Rewind Today 1938: Nico wird geboren
Heute vor 75 Jahren wurde Christa Päffgen alias Nico geboren, bekannt geworden als Warhols Muse und Co-Sängerin in den Anfangstagen von The Velvet Underground. Wir erinnern an sie mit einer Rezension aus DAS ARCHIV-Rewind: Nico - The Frozen Borderline: 1968-70.
Nico – The Frozen Borderline: 1968-70 **** (Heft 3/2007)
Die germanische Walküre war zwar kolossal unbegabt als Sängerin und als Harmoniumspielerin, aber sie war eben auch kolossal. Als Muse hatte Nico schon 1965 Alain Delon betört, zog dann weiter nach New York und wurde sofort in den Kreis um Andy Warhol integriert und zum Missvergnügen Lou Reeds mit Velvet Underground zusammengespannt. Man nahm „The Velvet Underground & Nico“ auf, eine Platte, die auch so fabelhaft ist, weil Nico vollkommen ausdruckslos einige Stücke nicht singt, sondern mit ihrer Stimme begleitet.
Die Abneigung, die Reed gegen sie hegte, schlug schnell in eine tumultöse Liebesaffäre um, in die Nico auch John Cale als Eifersüchtigkeitsmacher involvierte. Dann kam aus Kalifornien der sehr, sehr junge Jackson Browne in die Stadt, schrieb ein paar Lieder für die Femme fatale, spielte bei ihren Auftritten brav die Gitarre – und wurde zur Brust genommen, wie er sich später diskret erinnerte.
In ungefähr dieser Gemengelage schreckte Jac Holzmans Elektra-Label, sowieso ein Sammelsurium von Obskuritäten, nicht vor einem Album mit Nico-Kompositionen zurück. In Los Angeles arbeitete sie 1968 mit dem Produzenten Frazier Mohawk und John Cale, der seinerseits von Lou Reed aus der Band geekelt wurde, für die viertägigen Aufnahmen von „The Marble Index“. Cale arrangierte die Streicher und allerlei Schlagwerk um das schlichte Harmonium-Gesummse der Diva, die dramatischen mediävistischen Proto-Gruftismus wie „Sagen die Gelehrten“ intonierte (das jetzt erstmals unter den zusätzlichen Stücken erscheint), ihre Stimme dabei gedoppelt: „Und plötzlich sieht der Himmel aus wie Blut…“ Mohawk hatte das Album auf 30 Minuten limitiert – in der korrekten Annahme, dass niemand mehr ertragen könne.
Nico, geboren 1938, musste sich gar nicht anstrengen, um Pathos, Angst und Murnau-Expressionismus zu verbreiten. Ihre Heroinsucht verschärfte Paranoia und lyrische Verstiegenheiten, die Cale kongenial instrumentierte. Man kann Cales Begeisterung angesichts von hart akzentuierten Gesängen wie „Nibelungen“ und „No One Is There“ verstehen. Natürlich kaufte kaum ein Mensch „The Marble Index“.
Bei „Desertshore“ übernahm Cale 1970 in London die gesamte Produktion. Noch einmal bannte er die Magie in Grabesliedern wie „My Only Child“, „Mütterlein“ und „Abschied“, die alle Sujets der teutonischen Rabulisten Rammstein vorwegnahmen. Auch diesmal gab es kein Publikum für diese Kunst. Eine zutreffend „The End“ betitelte Platte besiegelte Nicos Karriere als Sängerin – der Nico-Kult aber lebt weiter.
„DAS ARCHIV – Rewind“ umfasst über 40 Jahre Musikgeschichte – denn es beinhaltet die Archive von Musikexpress, Rolling Stone und Metal Hammer. Damit ist von Popmusik über Indierock bis zu Heavy Metal nahezu jede Musikrichtung abgedeckt – angereichert mit Interviews, Rezensionen und Reportagen zu Filmen, Büchern und popkulturellen Phänomenen: