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Seit 27 Jahren trotzen die Chili Peppers allen Widrigkeiten – das Interview zum neuen Album, die Anfänge, die große Diskografie

Nachdem sie Ende der Neunziger in ihre bislang erfolgreichste Karrierephase eingetreten waren, mussten sich die Red Hot Chili Peppers im Vorfeld der Aufnahmen zum neuen Album, „I’m With You“, abermals neu orientieren: John Frusciante hatte die Band zum zweiten Mal verlassen, die Zukunft stand – wie schon so oft – auf der Kippe. Wir trafen die Musiker in Los Angeles.

Die Band-Köchin hat die Mahlzeiten für die Musiker in einem Bastkorb vorbeigebracht und sie in Tupperdosen portionsgerecht verpackt. Es gibt Salate, Algen, Reis und Gemüse-Maki sowie vegane Schokopralinen, die, wie Anthony Kiedis stolz betont, statt mit Zucker mit Honig zubereitet sind – weshalb die Pralinen eigentlich nur halbvegan sind. Aber wenn es um die Entscheidung zwischen Zucker oder Bienenwohl geht, muss man eben manchmal Kompromisse machen.

Die Red Hot Chili Peppers haben sich in einem prächtigen Strandhotel in Santa Monica eingefunden, um der internationalen Presse die frohe Kunde vom neuen Album „I’m With You“ zu überbringen. Was der Titel bedeuten könnte, kann Flea nicht so genau sagen – außer dass er sich mit allen Lebewesen und Dingen über sämtliche Grenzen hinweg unglaublich verbunden fühle: „Ich bin für alle da!“ Zum Zeichen seiner Verbundenheit hat er sich die Socken ausgezogen und die Haare blau gefärbt. Im ernsten Tonfall eines Quasi-Erleuchteten changieren seine Aussagen auf dem schmalen Grat zwischen tiefer Erkenntnis vom Wesen der Dinge und gröbstem Unfug. Chad Smith kuschelt sich derweil in seine Couch und weiß eigentlich wenig zu sagen, was in den wenigen Dingen, die er dann doch sagt, sehr gut zum Ausdruck kommt. Josh Klinghoffer, der neue Gitarrist, hat wiederum größte Schwierigkeiten, still zu sitzen und benimmt sich wie ein kleiner Junge mit ADS, der sein Ritalin verbummelt hat. Dagegen wirkt Kiedis‘ sehr langhaariger, fast vierjähriger Sohn Everly Bear, der durch die Hotelgänge springt, geradezu erwachsen.

Und Kiedis selbst? Der stochert seelenruhig im Salat rum, benimmt sich wie ein weiser Meister, der bereits alles gesehen und erlebt hat – was ja so auch stimmt. Vor einiger Zeit soll ihm eine Nierenerkrankung schwer zugesetzt haben. Davon ist nichts mehr zu sehen. Mit seinen 48 Jahren sieht der Sänger geradezu verblüffend jugendlich aus. Wer weiß, vielleicht liegt es an der flexiganen Ernährung, die in Ausnahmefällen sogar Honig erlaubt.

Ich sehe, Sie amüsieren sich. Das ist schön.

Smith: Ach, das kommt nur davon, dass hier ständig Leute rein und raus gehen …

Flea: Leute aus den verschiedensten Kulturen. Sie kommen zum Beispiel aus einer anderen Kultur als der junge Mann eben. Aber es freut uns, dass Sie Zeit haben. Vielen Dank.

Wo kam der Mann denn her?

Flea: Aus England.

Und was sagt England zu Ihrem neuen Album?

Smith: Es hat ihm gefallen.

Ich würde über das Album sagen, dass es beschwingt und glücklich klingt. Oder zumindest glücklicher. Leicht und frisch.

Kiedis: Frisch ist gut. Nehmen wir frisch.

Warum frisch?

Kiedis: Ich mag es zwar nicht, das Album mit irgendetwas zu vergleichen, aber wir sind eine neue Band, es war eine neue Erfahrung. Wir haben davor etliche Jahre keine Musik gemacht, weshalb alle sehr lebendig waren und bereit, etwas Frisches zu machen.

Sind Pausen mitunter notwendig, um wieder Neues in Angriff zu nehmen?

