Robert Mapplethorpe und Robert Frank – Die Fotografen hinter den Ikonen
Die Fotografen Robert Frank und Robert Mapplethorpe stehen im Zentrum zweier Dokumentarfilme, die sich über das Werk den Männern hinter der Kamera annähern.
In diesem Jahr wird die Kunst der Fotografie mit Brigitte Lacombe nicht nur eine renommierte Vertretung in der internationalen Jury haben, sondern mit Laura Israels „Don’t Blink – Robert Frank“ sowie Fenton Baileys und Randy Barbatos „Mapplethorpe: Look at the Pictures“ auch zwei beeindruckende Dokumentarfilme in der Sektion Panorama Dokumente.
Die Fotografie als eine der neben dem Film nachgerückten großen Künste hat seit jeher einen festen Platz bei der Berlinale. Im vergangenen Jahr war mit „Life“ die Hommage des niederländischen Künstlers Anton Corbijn an den US-amerikanischen Fotojournalisten Dennis Stock zu sehen, im Jahr davor die spannende Dokumentation „Through a lens darkly. Black Photographers and the emergence of people“ des US-Amerikaners Thomas Allen Harris, in dem er die fotografische Darstellung von Schwarzen in den vergangenen 150 Jahren ergründete.
Mit den beiden Roberts, die nun im Zentrum der diesjährigen Dokus stehen, rückt die Berlinale zwei Fotografen in den Mittelpunkt, die längst in die Hall of Fame der Fotografie eingezogen sind. Beide haben unzählige Bildikonen geschaffen, mit ihren Bildern Licht in die dunklen Ecken Amerikas gebracht, und dennoch könnten die Unterschiede ihrer Arbeit kaum größer sein.
Der hübsche und sehnsüchtige Intellektuelle
Der 1989 verstorbene Robert Mapplethorpe war schon als Person eine Ikone. Er verzauberte mit seiner Aura des hübschen und sehnsüchtigen Intellektuellen nicht nur seine wichtigsten Lebensgefährten Patti Smith und den Kunstsammler Sam Wagstaff, sondern auch diejenigen, die er ablichtete, Stars wie Andy Warhol, Richard Gere, Peter Gabriel, Grace Jones und Paloma Picasso. Wer in den siebziger Jahren etwas auf sich hielt, versuchte, sich von Mapplethorpe porträtieren zu lassen.
In der Dokumentation von Bailey und Barbato geht es jedoch nicht vordergründig um Mapplethorpes Starporträts, sondern um seine legendäre X-, Y- und Z-Series, in denen er auf Grundlage der Sujets (Homo-)Sexuality, Flowers und Blacks ebenso perfekte wie provokante Bilder versammelt. Die Filmemacher stellen die Dämonisierung Mapplethorpes durch die christlich-konservativen Kräfte in den USA der Humanisierung des Menschenbildes durch Mapplethorpes Arbeiten und ihren Einzug in die Museen gegenüber. Erstmals überhaupt konnte dafür in vollem Umfang auf die Mapplethorpe-Archive mit über 120.000 Bildern und mehr als 2.000 bearbeiteten Prints zurückgegriffen werden, was nicht nur einen vertieften Einblick in das Gesamtwerk ermöglicht, sondern auch die Genese Robert Mapplethorpes vom Sohn irisch-katholischer Einwanderer zum kontroversen Megastar der internationalen Kunstszene veranschaulicht, von dem man vor allem seine nahezu orthodoxen Inszenierungen des menschlichen Körpers in Erinnerung behalten wird.
„Mapplethorpe: Look at the Pictures“ ist vor dem Hintergrund der den Künstler verteufelnden Kritik aber vor allem eine Aufforderung, hinzusehen, die Geschichten hinter den Bildern zu suchen und in der Provokation die gesellschaftspolitische oder autobiografische Botschaft der einzelnen Fotografie zu suchen. Zentral sind dabei die Fotografien, die in der Wanderausstellung „The Perfect Moment“ (1988-1990) zu sehen waren. Nicht unwesentlich tragen aber auch die Diskussionen bei den Sichtungs- und Auswahlarbeiten für die erste große Mapplethorpe-Retrospektive nach 26 Jahren, die in diesem Jahr in Los Angeles, Montreal und Sydney gezeigt wird (der Bildband dazu erscheint im März unter dem Titel „Die Photographien“im Verlag Schirmel/Mosel), dazu bei, die Geschichten hinter den Bildern zu erzählen. Unterstützung erfährt diese Suche in den zahlreichen Interviews mit Weggefährten und Hinterbliebenen dieses Menschenverzauberers, die Bailey und Barbato aus den Archiven gesucht und für ihren Film exklusiv geführt haben. Vor allem die Gespräche mit Mapplethorpes Bruder Edward, der jahrelang als Assistent in Mapplethorpes Studio gearbeitet hat und den Film auf der Berlinale mit präsentiert, lassen dabei neue Perspektiven zu.
