Travis
Everything At Once
Songs wie Sonnenaufgänge und alltägliche Fragen an das Leben: Die Schotten um Fran Healy machen fast nichts falsch
Auf dem achten Travis-Album gibt es nur ein Ärgernis. Den Refrain von „Magnificent Time“ leitet ein anschwellendes „oooOOOH“ ein, wie im Bierzelt: Alle Hände in die Luft! Zwar ist Fran Healy ein Unterhalter, live weist er beim Klassiker „Why Does It Always Rain On Me?“ per Kommando das gesamte Publikum zum Springen an. Auf Platte, man sitzt beim Hören im Ohrensessel, wirken solche Suggestionen jedoch wie ein unerbetener Spaßüberfall.
Ansonsten machen Travis alles richtig. Authentizität muss nichts mit juvenilem Leiden zu tun haben – als 42-jähriger Familienvater ist Healy da deutlich abgeklärt. „3 Miles High“ lehrt uns, dass man das Beste aus dem Leben macht, wenn man das Beste aus dem Alltag macht. Fragen des Zeitmanagements, Sanduhrmelancholie und Väterseufzer zeichneten schon „Where You Stand“ von vor drei Jahren aus. Hier sind es die Zeilen „And your life is a Russian doll/ You were given when you were small/ And they’re all inside you“, die Healy singen kann, ohne sich lächerlich zu machen. Keine Glückskekspoesie.
Politik thematisieren Travis nicht mehr, das von 9/11 geprägte „12 Memories“ (2003) klang noch so herausfordernd und wettergegerbt, als würde Healy auf einer Klippe gegen einen Sturm ansingen. Auch die Experimente mit Lautstärke und Halbfertigem, wie in „Ode To J. Smith“ (2008), sind passé. Mit Produzent Michael Ilbert hat die Band sich heute im Wald-und-Wiesen-Pop eingerichtet. Ilbert ist Schwede, und das Album klingt nach warmem, braunem Holz. Dennoch werden – es ist so ungerecht – die Travis-Singles wieder nicht in den Charts nach ganz oben klettern, wie sie es seit zehn Jahren sollten.
In einem anderen Musikerleben wäre Fran Healy Soulsänger geworden. „Idlewild“ ist ein Duett mit Englands derzeit bester Stimme – nein, nicht Adele, sondern der Soulsängerin Josephine Oniyama –, und die Bassline aus „3 Miles High“ ist ein (vielleicht unbewusster) Verweis auf Omars Britsoul-Klassiker „There’s Nothing Like This“. „Strangers On A Train“ wiederum kommt als Gospel mit atemraubendem Schlussspurt, belebend wie ein Sonnenaufgang. Travis reißen heute keine Barrieren mehr ein. Aber sie wissen immer noch, wie man gute Songs schreibt.