Kiedis: In diesem Fall, ja. Unter anderen Voraussetzungen hätte es wahrscheinlich gar nicht passieren können – und irgendetwas musste geschehen. Als wir unsere letzte Tour beendet hatten, kam mein Sohn zur Welt, mein erster Sohn. Ich musste die nächsten zwei Jahre nicht fort und konnte daheimbleiben und eins sein mit meiner Vaterschaft, mit der Natur, dem Surfen und nebenbei meine kreativen Kräfte bündeln. Und als die Zeit so weit war, die kreativen Kräfte mit Josh aufmarschieren zu lassen, waren wir alle angemessen ausgeruht.

Flea, Sie haben zwischen den letzten beiden Alben Musiktheorie studiert.

Flea: Oh ja. Ich bin zur University of Southern California gegangen, und ich fand es toll. Früher habe ich nie das Bedürfnis nach einer Hochschulbildung verspürt, aber in unserer Pause dachte ich: Versuch’s mal. Nur, um es mal zu probieren.

Wie lange waren Sie an der Universität?

Flea: Nur ein Jahr, aber es war toll. Wenn ich jemals die Gelegenheit haben sollte, es wieder zu tun, wäre ich sofort dabei. Es war eine ganz außergewöhnliche Erfahrung. All die Kids, die zur Uni gehen, haben im Grunde so viel Glück. Ich wollte das nicht, als ich jung war. Aber jetzt würde ich gern.

Was haben Sie dort gelernt?

Flea: Wie man Songs schreibt. Die Regeln dafür – und wie man die Regeln anschließend wieder ignoriert. Man muss die Regeln kennen, um sie ignorieren zu können. Sie gar nicht erst kennenzulernen, wäre nicht das Gleiche. Dann ist man nicht frei. Nur wer ein Regelwerk hinter sich lässt, kann wirklich frei sein.

Chad, haben Sie auch Regeln hinter sich gelassen? Sie haben mit Ihrer Zweitband Chickenfoot gespielt.

Smith: Ja, das sind ein paar Freunde von mir, und wir haben ein bisschen Musik gemacht. Ich bin mit Classic-Rock-Bands wie Montrose und Van Halen aufgewachsen, und jetzt hatte ich die Gelegenheit, mit Leuten wie Sammy Hagar und Joe Satriani zu spielen. Es hat Spaß gemacht, war aber nur eine Sache von vielen, die ich gemacht habe.

Was haben Sie noch getan?

Smith: Ich war auch der Pirat auf einer Platte von Dick van Dyke, das war ein Album für Kinder. Ich bin Musiker, also mache ich Musik. Im Gegensatz zu Flea bin ich nicht zur Uni gegangen. Ich bin nicht so der Schultyp, schon damals auf der High-school nicht. Keine Ahnung, ob sie mich überhaupt reinlassen würden.

In der Pause haben Sie sich alle auf die eine oder andere Weise von der Band entfernt. Muss man fortgehen, um zurückkehren zu können?

Flea: Für mich war es wichtig, die Band mit einem gewissen Abstand zu betrachten, um sie wieder schätzen zu lernen. Wenn ich mich nicht entfernt hätte, weiß ich nicht, ob ich hätte weitermachen können. Wahrscheinlich hätten wir das Projekt Chili Peppers in den Sand gesetzt.

Wieso?

Flea: Weil für mich Liebe und Zusammenhalt im Arbeitsumfeld geradezu existenziell sind. Und wenn man in einem Umfeld arbeitet, in dem das nicht gewährleistet ist, dann macht es keinen Spaß, dann ist es nicht mehr von Bedeutung. Also war es notwendig, mich zu entfernen und die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Und jetzt, wo Josh dabei ist, ist alles wieder gut.

Wie haben Sie Josh Klinghoffer getroffen?

Flea: Wir kennen ihn, seit er 17 ist. Er und John sind beste Freunde, er hat auch auf fast allen Soloalben von John mitgespielt.

Wie darf man sich den Wechsel von John zu Josh vorstellen?

Kiedis: Glatt.

Wie glatt?

Kiedis: Es war ein natürlicher Übergang. Ein natürlicherer Übergang ist kaum vorstellbar. Josh war ein Freund von uns, er ist jemand, den man gern in seiner Gesellschaft hat, er hat die notwendige musikalische Tiefe, ich kann mir kein Szenario vorstellen, das sich besser anfühlen würde. Und als wir dann anfingen, an dem neuen Material zu arbeiten, hat es sich auch nie seltsam angefühlt.

