Roger Waters wehrt sich gegen Antisemitismusvorwurf in Dokumentarfilm
Der Mitgründer von Pink Floyd sieht „Propaganda, die wahllos Dinge vermischt“
Mal wieder Stunk um Roger Waters. Im Vorfeld seiner Shows im Londoner Palladium (8. und 9. Oktober) im Stadtviertel Soho macht die in Großbritannien ansässige Interessengruppe „Campaign Against Antisemitism“ mächtig Druck. Sie versucht die Eigentümer des renommierten Musicaltheaters, Lord Andrew Lloyd Webber, und den Veranstalter Live Nation davon zu überzeugen, die Auftritte abzusagen.
In diesem Kontext hat die 2014 gegründete Organisation einen Dokumentarfilm mit dem plakativen Titel „The Dark Side of Roger Waters“ veröffentlicht. Dieser befasst sich mit den zahlreichen Antisemitismus-Vorwürfen gegen den Mitbegründer von Pink Floyd.
Waters selbst erklärt, dass die Filmemacher ihn kürzlich um eine Stellungnahme gebeten haben, die er jedoch ablehnte. Über seine Social Media-Kanäle hat er sich nun in einem langen Beitrag dazu geäußert.
Sein Tenor: Ein fadenscheiniges, voreingenommenes Werk.
„Mein ganzes Leben lang habe ich Dinge unterstützt, von denen ich überzeugt bin. Ich glaube leidenschaftlich an die universellen Menschenrechte. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, die Welt zu einem besseren, gerechteren und gleichberechtigteren Ort für alle meine Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt zu machen, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität, von indigenen Völkern, die von der US-Ölindustrie bedroht werden. Bis hin zu iranischen Frauen, die für ihre Rechte protestieren“, so seine universell gehaltene Vorrede.
Und weiter:
„Deshalb engagiere ich mich in der gewaltfreien Protestbewegung gegen die illegale Besetzung Palästinas durch die israelische Regierung und ihre ungeheuerliche Behandlung der Palästinenser. Diejenigen, die diese Position mit Antisemitismus in Verbindung bringen wollen, erweisen uns allen einen Bärendienst …“
Die Fronten scheinen verhärtet. Der Produzent von „The Dark Side of Roger Waters“ Bob Ezrin gibt an, er habe mitbekommen, wie Waters den Band-Agenten Bryan Morrison am Rande eines Auftritts als „fucking Jew“ bezeichnet habe. An anderer Stelle behauptet Saxophonist Norbert Stachel, der für Waters spielte, dass der Musiker in einem Restaurant wütend das Essen ablehnte, das er angeblich als „Judenspeise“ bezeichnete. Er behauptete auch, Waters habe sich über seine Familie lustig gemacht, von der einige im Holocaust getötet wurden, indem er sie nachahmte.
In den Worten von Waters Stellungnahme klingt das so:
„Die Wahrheit ist vielmehr, dass ich oft eine große Klappe habe und zu Respektlosigkeiten neige. Ich kann mich nicht daran erinnern, was ich vor 13 oder mehr Jahren gesagt habe. Ich habe viele Jahre lang eng mit vielen jüdischen Menschen, Musikern und anderen, zusammengearbeitet.“
Auf die konkreten Vorwürfe eingehend:
„Wenn ich die beiden Personen aus Film verärgert habe, tut mir das leid. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich kein Antisemit bin und auch nie einer war – wie jeder, der mich wirklich kennt, bezeugen wird. Ich weiß, dass das jüdische Volk ein vielfältiger, interessanter und komplizierter Haufen ist, genau wie der Rest der Menschheit. Viele sind Verbündete im Kampf für Gleichheit und Gerechtigkeit, in Israel, Palästina und auf der ganzen Welt. Doch dieser Film verzerrt und stellt meine Ansichten über den israelischen Staat und seine politische Ideologie, den Zionismus, völlig falsch dar!“
Sein Fazit:
Dieser Film sei ein fadenscheiniger und bösartiger Propaganda-Werk, das wahllos Dinge vermischt, „die ich zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Zusammenhängen gesagt oder getan haben soll, um mich als Antisemiten darzustellen.“
Bislang haben die Filmemacher noch nicht auf die Einlassungen von Waters reagiert.
Im Zentrum der aktuellen Empörung stand auch sein Auftritt in der Arena am Berliner Ostbahnhof, bei dem er in der zweiten Hälfte seines Sets in einem schwarzen Militärmantel mit roter Armbinde über die Bühne marschierte. Kenner des Sujets erkannten eine Figur aus Pink Floyds „The Wall“, die sich innerhalb einer Traumsequenz einen fiktiven faschistischen Diktator herbeifieberte. Der Autor dieser Zeilen war bei der Show anwesend.
Im weiten Runde der Mehrzweckhalle wurde Waters Mantel-Nummer als Teil der bombastischen Dramaturgie wahrgenommen. Sie sorgte für keine wahrnehmbare Reaktion beim Fan-Publikum.
Waters selbst wiederum sagt, sein Bühnenauftritt sei als Statement gegen Faschismus, Ungerechtigkeit und Bigotterie zu interpretieren, und bezeichnet die Kritik daran als „unaufrichtig und politisch motiviert“.
Die US-Sonderbeauftragte für die Überwachung und Bekämpfung des Antisemitismus, Deborah Lipstadt, bezeichnete diesen Part der Liveshow als „Holocaust-Verzerrung“ und teilte eine Meldung bei Nachrichtendienst „X“, in dem der Antisemitismus-Koordinator der Europäischen Kommission sich gegen Waters ausspricht: „Der fragliche Künstler hat eine lange Erfolgsbilanz bei der Verwendung antisemitischer Stanzen, in der jüdische Menschen verunglimpft werden.“
Man gewinnt den Eindruck, dass die zentralen Auseinandersetzungen zwischen Gremien mit Fachexpertise und einem 80-jährigen Sturkopf geführt werden, der mit all seinen Möglichkeiten zur weltweiten Kommunikation unnachgiebig auf seine Position pocht. Wie schon während seiner Europa-Tour ist kaum davon auszugehen, dass die örtlichen Behörden die Londoner Waters-Shows verbieten werden. Die Causa verbleibt juristisch betrachte in einer Grauzone von Moral und Meinungsfreiheit.