U2

Pop – Die kaputte Disco-Kugel

Mit „Pop“ wagten U2 ihr letztes Experiment. Das Album ist gut gealtert – die „Popmart“-Tournee wurde gar zum Triumph, trotz technischer Ausfälle.

Natürlich lässt sich alles auf die kaputte Zitrone, oder: die kaputte Discokugel in Zitronenform, schieben. Mit der „Popmart“-Tournee wollten U2 Celebrity-Kult, Markenterror und Konsumlust bloßstellen. Sie trugen Muskelbody-Shirts und Cowboy-Kostüme. Und dann standen die vier Musiker für den Zugabenblock, wie an jenem Konzertabend in Oslo, in ihrer Zitronen-Diskokugel. Von Nebel umhüllt sollten sie aus der verspiegelten Glas-Frucht auf einer Showtreppe hinunterlaufen, während Bono zu „Discotheque“ ansetzt.

Nur ging die Apparatur diesmal nicht auf. Während die Fans sich fragten, ob diese neue Dramaturgie der Verzögerung beabsichtigt war, mussten die vier Iren ihr Gefängnis durch einen Hinterausgang verlassen. Ein ungeplantes Ereignis, ein ungeplanter Lacher. Bei ihrem Gig in Osaka sollte sich diese Fehlfunktion erneut ereignen.

So sollte die Nummer eigentlich aussehen:

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Bis heute spielt der in Oslo und Osaka misslungene Showeffekt Kritikern in die Hände, die die „PopMart“-Nummern für aufgeblasen halten. U2 wollten parodieren, letztendlich wurden sie für viele selbst zur Parodie. Tatsächlich haben die Musiker ihr „Pop“-Album zerredet wie sonst kein anderes, nicht mal „October“ von 1981 kam so übel weg. Sechs der zwölf Songs würde die Band nach Veröffentlichung der Platte nochmal neu herausbringen, einige wenigstens als Single-Remix („Staring At The Sun“) andere gar mit neuer (Gesangs-)Aufnahme, wie „Please“. Sogar Nicht-Singles wie „Gone“ wurde eine erneute Bearbeitung zuteil.

Mittelschnell bis balladesk

U2 bezeichneten das Werk als unfreiwilligen Schnellschuss. Der Tour-Auftakt war für den 25. April 1997 in Las Vegas angesetzt, und bis dahin musste das Album auf dem Markt sein. Die Aufnahmen mit Neu-Produzenten Flood, Howie B und Steve Osbourne verliefen schleppend. Auch das „Pop“-Konzept, elektronisch angehauchter Upbeat, ließ sich nicht verwirklichen.

Im Gegenteil: Die gesamte zweite Seite der LP, also alles ab „Gone“, Song sieben, war eher mittelschnell bis balladesk. Ein Wagnis. Insgesamt gab es von den zwölf Liedern nur vier tanzbare. Spötter könnten sagen: Nach „Last Night On Earth“ ging U2 anscheinend die Luft aus! Bono sagte es so: Anstelle einer Disco-Platte startete mit Song zwei, „Do You Feel Loved“ die Resignation. Man verzichtete im Titel auf das Fragezeichen, alles over und abgeklärt, und nach „Mofo“, nach Minute 15 des Albums, stellte sich laut Bono der Hangover ein. „Pop“ bot eine herausfordernde Tracklist.

Discotheque: Bis heute schwer zu meistern

Dabei sollte „Pop“ das bis heute letzte Album sein, in dem die Band auf Risiko ging. So einen verschleppten TripHop-Rhythmus wie in „Miami“ gönnten U2 sich danach nicht mehr. Und der aggressive Techno-Beat von „Mofo“, in dem der Sänger den frühen Tod seiner Mutter anging, dominierte gar die Melodie des Stücks.

Beides sind Beispiele für gelungene Songs. „Pop“ ist eine gute Platte. Die Band fügte sich ordentlich ein in das Jahr des Big Beat, dem Jahr der Chemical Brothers und des Fatboy Slim. Und die zwei meistbeachteten britischen Rock-Werke von 1997, „Be Here Now“ von Oasis, sowie „OK Computer“ von Radiohead, waren lauter, bombastischer – gewagter waren sie nicht.