Es gab also kein Drama, als Frusciante die Band verlassen hat?

Kiedis: Nein, das gab es nicht.

Haben Sie denn darüber nachgedacht, die Band nach Frusciantes Weggang aufzulösen?

Flea: Ich dachte immer, dass es das Ende sein würde, wenn John die Band ein zweites Mal verlassen würde, dass es einfach albern wäre, ohne ihn weiterzumachen. Aber als er dann tatsächlich ging, sah ich es wieder anders.

Wieso?

Flea: Wissen Sie, ich habe dieses Projekt mit Damon Albarn und Tony Allen. Und als wir im Studio waren und diese wirklich aufregende, irgendwie neue Musik aufgenommen haben, auf die ich sehr stolz bin, spürte ich, dass ich eigentlich wieder was mit den Chili Peppers machen will. Das sind meine Jungs, mit denen bin ich aufgewachsen, besonders mit Anthony. Wir kennen uns, seit wir 15 sind. Wir machen es schon all diese Jahre, also sollten wir es auch weitermachen.

Weil die Band Teil Ihres Lebens ist?

Flea: Eher weil ich Anthony liebe. Er ist mein Bruder.

Wenn Alben wie „Blood Sugar Sex Magik“ oder „Californication“ die klassische Phase der Band markieren, wo verorten Sie sich jetzt?

Flea: Wenn Sie von klassischer Phase sprechen, meinen Sie gewiss das Line-up mit unserem früheren Gitarristen, mit dem wir all diese populären Aufnahmen gemacht haben. Aber mit Josh sind wir eine neue Band. Es gibt es eine andere Dynamik. Und wir versuchen nicht, das Vergangene wiederzubeleben.

Liegt diese leichte Neuausrichtung des Sounds also an Ihnen, Josh?

Klinghoffer: Ich denke es liegt an uns allen, den Leuten, die uns umgeben und natürlich an Rick Rubin. Ich habe ihn zwar vorher nicht gekannt, aber es heißt, dass auch er zurzeit glücklicher und frischer ist. Offenbar sind wir alle von einer gewissen positiven Energie umgeben. Abgesehen von mir haben auch alle Kinder, es ist überall viel Licht, alle sind sehr fokussiert.

Kiedis: Sehr wahr, sehr wahr.

Josh, Sie sind 31 Jahre alt. Das bedeutet, dass es, solange Sie denken können, immer die Red Hot Chili Peppers gab.

Klinghoffer: So sieht’s aus.

Kiedis: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.

Fühlt sich das seltsam an?

Klinghoffer: Seltsam ist wahrscheinlich das falsche Wort. Ich kenne die Band jetzt ja schon eine Weile. Es war seltsamer, als ich 19 oder 20 war und plötzlich ein Studio betrat, in dem die Band gerade Aufnahmen machte. Das war sehr seltsam.

Kiedis: Allerdings bin ich bisweilen immer noch irritiert, wenn Josh mich Mr. Kiedis nennt.

Klinghoffer: Der Altersunterschied bringt eben eine gewisse Dynamik mit sich.

Reden wir über die Musik. Der Harmoniegesang der letzten drei Alben fehlt auf dem neuen Werk.

Kiedis: Nein.

Dann ist er jetzt aber schwächer zu hören.

Kiedis: Auch das nicht!

Also muss ich ihn wohl überhört haben.

Kiedis: Der Harmoniegesang ist eine Sache, die wir seit „Californication“ verfolgen. Das ging zwar ursprünglich von John aus, wird aber ein fester Bestandteil unseres Sounds bleiben, auch mit Josh. Er weiß, wie man diesen Sound kreiert. Vielleicht hat man das auf dem Mix, den Sie hören durften, nicht so gehört. Aber der Harmoniegesang ist da und ein wunderschöner Bestandteil des Albums. Was haben Sie noch gehört?

Discobeats.

Kiedis: Das will ich doch hoffen.

Gilt so was im Kontext der Red Hot Chili Peppers als Experiment?

