Norbert Grob :: Fritz Lang – „Ich bin ein Augenmensch“
„Wenn ich ins Studio komme, weiß ich genau, was ich machen will … Das soll nicht heißen, dass ich nie etwas ändere. Aber nicht sehr oft.“ In Hollywood galt Fritz Lang unter anderem auch deshalb als typisch deutsch, weil er ein diktatorischer Charakter zu sein schien: laut, unflexibel, harsch, überhaupt kein Freund davon, dass Darsteller am Set mit eigenen Ideen aufkreuzten, ein Kontrollfreak, der morgens als Erster kam und abends als Letzter ging. Sein Monokel verstärkte diesen preußischen Eindruck noch. Er erschien seiner Umwelt als dämonischer Großregisseur, von oben herab, professoral, als Machtmensch.
Dabei stammte Fritz Lang (1890–1976) aus Wien, saß am liebsten in Kaffeehäusern und las stundenlang Zeitung. Ein Mann, der seine Zeit viel lieber in Gesellschaft von Frauen verbrachte als in der von Männern – einer, der Freundschaften pflegte und im persönlichen Umgang großzügig und warmherzig war, sensibel, seltsam zurückhaltend, fast schüchtern. Man spürt das sofort, wenn man sich einige mit ihm geführte Interviews anschaut, von denen viele im Internet zu sehen sind: Lang war einer, der viel mit sich selbst haderte. Allerdings wusste er trotzdem immer genau, was er wollte, und seinen Filmen sieht man das auch an.
Dieser Regisseur, so argumentiert Norbert Grob nun in seiner umfangreichen Biografie, war ein Glück für die Filmgeschichte – nicht nur für die deutsche – und eines ihrer größten Genies. Vielleicht sogar der bedeutendste Regisseur aller Zeiten, allemal bevor Roberto Rossellini, Stanley Kubrick und Jean-Luc Godard begannen, Filme zu machen. Kein Zweiter hat den deutschen und den amerikanischen Film so sehr geprägt wie Lang. Seine „Mabuse“-Trilogie, sein „Nibelungen“-Zweiteiler, „Metropolis“ und „M“ sind entscheidende Werke des Weimarer Kinos, dessen Qualität der deutsche Film bis heute vergeblich hinterherläuft.
Dass dies die erste Lang-Biografie überhaupt ist, sagt eigentlich schon alles darüber, wie vernachlässigt Kino hierzulande ist: Es gab in deutscher Sprache zwar Sammelbände, Kataloge und eine hervorragende rororo-Monografie, aber keine umfangreich recherchierte Biografie. Undenkbar, dass ein Schriftsteller wie Thomas Mann, ein Maler wie Otto Dix, ein Philosoph wie Theodor W. Adorno erst 40 Jahre nach ihrem Tod mit einer Biografie bedacht würden – alle drei kannte Lang besser, mit Adorno war er, so eine von Grobs Entdeckungen, sogar gut befreundet.
Lang legte die Grundlagen für Stil und Dramaturgie fast aller Genres: des Abenteuerfilms – „Spinnen“ war Action pur und ein deutscher Vorläufer aller Indiana-Jones-Filme –, des Spionagethrillers („Spione“), des Serienkillermovies („M“) und der Science-Fiction („Metropolis“). Die NASA ließ sich sogar von Lang dazu inspirieren, den Countdown nach dem Vorbild von Langs „Frau im Mond“ einzuführen. Langs Hollywood-Arbeiten sind tief von der fundamentalen Erfahrung des Lebensbruchs durchs Exil geprägt. Er war ein ästhetischer Revolutionär und ein brillanter Handwerker, vor allem aber interessierte er sich mehr für Typologien als fürs Individuelle: Das macht Langs Werk repräsentativ für gesellschaftliche, kulturelle und politische Entwicklungen.
Grob stellt Langs Werk und Leben verlässlich und detailliert dar. Der Filmwissenschaftler beschreibt den Regisseur als so obsessiv wie visionär. „Kino ist kein zweites Leben, es ist mein eigentliches“, sagte Lang einmal – doch sein Leben war auch jenseits seiner Arbeit erzählenswert. Grob berichtet von Affären, großen Lieben und drei Ehen, er berichtet von Langs Liebe zu Martini-Cocktails, an deren Rezepten er zeitlebens herumexperimentierte, und der selbst entworfenen Kupferbar in seiner Berliner Villa.
Zugleich ist dies eine prototypische Künstlerbiografie des 20. Jahrhunderts: durch politische und kulturelle Brüche geprägt, durch den Terror der Diktatur, Flucht und die Verwerfungen des Exils mit einem totalen Neuanfang in der Mitte des Lebens. Es war ein Leben in einer Zeit, als die Kunstszene noch relativ übersichtlich war und manche Dinge weitaus schneller geschahen als heute. Als Lang von der Ermordung des NS-Schergen Reinhard Heydrich durch tschechische Widerständler in Prag erfuhr, rief er Bertolt Brecht an, fragte, ob der an einer Zusammenarbeit an diesem Stoff interessiert sei, und fünf Tage später war der Rohentwurf von „Auch Henker sterben“ fertig.
Grobs gut lesbare Darstellung ist über weite Strecken ein elektrisierendes Porträt der Kinoszene, eine detailgetreue Wiedergabe von Produktionsprozessen und -entscheidungen, zugleich ein kluges Gesellschaftsbild. Fakten-Erzählung interessiert den Autor eindeutig mehr als Analyse, Filminterpretation ist daher eher knapp gehalten, Auseinandersetzungen mit divergierenden Ansichten kommen kaum vor. Hat Lang im ganzen Leben wirklich nichts Tiefgründigeres über Eisenstein formuliert, als dass dieser ein „großer Künstler der Montage“ sei, sich nie über die Eindrücke geäußert, die „Panzerkreuzer Potemkin“ auf ihn gemacht hatte? Oder gab es solche Eindrücke nicht? Beides ist kaum vorzustellen. Gern hätte man auch mehr über die Beziehung von Langs Werk zur Weimarer Kultur erfahren.
Grob bietet abschließend zumindest eine schlüssige Deutung von Langs Werk: Der Regisseur, der zeit seiner Karriere unter Sehschwäche litt, war für Grob ein „Augenmensch“, der zunächst Maler werden wollte, dann „ein Rembrandt des Kinos“. Er erfand die Sprache des neuen Mediums, indem er das Malerische für das Kino entdeckte, seine Ideen visualisierte. (Propyläen, 26 Euro)