser Auftritt war fulminant. „Ich wusste, dass es ein langer Abend wird“, sagte er ungefähr nach der Hälfte der drei Stunden. Vielleicht kam ihm bei dieser Gelegenheit die Idee, sein neues Album „Marathon“ zu nennen.
Vor 52 Jahren arbeitete Ronald Keiler in der Werbeabteilung eines Autohauses in Berlin. Er sang manchmal in Bars. Als er von einem Vorsingen (heute: Casting) bei der Plattenfirma Hansa las, ging er in die Wittelsbacher Straße. „Wissen Sie, was Sie singen wollen?“ – „Nö.“ Man gab ihm ein Blatt mit Songtiteln. „Das.“ – „Aha. Wollen Sie nicht was Leichteres singen?“ Es war „In The Ghetto“, 1969 von Elvis Presley gesungen. Heute sagt Roland Kaiser, der sehr korrekt mit Zahlen ist, dass es Elvis’ einziger Nummer-eins-Hit in Deutschland war. Der junge Mann sang also dieses Lied, und der Besitzer der Plattenfirma betrat das Studio, um ihm einen Vertrag anzubieten.
„Santa Maria“ ist eine kühne Übertreibung von Fernweh, Erotik und Sehnsucht
Es ist eine bundesrepublikanische Erfolgsgeschichte: Der Junge aus dem Wedding, aufgewachsen bei einer Pflegemutter und einer Tante, brauchte drei Jahre, um ein Schlagerstar zu werden. „Nein, diesen Song singe ich nicht. Nicht diesen Song!“ Er sang „Sieben Fässer Wein“ dann doch. Wenn er heute auf der Bühne ein paar Töne andeutet, singt das Publikum sofort mit. Die Burleske, die er nicht singen wollte, ist noch immer recht lustig. 1980 gelang Kaiser ein Evergreen – „also ein Song, der länger lebt als der Künstler selbst“, wie er sagt. „Santa Maria“ ist eine kühne Übertreibung von Fernweh, Erotik und Sehnsucht, und Kaiser sang das Lied ganz ernsthaft. Er nahm dann abwechselnd Sehnsuchts- und Abschiedslieder wie „Dich zu lieben“ und „Lieb mich ein letztes Mal“ auf und frivole Schwänke wie „Manchmal möchte ich schon mit dir“ und „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben“.
„Softpornograf des deutschen Schlagers“
Kaiser machte sich die Formulierung „Softpornograf des deutschen Schlagers“ aus einer Besprechung zu eigen, die nicht ganz zutreffend ist: Er ist ein Erotiker, „mit Augenzwinkern“. Am Elbufer sang er „Friedensangebot (Lisa-Marie)“ und „Du, deine Freundin und ich“. Und natürlich den Superhit „Warum hast du nicht nein gesagt?“. Das Video mit Maite Kelly wurde 160 Millionen Mal aufgerufen.
Zur Jahrtausendwende wurde bei Kaiser eine chronisch obstruktive Lungenkrankheit diagnostiziert. Er trat noch zehn Jahre auf, bevor ihm eine Lunge transplantiert wurde. Noch im selben Jahr kehrte er auf die Bühne zurück. Kaiser nennt es sein „zweites Leben“. Er hat sich verändert seitdem, wie ihm Menschen attestieren, die ihn kennen. Und auch Menschen, die ihn nicht kennen. Er sei auf der Welle des Erfolgs „beratungsresistent“ gewesen.
Sein soziales und politisches Engagement verfolgt er mit einem gewissen Stoizismus
Andererseits veranstaltete er Konzerte zugunsten von Langzeitarbeitslosen, ist Vorstandsmitglied im Solidarfonds Stiftung Nordrhein-Westfalen und Mitglied der SPD – und zwar nicht seit der Jugendzeit im „roten Wedding“, sondern seit 2002. Im Jahr 2015 sprach Kaiser sich bei einer Demonstration in Dresden gegen Pegida aus. Und er wählte – auf Vorschlag der SPD-Landtagsfraktion von Mecklenburg-Vorpommern – zweimal den Bundespräsidenten. Mit Frank-Walter Steinmeier ist er befreundet.
