Tori Amos
Native Invader
Die Songschreiberin erforscht, wie wir mehr Resilienz lernen können – und fordert dabei wieder volle Aufmerksamkeit
Unterfordert hat Tori Amos ihre Hörer nie. Deshalb seufzen manche Menschen (oft männliche) auf, wenn sie hören, dass ein neues Album ansteht: Welche Mythen und Metaphern wird die Amerikanerin diesmal ausgraben, in welche Figuren wird sie sich verwandeln? Und wie anstrengend wird das diesmal? Nun weist das neue, 15. Studiowerk gleich mit dem Titel darauf hin, dass es um „geborene Angreifer“ geht. Wer da gleich an Trump denkt, greift zu kurz – hier geht es nicht nur um Politik, nicht nur um Geschlechterkämpfe, nicht nur um Zerstörungswut und Widerstandskraft, sondern um all das. Um Umweltkatastrophen und persönliche, um das Große und das Kleine.
Das erste Stück, „Reindeer King“, dauert mehr als sieben Minuten und zeigt, wohin die Reise geht: Seit „Unrepentant Geraldines“ (2014) gelingt Amos ihre ureigene Version von Popmusik wieder geschmeidiger. Die Lieder brechen unter der opulenten Instrumentierung und manchem Geplucker und Geblubber nicht zusammen, die schwebenden Melodien unterstützen die assoziativen Texte. 15 Songs in 75 Minuten: Nein, sie fasst sich nicht kurz, um es uns leichter zu machen – und dabei geht es ihr genau darum: um Trost, Erneuerung und das Wort der Saison: „Resilienz“. Wie können wir uns rüsten gegen Hoffnungslosigkeit, was von der Natur lernen über Geburt, Tod und Wiedergeburt? „To take away your pain/ You know that I would skate/ From Scandinavia/ All the way to the moons/ Of Jupiter with you“, singt sie mit dieser immer noch geheimnisvollen Stimme, bei der ein Hauchen auch mal gefährlich klingen kann.
Natürliche Kunst
Sie weiß natürlich, dass es mit Skaten nicht getan ist, deshalb fordert sie in „Up The Creek“, einer Art psychedelischem Elektrogospel: „When hope is almost gone/ You know that’s the time/ We must stand strong/ Every girl in every band/ Every cosmic cowboy in the land.“ In der Klavierballade „Breakaway“ verabschiedet sie sich von falschen Freunden, auch „Chocolate Song“ ist ein Abgesang auf eine vergangene Liebe. Anderes bleibt kryptisch, klingt aber gut. Nach viel Kraft, viel Mut.
Eines muss der Ehrlichkeit halber noch gesagt werden: So kunstvoll die Musik von Tori Amos ist, so poetisch ihre Texte sind – nichts daran wirkt unnatürlich. Es wäre so schön, wenn das auch für ihr einst wunderschönes Gesicht gälte. (Universal)