Van Dyke Parks
Songs Cycled
Bella Union/Cooperative
Stimmen aus dem Gestern und Heute: Der Meister flaniert durch seine eigene Geschichte.
Was für ein herrlicher Spätsommermorgen. Mild scheint die Sonne in die Straßenschluchten der Stadt, ein warmer Wind wirbelt schimmernden Staub und Konfetti empor, lieblich tirilieren dazu die Flöten, ein Streicher-Ensemble schmachtet, ein beschwingtes Klavierspiel lädt ein zum Tanz. „Wall Street!“, jubelt Van Dyke Parks, „Wall Street!“ Das klingt heiter und lediglich leise melancholisch. Doch dauert es nur einen Wimpernschlag, bis sich das Bild wendet: „I can see nothing but ash in the air/ Confetti covered with blood.“ Unter dem falschen Trubel von Instrumenten und Stimme verschlickt die Szene zu einer Zeitlupe; in der Luft schwebt nun die Asche aus brennenden Türmen; bald stürzen brennende Menschen herab. „And in the confetti is human desire/ Love letters lost in space, now smoking.“
„Wall Street“ heißt dieses Stück von Van Dyke Parks, das – unmittelbar nach dem 11.9.2001 komponiert – in dieser Form erstmals vor zwei Jahren als 7-Inch-Single erschien. Auf der B-Seite findet sich das Stück „Money Is King“, ein Calypso aus der Depressionszeit der 30er-Jahre von dem Sänger Growling Tiger aus Trinidad – von Van Dyke Parks sacht modernisiert und für die Depressionszeit unserer Gegenwart fortgeschrieben. Was die eine Krise mit der anderen verbindet und was die Ökonomie der Wall Street mit jenem Hass zu tun haben könnte, der sich in den Anschlägen am 11. September entlud: Das sind die Fragen, die Parks formuliert – nicht nur in seinen Texten, sondern gerade auch in der musikalischen Verschränkung von Vergangenheit und Gegenwart, Sarkasmus und Bitterkeit, Schönheit und Schrecken.
„Wall Street“ und „Money Is King“ finden sich nun auch auf Parks’ neuem Album „Songs Cycled“: Es versammelt zwölf Lieder, die er in den beiden vergangenen Jahren auf sechs Singles auf seinem eigens dafür gegründeten Bananastan-Label herausgebracht hat. Natürlich soll der Titel des Albums an den „Song Cycle“ erinnern, mit dem Parks 1967 als Solokünstler debütierte; mit „The All Golden“ interpretiert er auch einen Song von diesem Album neu. Außerdem hört man Calypsos und Walzer, Bluegrass-Stücke und hollywoodeske Orchester-Scores. In der Ballade „Black Gold“ besingt er den Untergang des Öltankers Prestige; danach kommt ein Stück von der 1971 von ihm produzierten Esso Trinidad Steel Band: ein Requiem für die Meere, auf Ölfässern geschlagen.
So flaniert Parks – wie auf seinem Debüt und den Platten in den 60er- und frühen 70er-Jahren – auch hier durch die Geschichte der amerikanischen, karibischen, afrikanischen Musik; nur dass diese Geschichte inzwischen auch zu seiner Geschichte geworden ist. Und wo der „Song Cycle“ seinerzeit absichtsvoll skizzenhaft blieb, sind die Stücke hier so klar konturiert und geformt, dass ihre Selbstwidersprüche stetig zu Tage treten: Jeden Moment kann Heiterkeit in Sarkasmus umschlagen, musikalische Pracht sich in deprimierende Schroffheit verwandeln oder Naivität sich in politische Sorge. Die Luft ist voller Stimmen aus dem Gestern und Heute; es sind die Stimmen der musikalischen Herkunft und der niemals endenden politischen Kämpfe.