Rock-Traum auf dem Acker
Die Brüder Donnie & Joe Emerson reüssieren mit einer alten Heimaufnahme
Es ist eine Geschichte, die man sich ausdenken müsste, wenn sie nicht wahr wäre: Ende der 70er-Jahre baut der Farmer und Holzfäller Don Emerson Sr. seinen musikversessenen Teenager-Söhnen Donnie und Joe auf dem Gelände der Familien-Farm im 800-Seelen-Kaff Fruitland, Washington ein Tonstudio. Wenn man wie Donnie jeden Tag zwei Songs schreibe, müsse das doch gefördert werden, so der Papa. Da es seinen Söhnen an nichts fehlen soll, verkauft Don Sr. den Großteil der 500-Hektar-Farm und stellt seinen Kindern alles in die Hütte, was das Musikerherz begehrt: eine TEAC-8-Spurmaschine, Verstärker, ein Schlagzeug, einen PolyMoog und, und, und. Er sei eben ein Typ, der die Träume seiner Kinder unterstützt, merkt der Vater heute lapidar an. Seine einzige Forderung: Donnie und Joe mögen es bitte nicht beim Nachdudeln bekannter Klassiker belassen, sondern ausschließlich eigenes Material einspielen. Doch das Familienoberhaupt geht noch weiter: Nachdem er eine zweite Hypothek aufgenommen hat, baut er seinen Sprösslingen gleich noch eine Konzerthalle auf dem Farmgelände, mit Ticket-Schalter, Snackbar und allem Drum und Dran. Derart motiviert geben die Brüder alles: Tag und Nacht sind sie fortan im Studio, nehmen Song um Song auf. Die Einflüsse? Donnie: „Wir haben damals überhaupt keine Platten besessen. Es gab ja in unserem abgelegenen Dorf gar keinen Laden. Wir hörten Musik daher fast ausschließlich, wenn wir auf dem Traktor über die Felder fuhren im Lokalradio.“ Hall & Oates seien ein großer Einfluss gewesen, aber auch Smokey Robinson und die Commodores.
Nach einigen Monaten im Studio haben Hauptsongschreiber Donnie und sein trommelnder Bruder tatsächlich ein Album im Kasten. Da man ahnt, dass Musik zwar eine feine Sache, der passende Look aber womöglich genauso entscheidend für eine Weltkarriere ist, zwängen sich die Brüder in hautenge weiße Show-Anzüge, die aussehen, als würde Neil Diamond seit 1975 überall verzweifelt nach den vermissten Stücken suchen. „Das war Donnies Idee“, lacht Joe. „Wir haben die Dinger neulich noch mal für eine Fotosession angezogen, sie sind immer noch top in Schuss.“ 1979 schließlich erscheint das privat gepresste Album „Dreamin‘ Wild“. Zugegeben: Das Cover mit den weißen Show-Anzügen buchstabiert Trash, trotzdem ist den Brüdern eine Pop-Wundertüte gelungen. Blue-Eyed-Soul und Power-Pop wechseln sich mit verhinderten AOR-Hits und zarten Balladen ab. Stolz wie Bolle sitzen die Emersons fortan zu Hause und warten auf den Anruf eines großen Labels. Es passiert: nichts. Selbst die Mitschüler, bislang Hauptzielgruppe der beiden Besessenen, interessieren sich nicht im Geringsten für das Meisterwerk. „Wir konnten das überhaupt nicht verstehen“, lacht Joe heute. „Wir dachten nur: ,Hey, wir haben ein Album!‘ Die anderen aber dachten nicht viel mehr als: ,Schön für euch.'“
Was folgt, ist eine langsame Rückkehr auf den Boden der Tatsachen: Zwar produzieren Donnie und Joe zunächst weiterhin fleißig Musik, doch der Schock über den Beinah-Bankrott der Familie und das Scheitern der hochtrabenden Pläne sitzt tief. Donnie: „Ich glaube, die letzten Aufnahmen, die wir in unserem Studio in Fruitland gemacht haben, stammen etwa von 1981. Danach war die Luft raus.“ Während Joe wieder hauptsächlich mit dem Vater auf der Farm arbeitet, zieht Donnie ins benachbarte Spokane und schlägt sich mit seiner Frau als Country-Musiker durch.
Erst 33 Jahre nach Erstveröffentlichung von „Dreamin‘ Wild“ nimmt die unglaubliche Geschichte der Gebrüder Emerson die entscheidende Wende: In einem Ramschladen in Spokane stolpert der Plattensammler Jack Fleischer über ein Exemplar des Albums. Nachdem er, vom Cover in die Irre geführt, zunächst glaubt, auf ein markerschütterndes Trash-Machwerk gestoßen zu sein, streckt er angesichts des aufrichtigen und rührenden Ausdrucks der Emersonschen Lieder rasch die Waffen. Bald wird das Album vom Reissue-Spezialisten Light In The Attic wiederveröffentlicht, und zahlreiche Indie-Musiker – von Ariel Pink über Jenny Lewis bis hin zu Dam-Funk – verneigen sich vor dem Werk der Brüder.
„Es war anfangs nicht ganz einfach für mich, dass unsere Musik von vor über 30 Jahren jetzt wiederentdeckt wird“, sagt Donnie ernst. „Ganz ehrlich: Es ist immer noch nicht einfach.“ Und dennoch schmiedet er schon wieder Pläne für die Zukunft:“Weißt du, Joe, ich habe da letztens bei einem Typ so ein 8-Spur-Gerät gesehen, wie Dad es uns damals gekauft hat. Ich habe keine Lust mehr, alles mit Computern und Pro-Tools zu machen. Wenn wir weitermachen, dann so wie damals.“