RISIKOMINDERNDE MASSNAHMEN
Geld stinkt nicht, aber es korrumpiert. Wer es hat, will mehr. Wer viel hat, will viel mehr. Und wer im Geld schwimmt, kann den Hals davon nicht voll genug bekommen. Nehmen wir die Rolling Stones, gemeinsam rund eine Milliarde Mark schwer, demnächst zwecks Vermehrung dieser Eins mit wasweißichwieviel Nullen zu Gast in einem Stadion in Ihrer Nähe. Nun soll es hier nicht um das Füttern von Neidkomplexen gehen und auch nicht um den dummen, in schöner Regelmäßigkeit aufgewärmten Vorwurf von der „abgehobenen Existenz“ und des „fehlenden Bezugs zum wirklichen Leben“. Hat man mit nur 100 Millionen einen realeren Bezug zur Wirklichkeit? Reißt dieser Realitätsfaden womöglich schon, wenn man nur lumpige zehn Mios sein eigen nennt? Dann hätten die Stones ihre Rock’n’Roll-Lizenz schon vor 30 Jahren verwirkt, irgendwann zwischen „We Love You“ und „Jumping Jack Flash. „Genau!“, ruft es da aus einer überdimensionalen Led Zep-Box mit der Aufschrift „House Of The Holy“. Es ist Jörg Gülden. Wir reichen ihm ein Beißholz und fahren fort im Text.
Nicht Reichtum ist das Thema, sondern Raffgier. Das Reusch-Syndrom, im Sport gang und gäbe und dort ohne Murren akzeptiert. Wer hätte auch dagegen aufmucken sollen? Der inzestuöse Haufen durch die Bank tümelnder Sportreporter (gibt’s da überhaupt einen, der nicht auf die Rückseite des Mondes gehört)? Sicher, es gibt graduelle Abstufungen auf der Peinlichkeitsskala. Der prollige Coach kommt als wandelnde Litfaßsäule, der arrivierte Fußball-Lehrer dankt per Hemdkragen-Botschaft, der „Kaiser“ wirbt dezent per Pin.
Für die Vermarktung der Werbefläche Mensch gibt es im Rock-Zirkus noch keinen Präzedenzfall, doch scheint das nur eine Frage der Zeit zu sein. Das Tour-Sponsoring ist bereits in eine neue Phase getreten. Nach Imagewerbung, Product Placement und den Golfs der Marken Rolling Stones, Pink Floyd und Bon Jovi, setzt man nun auf das ungeheuer ausbaufähige Konzept multipler Partnerschaften und des Artist-Sharing.
Die populäre Formation Pur aus Niedereschweiler (oder so) macht es vor. Sänger Engler sitzt in Harald Schmidts Kölner Klüngel-Show (wobei es nicht Harrys Schuld ist daß es hierzulande keine wirkliche Prominenz gibt außer vielleicht Harald Juhnke), und hält seine Schuhe der Marke Romika in die Kamera, dann sagt er Artiges über das Beamtenheimstättenwerk und ein, wie er glaubhaft versichert, saumäßig schmackhaftes Mineralwasser. Und nein, Pur würden nie für etwas Werbung machen, was sie nicht selbst ausprobiert und für gut befunden hätten. Zum Beispiel auch Licher Pils („Endlich ich, Zeit für mich“) und RTL, die Heimat von Hans Meiser und Heiner Bremer. Da haut sich der durchschnittliche Schmidt-Spanner auf die Schenkel und freut sich darüber, wie nahtlos das alles zusammenpaßt: biederer Provinz-Rock, Gesundheitslatschen, Bausparkasse, Bier & Selters, Hans und Heiner. Und am meisten lacht er darüber, daß der Pur-Typ gar nicht schnallt, wie er vorgeführt wird.
Die Stones spielen am anderen Ende der Rock-Galaxie, in punkto Musik, Tradition, Klasse, Weitläufigkeit, Einfluß, eigentlich in jeder Beziehung. Außer in ihrer Einstellung zum Tour-Sponsoring. Da sind die Unterschiede marginaL Statt RTL die andere TV-Dreckschleuder: SAT 1. Statt Licher Pils ein anderes Bräu: Radeberger („Es ist an der Zeit ein Bier zu feiern, wie es kein anderes gibt“). Billig, billig.
Anders als Pur haben die Stones keine Ahnung, von wem sie sich hier diverse Millionen überweisen lassen. Ist ihnen auch scheißegal. Bei der letzten Tour gefragt, ob sie denn VW führen, antwortete Jagger „nein, Mercedes“; und Richards bekannte, noch nie in einem Wiedabbeljuh gesessen zu haben. Auf den aktuellen Stones-Sponsor in Amerika, Sprint, angesprochen, gibt Keef kund, er hasse es zu telefonieren, besonders mit mobilen Geräten. Die Stones nehmen keine Rücksicht auf etwaige Empfindlichkeiten ihrer Wohltäter, der Synergie-Effekt hält sich also in engen Grenzen. Wozu das alles? Nun, Radeberger spekuliert darauf, daß ein bißchen Glamour auf ihren Gerstensaft abfärbt, und die Stones nehmen eben mit, was ihnen geboten wird. Windfall Profits, sozusagen.
Verpackt in eine Lüge. Die Sponsorenverträge seien risikomindernde Maßnahmen für den Veranstalter, und man könne so die Ticketpreise niedrig halten. Gute Güte. Denselben Effekt hätte es ja wohl, wenn sich die Stones nicht 120, sondern nur 100 Millionen Dollar Einnahmen garantieren ließen und weniger als viereinhalb Millionen Märker pro Show kassieren würden. Unzumutbar? Und überhaupt, was heißt hier: niedrige Ticketpreise?
Die Stones vollführen einen Eiertanz, kommen daher wie ein armseliger Bundesligaverein. So haben sie zwar ihre zweite Milliarde schneller beisammen, aber sie verspielen eine andere Art Kredit. Und die ist für Geld nicht zu haben. Credibility.