Sein soziales und politisches Engagement verfolgt er mit einem gewissen Stoizismus. Die Bühnenpersona will er nicht mit seinem öffentlichen Wirken verbinden – er weiß, dass seine Konzerte riesige Feiern sind, Urlaub vom Alltag, zu dem die Zuschauer auch von fern anreisen. Beim Jubiläumskonzert kam Kaiser geschwind auf die Bühne, um „Gut, dass ihr da seid“ anzustimmen. Und „Ich glaub, es geht schon wieder los“. Man sah Plakate und Krönchen, T-Shirts waren dem Kaiser gewidmet, und eine Frau trug sogar Ohrringe mit dem Konterfei des Künstlers. Der Stadt Dresden hat er ein Liebeslied gewidmet, „Affäre“, bei der man zunächst an eine Liebesaffäre denkt. Sofern man das Lied noch nicht kennt. In Dresden kennt man es natürlich sehr gut. „Nur eine Affäre sollte es werden / Doch die Affäre wurde zur Liebe.“
Auch als Schauspieler ein unbezwingbares Charisma
Roland Kaiser hat ein stupendes Talent dafür, die richtigen Songs auszusuchen. Er singt wunderbar die Lieder von Peter Plate (Rosenstolz), „Liebe kann uns retten“ und „Liebe ist alles“, er hat „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“ von den Walker Brothers auf Deutsch interpretiert und „Fool (If You Think It’s Over)“ von Chris Rea – drollig als „Wind auf der Haut und Lisa“. Er ist ein rigoroser Textbearbeiter. Und man sieht bei seinen sporadischen Auftritten, etwa im „Tatort“, dass er auch als Schauspieler ein unbezwingbares Charisma hat.
Wir treffen Roland Kaiser vor der Veröffentlichung der neuen Platte, „Marathon“, bei seinem Label Sony Music in Berlin. Er ist konzentriert, konziliant und spricht mit dem schönen Bariton, den wir von seinen Konzerten kennen. Als Getränke geholt werden, bestellt er eine Cola Zero.
Ihre neue Single heißt „Achtung und Respekt“. Das ist ja ein Song, den man in den 70er-Jahren anders verstanden hätte, als man das heute tut. Spüren Sie auch Verantwortung für Ihre Hörer, dass sich was ändert?
Der Song wurde mir bereits im letzten Sommer angeboten. Da war weder zu ahnen, dass Donald Trump der neue Präsident der USA wird, noch war zu ahnen, dass die Koalition sich zum Ende des Jahres auflösen wird. Ich habe allgemein das Gefühl gehabt, dass in unserer Gesellschaft die Reizschwelle ziemlich tief ist. Und ich habe oft gelesen, dass in Bussen und Bahnen Mitarbeiter beschimpft werden, die ihrem Job nachgehen, die einfach nur nach der Fahrkarte fragen und bepöbelt und bespuckt werden. Dass Rettungskräfte attackiert werden. Mir fehlen in unserer Gesellschaft Achtung und Respekt. Diese beiden essenziellen Werte gehen verloren. Deswegen dachte ich: Dieses Lied möge uns bitte einen Spiegel vorhalten. Kinder, lasst uns doch einigen – wir behandeln den anderen so, wie wir selbst behandelt werden wollen.
Roland Kaiser – „Achtung und Respekt“:
Sie haben sich auch früh stark gemacht gegen Antisemitismus.
Ja.
Haben Sie da selbst Erfahrungen gemacht mit Freunden?
Ich bin mit einer Menge Menschen, die jüdischen Glaubens sind, befreundet hier in Berlin, und die waren sehr dankbar, dass ich am Brandenburger Tor eine Rede gehalten habe zu dem Thema.
In Ihrer Autobiografie schreiben Sie von verbalen Attacken in den sozialen Medien, nachdem Sie sich gegen Pegida in Dresden gewandt hatten: „Santa Maria“ wurde in „Santa Scharia“ abgewandelt. Sie haben einerseits diesen großen Zuspruch im Osten, und andererseits sehen Sie natürlich, dass es auch Widerspruch zu Ihren politischen Positionen gibt.
Ich lese solche Kommentare überhaupt nicht. Ich habe nicht mal einen Zugang zu Facebook, Instagram und dergleichen. Das liest meine Frau manchmal, und ich sage: Vergiss es, das ist morgen wieder vergessen. Der Zuspruch im Osten hat nicht abgenommen. Und wenn dann Leute sagen, ich gehe nicht zu deinem Konzert, ist es mir auch egal, denn ich werde meine Meinung nicht hinter merkantile Interessen stellen.
„In meinem Zimmer waren viele Bücher von Walter Kempowski“
Noch einmal zur Autobiografie, die ja einige Jahre zurückliegt. Unter anderem erinnern Sie sich sehr ausführlich an Ihre Kindheit im Wedding und an Ihre Pflegemutter. Uns hat es an – vielleicht haben Sie es gelesen – Walter Kempowskis „Tadellöser & Wolff“ erinnert.
