Robbie Robertson: Ein Indianer kennt seinen Schmerz
Er war Bob Dylans Gitarrist, Leader of The Band, Musik-Archäologe in New Orleans und dann plötzlich auch und nur noch - "Native American": Robbie Robertson beschäftigt sich seit Jahren vornehmlich mit seinen indianischen Wurzeln. Fünf Jahre nach seiner Reinkarnation hat der letzte Mohikaner die Pferde erneut gesattelt: Das Halbblut reitet wieder.
Er erzählt den Witz immer noch, obwohl er ja eigentlich nicht mehr über ihn lachen kann und es vielleicht auch noch nie konnte; dafür ist die Thematik zu ernst – und er selbst sowieso. Aber trotzdem, erzählt Robbie Robertson, da sind also diese NASA-Mitarbeiter, die eine neue Abschußrampe in der Wüste New Mexicos bauen, wobei sie ein alter Indianer am Horizont beobachtet. Irgendwann kommt der Alte und will wissen, was sie da machen. „Wir bauen Maschinen, mit denen Leute in den Himmel fliegen können“, erklärt ein NASA-Mitarbeiter. Der Indianer zuckt mit den Schultern und sagt: „Meine Vorfahren reisen seit Jahrtausenden zu unseren Brüdern in den Himmel!“ Na dann, meint der Wissenschaftler in Gönnerlaune, könne er seinen Leuten da draußen ja eine Botschaft mitgeben. Am nächsten Tag kommt der Indianer und übergibt eine in seiner Sprache verfaßte Notiz. Als der NASA-Wissenschaftler sie übersetzen läßt, liest er: „Glaubt diesen Kerlen nicht – Sie stehlen Euer Land!“
Um das gleich vorwegzunehmen: Das war’s mit lustig. Ein Gespräch mit Robbie Robertson darf ein heiteres nicht sein. Die Miene versteinert, der Körper unbeweglich in den Stuhl gepreßt, die fixierenden Augen im Schatten der halbdunklen Sonnenbrille: als ob sie Fallen befürchteten oder einen Hinterhalt. Doch, sagt er, er wisse, daß es schwer sei, in Europa ein Album wie „Contact Front The Underworld Of Red Boy“ zu promoten – keinerlei Bezüge oder nur die falschen: In den USA könne er ja an das kollektive Schuldgefühl appellieren. Aber hier?
Hier sitzt man vor dem CD-Player und wundert sich. Mal wieder auch Robertsons letztes Werk „Music For The Native Americans“ (1994) klang ja schon verdächtig nach Meditationsmusik zum Friedenspfeiferauchen. Für seine aktuelle Produktion hat er unter anderem Musiker und Sänger der Six Nations (einem Verbund der Irokesen-Stämme), der Inuit und der Paiute zusammengetrommelt und sie mit verstohlenen Euro-Modernisten wie den Produzenten Howie B. und Marius de Vries zusammengebracht (auch DJ Premier darf einen Titel remixen, „Take Your Partner By The Hand“, in Londons Gay-Scene bereits ein Dancefloor-Filler). Das Resultat ist erneut geballter Schönklang – dieses Mal allerdings nicht mehr ausschließlich ätherisch schwebend, sondern dubmäßig dahintrabend: Winnetou goes Massive Attack.
Für Robertson ist es symptomatisch, daß so ein Hybrid selbst in den militanten, puristischen Zirkeln des American Indian Movements wohlwollend aufgenommen, überall sonst aber eher als New Age-Mucke und Second-Hand-Spiritualismus rezipiert wird – etwas, das ihm weh tut und er auf den „listening gap“ zurückfuhrt, eine offensichtlich kulturelle Kluft zwischen Rot und Weiß, „something like the Great Divide“.
