Wilco
„Wilco (The Album)“
Einst nannte man es „Alternative Country“, und das zweite Album von Wilco, „Being There“, war das Manifest. Vielleicht hat Jeff Tweedy deshalb bald auf Country verzichtet, und vielleicht sind Wilco deshalb so konkurrenzlos großartig geworden. Wie fad und muffig klingen sogar die geliebten Platten von Uncle Tupelo im Vergleich mit dem musikalischen Reichtum, der Ideenfülle, der hier surrealistischen, da impressionistischen Feinheit der Arrangements und Songtexte.
„Sky Blue Sky“ von 2007 war ihr romantisches Hippie-Album, befeuert von Nels Clines unglaublich fantastischem (und fantasiereichem) Gitarrenspiel. Clines unverkennbar lyrischen Ton erkennt man auch bei „Wilco (The Album)“ sofort, wenngleich ihm nur kurze Soli eingeräumt werden. „Wilco (The Album)“ kann nicht nur dem Titel nach alles sein- die Platte vereint auch Wilco (den Pop) mit Wilco (der Ballade) und Wilco (dem Abstrakten), hat die Melodien und die träumerische Zartheit von „Summerteeth“ ebenso wie die strenge Geometrie von „Yankee Hotel Foxtrot“– bei sehr knappen, konzisen Songs, die dennoch erstaunliche Instrumental-Passagen enthalten.
Wie „Deeper Down“, das mit einer Art Cembalo und gedehntem Steel-Gitarren-Seufzen an Barock-Pop (und an Prog-Rock-Arabesken) gemahnt. „Wilco (The Song)“ verblüfft mit etwas bei Tweedy Seltenem: Humor. „Is someone twisting a knife in your back? Wilco will love you baby“, verspricht der Sänger. „One Wing“ fiept und jubiliert bombastisch wie ein Radiohead-Stück; „Bull Black Nova“ ist um ein unheilvolles Stakkato-Piano-Motiv gebaut, das von den anderen Instrumenten aufgenommen wird, während die Gitarren von Tweedy und Cline einander umspielen. In solchen Momenten reiner Musikalität reichen Wilco an melodische Meisterstücke wie Frank Zappas „Inca Roads“ heran- Nels Cline ist ja vor allem ein Jazz-Gitarrist.
Es sind natürlich die Balladen, die man nicht vergessen kann: Das famose, gebrochene „You And I“ singen Tweedy und Leslie Feist zu kreiselnder Orgel. „Country Disappeared“ zeigt den Melancholiker und Jeff Tweedy als Apokalyptiker, der vom Weltraum herab auf die zerstörte Erde blickt (und schöner singt denn je). Elvis Costello konnte früher solche Stücke zwischen Soul und Country schreiben. „You Never Know“ ist ein Saloon-Brecher mit aufgekratztem Piano, „Solitaire“ ein lindes, friedliches Stück mit Orgel, Pedal Steel und akustischer Gitarre- wie vom Weißen Album der Beatles.
Bei „I’ll Fight“, das an frühe Wilco-Songs erinnert, nimmt Tweedy eine ungewöhnlich aggressive Pose ein, sieht sich gar als Jesus am Kreuz, doch hat er ja die Liebe: „My life will not be lost/ If my love will come across.“ „Sonny Feeling“ ist das einzige überinstrumentierte, fast hysterisch wirkende Lied der Platte („The kids are still cruel“). Sie schließt mit einer elysischen Ballade, „Everlasting Everything“, die wiederum das Ewige, das Metaphysische streift.
Nun war Tweedy niemals so banal, seine Platten etwa an den Zorn über George Bush zu verschwenden. Doch hat er jetzt öfter solche Lennonhaften, weihnachtlichen Momente. Und die allerletzten Momente gehören Nels Cline, der noch einmal seine Gitarre verzerrt. Everlasting. (Warner)
Arne Willander