U2

How To Dismantle An Atomic Bomb

Universal

Zeichen und Wunder: U2 entdecken den Rock'n'Roll wieder. Eine Review aus dem Jahr 2004.

Die Atombombe ist Bono. U2 wollen uns keine Anleitung für den Ernstfall geben, sondern nur den Versuch des Sängers, sich nach einer großen Krise wieder zu fangen, dokumentieren. Bono blättert sein Seelenleben auf, bis zum Kern. Entsprechend explosiv klingt „How To Dismantle An Atomic Bomb“.

„Hello, hello, I’m at a place called Vertigo!“ Das fangt ja gut an. Bono am Abgrund? Von wegen. Die Iren stehen endlich wieder da, wo sie hingehören: ganz oben, über allem. Dieses Album hat alles, was zwischen den Polen „The Joshua Tree“ und Achtung Baby“ möglich ist – und es ist die logische Weiterfuhrung von „All That You Can ‚t Leave Behind“. Die vielen Produzenten haben sich mächtig angestrengt, aber auch ohne den fetten Sound wäre jeder einzelne Song ein Triumph.

„How To Dismantle An Atomic Bomb“ tut genau das, was R.E.M.s „Around The Sun“ nicht tat: Es springt einem mit all seinen Qualitäten sofort ins Gesicht. Wer „Around The Sun „nach dem dritten Hören weglegte, hat die Chance vertan, beim vierten Mal die Schönheit zu entdecken. Das kann bei „Bomb“ nicht passieren. Und doch: Manches offenbart sich erst viel später. Man weiß gleich, dass es ein Hitalbum ist. Das Herz zerreißt es einem langsamer.

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Zuerst wundert man sich fast. So viel Rock’n’Roll! Mit solch unrock’n’rolligen Themen: Religion, Politik, natürlich auch Liebe. Wieder einmal kommt zusammen, was nur bei U2 schon immer zusammengehörte – aber selten so gut zusammenpasste. Dieses Album ist sexy und nachdenklich, hart und schillernd, tanzbar und anrührend.

Was Bono vor drei Jahren so geschüttelt hat, erklärt „Sometimes You Can’t Make It On Your Own“ – die Ballade, die er bei der Beerdigung seines Vaters sang. Die Alarm-Gitarre von The Edge wird in den Hintergrund gedrängt von dieser gequälten, beruhigenden, zärtlichen Stimme. „You don’t have to put up a fight/ You don’t have to always be right/ Let me take some of the punches/ For you tonight.“ Das Falsett im Chorus, wenn er den Vater im Spiegel sieht und Angst hat, den Telefonhörer abzunehmen – es ist so markerschütternd wie das Fazit: „I don’t need to hear you say/ That if we weren’t so alike/ You’d like me a whole lot more.“ Bono beschreibt das Haus, das kein Heim ist, und den Vater, der es ihm nie leicht gemacht hat – und doch hört man am Ende nur Liebe.

Der treibende, dann stockende Rhythmus von „Love And Peace Or Else“ bringt einen auf die Erde zurück. Theoretisch geht es um das Niederlegen aller Waffen, aber das ist kein pazifistischer Gesang, eher eine Kampfansage. Bono wiederholt fast wütend „Where is the love?“, zum ersten Mal ist vom gebrochenen Herzen die Rede. Das Gegrolle am Ende wird immer unheilvoller, danach schwingt „City Of Blinding Lights“ mit seiner irritierenden, faszinierenden Phrasierung wieder in eine ganz andere Richtung.

Bei „All Because Of You“ lassen sie alle Zügel los – die Gitarren stürmen mit der Stimme um die Wette. Der Chorus ist einfach und unglaublich effektiv, die Zeilen zeugen von Selbstironie ebenso wie von Bewunderung: „I like the sound of my own voice/ 1 didn’t give anyone else a choiee/ An intellectual tortoise/ Racing with your bullet train.“ Welche Liebeslieder der Mann seiner Frau nach fast 30 Jahren und vier Kindern schreiben kann! „A Man And A Woman“ ist auch so eins – selbst wenn es die „mysterious distance“ betont, die zwischen den Geschlechtern herrscht. Bonos Fazit ist auf pragmatische Art romantisch: „I could never take a chance/ Of losing love to find romance.“

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Mindestens genauso packend – und immerhin so schön, dass The Edge beim ersten Hören weinen musste: „Original Of The Species“, für die Tochter des Gitarristen geschrieben. Dass man im Herzen ein Kind bleiben soll – dieses eine Klischee mag man Bono nachsehen. Er singt dafür so ungekünstelt wie nie – kein aufgesetztes Pathos, kein falscher Ton. Oft ist seine Stimme fast kratzig, vom Leben angegriffen wohl aber nie ruiniert. „I’m not broke but you can see the cracks“ – und hören eben auch.

Das gibt auch den politischen Songs den nötigen Dreh. So einfach wie früher machen es sich U2 nicht mehr, auch wenn am Ende der Idealismus doch über alle Zweifel siegt Auf „Crumbs From Your Table“ hört man keine Bitterkeit, nur Entschlossenheit. Der unbeugsame Kämpfer fürs Gute, hier bricht er durch: „You speak of signs and wonders/ I need something other/ I would believe if I was able/ But I’m wakin on the crumbs from your table.“ Das Stück „Mirade Drug“ funktioniert ähnlich. Selbst wer sich für Afrika, Aids und all das gar nicht interessiert, wird aufhorchen. Und sei es nur, weil diese Lieder solch verdammte Ohrwürmer sind.

Das Ende ist nicht ganz so christlich, wie es zunächst klingt. Es wird zwar „Yahweh“ angerufen, aber vor allem mit Fragen konfrontiert, die sich auch Atheisten schon mal gestellt haben: „Why the dark before the dawn?“ Warum kann das Leben eigentlich nicht etwas einfacher sein? Es geht um Seelen, die singen wollen, um Hände, die nicht zu Fäusten werden sollen, schließlich um das Schicksal von Jerusalem. Könnte aber auch jede andere Stadt sein. Schließlich vertraut Bono doch auf die Macht Gottes – oder eine ausgleichende Gerechtigkeit, irgendwann: „Take this heart/ And make it break.“ Nie klang ein gebrochenes Herz gesünder.