Noch eher und mehr aber gibt er jenen romantisierenden Stereotypen die Schuld, nach denen musizierende Indianer zwar nicht mehr auf abgesägten Baumstämmen herumzutrommeln hätten – schließen lebten wir ja in den Zeiten der political correctness -, aber eine zünftige Akustikgitarre vorm Bauch sollte es dann schon sein. „Und wenn der Robertson dann auf einem wilden Mustang zu seinen Interview-Terminen angeritten käme, wäre das sogar noch besser.“
Nein: Er ist sich seiner Sache sicher. Robertson hat sich Rückendeckung geholt, wohl ahnend, daß er sich mit „Contact Front The Underworld Of Red Boy“ auf sensibles Terrain wagen würde – vor allem mit einem Titel wie „Peyote Healing“, der aufgenommen wurde, während im Studio Medizinmänner im Meskalrausch einer der heiligsten indianischen Zeremonien vollzogen. John TrudelL Buffy Saint-Marie, Floyd Westerman – sie alle, sagt er, hätten ihm Mut gemacht Am Ende hat er sogar den Ältestenrat im Reservat der Six Nations befragt und sich sein Konzept von Chiefs wie Leonard George und One Yellow Horse absegnen lassen: „Ich wäre nicht einfach hingegangen und hätte traditionelle Klänge mit Dance-Rhythmen unterlegt – die Musiker hätten da auch nicht mitgemacht Die meisten von denen waren noch nie in ihrem Leben in einem Studio. Erst der Segen der Alten hat diese Aufnahmen möglich gemacht“
Und einen weiteren Rat habe er von den Chiefs der Six Nations erhalten: Bloß nicht so zu tun, als könne er wissen, wie es um die indianischen Befindlichkeiten vor 100 oder auch nur 20 Jahren bestellt gewesen sei. Du lebst heute, hätten sie ihm gesagt, also tu nicht so, als seist Du gegen Custer geritten!
„Ich habe als Kind meine Ferien im Reservat verbracht Wenn die vorbei waren, bin ich wieder zurück in die Stadt der Weißen. Und dann war ich ein halbes Leben lang als Musiker in weißen Bands unterwegs und habe für ein weißes Publikum gespielt Irgendwann aber habe ich angefangen, mich mit dieser Seite meiner musikalischen Wurzeln zu beschäftigen, und das neue Album ist das vorläufige Ergebnis. Wenn Leute glauben, das sei Fahrstuhlmusik, ist das ihr Problem. Für mich ist es Medizin, die beste, die ich für meine Seele entdecken konnte. Und ich lasse mir nicht sagen, daß alle im Jahr 1998 leben dürfen, bloß die Indianer bitteschön nicht.“
Es hat nicht nur beinahe 40 Musikerjahre gedauert, bis Robertson seine Halbblut-Herkunft offenlegte (seine Mutter ist Mohikanerin und wuchs im kanadischen Reservat der Six Nations auf) – seine plötzliche Fixierung auf die Musik der indianischen Kulturen Mitte der Neunziger kam vor allem deshalb überraschend, weil seine früheren Arbeiten die Fährten in absolut gegensätzlich Richtungen ausgelegt hatten. Sümpfe, Bayerns und Back Hills – das schienen Robertsons Reviere zu sein. Auf den Red Roads jenseits der sich nach Westen fressenden Frontier hatte man ihn nicht vermutet Robbie Robertsons Musikerkarriere begann mit den Hawks, der Begleitcombo von Ronnie Hawkins – und knallhartem Rockabilly. Hinter dem Rücken des „hottest man in Arkansas“ wuchsen Richard Manuel, Garth Hudson, Levon Helm, Rick Danko und Robbie Robertson allmählich zu jener Truppe zusammen, auf die 1965 Bob Dylan aufmerksam wurde. Der Rest ist Geschichte: Die Pfeifkonzerte bei den ersten gemeinsamen Auftritten, das Eremitentum in „West Saugerties, die Basement-Tapes, „Music Front Big Pink“. Dann menschliches Auseinanderdriften.
Und dann „The Last Waltz“. Greil Marcus mag recht haben, wenn er schreibt, daß die Musik von The Band den Amerikanern das Gefühl gab, in einem an Tradition reicheren Land zu leben, als sie vermutet hatten. „The Last Waltz“, der bewegende Abschiedsfilm, wurde von Martin Scorsese inszeniert, der damals noch kein Star-Regisseur war und sich bekanntlich eher für die urbanen Italo-Amerikaner interessierte. Der Konzertfilm versammelt Auftritte von Dylan, Neil Young und Van Morrison, die zum schönsten gehören, was die Rockmusik Amerikas hervorgebracht hat Auf einer einzigen Bühne kam zusammen, was man heute „Country-Rock“, „Folk-Rock“ und „Roots“ nennt, damals aber keinen Namen brauchte. Es war die Musik eines großen, mythischen Landes. Indianer allerdings existierten in diesem Land nicht.
