Rewind Today 1987: Das erste Rap-Album auf der 1 – Beastie Boys mit ‚Licensed To Ill‘
Mit "Licensed To Ill" gelingt es den Beastie Boys als erstem Rap-Act überhaupt, auf Platz 1 der US-Billboard-Charts zu landen.
Am 7. März 1987 gab es eine Charts-Premiere: Mit „Licensed To Ill“ gelingt es den Beastie Boys als erstem Rap-Act überhaupt, auf Platz 1 der US-Billboard-Rangliste zu landen.
In unserem Porträt aus DAS ARCHIV – Rewind (Heft 7/2004) lassen wir die drei Beastie Boys – Michael „Mike D“ Diamond, Adam „Ad-Rock“ Horovitz und Adam „MCA Yauch“ – zu ihrem damaligen Comeback-Album „To The 5 Boroughs“ zu Wort kommen, und wie es um das Amerika der Bush-Jahre bestellt ist:
Eigentlich liegt New York nur zufallig in Amerika, weil nirgends sonst gerade Platz war für die Stadtwelt, die niemals schläft, für den großen Apfel, der irre weit vom Stamm gefallen ist. Wissen wir alles. Obwohl es doch entscheidend war für die amerikanische Außenpolitik der letzten Jahre, dem letzten Postboten in Minnesota klarzumachen, dass der Angriff auf New York auch ihm und seiner Freiheit galt: Viele New Yorker sehen es vor allem als städtische Katastrophe. Die ihnen niemand wegnehmen darf, um windige Geschäfte damit zu treiben.
Das neue Beastie Boys-Album „To The 5 Boroughs“ (die fünf boroughs sind Manhattan, Brooklyn, Bronx, Queens und Staten Island) handelt übrigens nicht von New York, aber die wenigen Referenzen haben sie so trompeteblasend prominent platziert, dass sie absolut sicher sein können, danach gefragt zu werden. Der Plattentitel natürlich, außerdem das wichtigste und beste Stück „An Open Letter To NYC“, das sowieso als erster Rap der Beasties-Geschichte in die Akten geht, der keinen einzigen offenkundigen Witz enthält. Das Plattencover mit dem im „Herr Rossi sucht das Glück“-Stil gezeichneten Stadtpanorama, mit World Trade Center. „Wir wollten ein bisschen New-York-Emblematik im Artwork haben“, sagt Adam Yauch unglaublich ausweichend, „und wir haben damit rumgespielt, wie der Big Apple zum Fallobst wurde. Wir haben die Twin Towers rausgenommen, aber das sah komisch aus, dann haben wir sie wieder reingenommen. Das wirkt wie das New York, in dem wir aufgewachsen sind.“ So einfach. Kein alternativer Vorschlag im Gezerfe um das 9/11-Denkmal. Nur Sofa-Nostalgie.
Den süßen Ton in „An Open Letter To NYC“ kann man auch ganz anders verstehen. Eine verzweifelte, gewitterdunkle Synthesizermelodie kreist hier über den Köpfen, dazu erzählen sie herzerweichend über die Fahrt im morgendlichen U-Bahn-Waggon und wie dort die unterschiedlichsten Menschen in Frieden beisammenstehen. Lustigerweise ist die Stadt in vielen Unglücks-Berichten ja schlechter weggekommen: Nach der Attacke seien die New Yorker plötzlich so nett zueinander gewesen, haben viele (auch die Beasties) erzählt und zur Verdeutlichung betont, mit was für sauren Gurken-Gesichtern die Leute vorher in der gelobten U-Bahn aneinander vorbeigedrängelt hätten, in der Zeit, als Bürgermeister Giuliani nicht als Feuerwehrheld bekannt war, sondern als Ausputzer und Tanz-Verbieter.
Was die Beastie Boys singen? „Dear New York, I hope you’re doing well/ I know a lot’s happened and you’ve been through hell/ So we give thanks for providing a home/ Through your gates at Ellis Island we passed in droves.“ Das ist ein ideelles, symbolisches New York, eine Metapher für die Weltoffenheit, die Amerika auszeichnete. Im Sinne der Band: mindestens bis zu George W. Bushs Amtsantritt, vielleicht sogar bis zum 11. September, den Bush missbraucht. Natürlich sind auf „To The 5 Boroughs“ die populärpolitischen Aussagen, mit denen das Publikum fest gerechnet hat nach dem Anti-Irak-Krieg-Engagement der Beasties. In „Time To Build“ wird sogar das Kyoto-Abkommen gedropt, den Präsidenten nennen sie „Tex“. Die eleganteste Agitation der Platte ist jedoch der New-York-Song und eben das Cover: Schaut, das alles hat Amerika verspielt Mit dem Platten-Artwork haben sie im Berliner Club Maria breit die Wand tapeziert. Es hat strikt limitierte zwei Stunden lang Vorverkauf gegeben für dieses Konzert vor knapp 400 Leuten, bei dem der übliche Hauch des Exklusiven die Stärke eines Sandsturms hat. Wie sie wohl aussehen? Ausnahmsweise ist man automatisch so nah dran an der Bühne, dass man das T-Shirt von Adam Horovitz lesen kann: „Krunk? Moi?“ Der Graustich in Adams Yauchs Haaren ist schon länger bekannt, Mike D hat eine Kappe auf, deren Schirm – für viele Beastie Boys-Freunde dürfte das nicht unwesentlich sein – nach links zeigt. Sie haben nur ihren wunderbaren DJ Mix Master Mike dabei, der sich bei einem der zwei neuen Stücke ein wenig vertut, sonst nur greatest hits, „Root Down“, „3 MCs And l DJ“,“SureShot“,als Zugabe nach einer kurzen halben Stunde „Intergalactic“. Wenn hier irgendeiner der New-York-Bezirke in the house ist, dann allein Manhattan (wie ja am Anfang des letzten Albums „Hello Nasty“ skandiert wurde) – so weit wird die Verbrüderung nicht gehen, dass man den Rap-Battle aussetzt.
