Tipp: George Plimpton :: Truman Capotes turbulentes Leben
Die Kapitelüberschriften gemahnen an betuliche Romane des 18. Jahrhunderts, handlungsprall und schnurrig: „Kapitel eins: In dem der Leser Monroeville und Harper Lee kennenlernt und auf TCs erste große Party geht“. Der Tonfall täuscht, denn die Erinnerungen, die George Plimpton zusammengetragen und 1997 in den USA veröffentlicht hat, sind zwar voller Anekdoten, aber sie haben nichts Behagliches. Der Schriftsteller Plimpton lässt das Personal aus Truman Capotes Leben flanieren: Richard Brooks, William Styron, Kurt Vonnegut, Norman Mailer, John Gregory Dunne, Mia Farrow und Peter Viertel. Am entlarvendsten jedoch äußern sich, boshaft oder liebevoll, die Frauen, mit denen Capote sich am liebsten umgab: Joanne, Ehefrau von Johnny Carson, Lee Radziwill, die Schwester von Jackie Kennedy, Nancy „Slim“ Keith und Marella Agnelli, allesamt schön, reich, neurotisch und gelangweilt. Als 1975 die kleine Klatsch-Erzählung „La Côte Basque“, ein Kapitel aus dem geplanten Gesellschaftsepos „Erhörte Gebete“, im „Esquire“ veröffentlicht wurde, verlor Capote die Gunst der meisten seiner „Schwäne“: Der Narr hatte die Wahrheit geschrieben, und diesmal waren sie nicht amüsiert. Slim Keith, Vorbild für die Tischgenossin des süffisanten Erzählers, gab zu Protokoll: „Ich las es und war vollkommen entsetzt, denn das war ich! Er beschrieb, wie ich aussehe und wie ich spreche. Es war so, als würde ich in einen Spiegel schauen.“ Ein Kompliment.
Das Mysterium um Capotes Großwerk nimmt breiten Raum ein: Hat er es doch geschrieben? Wäre es seine „Suche nach der verlorenen Zeit“ geworden? Hat er die Blätter vernichtet? Woraus zitierte er bloß, wenn er lange Passagen vortrug? Kurz vor seinem vorausgeahnten Tod hatte Capote seiner treuen Freundin Joanne Carson den Schlüssel zu einem Schließfach anvertraut, das indes nie gefunden wurde. Natürlich war das die letzte Pointe seines Lebens, gerissen inszeniert wie das Krimi-Rätsel in dem peinlichen Film „Eine Leiche zum Dessert“ (1976), in dem der teigige, von Alkohol und Medikamenten abhängige Truman Capote mumienhaft den Gastgeber für eine Tischgesellschaft berühmter Detektive spielte.
Der englische Filmregisseur Jack Clayton berichtet davon, wie der gefeierte Autor 1972 das Drehbuch für den „Großen Gatsby“ schreiben sollte und nach Monaten nur ein paar armselige Seiten lieferte, bis er von dem Projekt entbunden wurde. Für Lee Radziwill verfasste Capote das Drehbuch für eine Fernsehfassung von „Laura“ (einst ein Film von Otto Preminger) und gab zur Ausstrahlung eine Party in seiner Wohnung im United Nations Plaza, die von den meisten Gästen bald verlassen wurde, weil das Stück so langweilig war. Bob Colacello erinnert sich daran, wie Capote umfangreiche Stücke für die Zeitschrift „Interview“ ankündigte, aber allenfalls einige Notizen aufschrieb.
Es gibt wunderbar bizarre Erzählungen in diesem Buch, die den Gedanken nahelegen, dass Capote die fehlenden Kapitel von „Erhörte Gebete“ zwar nicht geschrieben – aber erlebt hat. Dotson Rader berichtete von einem Abend in Los Angeles mit der Sängerin Peggy Lee. Die etwas wunderliche Dame erzählte von ihrer schlimmen Kindheit in Fargo, North Dakota, und ihren Anfängen mit Tommy Dorsey in New York, und am Ende sang der betrunkene Truman mit ihr „Bye-bye Blackbird“ und „I’ll Be Seeing You“ – er konnte die Texte auswendig.
Eine der schönsten Anekdoten handelt davon, dass Capote von Gore Vidal verklagt wurde, weil er – viele Jahre nach dem Vorfall – in einem Interview mit „Playgirl“ behauptete, dass Vidal während einer Party von Bobby Kennedy aus dem Weißen Haus geworfen worden sei. Sieben Jahre später musste Capote eine halbherzige Entschuldigung schreiben, aber nicht eine Million Dollar zahlen, wie er bereits befürchtet hatte. „Das letzte Mal sah ich ihn 1968“, erzählt Gore Vidal. „Und zwar, als ich mich bei einer Party auf ihn setzte. Bei der Beweisaufnahme für den Prozess kam es zu einem sehr lustigen Wortwechsel. ,Aber worauf saß er denn?‘, fragte sein Anwalt streng. ,Offensichtlich auf etwas Kleinerem‘, sagte ich.“ Bob Colacello erzählt: „Als das Studio 54 aufmachte, entschied Truman, dass ich der Einzige war, mit dem er tanzen wollte. Er wollte nicht im Diskostil tanzen, sondern den Jitterbug. Das Komische war, dass Truman beim Tanzen immer pfiff, aber nicht den Song, der gerade lief. Er pfiff Songs aus Walt-Disney-Filmen, während wir zu Donna Summers ,Enough Is Enough‘ tanzten.“
Vielleicht hat Truman Capote nach „Kaltblütig“ tatsächlich nichts Bedeutendes mehr geschrieben – aber er war immer noch die Schau. (Rogner & Bernhard, 29,95 Euro)