Kenne ich. Ich habe mal in einem Hotel in Rostock übernachtet, und in meinem Zimmer waren viele Bücher von Walter Kempowski.
Und Sie haben auch so eine Art fotografische Erinnerungen an Ihre Kindheit, als Sie sechs, sieben Jahre alt waren, das Zeitungsaustragen etwa. Sie hatten keine Mühe, das aufzurufen während des Schreibens?
Nein, ich habe mit meiner Co-Autorin Sabine Eichhorst lange gesessen. Sie war sehr intensiv in der Nachfrage und konnte Bilder hervorgraben. Das war schon eine spannende Arbeit. Und das hat das Buch ausgemacht, glaube ich. Das Buch ist auch ein bisschen Zeitgeschichte. Nicht nur meine, sondern die vieler Menschen. Bundesrepublikanische Geschichte. Wie meine Mutter, die das Büro von Willy Brandt im Kurt-Schumacher-Haus putzte. Wie wir gemeinsam zu der Kundgebung von John F. Kennedy auf dem Platz vor dem Schöneberger Rathaus gefahren sind. Wie meine Mutter, die Brandt wirklich geliebt hat, ins Grübeln kam, als dann dieser junge Präsident da oben stand und uns Hoffnung machte. Als er „Ich bin ein Berliner“ sagte, hat sie geweint.
„Ich kann mich heute noch genau an den Tag erinnern, an dem ich erfahren habe, dass Udo Jürgens verstorben ist“
Und da war ganz Berlin fasziniert von diesem Menschen.
Es war unglaublich, das zu erleben, selbst als Kind. Ich habe das in so lebendiger Erinnerung, dass ich es fast filmisch vor mir sehe. Man kennt natürlich die Bilder vom Schöneberger Rathaus. Das war etwas Besonderes. Man hat ja im Leben bestimmte Momente, von denen man genau weiß, wo man war. Das gehörte zu diesen Erlebnissen in meinem Leben.
Was zählte noch dazu?
Die Geburt meiner Kinder, logischerweise. Es gibt so Dinge, die man nie vergisst. Ich kann mich heute noch genau an den Tag erinnern, an dem ich erfahren habe, dass Udo Jürgens verstorben ist.
Am 11. Januar waren Sie zu Gast bei einer Fernsehshow mit Florian Silbereisen. Sie erzählten dort, dass Sie sofort wussten, wie gut „Warum hast du nicht nein gesagt?“ ist.
Ein guter Song, ja, aber die Dimension kann man sich vorher nicht vorstellen. Mich rief Maite Kelly an einem Sonntagmorgen um halb acht voll Enthusiasmus an: „Ich habe einen Riesen-Song!“ – „Ja, aber jetzt ist halb acht.“ – „Trotzdem, du musst ihn jetzt hören.“ – „Ich schlafe noch halb.“ – „Du musst ihn jetzt hören!“ Dann hat sie angefangen zu singen. Danach hat sie mir das Lied geschickt, und da war ich wirklich begeistert. Aber diese Dimension konnte man nicht ahnen.
Maite Kelly und Roland Kaiser – „Warum hast du nicht nein gesagt?“:
Wurde es als Duett komponiert?
Maite wollte zuerst, dass ich es allein singe. Dann hat meine Frau gesagt: Ihr solltet Duett singen, der eine wirft es ja dem anderen vor. Maite war damals als Solosängerin noch nicht so bekannt. Das war eine interessante Kon- stellation. Hat auch so funktioniert.
Welche Erinnerungen haben Sie an die „Hitparade“ von Dieter Thomas Heck? Er hat einmal gesagt, dass „Dich zu lieben“ der beste Song ist, der je in der „Hitparade“ gesungen wurde.
Stimmt, das hat er viele Jahre später gesagt.
Wie entstehen diese Momente, in denen man spürt, dass da noch mehr in dem Lied drinsteckt, aber es braucht jemanden, der den Hinweis gibt, dass man Teile verschiebt oder neu konstruiert?
Thomas Meisel (der 2014 verstorbene Musikverleger und Hansa-Studios-Chef ) hatte die Kompetenz und die Autorität dazu. Und er war auch mutig. Ich kann mich erinnern, wie wir damals den Nachfolgesong von „Santa Maria“ gesucht haben. Da standen zur Wahl: „Dich zu lieben“ und „Lieb mich ein letztes Mal“. Und Thomas sagte, wir machen „Lieb mich ein letztes Mal“. Dann gab es die ersten Sendungen. Nichts passierte. Abwarten, sagte er. Dann kam die „Hitparade“. Und dann schaffte es der Song auf Platz 2 in die Charts. Fast 500.000 verkaufte Exemplare. Thomas Meisel hatte die Ruhe, weil er auch den finanziellen Back- ground hatte.
