U2 – The Joshua Tree: 20th Anniversary Deluxe Edition

Universal

Das Denkmal der 80er Jahre, neu verpackt und ergänzt

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Ein Monument hat wenig Möglichkeiten. Ist es aufgestellt, kann es bei pfleglicher Behandlung weiter vor sich hin glänzen, langsam Patina ansetzen oder- im aufregendsten Falle — bei einer Revolution gestürzt und zerstört werden. „The Joshua Tree“ ist eigentlich alles davon passiert. 1987 bescherte das Album U2 den endgültigen, ewigen Triumph, und doch gibt es viele Leute, die es nicht mehr ertragen können. Weil die ersten drei Singles dermaßen ins kollektive Gedächtnis gebrannt sind, dass es überflüssig scheint, sie je wieder aufzulegen: „Where The Streets Have No Name“, „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“, „With Or Without You“-die heilige Dreifaltigkeit der Rockmusik. Weil es nicht einfach ist, sich diesen elf Liedern über Gott und Amerika, über Liebe und Verlangen zu ergeben, ohne an all das zu denken, was danach kam. Die Größe von „The Joshua Tree“ gegen den Größenwahn von Bono – das Album gewinnt, aber eben nur, wenn man es sich tatsächlich anhört. Und dann haben U2 das Denkmal schließlich selbst gefällt, als sie in den 90er Jahren (glücklicherweise relativ kurzzeitig) versuchten, zynisch und cool zu sein. „The sound of four men chopping down Joshua Tree“ nannten sie das missglückte „Zooropa damals.

Es gibt keinen schlechten Song auf „The Joshua Tree“. Und obwohl der Sound, den Brian Eno und Daniel Lanois hier geschaffen haben, so monolithisch klingt, sind es gerade die Gegensätze, die eine sensationelle Spannung erzeugen. Auf die nervöse Paranoia von „Bullet The Blue Sky“ folgt die resignative Ruhe von „Running To Stand Still“. „In God’s Country“ vereint Bonos Steckenpferde — Religion und Liebe — mit Edges Sinn für die dringlichsten Gitarrenläufe der Welt, die Leidenschaft in „Trip Through Your Wires“ klingt dann schleppend und dräuend. Von den offensichtlichen Hits hin zu fast flüsternden Stücken – das Prinzip, all das Pulver am Anfang zu verschießen, scheint irrwitzig. Angeblich war es nur ein Zufall: Bono bat Kirsty MacColl, die damals mit Produzent Steve Lillywhite verheiratet war, eine Reihenfolge festzulegen. Sie ordnete die Stücke einfach nach ihren persönlicher Vorlieben.

Das Box-Set erscheint nun mit Bonus-CD, DVD und 56-seitigem Booklet mit handgeschriebenen Songtexten, Anton Corbijns stilprägenden Fotos und vielen Erinnerungen. Bill Flanagan fasst in seinen knappen Liner Notes bloß noch einmal die Karriere bis 1987 zusammen, Bono erinnert sich naturgemäß genauer. Ursprünglich sollte das Album „The Two Americas“ heißen, weil es hier um das tatsächliche Land und die „mythic idea“ geht – und genau deshalb haben die Songs bis heute nichts von ihrer Faszination verloren. Wer sich je in die Idee von Amerika — Weite, Freiheit, Zuversicht—verliebt hat, wird diesen Traum niemals leichtfertig von Bush-Männern kaputthauen lassen. „The Joshua Tree“ war ein Manifest einer Sehnsucht nach einem besseren Land, einer besseren Welt, inmitten der angeblich so oberflächlichen 80er Jahre. Inzwischen hat auch The Edge seinen Frieden mit dem alles verändernden Album gemacht – es sei, sagt er im Booklet, „maybe a bit over earnest and intense, but a perfect moment in time captured“.

Auf der zweiten CD finden sich 14 Session-Outtakes und B-Seiten, darunter zwei frühe Versionen von „Silver And Gold“ (eine mit Keith Richards und Ron Wood) und „Drunk Chicken/ America“, das mit einer Rezitation des Allen-Ginsberg-Gedichts beginnt und dann nichts mehr hinzuzufügen hat. So hübsch andere Stücke wie „Deep In The Heart“ und „Sweatest Thing“ sind: Sie zeigen doch vor allem, dass U2 immer sehr gut in Qualitätskontrolle waren und genau wussten, welche Songs ein kleines Flackern erzeugen, aber kein Feuer. Die DVD hat wenig Erhellendes hinzuzufügen, obwohl das Konzert vom 4. Juli 1987 im Pariser „Hippodrome“ immerhin schön zeigt, wie statisch die Band damals noch auf der Bühne stand, und wie sich Bono zwischen Stolz und Verlegenheit kaum entscheiden konnte. Die Dokumentation „Outside It’s America“ wirkt zerfasert, aber alles, was zu dieser Tournee zu sagen ist, sollte ja ohnehin bald auf „Rattle & Hum“ erscheinen. Eigentlich braucht „The Joshua Tree“ auch gar kein Beiwerk, so fein das gestaltet ist. Es ist ein Monument, das für sich allein steht, wie der dürre Baum in der Wüste. Der inzwischen leider verschwunden ist.