Rewind Today 1971: Jim Morrison stirbt
Während einer Auszeit in Paris erleidet Jim Morrison einen Herzstillstand. Wir erinnern an den Sänger der Doors mit einer Rezension aus DAS ARCHIV – Rewind: The Doors live in Boston 1970.
Aus der Ausgabe 10/2007:
The Doors – Live In Boston 1970 ****
Immer, wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein neues Doors-Album her. Die beiden Konzerte dieser Drei-CD-Box wurden zu Beginn ihrer letzten Tournee aufgenommen, am 10. April 1970 in Boston, Massachusetts. „Morrison Hotel“ war eben erschienen, der Zwischenfall auf der Bühne in Miami, bei dem Jim Morrison im März 69 seinen Schwanz gezeigt hatte oder auch nicht, zwar längst nicht vergessen, aber kurzzeitig verdrängt. Die Doors wollten es noch einmal wissen.
Es gibt viele durchdringende Schreie und langgezogene „all rights“ und betrunkenes Gestammel – all das also, was man an Morrison ablehnen kann, kommt hier aufs Schönste zusammen. Die ausgespuckten Vokale, der auch ohne Bilder nicht zu überhörende Sex, die Art von exaltiertem Übermut, die manchmal ins Anstrengende kippt – es wäre wohl kaum auszuhalten, wenn die Band nicht so konzentriert hinter dem Verrückten stünde und er selbst sich nicht genau in den richtigen Momenten zurücknehmen könnte, beim prägnanten „Alabama Song“ oder dem zart angestimmten „People Get Ready“, das in „Mystery Train“ übergeht (und leider von laut plärrenden Zuschauern gestört wird).
Freilich hätte man sich Geschwurbel wie „Away In India“ auch sparen können, doch waren die Doors nie auf Dichte angelegt, sondern Meister des Ausufernden, ohne dabei je dem drögen Grateful Dead-Gedudel anheimzufallen. Man kann diese Shows auch nüchtern hören. Gerade durch die brutalen Zäsuren, das Nebeneinander von Harmonie und Chaos lässt die Spannung nie nach. Wie am Ende des ersten Sets die unverständlichen, wütenden Schreie von „Wake Up!“ unmittelbar in „Light My Fire“ übergehen, in dieses immer noch aufwühlende Orgel-Intro, das ist die Quintessenz der Doors.
Die zweite Show braucht gleich zwei CDs – auch weil die Band oft warten muss, bis Morrison sich bequemt weiterzusingen, es war halt schon Nacht und der Pegel wohl entsprechend höher. Er vernuschelt viele Verse und verdirbt so den einen oder anderen Song, erzählt auch wieder Quatsch wie „Adolf Hitler“. Trotzdem wollen alle immer noch more, more, more!, bis Morrison zurückkommt und sogar mal einen Witz macht: .Wir haben ein besonderes Vergnügen für Euch. Nicht nur werdet Ihr alle nicht meine Genitalien sehen. Sicher seid Ihr enttäuscht darüber. Dafür hört Ihr Ray Gitarre spielen, Robby den Bass – und ich singe mir den Arsch ab…“ – und das tut er bei „Been Down So Long“ dann auch, bis der Strom abgedreht wird. Und nach der lustigen Einleitung spürt man all die Verzweiflung, die in diesem Song steckt – eine Entfremdung, die nicht mehr aufzuhalten war. „Over the edge“ sei Morrison an diesem Abend gewesen, erinnert sich Ray Manzarek in den nicht sonderlich spannenden Liner Notes, „beyond the pale“. „In vino veritas“, sagt John Densmore.
Natürlich gibt es aus dem Jahr 1970 schon „Absolutcly Live“, es gibt auch „Alive She Cried“, “ Live At The Hollywood Bowl“, „Bright Midnight“ und und und. Warum also noch „Live In Boxton igyo“? Vielleicht einfach, weil es drei weitere Stunden sind, die beweisen, was in einem so kurzen Leben alles möglich ist.
Birgit Fuß
„DAS ARCHIV – Rewind“ umfasst über 40 Jahre Musikgeschichte – denn es beinhaltet die Archive von Musikexpress, Rolling Stone und Metal Hammer. Damit ist von Popmusik über Indierock bis zu Heavy Metal nahezu jede Musikrichtung abgedeckt – angereichert mit Interviews, Rezensionen und Reportagen zu Filmen, Büchern und popkulturellen Phänomenen.
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