Auf „Marathon“ sind Lieder wie „Liebe darf das“ und „Auf den Dächern der Welt“, die auch erotisch sind: „Ich im Smoking, du tief dekolletiert.“ Schauen Sie manchmal auf den Zeitgeist und gucken, wie Künstler heute über Liebe oder Sexualität singen?
Die Texte sind mir angeboten worden, so wie sie sind. Die haben mir so gefallen. Ich finde, das ist gut geschrieben. Speziell Christian Bömkes mit „Liebe darf das“. Er schreibt ungewöhnlich. Also anders als die meisten, weil er besondere Formulierungen wählt.
Welches ist denn Ihr liebster Song, wenn Sie wählen müssten?
Auf dem Album oder generell?
Beides.
Einer meiner Lieblingssongs ist sicherlich „Bis zum nächsten Mal“. Den Text habe ich selbst geschrieben, vor vielen Jahren, als Song, mit dem ich immer meine Konzerte beende, den Menschen sage, wir sehen uns wieder, bis zum nächsten Mal, danke für diesen Abend. Das finde ich ein schönes Lied. Bei „Marathon“ ist es wahrscheinlich „Liebe ist alles“ von Peter Plate. Ich war immer Fan dieses Liedes. Peter rief mich im vergangenen Jahr im Sommer an und sagte, wir wollen unser Musical auf die Reise schicken. Kannst du dir vorstellen, den Song zu singen? Ich sagte, wenn du das willst, gerne.
„Liebe ist alles“:
Sie sangen bei der Kaisermania in Dresden im letzten Jahr „Du, deine Freundin und ich“ und danach „Joana“. Im Hintergrund sieht man auf der Leinwand den jüngeren Roland Kaiser. Ist das manchmal für Sie etwas schmerzlich oder melancholisch?
Nein, wir haben das gemacht zum 50. Bühnenjubiläum, fast schon ein bisschen selbstironisch. Also nicht melancholisch oder traurig.
Wir möchten gern noch einmal hören, wie Sie „Santa Maria“ geschrieben und umgeschrieben haben.
Wir hatten den Song über das Schiff von Columbus, die Santa Maria, schon aufgenommen, er war komplett fertig gemischt. Dann kam Tommi in mein Büro und sagte, das müssen wir umschreiben, das kann so nichts werden. Da war ich stocksauer. (Schlagertexter) Norbert Hammerschmidt und ich sind dann nach Hause gefahren, haben abends einen guten Rotwein getrunken und haben angefangen, an allen Ecken und Enden zu übertreiben. Am nächsten Morgen bin ich zu Tommi gegangen: „Hier ist dein Text.“ Und er sagte: „Sensationell!“ – „Tommi, das ist ein Scherz, das ist nicht dein Ernst!“ – „Doch, den nehmen wir auf! Das ist riesig.“ Und dann haben wir es aufgenommen. Seitdem singe ich das so.
Sie haben auch „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“ von den Walker Brothers aufgenommen. Wie sind Sie damals darauf gekommen?
Damals haben wir ein Album gemacht, das hieß „Grenzenlos“. Da habe ich deutsche Songs gemacht, englische, große Hits, die mir gefallen, mit deutschen Texten.
Was ist Ihre Erklärung für Ihren anhaltenden Erfolg? Bei Ihren Konzerten sind auch viele junge Leute unter den Zuschauern.
Das geht von 18 bis 80. Ich glaube, dass die Akzeptanz, zumindest was meine Person angeht, durch die Generationen geht. Ich schätze mal, dass man mir das glaubt, was ich tue.
Noch ein paar triviale Fragen: Sie haben einmal gesagt, dass Ihre Frau die Anzüge herauslegt. Sind das maßgeschneiderte Anzüge?
Ja, alle.
Und das Einstecktuch, können Sie das selbst falten?
Es ist eingenäht.
Und dann gibt es eine Geste von Maite Kelly auf der Bühne: Sie zieht Sie an der Krawatte.
Das macht sie gerne. Das ist eine Angewohnheit von ihr. Es hat angefangen mit dem Video zu „Warum hast du nicht nein gesagt?“ damals. Da hat sie zum ersten Mal an der Krawatte gezogen. Und ich sage immer: Maite, bitte! Na ja. Sie macht es immer wieder.