Flea: Das ist kein Experiment. Das ist einfach gute Musik. Wir versuchen, uns weiterzuentwickeln, zu wachsen als Musiker und dabei hier und da etwas anderes auszuprobieren. Wenn ich immer nur das Gleiche machen würde, käme ich mir wie ein Langweiler vor. Ich wäre von mir selbst gelangweilt. Was das Leben schön macht, sind aufregende Dinge, über die man sich freut. Dinge mit einem Potenzial. Ich bin kein Lebewesen, das in irgendeiner Weise vollständig entwickelt ist, ich bin quasi ein wandelnder Prozess. Auch das Bewusstsein ist keine Sache, sondern ein Prozess. Das Herz ist ein Prozess.

Es gibt viel Piano auf der Platte.

Kiedis: Das liegt an Josh. Josh, erzähl doch mal was über das Piano!

Klinghoffer: Flea und ich haben für das neue Album viele Stücke am Klavier geschrieben. Er hat ja während der Pause studiert. Und ich versuche immer zwischen Gitarre und Piano zu wechseln …

Kiedis: … was eine gute Sache ist. Das schärft die Sensibilität und macht unsichtbare Aspekte in den Kompositionen deutlich. Ich bin übrigens der Einzige, der kein Piano zu Hause stehen hat.

Flea: Ich besitze eines.

Chad: Ich auch.

Klinghoffer: Und ich habe sieben.

Ich hoffe, dass Ihre Wohnung groß genug ist.

Klinghoffer: Ich weiß, es klingt bescheuert.

Anthony, warum haben Sie kein Piano? So ein Instrument ist ja auch als Möbelstück interessant.

Kiedis: Ich habe eine Gitarre.

Klinghoffer: Ach was?

Kiedis: Ja, sie gehört zum Einrichtungskonzept meines Wohnzimmers. Nicht, dass ich auf ihr spielen würde. Hat eigentlich jemand Chad jemals am Klavier gesehen?

Klinghoffer: Einmal hab ich ihn erwischt.

Smith: Ich spiele lieber heimlich.

Gab es einen bestimmten Plan, als Sie ins Studio gegangen sind?

Kiedis: Der Plan war, verdammt großartig zu sein.

Klinghoffer: Ja, wir wollten eine Platte aufnehmen, auf die wir alle stolz sein können.

Aber das ist doch immer der Plan. Man nimmt sich ja nicht vor, eine besonders scheußliche Platte aufzunehmen.

Kiedis: Einen anderen Plan gab es nicht. Einfach nur Musik machen und sehen, was passiert. Nach und nach ergibt sich zuerst ein Schema, später ein gewisses Bild. Die einzelnen Songideen haben wir auf Tafeln und mit diversen Aufnahmegeräten festgehalten. Wir haben dabei unsere Fähigkeit, miteinander zu spielen, weiterentwickelt, haben also das gemacht, was man so macht, wenn man Musik macht. Das ist uns wohl ganz gut gelungen.

Würden Sie sagen, das die Veränderung im Line-up dem Werk gut getan hat?

Kiedis: Veränderung ist hervorragend und schön. Veränderung ist das, was die Welt in Bewegung hält. Natürlich würde ich nicht sagen, dass es großartig ist, dass John uns verließ, denn das klänge beleidigend …

Aber?

Kiedis: Aber ich denke, dass er durch seinen Weggang sowohl sich als auch uns ein wunderbares Geschenk gemacht hat. Das hat uns allen viele neue Möglichkeiten eröffnet. Er hat mit einer einzigen Tat allen Beteiligten viele Türen geöffnet. Für mich ist das eine win-win-win-Situation. Und wenn die Dinge ihren geregelten Gang gehen, dann kann ein einzelner Mensch mit seiner ganz eigenen Sichtweise auf das Leben und die Musik eine bestehende Band ungeheuer stimulieren – so wie es mit Josh passiert ist. Das bringt den Spaß zurück, das ist wie mit einem neuen Kind im Sandkasten. So wird die Arbeit nicht alt, und es bleibt stets aufregend, Songs zu schreiben und in einer Band zu sein, auch wenn die Band schon über 27 Jahre existiert. Ob das nun der Zufall oder die Hand des Schicksals war, die sich einmischte – wir sind in Bewegung geblieben.

Smith: John Frusciante war zwar ein wichtiges Mitglied der Band, und wir sind für sein Talent, seine Kreativität und seine Freundschaft sehr dankbar. Aber jemand Neues zu haben, der einfach nur versucht, er selbst zu sein, hat uns verjüngt und belebt. Es ist eine erfrischende Angelegenheit.