Als Team ohne zusätzliche Deckung, auf der kleinen Maria-Bühne, wirken sie unschlagbar. Es ist nicht die Qualität, für die die Beastie Boys eigentlich berühmt sind: Eine Goofy-Sandkasten-Rap-Gruppe wie sie, die in Videos so gerne mit Perücken und angeklebten Barten Styropor-Objekte zertrümmert, hätte sich den guten Ruf nie ohne ihr musikalisches Talent verdienen können. Selbst die frühen Tbilettensprüche werden vorsichtig als Monument des Rock-Rap-Crossovers gelobt, die zwei L.A.-Alben „Paul’s Boutique“ und „Ill Communication“ waren nicht nur in ihrer Zeit künstlerisch herausstechende Hip-Hop-Musik. Die können richtig spielen! Auf „To The 5 Boroughs“ geht es nur noch um den Rap, den Kern der Sache, die wie mit Schreibmaschinentasten auf die Beats gestanzten Reime, die noch immer nicht flutschen. Das ist das einzige, was an der Platte oldschool ist. Und dass sie die soundtechnischen Modernismen in den letzten zehn Hip-Hop-Jahren nicht mitgenommen haben, aber das wäre wirklich albern gewesen.
So erklären sie bei der Pressekonferenz am Tag nach dem Konzert noch einmal und zum Mitschreiben klar, dass sie nicht etwa sechs Jahre gebraucht haben, sondern erst im April 2002 angefangen haben, zuerst die ernsten Stücke schrieben und dann wie gewohnt immer heiterer wurden (in „Shazam!“ reimt Yauch Käsesorten aufeinander und erklärt: „I represent that’s stupid, that’s for sure/ You be like: ,Oh yeah, Adam, real mature“‚). Wie lange sie denn noch die ewigen B-Boys spielen wollen, fragt ein Korrespondent. Bis nächsten Donnerstag, sagt Yauch. Nach einigen unverbindlichen, kurzen Auskünften zum New York-Komplex stellt endlich jemand die richtige Frage: Ob sie bei Auftritten denn merken würden, wie sie älter werden.
Mike D: Ich hab mich nicht zu alt gefühlt gestern abend. Meine Atmung war okay. Kein Zusammenbruch.
Yauch: Und dein Rücken und deine Knie? Ich hatte leider mein Laufgestänge nicht dabei. Mit meinem Laufgestänge hätte ich mich sicherer gefühlt.
Mike D: Ich hatte nicht mal Halsweh heute früh. Wahrscheinlich nur, weil das Konzert so kurz war.
Ad-RocK: Und was ist mit deinen Holzzähnen?
Mike D: Tja, die Holzzähne. Aber die waren schon ein Handicap, als wir damals angefangen haben.
Yauch: Und mein Holzbein. Und wenn ich mein Holzohr dabei gehabt hätte, das wäre besser gewesen.
(Jetzt stellt ein Reporter die nächste Frage, aber weil Mike D noch etwas Tolles eingefallen ist, fällt er ihm ins Wort: Die dumme Antwort soll noch blöder werden.)
Mike D: Außerdem war die Luftfeuchtigkeit gestern abend sehr hoch. Ich habe mein Gesicht doch schon so oft liften lassen, da gehen bei Feuchtigkeit immer die Nähte auf. Sehr unangenehm.
Zitat Ende. Daran erkennt man übrigens generell, ob HipHopper die Wahrheit sagen: Wenn sie reden, klingt das wie ihre Raps. Dass bei den Beastie Boys einige interessante Dinge zwischen den Zeilen stecken, das sollte man ihnen zumindest dieses Mal zugestehen.
Noch mehr historische Texte bietet „DAS ARCHIV – Rewind“. Es umfasst über 40 Jahre Musikgeschichte – denn es beinhaltet die Archive von Musikexpress, Rolling Stone und Metal Hammer. Damit ist von Popmusik über Indierock bis zu Heavy Metal nahezu jede Musikrichtung abgedeckt – angereichert mit Interviews, Rezensionen und Reportagen zu Filmen, Büchern und popkulturellen Phänomenen.
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