Die persönlichen Bruchstellen werden nicht sichtbar
Zugleich gelingt es dem Film nicht wirklich, der Dämonisierung Mapplethorpes die Humanisierung entgegenzusetzen. Vielmehr wird die Diskreditierung der konservativen Kräfte ersetzt von Mapplethorpes Selbststilisierung als Mephisto der Moderne mit Bullenpeitsche im Anus. Er wird als Perfektionist und selbstverliebter Egomane präsentiert, für den eine Ausstellung mit der Einladungskarte beginnt und der es dann nicht ertragen kann, wenn auf dieser der Name seines kleinen Bruders vor seinem steht. Diese persönlichen Bruchstellen zu verfolgen und die Ambivalenz des Menschen Robert Mapplethorpe freizulegen, versucht der Film redlich, es will ihm aber nicht vollkommen gelingen. Das Werk steht und strahlt über allem.
Ähnlich verhält es sich mit Laura Israels Dokumentar-Biopic „Don’t Blink – Robert Frank“, auch hier thront ein Werk über der Person. Robert Frank gehört zur Generation der Nachkriegsfotografen rund um Elliot Erwitt, Edward Steichen und Walker Evans, der nach seiner Übersiedlung aus der Schweiz in die USA erst mit Steichen die Auswahl für die MoMA-Ausstellungen „Post-War European Photographers“ und „The Family of Man“ traf und dann selbst mit einem Guggenheim-Stipendium in der Tasche die USA ergründete. Tausende Bilder entstanden für seine Bildreportage über das Land und seine Menschen, die schließlich auch die Beat-Generation rund um Jack Kerouac und Allen Ginsberg begeisterten.
„Just let it roll and do it“, wurde von Anfang an zu seinem Credo als Filmemacher. Das gilt für seinen Debütfilm „Pull My Daisy“ ebenso wie für seinen bis heute unveröffentlichten Dokumentarfilm „Cocksucker Blues“, der die Amerika-Tournee der Rolling Stones 1972 festhielt. Mikk Jagger soll, nachdem er den Film gesehen hat, gesagt haben: „It’s a fucking good film, Robert – but if it’s shown in America, we’ll never be allowed in the country again.“
Israel rast im Eiltempo durch Franks fotografisches und filmisches Werk, versucht dabei alles zu streifen und lässt doch etwas Wesentliches links liegen – den Moment der Ruhe, der sich in Franks uferlosem, avantgardistischem Werk immer wieder findet. Thomas Schadt ist das Einfangen dieses Ruhemoments in seinem Film „Das Gefühl des Augenblicks. Auf den Spuren des Fotographen Robert Frank“ von 1989 etwas besser gelungen, ist dabei aber auch sehr subjektiv in seiner Aussage.
Der ältere Herr kramt im Archiv
Hier kann Israels Dokumentation Abhilfe schaffen, auch weil sie Frank selbst für ihren Film gewinnen konnte. Da sieht man dann oft den sympathischen älteren Herrn, der in seinen Archiven kramt und sich sinnierend über seine alten Aufnahmen beugt. Der aber auch nicht vor der Kamera stillsitzen will – schon gar nicht, wenn im Hintergrund sein Oeuvre gezeigt wird. Diese dem Film entnommene Szene ist vielsagend für „Don’t Blink – Robert Frank“, denn statt dem Künstler zu erklären, warum sie ihn so und nicht anders in Szene setzen will, reagiert Laure Israel auf dessen Unruhe mit Zurückhaltung und macht die Kamera aus. So entsteht der Eindruck, dass nicht hier ein Film über Robert Frank gemacht hat, sondern Robert Frank einen Film kuratierte, den Israel über ihn zu machen beabsichtigte.
Schon in den neunziger Jahren sagte Frank einem französischen Fotografen mal in die Kamera, dass er Interviews hasse und am liebsten aus dem Bildrahmen hinauslaufen wolle. „Ich mache das mit Menschen. Ich will aber nicht, dass man das mit mir macht“, sagte er dem französischen Interviewer in die Kamera. „Ich wollte mit Leuten sprechen und nicht, dass sie mit mir sprechen.“ Irgendwie ist es Israel aber gelungen, ihn für das Projekt zumindest so weit zu begeistern, dass er nicht nur aus dem Bilderrahmen raus wollte, sondern innerhalb des Bilderrahmens über sich selbst und die Dramen in seiner Familie spricht. Über die Welt, die er fotografisch festgehalten, und die, die daraus geworden ist. Sein Leben, soviel wird deutlich, hat er ganz der Kunst gewidmet. „It’s better to do something, than to do nothing.“
Ergänzt werden diese Erinnerung von Interviewauszügen und Kommentaren seiner Lebensgefährtin June Leaf, von Freunden und Weggefährten wie Allen Ginsberg, Shane O’Neill oder William S. Burroughs, von Gesprächen mit dem Kameramann Ed Lachman oder seinem deutschen Verleger Gerhard Steidl.
Robert Frank und Robert Mapplethorpe haben Fotografien gemacht, die von Menschen und ihren Charakteren erzählen. Die Filme, die die Berlinale zeigt, verneigen sich vor ihrem Werk und bringen uns die Menschen, die sich hinter der Kamera versteckten, ein wenig näher.