Rewind Today 1943: Happy Birthday, Sly Stone!
Und er steht noch immer auf der Bühne: Sly Stone, Bandleader von Sly & The Family Stone, feiert seinen 70. Geburtstag. Aus DAS ARCHIV – Rewind: Eine Rezension seines Meisterwerks "There's A Riot Going On".
Unsere Rezension des Meisterwerks von Sly & The Family Stone, „There’s A Riot Going On“, aus unserer Ausgabe 7/2007:
Das Sly im Band-Namen passe zu ihm, behauptete Columbia-Boss Clive Davis in seiner Autobiografie „Inside The Record Business“, und seine notorische Drogenkarriere illustriert auch die Anekdote, in der ihn sein Künstler, in vollem Ornament und aufgeputzt ziemlich von der Rolle, sprich: high, am Pool im Beverly Hills Hotel aufsucht und von ihm einen Scheck über gerade mal 250 000 Dollar verlangt. Nächsten Montag werde er dann auch ganz sicher die Mutterbänder fertigen abliefern. Aber das hatte er in den Jahren seit „Stand!“ schon so oft versprochen, dass die Firma nach dem spektakulären Woodstock-Auftritt eine „Greatest Hits“-Kollektion einschieben musste, um von der seither immens zunehmenden Popularität der Band zu profitieren. Auch auf die schlaue Idee vom schlauen Sylvester Stewart, er könne den Scheck ja die paar Tage vordatieren, ging Davis nicht ein.
Soviel Beharrungsvermögen zahlte sich aus. Zwei Wochen später brachte ihm der durch exzessiven Drogenkonsum notorisch unzuverlässig gewordene Star die Bänder zu „There’s A Riot Going On“ ins Haus. Das war die Platte, die ihn mit drei ausgekoppelten Hit-Singles und mehreren Millionen verkauften LPs für eine Weile zum Superstar machte. Am Ende war sie, in mehr als einer Hinsicht unter ähnlichen Umständen entstanden wie „Exile On Main St.“, dann doch noch fertig geworden, und anders als im Fall des genannten Stones-Klassikers reagierte die Kritik nicht reserviert, sondern ohne Vorbehalte enthusiastisch.
Die ersten LPs konnte man noch als die übliche Hits-with-filler-Strategie betrachten und sogar an „Stand!“ noch bemäkeln, dass es kein ähnlich schlackenloses Werk war wie „Otis Blue“. Aber „Riot“ überrumpelte mit den vielen divergierenden Ideen alle, obwohl es überhaupt kein geschlossenes Konzeptalbum war. (Dass die Platte Marvin Gaye oder Stevie Wonders musikalischen Fortgang maßgeblich beeinflussst hätte, wie von manchen Kritikern dann leichtfertig behauptet, ist ziemlicher Unsinn. „Music OfMy Mind“ von 1972 und die in ununterbrochener Serie folgenden Meisterwerke waren eine total andere Baustelle, „Let’s Gct It On“ sowieso.) Bei all dem kriminellen Pack um ihn herum in der Luxusvilla, die mal Hollywoodstar Jeanette MacDonald bauen ließ, war „Riot“ weithin doch ein im Alleingang aufgenommenes Werk – und anders als der Hit längst nicht mehr in demselben Maße eine „Family Affair“ wie die vier LPs vorher. Bei den legendären, Tage dauernden Koks-Partys waren Songschreiber-Kollege Jim Ford oder Bobby Womack mehr präsent als sein toller Mann am Bass. Wenn der gelegentlich von Oakland runterflog nach Los Angeles, um den Fortgang der Dinge über die Monate hinweg zu prüfen, fand Larry Graham zu seinem bassen Erstaunen manchmal (so in den Liner Notes dokumentiert), dass der Chef seine Beiträge gelöscht und eigenen Bass drübergespielt hatte. So viel Selbstbewusstsein produzierte nicht nur reichlich Frust.