Der wiederholte Wechsel der Gitarristen war also rückblickend eine überlebenswichtige Notwendigkeit?

Kiedis: In gewisser Weise schon.

Josh, Sie waren über die Jahre ein viel beschäftigter Gastgitarrist und arbeiteten unter anderem für Gnarls Barkley, die Butthole Surfers, PJ Harvey und Vincent Gallo. Nebenbei waren Sie noch Mitglied von etlichen kleineren Bands wie Warpaint oder Bicycle Thief. Und jetzt sind Sie Teil einer der größten Bands der Welt.

Kiedis: Ist das so?

Na ja.

Klinghoffer: Mir kommt es eigentlich nicht so vor.

Kiedis: Mir auch nicht. Es hört sich seltsam an, wenn Sie das sagen.

Werfen Sie doch einfach einen Blick auf die Fakten: endlose Tourneen durch riesige Stadien, Millionen verkaufter Platten, seit einer halben Ewigkeit im Geschäft.

Kiedis: So sehe ich uns aber nicht.

Smith: Ich auch nicht.

Kiedis: Und wenn es erwähnt wird, bekomme ich ein komisches Gefühl.

Klinghoffer: Als Außenseiter kann ich sagen, dass die Chili Peppers natürlich eine große Band sind – das merkt man spätestens, wenn man mit ihnen auf der Bühne steht. Aber daheim im Proberaum fühlt es sich ganz normal an.

Keiner benimmt sich wie eine Superstar-Diva?

Klinghoffer: Nicht an einem guten Tag.

Ich kann mich daran erinnern, wie Sie vor Jahren beinahe einen Interviewtag in Hamburg abgebrochen hätten, weil Ihnen das Mineralwasser nicht zusagte, Anthony.

Kiedis: Da muss ich wohl einen schlechten Tag gehabt haben. Aber ich bekomme solche Geschichten öfter zu hören. Offenbar war ich früher ein wenig stachelig. Ich kann mich daran gar nicht mehr erinnern.

Vielleicht ist es gesünder, so zu tun, als wäre man nur überschaubar berühmt, als handelte es sich bei der Superstar-Band nur um vier Freunde, die Musik machen.

Kiedis: Ja, genau das sind wir: vier Freunde, die Musik machen. Der Rest ist der Zuckerguss.

Wie definieren Sie denn überhaupt Erfolg, wenn Sie die Größe der Band offenbar ausblenden?

Kiedis: Nun, ich weiß jedenfalls, dass wir in den vergangenen anderthalb Jahren außergewöhnlich erfolgreich waren, egal, was in der Zukunft passiert. Schon bei dem ersten Song, den wir zusammen geschrieben haben, dachte ich: Hoppla, Erfolg!

Welcher Song war das?

Kiedis: Eigentlich waren es mehrere, die gleich in der ersten Woche entstanden sind: „Meet Me At The Corner“, „Brendan’s Death Song“ und „Annie Wants A Baby“. Als ich am ersten November bei mir zu Hause in der Garage war und an meinem Motorrad gebastelt habe, hörte ich mir die Stücke von den Proben an und wusste, dass es wahrhaftig war. Ich spürte es sofort. Es hat mich gepackt. Ich fühlte mich wild und verbunden mit der Welt, und es war wie in einem Traum, ich war erregt.

Das ist also Erfolg.

Kiedis: Ja, aber Erfolg ist auch, nett miteinander umzugehen, kein Arschloch und kein Egoist zu sein. Erfolg ist, wenn man sich gegenseitig unterstützt. Ich bin aber auch vollkommen einverstanden mit dem finanziellen Erfolg. Hohe Plattenverkäufe machen mir keine Angst. Auch wir haben einmal klein angefangen, und ich bin froh darüber, dass wir mit der Band immer noch unseren Lebensunterhalt bestreiten können.

Das klingt so bescheiden.

Kiedis: Der größte Erfolg ist wahrscheinlich, dass es immer noch Spaß macht: Musik machen, Platten aufnehmen und auf Tour gehen.

Genau dieser Kreislauf wird von etlichen Künstlern als Zumutung beschrieben.

