Robbie Williams: Der Neue im Rattenpack
Mit seiner Hommage an Frank Sinatra und die Swing-Ära versucht ROBBIE WILLIAMS den Crossover zwischen Pathos und Parodie.
Obwohl dieses Foto das Gegenteil zu beweisen scheint: Robbie Williams will nicht Frank Sinatra sein. Wenn er das behauptet, glauben Sie ihm kein Wort. Vielleicht will Robbie Williams Filmrollen wie „Der Mann mit dem goldenen Arm“ oder „Verdammt in alle Ewigkeit“, vielleicht will er ein Verhältnis mit Ava Gardner haben, als sie jung war. Er will aber auch das Recht behalten, bei Konzerten seinen Hintern zu zeigen, und das hätte Sinatras Etikette nicht erlaubt. Ende Oktober hat Williams es wieder getan, vor knapp 10000 Fans in Singapur. Um keine Probleme mit der Polizei zu bekommen, erklärte er, die Hose sei ihm aus Versehen heruntergerutscht. Wäre er Sinatra, hätte ihm auch das keiner geglaubt, weil Frank Sinatra nur perfekt sitzende Hosen trug.
Eine pure Laune des Moments ist es trotzdem nicht, dass Robbie Williams als Sinatra-Imitator auftritt. Bereits Ende letzten Jahres da bewarb er noch die Fußball-Platte „Sing When You ‚re Winning“ hatte er dem „Spiegel“ erzählt, wie er schon als Kind das Rat Pack bewundert habe, die Männerbande Sinatra, Dean Martin, Sammy Davis jr.: „Mein Ideal ist bis heute die klassische Las-Vegas-Schule: Sieh zu, dass du wirklich jeden amüsierst.“ Williams‘ Vater, bekanntlich ein Komiker, hatte den Dreijährigen ermutigt, im Pub in Stoke-on-Trent bei Karaoke-Abenden zu singen. Meistens alte Swing-Nummern, der Mann an der Begleit-Orgel konnte nichts anderes.
Heute, mit 28, kann sich Robbie Williams für solche musikalischen Exkurse eine komplette Big Band leisten. 14 klassische Stücke und ein sinnverwandtes eigenes Lied („I Will Talk And Hollywood Will Listen“) hat er mit dem London Session Orchestra aufgenommen, unter der Regie von Songschreiber und Kompagnon Guy Chambers, der Atmosphäre wegen im achteckigen Aufnahmeraum der Capitol-Studios in Los Angeles. Sinatra was here, oft mit dem Pianisten Bill Miller – der mittlerweile über 80-Jährige kam, um Williams bei „One For My Baby“ zu begleiten. Count-Basie-Schlagzeuger Harold Jones spielte mit, und weil Sinatras Nachlassverwalter die ersten Hörproben mochten, gaben sie sogar das Material für ein posthumes Duett frei:
Frankie und Robbie singen „It Was A Very Good Year“ zusammen. Die altersweise Zeile „Now I think of my Life as vintage wine in fine older kegs“ hätte Williams sicher ungern selbst übernommen.
Allein daran zeigt sich, in was für ein geschmacksempfindliches Unternehmen sich Robbie Williams hier gewagt hat. Parodie oder pathetische Anmaßung, dazwischen gibt es scheinbar nichts, aber er hat tatsächlich die exakte Mitte getroffen. Die Idee, die Platte „Swing When You’re Winning“ zu nennen, dürfte beim Saufen auf einer Papierserviette entstanden sein. Die begleitenden Fotos, die Williams teils mit Zigarette und starken Frisiercremespuren am Piano zeigen, zerstreuen den Verdacht, dass hier irgendetwas modernisiert werden soll. Später, beim Rückblick auf die Discographie, wird man sagen, dass dies halt Robbies eigenartige Swing-Platte war, und im Gegensatz zu Sinead O’Connor (die 1992 mit „Am I Not Your Girl?“etwas Ähnliches versuchte)
hat Williams die Sache gut gemacht. Bübische Verwegenheit klingt in seinen Versionen durch, bei aller Zurückhaltung. Sinatras Sugar-Daddy-Charme schmeckt ja auch nicht jedem.
Das Projekt habe auch erzieherischen Wert, hat Produzent Guy Chambers gesagt: Viele Leute wüssten gar nicht, dass ihnen Big-Band-Musik eigentlich gut gefallen würde. Wenn man das so sieht, muss sich Chambers gefreut haben, dass Robbies Swing-Leidenschaft pünktlich zum Weihnachtsfest ausbrach – das könnte eine Erklärung dafür sein, dass Williams direkt nach der anstrengenden Stadion-Tour ins Studio ging. Auch die art directors dürften Veitstänze aufgeführt haben. Bei einem wie Robbie Williams, der bildstark in Szene gesetzt werden muss, ist die Idee mit dem Sinatra-Look eine enorme Arbeitserleichterung.
