Rewind Today 1970: Die Beatles veröffentlichen ‚Let It Be‘
Mit "Let It Be" veröffentlichen die Beatles ihr letztes Album. Aus unserem Archiv: eine Rezension der Platte, wie sie ursprünglich geklangen hätte und später auch veröffentlich wurde: "Let It Be … Naked"
Unsere Rezension von „Let It Be … Naked“, der „nackten“ Version des letzten Beatles-Albums, für das man die Streicher Phil Spectors wieder entfernt hatte (12/2003):
Der Tod spielt im Himmelreich des Pop keine Rolle, und so veröffentlichten die Beatles in den letzten Jahren mehr Alben als so manche noch bestehende Band: Erst tauchte das apokryphe „Lire At The BBC“ auf, dann die heilige Dreieinigkeit der „Anthology“ inklusive Auferstehung John Lennons, dann erschien uns erstmals der vollständige „Yellow Submarine“-Songtrack, es folgte die Idolatrie „One“. In diesem Jahr wird uns nach Georges Himmelfahrt „Brainwashed“ im letzten Jahr pünktlich zum Weihnachtsfest ein neues Album mit dem ziemlich bescheuerten Titel „Let It Be… Naked“ geboren.
Die Legende um „Let It Be“ ist so alt wie das Album selbst und schnell erzählt: McCartney wollte die fortschreitende Entfremdung der vier Apostel durch eine „Rückkehr zu den Wurzeln“‚, zur reinen Lehre stoppen. Heute klingt das wie eine Phrase, doch die Beatles waren die ersten, die im sich in Lichtgeschwindigkeit vorwärts bewegenden Popkosmos der 60s auf Retro machten (nunja, es gab schon John Wesley Harding“). Sie wollten wieder wie eine „good little Rock’n’Roll band“ (McCartney) sein. Ursprünglich sollten die Arbeiten an den neuen Songs filmisch dokumentiert werden und anschließend unter dem symbolischen Titel „Get Back“ live vor Publikum vorgestellt und aufgenommen werden. Die Live-Performance beschränkte sich dann aber auf ein paar Nummern auf dem Dach des „Apple Hauses. Misstrauen, Eitelkeiten und Streitereien legten das Projekt schließlich ganz auf Eis, und man machte sich an die Aufnahmen zum nächsten Album, dem Schwanen-, ja Engelsgesang „Abbc/Rocd“.
Als die Band schließlich Ende 1969 quasi handlungsunfähig war, entschied man sich, den Vertrag mit der EMI über ein weiteres Album zu erfüllen, indem man auf die alten Sessions zurückgriff. Das Werk sollte die Beatles mit,,runtergelassenen Hosen“ (Lennon) zeigen. Toningenieur Glyn Johns stellte seine Version von „Get Back“ zusammen, die später auch an einige Radiostationen verschickt wurde (das Covermotiv, eine Anspielung auf das Beatles-Debüt „Please Please Me“, wurde später für „The Beatles 1967-1970“ verwendet). Dem ungläubigen Manager Allen Klein gefiel das aber gar nicht, und er beauftragte den Studiomagier Phil Spector, um den Songs den für ein Erfolgsalbum nötigen Schliff zu verpassen. Mit zweifelhaftem Ergebnis. McCartney beschwerte sich über Streicher und Frauenchöre auf „The Long And Winding Road“ und verließ kurz darauf sogar verärgert die Band.
„Let It Be… Naked“ ist nun die „unspectorisierte“ Version von „Let It Be“. Das sind die Beatles, wie sie die Songs wirklich gespielt haben, keine overdubs, auf Effekthascherei wurde verzichtet, aber auch Störgeräusche und die liebgewonnenen Sprachfetzen wurden rausgetechiiet oder wie das heißt, es wurden teilweise, wie bei „The Long And Winding Road“, andere Takes verwendet oder verschiedene Versionen ineinander gemischt („I’ve Got A Feeling“). Dann wurde alles klang-technisch aufpoliert Ein sehr cleaner Sound ist das, nicht einfach nackt, sondern hochglanz-nackt, Uschi Obermaier, nicht Uschi Glas.
Man habe aus dem Rohmaterial einfach ein zeitgemäßes Popalbum machen wollen, sagen die drei namenlosen Toningenieure, die für dieses Werk verantwortlich zeichnen – so wie einst Phil Spector. Im Himmelreich des Pop herrscht halt ewige Jugend – nur muss man da eben manchmal etwas nachhelfen. The Hörgewohnheiten, they are a-changing.
„Across The Universe“ wird plötzlich zum kleinen, bescheidenen Folksong „I’ve Got A Feeling“ klingt klarer, nicht mehr, als singe McCartney durch einen Duschvorhang – mehr Rock als Blues. „Let It Be“ hat das wunderschöne Gitarrensolo, das Harrison bei der Performance spielte und nicht das nachträglich drübergelegte, „One After 909“ klingt wie live aus dem Indra-Club. So hört man fast jeden Song mit anderen Ohren. Was manchmal schmerzt Man liebt „Let It Be“ so scheint es – nicht trotz, sondern wegen seiner Mängel.
Mit der ursprünglichen Idee des „Get Back“-Projektes hat „Let It Be… Naked“ nichts zu tun, die Aura des Spontanen ist durch die Reinigung völlig verloren gegangen, „Teddy Boy“, das auf den ersten „Get Back“-Pressungen drauf war, fehlt Immerhin gibt es eine Bonus-CD mit Studiodialogen und angespielten Songs, die die intendierte Atmosphäre des ursprünglichen Projekts andeuteten. Auch vom „Let It Be „-Album unterscheidet sich die Neufassung naturgemäß erheblich, nicht nur, dass Spectors Anteil fehlt, auch die Dramaturgie wurde geändert, „Dig It“ und „Maggie Mae“ fehlen ganz, dafür gibt’s noch einmal die altbekannte Single-B-Seite „Don’t Let Me Down“.
Auch „Let It Be… Naked“ ist also nicht die reine Lehre, keine historisch-kritische Ausgabe, eher das Evangelium nach Mammon. Nein, das neue „Let It Be“ erscheint nicht in unschuldiger, paradiesischer Nacktheit, denn den verbotenen Apfel haben die Beatles ja schon vor langer Zeit gegessen.
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