V.A.

„The ZTT Box Set“

Mit seiner Produktion des ABC-Albums „The Lexicon Of Love“ hatte der Produzent Trevor Horn 1982 ein Manifest des britischen New Pop erschaffen. Verglichen mit dieser glamourös übersteigerten Verklärung der großen Gefühle, die mit einem ironischen Augenzwinkern die neuesten Technologien nutzte, um den Geist des alten Hollywood zu beschwören, war das wahre Leben nur ein karg eingerichtetes, schlecht beheiztes Wartezimmer.

Mit Anne Dudley, Gary Langan und J.J. Jeczalik, die alle ebenfalls an „The Lexicon Of Love“ mitgearbeitet hatten, produzierte Horn auch Malcolm McLarens „Duck Rock“ und „90125“, das überraschende Comeback von Yes. Die Gründung einer gemeinsamen „Band“ mit dem Namen The Art Of Noise war da relativ naheliegend.

Weniger naheliegend war dagegen die Einbeziehung des Musik-Journalisten und Pop-Propagandisten Paul Morley als fünftes Bandmitglied. Doch man schrieb das Jahr 1983, größenwahnsinnige künstlerische Konzepte galten damals mindestens so viel wie ein Fairlight-Musikcomputer. Deshalb gründeten Trevor Horn, seine Frau Jill Sinclair, Gary Langan und Paul Morley noch im gleichen Jahr das Konzept-Label ZTT, benannt nach einem Klanggedicht des italienischen Futuristen Filippo Tommaso Marinetti.

ZTT war auf den ersten Blick eine Hi-Tech-Manufaktur, in der Horn und sein Team an bombastisch ausgetüftelten Klang-Entwürfen arbeiteten. Doch erst die von Morley verfassten großmäuligen Strategien und Manifeste sorgten dafür, dass Frankie Goes To Hollywood tatsächlich als völlig versaute Skandal-Truppe wahrgenommen wurden.

Eine Disco-Version der Sex Pistols, die zeigte, „was aus Punk hätte werden können, wenn man sich an Donna Summers ,I Feel Love‘ und nicht an ,No Fun‘ von den Stooges orientiert hätte“, wie Simon Reynolds in „Rip It Up And Start Again“ treffend schreibt.

Die optisch weniger attraktiven Art Of Noise wählten da lieber die Rolle der anonymen Künstler. Doch Morley machte auch daraus noch eine Tugend. Bei einem ZTT-Konzert in London erklärte er ebenso arrogant wie zutreffend: „Ein Schraubenschlüssel ist wesentlich interessanter als der Leadsänger von Tears For Fears.“ Nicht nur im ambitionierten Pop, auch in der aufkeimenden HipHop-Szene genossen Art Of Noise Kultstatus wegen rhythmisch raffinierter Cut-and-paste-Orgien wie „“Close (To The Edit)“.

Bald darauf veröffentlichten die deutschen Düster-Popper Propaganda bei ZTT ihre Debütsingle „Dr. Mabuse“, und 1985 erschien dort auch das Grace-Jones-Album „Slave To The Rhythm“. Leider ist Miss Jones auf keiner der drei CDs des Box-Sets zu finden und auch nicht auf der beiliegenden DVD.

„Zang Tumb Tuum“ umfasst 25 Jahre und enthält zu viel Uninteressantes aus den Neunzigern und der Gegenwart: Braucht es im Rahmen einer Retrospektive wirklich zwei Stücke von dem Soul-Pop-Sänger David Jordan aus dem Jahr 2007? Die große Zeit von ZTT währte allerdings tatsächlich nur kurz und war bereits in den späten Achtzigern wieder zu Ende.

Die Labelbetreiber stellten sich und ihre Strategien zu sehr in den Vordergrund und trafen dabei fatale Fehlentscheidungen. Und so hören wir nun Seals „Crazy“ und „My Way“ von Shane MacGowan auf einer CD, und auf der nächsten FGTH’s „Relax“ und „Cübik“ von 808 State. (ZTT/Salvo/Unionsquare)

Jürgen Ziemer