Die Herren des Glücks
Unser Kolumnist Rocko Schamoni über Hoffnungsareale, Pizzaecken und die Verbindung zwischen Glücksspielen und Kreuzfahrten
Die kluge Psychiaterin Heidi Kastner hat ein Buch mit dem Titel „Dummheit“ geschrieben, darin behauptet sie, „Dummheit ist die Tendenz, Fakten zu ignorieren und im Sinne des kurzfristigen, unmittelbaren und scheinbaren Vorteils langfristige negative Folgen für sich und andere auszublenden. Dumme Menschen verstehen sich nicht als Teil eines Gefüges, für sie kommen immer nur die eigenen Belange an erster Stelle.“ Ich möchte anfügen: Andere wiederum, die intellektuell nicht dazu in der Lage sind, die komplexen Zusammenhänge der Gegenwart zu verstehen, oder die schlichtweg zu faul dazu sind, sich damit zu beschäftigen, schenken ihr Vertrauen und ihre Stimmen vermeintlich starken Männern und Frauen mit vermeintlich einfachen und klaren Lösungen. Diese Grunddispositionen eines Teiles unsere Mitmenschen nutzen Figuren vom Schlage Donald Trumps für ihre Ziele aus – der Wirtschaftshistoriker Carlo Maria Cipolla nennt diese Figuren schlichtweg: Banditen. Absurderweise schafft es ein Bandit wie Trump, gerade die Leute, die er ausbeutet und verachtet, zu seinen treuesten und willfährigsten Unterstützern zu machen, das hat es in dieser zynischen, völlig transparenten Form auch noch nicht gegeben. Passend dazu erscheint mir der Aphorismus der österreichischen Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach: „Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.“
Die von Frau Kastner beschriebene (und von mir so benannte) „soziale Dummheit“ ist auf der Klaviatur der menschlichen Dummheitsformen vermutlich die entscheidendste, da sie die größten Konsequenzen für die Erde und all ihre Bewohner trägt. Was mich direkt zu den Toptopics des Monats führt: Kreuzfahrt und Glücksspiel.
Eine der schäbigsten legalen Abzocken dieser Welt ist das Glücksspiel. Dabei wird armen (und mitunter intelligenten) Wursteln suggeriert, dass, wenn sie nur lange genug verlieren, irgendwann einmal das große Glück über sie hereinbrechen müsste. Dostojewski, zweifelsohne einer der intelligentesten Erdenbewohner seiner Zeit, war diesem dümmlichen Wahn völlig verfallen. Zwar gibt es mondäne Casinos, in denen die dekadenten Gewinner der westlichen Turbomaschine nonchalant ihr Taschengeld verplempern, die meisten echten Spieler aber lungern eher am untersten Absatz der sozialen Leiter herum. Man führe sich nur all die tristen Spielsalons in den Ausfallstraßen deutscher Mittel- und Kleinstädte vor Augen, deren Frontscheiben mit psychotisch grinsenden Oliver-Kahn-Fotos zugeklebt sind und in denen arme, rauchende, schweigende Männer vor rotierenden Scheiben sitzen und das Hoffnungsareal in ihrem Hirn mit Flachmännern befeuern. (Es sind tatsächlich zu 99 Prozent Männer, die vor den Scheiben sitzen, diese Art von Spiel scheint eine spezifische Männerdummheit anzusprechen.) Noch trauriger wird’s, seitdem man diese Spiele auf dem Handy und also auch alleine zu Hause spielen kann, hier wird faktisch von den Betreibern der Portale – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – einfach Geld von Privatpersonen abgesaugt, die nicht dazu in der Lage sind, ihre fehlgeleiteten Hoffnungen in den Griff zu kriegen.
Der andere heute zu erwähnende Bereich des Trash-Entertainments sind Kreuzfahrten. Mir ist schon seit jeher unverständlich, wie man die Fahrt auf einem dieser vollgestopften Stahlghettos, auf dem man für wenige Quadratmeter Billo-Hotel Unsummen bezahlen muss, als „Luxusurlaub“ genießen kann. Rätselhaft, warum Menschen in Massen aufeinander hockend aus Großküchen versorgt und eng auf eng gedrängt an Deckpools liegend über Meere gondeln und in fremde Städte einfallen, um dort in wenigen Stunden ein paar Cola-Light und eine Pizzaecke zu verschlingen und ihren Kot und Urin abzuschlagen. Was hat das mit Reisen und mit Freiheit zu tun? Mit dem Entdecken der Welt und seiner/ihrer selbst? Mit dem Kennenlernen anderer Kulturen und Menschen? Mit dem ehrfurchtsvollen Staunen vor dem Fremden? Und wissen diese Menschen nicht, was für eine unglaubliche Umweltsauerei sie mit diesem „Luxusurlaub“ begehen? Sie wissen es und tun es dennoch, denn „das ist es ihnen wert“.
Warum ich diese beiden Bereiche in einem Text erwähne? Weil sie im Fall der MV-Werften (Kreuzfahrtschiffhersteller), die vor kurzem Insolvenz anmeldeten, sich endlich als zusammengehörig offenbaren. Es ist derselbe Konzern – Genting Group – und derselbe Konzernbesitzer (Lim Kok Thay, Milliardär mit geschätzten 2,6 Milliarden), der sein unglaubliches Vermögen aus den dümmlichen Träumen seiner Kunden schlägt, indem er an das Schäbigste in ihnen appelliert. Und der Genting-Konzern (Kreuzfahrtmarken: Star Cruises, Crystal Cruises sowie Dream Cruises) sollte zudem gerade auch noch mit 600 Millionen Euro aus dem staatlichen Wirtschaftsstabilisierungsfonds unterstützt werden, das sind IHRE Steuergelder, verehrte Bob-Dylan-Fans und -Faninnen, mit denen diese Flotte des Teufels erbaut werden soll.
Der Weiterbau der „Global Dream“, des größten Kreuzfahrtschiffes der Welt, wurde übrigens bis auf weiteres ausgesetzt. Die „Global Dream“ sollte als gigantische schwimmende Spielhalle für reiche Chinesen gebaut werden, hier kommt alles zusammen, was als dekadent, schäbig und kaputt bezeichnet werden kann.
Ich plädiere also an dieser Stelle für das sofortige Verbot von geldaktiven Glücksspielen und sowieso für Kreuzfahrten, damit hätten wir dem Teufel zwei seiner stinkenden Zähne ausgebrochen.
Autorenbild von Kerstin Behrendt