Noch ein Grund, warum Robbie Williams sicher nicht Frank Sinatra sein will: Sonst müsste er das Programm nun Abend für Abend singen, an einem Ort wie dem Sands-Hotel in Las Vegas, wo das Rat Pack lange residierte. Robbie Williams, das Phantom der Oper? Lieber der König für eine Nacht, genauer gesagt die Nacht des 10. Oktobers 2001. Die Royal Albert Hall in London (kommende Attraktionen: Willie Nelson james Last) ist ausverkauft, Einlass nur in Smoking oder Abendkleid. Was der Veranstaltung aber nichts Gestelztes gibt. Die Londoner fühlen sich heute so sexy und großstädtisch wie selten.
Hier hat John Lennon (Nord-Engländer wie Robbie Williams) damals den Spruch gemacht, die Herrschaften in der Loge sollten bitte im Takt mit den Juwelen rasseln. Die sitzen dieses Mal im Innenraum, an Tischen, die pro Platz angeblich 500 Pfund gekostet haben, und stecken sich gegenseitig ausgelassen Krabbenchips in die Mäuler, während ein Mann mit dem unglaublichen Namen Ray Gelato zum Vorprogramm „Americano“ und „Just A Gigolo“ singt. Schauspieler Rupert Everett kündigt vom Balkon herab Robbie Williams als „paranoidesten Mann im Showbusiness und größten Swinger der Gegenwart“ an, zum Intro des 60-Mann-Orchesters erscheint er im Bogen des gigantischen, leuchtenden R, rutscht an einer Feuerwehrstange herunter und stolpert als Marx Brother durchs Schlagzeug. Über Sinatra hat Williams mal gesagt, er bewundere, wie der immer ohne Radau auf die Bühne spaziert sei.
Aber das wäre keine vernünftige Option fiir Robbie Williams, den gut aussehenden Klassenkasper, dem die Menschen in der Albert Hall alles aus der Hand fressen. Steve Sidwell, den Dirigenten, nennt er „Glatzkopf“, „The Lady Is A Tramp“ widmet er seinen „letzten drei Freundinnen“, und nah an den Mikros der Filmkameras, die den Abend für BBC und DVD aufnehmen, phantasiert er frei über den Text von Fred Astaires „Let’s Face The Music And Dance“: „While there is moonlight and music and love and romance – let’s get butt naked and all fucked up on drugs, at least the girls!“ Später am Abend (zu dem Zeitpunkt, an dem Frank Sinatra auf der Bühne im Sands seinen Tee trank und über das Alkoholproblem von Dean Martin scherzte) wird Rupert Everett ankündigen, dass nur die Menschen beider Geschlechter eine Zugabe bekommen, die sich auf allen Vieren von Robbie Williams hinterrücks beglücken lassen. Das gehört zum Spiel: Im Smoking in der Albert Hall, während die Show das Niveau einer billigen Strandbad-Pavillon-Revue streift.
Nicole Kidman, mit der er auf dem Album schüchtern „Something Stupid“ singt, soll am Vorabend unweit von London bei der Europa-Premiere von „Moulin Rouge“ gewesen sein. Beim Konzert empfängt Williams am Fuß der Showtreppe aber nur die weniger spektakulären Duett-Partner, die Schauspieler Jon Lovitz und Jane Horrocks, den Sänger Jonathan Wilkes. Der geistige Mentor erscheint dann zu „It Was A Very Good Year“ auf der Leinwand. Sinatras Leben in vier Minuten, Robbie Williams in wahrer Anbetung. Selbst solche Stücke pflegte der alte Entertainer mit Witzgeplauder zu unterbrechen, aber da hört es auf für den jungen Mann, da rutscht ihm nichts heraus aus der Anzughose. Da beginnt der Respekt.
Und hier muss man zur Abwechslung ein paar Monate zurückblenden, zu Robbie Williams‘ Auftritt im Müngersdorfer Stadion in Köln. Wie er dort während der eigenen Tränenballade „Eternity“ immer wieder rief: „Is this good or is this scheiße?“ Wie er dort rocksäuisch die Stimmung antrieb und sich im nächsten Moment über sich selbst lustig machte. Die Lässigkeit, die er an Frank Sinatra bewundert, hat Robbie Williams durchaus. Nur dann nicht, wenn er in Abendgarderobe steckt.
Beim abschließenden „My Way“ stehen auch ältere Damen auf den Stühlen. Robbie Williams hat eine weitere Generation geknackt.