Rock am Ring – Eifel, Nürburgring
Bei Rock am Ring überzeugten vor allem Künstler aus der sogenannten Nische
Das Wort Höhepunkt lässt bei Rock am Ring verschiedene Definitionen zu. Zum Beispiel der Auftritt von Kitty, Daisy & Lewis im Zelt. Man kann das ja schwer schätzen, aber mehr als tausend Leute haben ihn wohl kaum erlebt, diesen frühen, strahlenden Festival-, genau: Höhepunkt am Freitagabend. Diese aber tanzten ausgelassen und erschienen – zumindest teilweise – im Petticoat-lastigen Motto-Gewand.
Freilich: Den Fehler, hier eine rein nostalgische 50s-Revue zu unterstellen, sollte man vermeiden. Natürlich gibt es nur wenig Uncooleres als eine Rock’n’Roll-Version der Kelly Family. Aber die Hingabe, mit der die Geschwister aus dem Londoner Norden zusammen mit den Eltern ihre Melange aus Rhythm & Blues, Roots, Country und Swing vitalisieren, lässt eine solche Deutung nicht zu.
Schon ein paar Leute mehr sind es dann beim nächsten Höhepunkt am Samstagnachmittag. „Some songs about not growing up“ kündigt Suggs McPherson an, und „One Step Beyond“ ist gleich der erste von ihnen. „My Girl“ folgt bald darauf, und überhaupt bedeuten knapp 50 Minuten mit Madness natürlich: Jeder Song ein Hit. Einige von ihnen haben sie früher zackiger gespielt, aber wir wollen nicht kleinlich sein.
Zurück zu den Höhepunkten. Die Güte von Festival-Billings bemisst man ja nicht zuletzt an der Wahl des oder der Headliner. Was aber macht man, wenn es keinen solchen gibt? Dem Startplatz nach war jene Position den Killers, Slipknot und Limp Bizkit zugedacht – erfüllen konnte die überhöhten Erwartungen eigentlich nur Fred Dursts Karnevalsverein.
Der Killers-Sänger Brandon Flowers hingegen war bereits am Nachmittag nervlich angeschlagen. Eben hatte er entdeckt, dass seine Band unmittelbar nach Placebo den Freitagabend auf der Hauptbühne beschließen sollte. Und dass die Killers hier mehr reißen könnten als Brian Molkos (Frage des Abends: Haar-Extensions oder gute Gene?) umbesetzte Truppe, wollte Flowers nicht glauben. Es wurden dann Notenblätter mit dem Text von „Human“ verteilt, und auch sonst allerlei Aufwand betrieben, die Killers wirkten jedoch übernervös und insbesondere Flowers verkrampft. Zwar goutierte das Publikum den Auftritt durchaus, von der tumultartigen Massen-Choreografie vergangener Jahre bei Auftritten von Rage Against The Machine oder Metallica war all dies aber weit entfernt.
Nächster Tag, gleiche Stelle: Immer noch versteht kein normaler Mensch, was es mit den komischen Clowns von Slipknot auf sich hat, aber man möchte auch nicht die Energie aufbringen, hier tiefer gehende Analysen zu betreiben. Was die jungen Leute zwischendurch auch gut finden: Prodigy. Immer noch. Weswegen Conrad Keely vom …Trail Of Dead uns zu Recht fragt, ob Deutschland auf ewig in den Neunzigern gefangen sei. Neben einem leider nur halbguten Auftritt der Texaner brachte der Samstag – abermals in der relativen Nische – zwei Höhepunkte, die nicht unbedingt als solche geplant waren. Zunächst bewies die Band Phases Of Life im Rahmen des Talentwettbewerbs „Coca-Cola Soundwave“, dass man HipHop und artverwandte Stile eben doch sehr gut live und mit Band auf die Bühne bringen kann. Folgerichtig bleiben die Berliner zusammen mit sechs anderen Nachwuchs-Bands im Wettbewerb und dürfen in den kommenden Wochen weitere Großfestivals bereisen. Einige Stunden später versammelten The Gaslight Anthem dann zwar überwiegend Eingeweihte und regenbedingte Zufallsgäste vor der Bühne, schwangen sich jedoch auf mitreißende Weise endgültig zu Springsteens legitimen Punk-Erben auf. Natürlich kommt die Band aus New Jersey.
Der Sonntag war dann der Tag des geschlossenen Einmarsches der Grand Hotel van Cleef-Belegschaft, sowohl Kettkar als auch Tomte bespielten die Alternastage. Den Abend beschloss das Phänomen Peter Fox – am Ring wie im sonstigen Leben der eine Künstler, auf den sich alle einigen können.
Was noch passierte: Ein tanzender Björn Dixgard machte auf der Aftershow-Party ein besseres Bild als vorher auf der Bühne mit Mando Diao. Wilson Ochsenknecht wurde allerorten der Zutritt verwehrt, nachdem er die Lounge von „Guitar Hero“ vollgekotzt hatte. Thomas Mars von Phoenix hatte auf der Bühne ein rotes Näschen, das bis China leuchtete. Und natürlich wurde wieder öffentlich uriniert, regnete es unablässig, war es neblig, matschig und kalt. Eigentlich alles wie immer also.