Yeah Yeah Yeah :: von Bob Stanley
Kleine Welt
Die Idee, die Geschichte des Pop auf 740 Seiten zu konzentrieren, ist an schierer Arroganz zwar kaum zu überbieten, aber das geht in Ordnung. Schließlich war Anmaßung immer schon eine der Königstugenden des Pop, und als Musiker, Journalist, Kurator und Filmemacher mit grenzenlosem Sendungsbewusstsein musste sich Bob Stanley irgendwann zwangsläufig zu seinem Magnum Opus berufen fühlen.
Dessen chronologische Struktur drängt ihn allerdings in die klassische Historikerfalle, zerfranste Realitäten an scheinbar logische Narrative und Hauptschauplätze zu binden. Stanleys Perspektive wird mit Fortlaufen der Jahrzehnte bzw. der zunehmenden Internationalisierung des Pop immer unhaltbarer anglozentrisch -erstaunlich eigentlich für einen Europhilen wie ihn, dessen Band St. Etienne nach einem französischen Fußballverein benannt ist.
Zu seiner Verteidigung führt der Autor im Kapitel über Abba die transkontinentale Einbahnstraße der Pop-Wahrnehmung ins Treffen. Die wenigen sonstigen Nennungen nicht-anglo-amerikanischer Popmusik beschränken sich auf Kraftwerk, Moroder, Gainsbourg, Can, Italo-House, Euro-Techno, also die wenigen Geisterfahrten des Pop vom europäischen Festland in Richtung Westen (der Satz „Westdeutschland hatte kein musikalisches Erbe“ als Einleitung der Passage über Krautrock schmerzt aber schon – Stockhausen, anyone?).
Stimmt wohl, dass kontinentale Strömungen wenig globales Feedback erzeugten, doch dasselbe gilt auch für den britischen Pop seit den Neunzigern, und diese Regionalisierung wäre an sich auch ein Thema gewesen. Stanley, der bei seiner Stoffsammlung von den UK-und US-Charts von 1952 bis 2000 ausging, überschätzt oft die Weltbedeutung britischer Lokalphänomene. War etwa das 1963 im BBC Radiophonic Workshop hergestellte Titel-Thema der -in Deutschland wie den USA damals völlig unbekannten – Fernsehserie „Dr. Who“ tatsächlich „die Basis“ für die elektronische Revolution der 80er-Jahre?
Lässt man den ohnehin unerfüllbaren Universalanspruch einmal beiseite, erscheint solch apodiktische Flapsigkeit als annehmbarer Preis für die erfrischende Furchtlosigkeit eines kurzweiligen Buchs, das vor pointierten Anekdoten strotzt und selbst Säulenheilige wie Michael Jackson, Madonna und Bruce Springsteen in ein paar scharfen Sätzen abfertigt. Gelegentlich wird Stanley dabei sogar grob, beispielsweise beschreibt er Marc Almond als „eine Kreuzung aus einer jüdischen Mutter und einem Kamel“.
„Yeah Yeah Yeah“ ist eben kein Lexikon, sondern die leidenschaftliche Polemik eines Pop-besessenen Ich-Erzählers wider den kulturellen Snobismus. Das ist gut so. Aber die Welt, zu der bzw. von der er spricht, ist kleiner als die Welt des Pop. (Music Mentor, ca. 20 Euro)
Auf gut 900 Seiten schildert der britische Beatles-Historiker Mark Lewisohn im ersten Teil seiner auf drei Bände angelegten Bandbiografie wie aus vier Liverpooler Jungs die größte und einflussreichste Band des Pop wurde. Von Lennons Ahnen bis zum letzten Engagement im Starclub reicht diese uneitel und extrem detailliert erzählte Geschichte. Kenner werden wenig Überraschendes erfahren, doch in der Gesamtschau ist dieses epische Werk ein Muss. (Little, Brown, ca. 30 Euro) MB
Wer sich kaum vorstellen kann, wie man eigentlich so großartige Lieder schreibt, wie Ray Davies, die Pet Shop Boys oder Paul Weller das machen, der wird durch diese „Conversations With Great British Songwriters“ tatsächlich schlauer. Rachel befragt zwar die üblichen Verdächtigen (von Bryan Ferry und John Lydon bis zu Jarvis Cocker und Laura Marling) nach den Tücken des Kreativprozesses, lässt sie aber nicht mit einfachen Antworten davonkommen. Und natürlich sind Noel Gallagher und Billy Bragg wieder mal am lustigsten, während andere wie Sting vor allem sich selbst bewundern. (Picador, ca. 22 Euro) BF
Das mythisch verklärte West-Berlin der späten Siebziger -nie sah es zärtlicher aus. Iggy Pop spaziert durch diese Welt als spindeliger Bohemien mit Ponyfransen und Pilotenbrille, im verblassten Farbton lange in Pappkartons gelagerter Bilder. Esther Friedmans Fotos sind eine kleine Sensation. Sieben Jahre waren der sensible Proto-Punk und die deutsche Fotografin ein Paar, ein paar Hundert Fotos entstanden und verschwanden – intime, schöne, stolze Bilder. (Knesebeck, ca. 39,95 Euro) SZ