Robertsons Songwriting für The Band hangelte sich damals an gänzlich anderen Leitlinien entlang: an der Zelluloid-Metaphorik eines John Ford beispielsweise und an der atmosphärischen Dichte von Faulkner und Steinbeck, sehr photographisch, selten in Farbe, eher in sepiabraun oder schwarzweiß. In dieser Phase mag er jeden „Cripple Creek“ südlich der Mason-Dixon-Linie besungen haben – um die Prärien aber schlug er intuitiv immer einen weiten Bogen. Und so wie seine Mitmusiker optisch stets an Goldrausch-Prospektoren von 1849 erinnerten, waren Robertsons Song-Akteure fast ausschließlich Protagonisten eines ländlichen, verwurzelten, manchmal auch gespenstischen Amerikas: müde Bürgerkriegs-Soldaten wie Virgil Kane, heilige Trinker, heimgesuchte Farmer, the proud, the humble and the haunted. Anders gesagt: Im ersten Abschnitt seiner Karierre setzte Robertson genau jenen Gestalten musikalische Denkmäler; deren Gegenstücke in der Realität das Verhältnis von Winchester und Pfeil & Bogen ein für allemal klargestellt hatten. „Mit der Band? Lieder über Indianer?“ Er sieht aus, als würde er zum ersten Mal über diese Frage nachdenken. Kneift die Augen hinter den dunklen Gläsern und überlegt derart lange, daß man die Frage wiederholen möchte. Nein, sagt Robertson schließlich, nein, das hätte nicht gepaßt, das wäre den anderen gegenüber auch nicht fair gewesen. „Die hatten ja keinen indianischen Background. Ich wäre mir vorgekommen wie jemand, der gesagt hätte: ‚Hey, Leute, hab da gestern Nacht diesen Western gesehen – laßt uns doch noch ein bißchen was Indianisches unterbringen, fand ich cool Ihr wißt doch, ich bin halber Mohawk.‘ Kannst Du Dir Levon vorstellen, wie er einen Song über Peyote-Tänze singt? Oder Rick einen über die Schlacht am Little Big Horn? Und Richard Manuel?“ Robertson schweigt. Starrt ins Leere und zieht die Luft ein. „Richard vielleicht Doch, Richard hätte das gekonnt.“
Vielleicht auch deshalb beginnt Robertsons „Fallen Angel“ (sein Requiem für Manuel, der sich 1986 in der Dusche eines Motels in Florida erhängte) mit einer Toten-Trommel der Cheyenne: das erste Mal, das indianische Klänge in einer seiner Kompositionen auftauchen. Passen würde es, sagt er, die Zeit, in der er die Songs für sein Solo-Debüt „Robbie Robertson“ (1987) geschrieben habe – das sei die Phase gewesen, in der er auf einmal den Wunsch verspürte, sein indianisches Erbe zu erkunden. Deswegen auch ein Song namens „Broken Arrow“ mit Totem-und-Tomahawk-Metaphorik, deswegen die Zeile „The half-breed rides again“ in „Testimony“.
Ansonsten war „Robbie Robertson“ (ein von Daniel Lanois fast schon grotesk überproduziertes Album, das immer dann extrem abgeschmackt klang, wenn U2 zu den Instrumenten griffen) musikalisch fest im Tiefen Süden verankert – „Somewhere Down The Crazy River“, einem Landstrich, mit dem Robertson schon immer eine besondere Affinität verband. Auch der Nachfolger „Storyville“ (von 1991) kreiste um Sounds und Songs aus New Orleans. Wieder wurde von den Neville Brothers über die Wild Magnolias bis zu Lanois alles aufgeboten, was Rang und Namen in „The Big Easy“ hatte – wieder klang das Ergebnis trotz einiger passabler Passagen eher nach maniriertem Schönklang als nach tiefer Seele. Vielleicht sei er damals zu detailversessen gewesen, meint Robertson heute. „Ich hab versucht, alles über New Orleans zu lesen, jede verdammte Schallplatte zu hören, jeden Musiker zu treffen, jede Hintergasse der Stadt entlang zu gehen. Vielleicht wollte ich aber die ganze Zeit etwas anderes, ohne es zu wissen.“
Und dann kam 1993 mit einem Anruf von Ted Turners TBS-Station das Angebot, den Soundtrack zur TV-Serie „The Native Americans“ zu schreiben. Robertson willigte ein, nachdem er erfahren hatte, daß die Dokumentation ausschließlich unter indianischer Federführung gedreht würde. „Für ein Projekt nach dem Motto Jetzt erzählen wir Euch mal, wie die Indianer früher waren‘ hätte ich nicht gearbeitet. Aber das hörte sich von Anfang an vielversprechend an: Ich hatte die Möglichkeit, die Musik meiner Vorfahren zu entdecken, ganz von vorne und mit einem Team von Experten, die mir genau sagen konnten, wo die Grenzen zwischen Authentizität und Verwestlichung verliefen.“
Und so, wie er zuvor die Musik aus dem „Acadian Driftwood“ und aus „Storyville“ erforscht hatte, kniete sich Robertson jetzt in die Klänge des anderen Amerika. Das Ergebnis, eine Kombination aus indianischen Gesängen und gebrummelten Eigenkompositionen, untermalte die wissenschaftliche Dokumentation genauso trefflich wie die Bohrarbeiten meines damaligen New Yorker Zahnarztes. „Listening gap“?
Und dann? Und jetzt? jetzt sei es im Blut, hat er aufs Cover seines neuen Albums geschrieben: „It’s in the blood. I can’t let go“. Was klingt, als dürfte man nie wieder etwas anderes von ihm erwarten als Regengesänge der Schoschonen oder Beschwörungsformeln der Medizinmänner. Dabei will er „Contact From The Underworld Of Red Boy“ überhaupt nicht als zweiten Teil einer monumentalen Indianer-Serie verstanden wissen, nein: Das Album sei absolut eigenständig und habe mit der „Music Vor The Native Ameriams“ nicht übermäßig viel gemein; damals habe er letztlich doch zuviel Rücksichten auf die Zwänge des Fernsehens nehmen müssen. Wohingegen das jüngste Album doch ohne jegliche Restriktionen aufgenommen worden sei – dem Ältestenrat sei Dank.
„There are a million stories to teil“: Robertson beschränkt sich erst einmal auf elf. Und wenn ihm eine besonders wichtig ist, dann die von Leonard Peltier, die er in „Sacrifice“ erzählt. Peltier, Lakota und politischer Aktivist aus der „Pine Ridge Reservation“ am Wounded Knee, sitzt seit 21 Jahren im Knast („the swiftest growing Indian reservation in the country“) – unschuldig, wahrscheinlich, auf jeden Fall ohne Beweise verurteilt wegen Mordes an zwei FBI-Beamten. Diesen Mann, den er für einen Märtyrer hält, aus dem Kerker zu bekommen – nicht mehr und nicht weniger will Robertson mit „Contact From The Underworld Of Red Boy“ erreichen. Er hat deswegen sogar an seinen Präsidenten geschrieben – von dem er zufällig weiß, daß er seinerzeit in Arkansas regelmäßig zu den Auftritten der Hawks gekommen ist. Und Bill Clinton habe geantwortet und hoch und heilig versichert, sich persönlich um die Angelegenheit zu kümmern.
Wie er Clinton zu diesem vollmundigen Versprechen bewegt habe? „Ich brauchte nur beiläufig zu erwähnen, daß ich der Typ bin, der ‚The Night They Drove Old Dixie Down‘ geschrieben hat.“
Dreistigkeit? Kühnheit! Auch das habe er gelernt bei seinen Arbeiten mit indianischen Musikern: „Mut fiir das Ungewöhnliche zu zeigen. Nicht wütend die Faust zu ballen, sondern einen gesunden Zorn zu entwickeln.“ Mag die nicht-indianische Welt den „Contact“ bloß als Wohlklang-Elegie auf die Letzten ihrer Art verstehen: Für Robbie Robertson ist dieses Album zu einem Stück Selbstfindung geworden.
Den Rest von sich will er demnächst draußen in der Wüste des amerikanischen Südwestens suchen; ein Freund hat ihm schon eine passende Landkarte gegeben. „Eine, auf der Wege und Pfade verzeichnet sind, die man auf keiner AAA-Karte findet“ Verfahren, sagt er, werde er sich nicht, es gebe genügend Markierungen an den Steinen da draußen. Markierungen?
„Landemarkierungen. Für unsere Brüder draußen im All. Indians have always seen the light…“