Tori Amos :: Unrepentant Geraldines
Nach konfusen Jahren überrascht die Songschreiberin mit einem klassischen, fast leichtfüßigen Piano-Pop-Album
Mit 45 hatte Tori Amos plötzlich vergessen, was sie mit ihrer Musik sagen wollte. Sie experimentierte. Versuchte sich an Weihnachtssongs, an Klassik, an Auftritten mit großem Orchester. Doch nebenher nutzte sie diese Zeit, in der man ihr etwas verwundert zusah, und feilte heimlich an neuen Songs. An Popsongs. Und kaum war der Druck weg, kam auch die Kreativität zurück. Mit 50 Jahren legt sie nun ein grandioses Album vor. Endlich wieder.
Da ist sie, diese Präzision und Leichtigkeit, die man noch aus den 90er-Jahren kennt: „Unrepentant Geraldines“ ist ein fast zu typisches Tori-Amos-Album. Die 14 Songs greifen wie feine Zahnräder ineinander, sie klingen mal simpel und berührend, mal widerspenstig. Mal flüstert Amos uns Textzeilen zu, mal überschlägt sich ihre Stimme, kratzt und kiekst. Herrlich. Ein Album, das man tatsächlich mit Freude durchhören kann. Mit „America“ führt ein subtiler und doch eingängiger Song in Amos’ Welt. Das Titelstück wiederum ist ein ebenso lässiges wie bockiges Lied, mit sperrigem Einstieg und unerwartet dunkel-charmantem Refrain. Die Höhepunkte sind jedoch noch einmal andere: das eindringliche „Wild Way“ mit dem gehauchten „I hate you“ im Chorus. Das schamlos melodische „Weatherman“, zart und pianolastig. Und allen voran das bewegende „Promise“: Hier singt neben Tori Amos deren 13-jährige Tochter Natashya. Und zwar ausgezeichnet! Die Mutter lässt der Tochter Raum – genug sogar, um ein bisschen R&B-Flair zuzulassen.
Ein Störfaktor ist höchstens das überschwängliche „Giant’s Rolling Pin“, das sich mit dem NSA-Spitzelskandal auseinandersetzt und mit seiner zynisch guten Laune aus dem geschmeidigen Raster herausfällt. Auch das durch die Tempi wirbelnde „Rose Dover“ wäre vielleicht verzichtbar gewesen. Aber das sind Feinheiten. Insgesamt ist „Unrepentant Geraldines“ genau das Album, auf das man seit fast zehn Jahren gewartet hat.