Kiedis: Mitunter ist er das auch, aber es gibt immer wieder Höhepunkte. Touren mag zwar beschwerlich sein, ist aber auch entdeckungsreich, lohnenswert und schön. Wenn man neue Welten, Leute und Kulturen entdeckt, neue Gebräuche, Farben und Klimata. Wissen Sie, wenn man mich in Ruhe lässt, dann bin ich nicht besonders entdeckungsfreudig und bleibe meist daheim. Mein Leben ist mittlerweile im Grunde recht simpel, aber wenn ich gezwungen bin, mich hinauszubewegen und diesen Planeten zu entdecken, dann ist das immer noch sehr aufregend. Und die Höhepunkte sind stets unterschiedlicher Natur.

Haben Sie Beispiele?

Kiedis: Ein Besuch beim Italiener etwa. Das Erlebnis, wenn man in Italien mit ins Restaurant genommen wird und man es kaum fassen kann, wie gut es schmeckt? Ich erinnere mich noch an unser erstes Konzert in Rom und als wir hinterher essen gegangen sind, dachte ich nur: Warum gibt es so was nicht überall?

Eine gute Frage! Gibt es neben dem Essen noch andere Höhepunkte?

Kiedis: Die Herausforderung, nicht zu Hause, sondern immer in fremder Umgebung und dabei selten allein zu sein. Man lernt eine Menge über sich selbst.

Wie sieht es mit dem touristischen Aspekt aus?

Kiedis: Den gibt es auch. Wenn man gerade in Rio ist, nimmt man sich auch mal drei Tage frei, geht surfen, bummelt durch die Favelas und geht auf den Transen-Strich – und ich habe den Transen-Strich nicht aus dem Grund erwähnt, weil ich dabei an Chad Smith gedacht habe.

Smith: Was meinst du denn damit jetzt schon wieder?

Rick Rubin

„Sie haben keine Wahl“:

Der Star-Produzent über die Chili Peppers

Von David Fricke

Waren Sie überrascht, als John Frusciante die Chili Peppers 2009 erneut verließ?

Das kann ich nicht behaupten. Wer John kennt, weiß, dass man nie weiß, was passieren wird. Er tut, was er will, und ändert oft seine Meinung. Springt einfach auf einen Zug – ob das Drogen sind oder elektronische Musik oder was auch immer -, und das bestimmt dann sein Leben. John schaut nie zurück.

Welche Fähigkeiten braucht ein Peppers-Gitarrist aus Ihrer Produzentensicht? Und wie findet man so jemanden?

Mein einziger Vorschlag war, dass die Band anfangen soll, mit Leuten zu jammen – ohne die Vorstellung im Hinterkopf, dass sie einen Gitarristen finden müssen. Einfach spielen, schauen, was man spannend findet, ohne konkrete Pläne. Vielleicht merkt man dann, dass man nicht nur eine Person braucht – sondern einen Keyboarder und einen Gitarristen.

Josh Klinghoffer ist beides – und dann singt er auch noch.

Obwohl er ganz anders als John ist, kommt er aus der John-Schule. Er spricht Johns Sprache wohl besser als jeder andere, weil er nun mal zehn Jahre lang mit ihm gespielt hat. Als Flea das erste Mal mit Josh gejammt hat, ist das eine große Sache gewesen – gefühlsmäßig. Denn Flea war misstrauisch: das alles jetzt noch mal mit jemand Neuem anfangen?

Was bietet Josh, was John nicht hatte?

Ich frage nur selten, wer was tut. Ich sehe es so: Die Musik kommt von der ganzen Band. Alle Ideen haben denselben Wert, und nur die gute Idee gewinnt. Aber Josh trug viel bei und diskutierte viel, wenn die Dinge nicht genau so liefen, wie er das wollte. Er kämpfte um seinen Kram – das taten sie alle.

Gibt es eine Band, die man mit den Peppers vergleichen kann? Die so viele zweite Chancen hatte und sie so gut nutzte?

Die einzige Band, die schon so lange dabei ist und sich so oft verändert hat, sind wohl die Rolling Stones. Aber ich kann nicht behaupten, dass sie als Aufnahmekünstler besser geworden sind. Die Chili Peppers kommen von einem reinen Ort – sie machen das aus Leidenschaft, und ich glaube nicht, dass sie sich ein Leben ohne Musik vorstellen können. Sie haben keine Wahl.

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