Wilco

Kicking Television: Live In Chicago

Nonesuch (Warner) 2005

Gut wie nie: Intensiver kann ein Konzert als Konserve kaum klingen

Fleißig sind Jeff Tweedy und seine Leute. Und darum hat der Rezensent eine stattliche Liste von Wilco-Shows vorzuweisen, die er alle nicht gesehen hat. Und ärgern! ärgern! darf sich der Depp, besonders mit diesen fulminanten 114 Live-Minuten vom Mai auf den Ohren, „Es hat sich für mich noch nie so gut angefühlt“, freute sich der Songwriter aus Chicago nach dem Heimat-Abend im „Vic Theatre“ sehr nachvollziehbar, noch niemals habe er in einer Band gespielt, die so in einer kollektiven Vision verbunden war.

Das könnte man als Nachtreten gegen die abgewanderten Stützen Jay Bennett (nach „Yankee Hotel Foxtrot“, ’02) und Leroy Bach (nach „A Ghost h Born“, ’04) verstehen oder als Würdigung der Neuen, Gitarrist Nels Cline und Multi-Instrumentalist Pat Sansone. Wir glauben da sehr an das Gute, denn trotz des bedauerlichen Striptease-im-Radio-Effekts jeder Konzertplatte vermittelt sich die Konsistenz, die Wucht des 23-Song-Packages auch unter dem Hörer von Beginn an. Und wenn wir nur die Augen schließen, stellen sich fast mühelos auch die surrealen Bilder von krabbelnden Bienen, von bizarren Augen, Mündern, Nasen und sich drehenden psychedelischen Mustern ein, die Deborah Johnson für die Videowand der Tour entworfen hatte. „You still love Rock’n’Roll?“, fragt Tweedy im Opener „Misunderstood“ in den frenetischen Jubel der Menge hinein und bedankt sich gleich 36mal krachend bei allen für „Nothing“. Natürlich haben die Lieder auf der Bühne viele der im Studio kunstvoll verschlungenen Klang-Fäden eingebüßt und tönen brachialer, selbstverständlich ist auch Tweedys Gesang direkter, klar, daß kakophonische Orgien wie in „I Am Trying To Break Your Heart“ oder „Handshake Drugs“ noch wütender zubeißen. Aber das Sextett findet immer die Balance zwischen öffentlichem Schmerz (die verzweifelte Raserei in „At Least That’s What You Said“ ist selbst im Wohnzimmer körperlich spürbar), betörender Süße (ob das brennende Feuerzeug zum beatlesken „Hummingbird“ unter dem Deckenstrahler sehr albern ausgesehen hat?) und etwas nostalgischer Kick-Ass-Attitüde („Heavy Metal Drummer“).

„Learning How To Die“ hieß 2004 eine ziemlich düstere Gruppen-Biographie. Nimmt man diese intensive Leistung als Indikator, besteht aber durchaus Grund zur Hoffnung, daß Tweedy in der Drogen-Reha vielleicht auch zu leben gelernt hat.