„Riot“ dokumentiert nebenbei auch die Familie in Auflösung. Das waren – ausgerechnet zu Beginn der Ära, die mit dem Aufstieg von Steely Dan, Pink Floyd, Yes & Co. dem Begriff High Fidelity in der Popmusik eine ganz neue und zentrale Bedeutung gab – weithin wahre Lofi-Orgien, alle von ihm selber geschrieben, arrangiert, produziert, auch überwiegend solo musiziert und gesungen. Es gibt keine Remastering-Tricks, mit denen irgendwer etwa dem Mono-Single-Mix von „Runnin‘ Away“ (Bonus-Track hier) die Weihen von höherem Wohlklanghätte erteilen können. Die drei hier erstmals auch als Zugaben zu hörenden Instrumentals hätte ein von Perfektion besessener Sound-Tüftler wie Stevie Wonder auch damals nie und nimmer durchgehen lassen, sondern derlei Bänder sofort in den Abfall befördert (oder gleich gelöscht). Heftiges Verstärker-Rauschen war beim LP-Mix von „Spaced Cowboy“ sogar integraler Bestandteil! Da legte jemand wie James Brown seinerzeit schon unendlich mehr gesteigerten Wert auf Wohlklang als Sly Stone bei „Thank You For Talkin‘ To Me Africa“, einem Marathon von Drogensong ganz eigener Art.
Die noch in klassischem Ping-Pong-Stereo in kurzer Zeit produzierten Sessions zum Debüt mit dem unbescheidenen Titel „A Whole Keui Thing“ (3,0) profitierten ganz erheblich davon, dass er sich als Discjockey und Produzent (Beau Brum mels, Mojo Men usw.) eine ganze Reihe Tricks angeeignet hatte und sich auch großzügig bei von ihm geschätzten Musikern bediente. Wer ihn da gerade zu welchem Song „inspiriert“ hatte (Who? Hendrix? James Brown? Viele andere jedenfalls auch…), das rauszufinden, macht heute nachträglich auch einen gewissen Spaß bei diesem Debüt. (Der Sticker auf der Remaster-Ausgabe behauptet übrigens, es handle sich um die 3Oth Anniversary Edition. Da kann jemand tatsächlich nicht bis 40 zählen.) Die Pop-Elemente verschwanden ersatzlos bei den folgenden Platten.
Was nicht heißt, dass Sly Stone nach dem Misserfolg von „Life“ nicht größten Wert auf Ohrwurmqualität gelegt hätte, im Gegenteil: Für „Stand“ (4,0) drillte er seine Kapelle, bis sie perfekt Tanzmusik der Extraklasse spielte, bei der man so etwas wie „I Want To Take You Higher“ nicht mal als Drogensong verstehen musste. Neben dem unveröffentlichten „Soul Clappin‘ II“ sind die Mono-Mixes der Singles hier die Zugaben. Bei denen darf man sich wiederum fragen, was ein Produzent wie Jimmy Miller damals aus denen wohl gemacht hätte. So dünne, wie die im Vergleich zu ,Jumpin‘ Jack Flash‘ oder „Honky Tonk Women“ immer noch klingen. Bis heute aus irgendeinem nie näher geklärten Reflex heraus maßlos überschätzt, gilt „Riot“ als das magnum opus von Sylvester Stewart. Es ist – natürlich und unbezweifelt- das ungleich persönlichere Werk. Und es rangiert, nüchtern und aus der Distanz noch einmal gehört, in derselben Liga wie „Stand.'“, aber -jedenfalls was das Songwriting angeht – nicht in derselben Klasse wie etwa “ Stidyi Fingers“ oder „ExileOnMain St.“. Auch wenn letztere nie eine Schule begründeten wie „Riot“, Sylvester Stewarts faszinierendster Egotrip. Ebenfalls von Vic Anesini neu überspielt, sind die anderen Sly-Stone-Remaster hierzulande übrigens bis auf weiteres nur via Import erhältlich.
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