Der Travolta-Traum, dass sich auf der Tanzfläche die Klassenschranken aufheben

Die Vorabsingle „Discotheque“ schaffte es zu Recht in Großbritannien auf die Eins.  Das Stück ist ein Beispiel für den Pop an sich, der schwerelos ist, hüllenlos, ungreifbar, ein Kaugummi, eine Blase: „You Can Reach / But You Can’t Grab It / (…) You Know You’re Chewing Bubblegum / You Know What That Is / But You Still Want Some / You Just Can’t Get Enough / Of That Lovie, Dovie Stuff“. Der Travolta-Traum, dass sich auf der Tanzfläche die Klassenschranken aufheben. „Discotheque“ bleibt jedoch bis heute für U2 schwer zu meistern: Bis zum Jahr 2000 veröffentlichten sie drei Versionen des Songs; nach „Popmart“ haben sie den Hit kaum noch live gespielt.

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„Staring At The Sun“, Single zwei, „hätte richtig groß sein sollen“, sagte Bono. Dieser Song, eine wehmütige Friedenshymne, geschrieben unter dem Eindruck des Jugoslawienkriegs, klang tatsächlich etwas verloren im Mix. Unzufrieden waren die Musiker auch mit „If You Wear That Velvet Dress“.

U2 wagten sich mit dieser Dress-down-story durchaus glaubhaft ins erotische Terrain, der Sänger aber bezeichnete das Stück später als „Muzak“. Dazu kamen Probleme mit Bonos Hals. „Ich singe einfach nicht gut auf dem Album“, gab er später zu Protokoll. „Ich teilte das nicht mal den anderen mit, aber ich dachte eine Zeit lang, ich hätte Krebs.“ Es seien Knötchen bei ihm entdeckt worden. Auf  „Pop“ klingt Bono dunkler, rauchiger.

In den Mitt-Neunzigern galt für U2 noch lange nicht: Irony Is Over. Der Erfolg von „Achtung Baby“ (1991) und „Zooropa“ stachelte die Iren weiter an, ihre Darstellungen zu übertreiben. Tatsächlich war die „PopMart“-Bühne, mit seiner geschwungen-asymmetrischen LED-Leinwand, der Riesen-Olive, der Zitrone und natürlich dem halben, vielleicht knapp an der Copyright-Verletzung vorbeischrammenden McDonald’s-Bogen ein Kunstwerk für sich.

Die letzte Mega-Bühne im größten Jahrzehnt der Mega-Bühnen. Bono erschuf, anders als zur „Zoo TV“-Tournee, keine neue Kunstfigur, füllte die Bühnenbretter aber dennoch aus. Kurios, wie verloren aber unter dem gelben Symbol diese für den US-Abschnitt verpflichtete „PopMart“-Band wirkte, Oasis.

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Die „Popmart“-Konzertreise würde nicht zu den unter Fans beliebtesten zählen, dabei war es sicher die Tour mit der größten Hitdichte an Songs verschiedener Ären. Auf den Opener „Mofo“ folgte gleich das nächste Mutterverlust-Lied, das wieder ausgegrabene „I Will Follow“ von 1980.  „Sunday Bloody Sunday“ und „New Year’s Day“, in den Jahren der McPhisto-Ironie nur sporadisch gespielt, schafften es regulär zurück ins Set. Wer eine runde Best-Of von U2 erleben wollte, musste zu diesen Konzerten. Bootlegs von den Proben dokumentieren einige mutige Versuche der Band, ihren Sound aufzufrischen. Die TripHop-Version von „With Our Without You“ hat es dann doch nicht ins Live-Repertoire geschafft.

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Der Auftritt in Sarajewo (23. September 1997), der erste nach Ende des Bosnienkriegs, war schwer zu bewerkstelligen, galt aber als ein Höhepunkt der Tour; die Fans kamen aus unterschiedlichen, ehemals jugoslawischen Ländern. Bonos Stimme versagte, The Edge half aus. Kurioserweise gab es die größte Begeisterung bei „Sunday Blooday Sunday“, nicht bei „Miss Sarajevo“, das der Sänger mit den Worten „Wir schrieben diesen Song für euch“ ankündigte.

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In den USA jedoch blieben einige Konzerte schlecht besucht. Das Kapitel „Pop“ war nach Ende der Tour schnell abgeschlossen. Mit „All That You Can’t Leave Behind“ würden U2 zwei Jahre später in den sicheren Hafen des gesunden Rock zurückkehren, gemütlicher und etwas langweiliger klingen. Was bis heute anhält. Der Erfolg kam damit natürlich zurück. Bono wurde mit den Worten zitiert: „Wir sind wieder da und bewerben uns erneut für den Job der besten Band der Welt.“

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Aber warum eigentlich der Albumtitel „Pop“? „Popmusik erzählt Dir oft, dass alles okay ist“, sagte Bono. „Rockmusik erzählt Dir, dass die Dinge nicht okay sind. Aber dass Du das ändern kannst.“

Ein Zustand, in dem U2 sich ganz offensichtlich wohler fühlten.