U2
„How To Dismantle An Atomic Bomb (20th Anniversary Edition)“ – Die lange Reise ins Licht
Universal (VÖ: 22.11.)
Zum Jubiläum ihrer Atombombe gönnen U2 uns ein komplettes zweites Album.
Der Sänger war eine tickende Bombe Anfang des Jahrtausends. So zumindest müssen U2 es empfunden haben, als sie „How To Dismantle An Atomic Bomb“ aufnahmen. Als das Album 2004 erschien, hatte Bono sich gefangen, die Songs erzählen von seiner langen Reise vom Dunkel ins Licht. Der Tod seines Vaters hatte ihn in eine Krise gestürzt, und grundsätzlich sind Menschen mit Anfang, Mitte vierzig ja nicht selten bereit, ihr Leben noch mal völlig auf den Kopf zu stellen. Bono hat sich schließlich anders entschieden und mit seinen drei Freunden einfach ein weiteres großartiges Album gemacht – auf dem sie so sehr U2 sind, dass es eine reine Freude ist. Die Gitarren von The Edge machen Alarm, Larry Mullen Jr. treibt alle trommelnd voran, Adam Clayton ist dabei.
Mit „Vertigo“ geht es gleich gewaltig los, dann spannt sich der Bogen von herzzerreißenden Balladen („Sometimes You Can’t Make It On Your Own“) über sinnliche Erfahrungen („A Man And A Woman“) und fast abgeklärte Lebensweisheiten („One Step Closer“) mit einigen Schlenkern zu politischen Themen bis zum versöhnlichen Ende mit „Yahweh“. Hier begann wohl Bonos Bereitschaft, jenseits von den Polen Messias und Rockstar-Megalomaniac auch seine Unzulänglichkeiten und Narben zu zeigen – in „All Because Of You“ singt er: „I’m not broke but you can see the cracks.“ „Atomic Bomb“ wurde in 34 Ländern Nummer eins, sie hatten also alles richtig gemacht. Die Qualitätskontrolle war bei U2 stets krasser als bei vielen anderen Bands – insofern verwundert es nicht sehr, dass noch eine Menge Material übrig war.
Dass die Sonne aufgehen wird, egal wie finster die Nacht wirkt – daran gab es für Bono trotz allem nie einen Zweifel
Bestimmt war Studio-Puzzler The Edge begeistert davon, noch mal alle alten Aufnahmen, die nicht genutzt wurden, durchzuhören und die zehn besten Songs für ein komplettes zweites Album herauszusuchen – das „Schattenwerk“, wie er es nennt. Es trägt den passenden Titel „How To ReAssemble An Atomic Bomb“. Natürlich ist das Zweitwerk nicht ganz so gut wie das eigentliche (das noch mal remastert wurde), aber der Ausschuss hat eine überraschende Wucht. „Pictures Of You“ (Arbeitstitel: „Xanax And Wine“, hier kommt auch der Albumtitel vor) handelt von der Einsamkeit, die einem kein Fernseher und kein Konsumgut nehmen kann – vielleicht war es Bono dann doch etwas zu aufreizend („You’ve been good to me/ Now I need you not to be“). „Evidence Of Life“ hat eine ähnlich nervöse Energie. Eine wieder mal herrlich quengelnde Gitarre führt den „Luckiest Man In The World“ ein, der gar nicht so glücklich ist: „Happiness is for those who don’t really need it.“ Die Stimme schneidet einem ins Herz.
Ganz so stark geht es nicht weiter (der Groove von „Treason“ ist zu schwerfällig, angedeuteter Rap nicht Bonos Ding), aber es gibt viel zu entdecken. „Country Mile“, „Happiness“ (noch mal!) und „Are We Gonna Wait Forever?“ sind solide, wie auch das „Batman“-Theme und die Alternativ-Version von „All Because Of You“. Die beiden Alben gibt es getrennt, gemeinsam und selbstverständlich in einer opulenten Jubiläums-Version mit beiden „How Tos“, Remixes, dem „Vertigo 2005: Live From Chicago“-Konzert, Anton-Corbijn-Fotobuch und Kunstdrucken.Die letzten Worte in „Yahweh“ lauten: „Why the dark before the dawn?“ Von dieser Dunkelheit hat Bono in den folgenden 20 Jahren immer wieder berichtet – und von der Möglichkeit, sie zu überstehen, bis endlich wieder Licht zu sehen ist. Dass die Sonne aufgehen wird, egal wie finster die Nacht wirkt – daran gab es für ihn trotz allem nie einen Zweifel. Vielleicht macht das die Musik von U2 so tröstlich.