TomZe

Estudando 0 Pagode

Der brasilianische Pop-Avantgardist bleibt dem Dada-Konzept treu

Es gibt Momente, da könnte sich ein vom Mars gefallener Mäusechor kaum verrückter anhören als der große alte Mann der brasilianischen Pop-Avantgarde. Andererseits hat Tom Ze seine für den Latin Grammy nominierte „Operette“ mit Ohrwurm-Melodien bestückt, die den Neid eines Caetano Veloso oder Gilberto Gil verdienen. Den beiden dürfte ihr Kumpel aus den Gründertagen der Tropicalia-Bewegung gegen Ende der 60er Jahre sowieso nicht ganz geheuer sein. Er ist nämlich als einziger dem revolutionär alle Stile aufmischenden Dada-Konzept treu geblieben.

In den frühen Neunzigern hat David Byrne den Multiinstrumentalisten für sein Label Luaka Bop entdeckt. Toms aberwitzige Mixtur aus Sambatradition und Sample-Experimenten, Sprachspiel und Politparolen scheint auf den ersten Blick nur etwas für Intellektuelle mit starken Nerven zu sein, aber wer nicht gleich beim ersten verrückten Intro den Kopf einzieht, stößt auf Seelennahrung, auf verführerische „Arien“ und die wunderbarsten Grooves. Von mythologischen Gestalten bevölkert und reich an schrägen Sounds und Polyrythmen, ist „Estudando O Pagode“ doch zugleich tanzbar und volksnah, ein vom 70 Jahre jungen „Bariton“ Tom Ze und Sangeskolleginnen wie Suzana Salles zu munterstem Leben erwecktes Konzeptalbum, bei dem sich archaisch und urban nicht ausschließen.

Wie Zappa liebt Ze musikalische Meta-Ebenen. Sein ¿wüster Witz geht aber nicht auf Kosten jener Leidenschaft, mit der sein Drama drei Akte lang von Eifersucht, Frauenfeindlichkeit und Mord erzählt. In Songs, die zu Hits werden könnten, gäbe es nicht stets auch jene durchgeknallte Ebene, deren gegen jeden Strich gebürsteten Einfällen der Anarchist der brasilianischen Pop-Avantgarde namhafte Bewunderer verdankt: Tortoise, Stereolab oder die High Llamas spielen auf der Bühne oder im Remix-Studio gern mit seinen erstaulichen Songs, (luakabop/rt)