The White Stripes
Elephant
XL Recordings / Beggars Group
Der Blues kriegt die Kurve: Die Whites begeistern mit Detonationen aus analoger Low-Budget-Produktion.
Die Toe Rag Studios in Londons vordem wilden, nunmehr wohnlichen Osten machen von außen nicht viel her. Keine feine Adresse, das passt. Geld darf hier eh nicht rein, Trendscouts und Möchtegern-Mogulen wird schon mal die Tür gewiesen. Dabei ist Liam Watson, Eigner und Engineer, ein umgänglicher Mensch. Nur eben eigen, wenn es um die Ästhetik des Rock’n’Roll geht. Das digital-komprimierte, klinische, keimfreie und totprogrammierte Pseudo-Zeugs aus Charts und Radio ist ihm ebenso zuwider wie seinem wachsenden Kundenstamm. Gemessen an der weitläufigen Eleganz industrieller Klangproduktionsstätten ist Toe Rag ein Bunker.
Doch man nutzt die Enge, setzt auf Räumlichkeit, die Dialektik von Nähe und Entfernung, traktiert die Töne nicht mit Effektgeräten, lässt sie atmen. Das Equipment ist alt, günstig erworben, instandgesetzt. Natürlich analog. Valves, bäby. Und wenn die Röhren panisch flackern und die Amps brüllen, als würden sie vergewaltigt, dann huscht ein Lächeln über Watsons Züge. Das Ungetüm lebt, will Futter. Dann justiert er, im weißen Laboranten-Kittel, die paar Regler der Achtspurmaschine, und bändigt den Höllenlärm, für den einen, dreiminütigen Moment der Wahrheit.Liam Watson ist Joe Meek und Daniel Düsentrieb in Personalunion, die White Stripes waren in besten Händen während der Sessions für Elephant“.
Knapp drei Wochen nahmen diese in Anspruch, inklusive Mix, weil das Studio die Songs elektrisch auflud, überlud, zu kaustischem Rock’n’Roll verdichtete. Geplant war das so nicht, sagt Produzent Jack White. Die Platte war angedacht als eher pluckerndes, fließendes, melancholisch eingefärbtes Statement zum Thema Verlust der Geliebten. Am Topic des Todes von Beziehungen hat sich zwar nichts Wesentliches geändert, am musikalischen Charakter der Tracks indes eine ganze Menge. Aus Traurigkeit wuchs Wut, aus Unschuld schiere Energie. Was die perfide Welt blauen Augen zumutet, darum geht es. Selten subtil, oft brachial.
„Seven Nations Army“ eröffnet den wüsten Reigen mit einer zum Bass mutierten Gitarre und Clash-Militanz. „Black Math“ heult und pumpt im Garagen-Idiom. Ein Cut aus rostigem Eisen wie etliche auf der Vorgänger-LP „White Blood Cells“, allerdings ohne jenen Schuss Quecksilber, der etwa „I Can Learn“ oder „I Can’t Waif“ so subversiv-unwiderstehVon White Stripes bis Marley: Alle wichtigen neuen und neu aufgelegten Alben
Tontr Tonträgerlieh machte. „There’s No Home For You Here“ ist so rüde wie Rock-ambitioniert, ohne Klimax, mit Fadeout. Das von Dusty Springfield definierte, von Bacharach & David verfasste „Just Don’t Know What To Do With Myself“ wird reverent und ruppig zu Gehör gebracht, mit einer Becken-bearbeitenden Meg und einem Jack, dessen Stimme straight und ausnahmsweise unverzerrt prononciert. „Cold, Cold Night“ ist Meg am Mikro, zu Akustik-Picking und spärlich-hintergründigem Wummern einer Hammondorgel. „I Wanna Be The Boy“ beginnt wie Rod Stewart in „Gasoline Alley“-Tagen, zu Piano und Slide. Die Botschaft ist Verlangen, die Stimmung gemahnt an Mike D’Abos „Handbags And Gladrags“. Brillant. Wie auch das todtraurige, von Selbstzweifeln zerfressene „You’ve Got Her In our Pocket“, der Gesang waidwund, die Folk-Gitarre bescheiden im Hintergrund. Ende LP eins.
Dass „Elephant“ den Rezensenten nur in Form von Doppel-Vinyl zugestellt wurde, zeitigte manchen Jauchzer, wird aber zu Unrecht als Schachzug der Plattenfirma interpretiert, die so den Downloadern ein Schnippchen habe schlagen wollen. Nein, die Whites kultivieren eine gesunde Verachtung für Leute ohne Plattenspieler. Und Mitleid fiir Menschen, die glauben, etwa Robertjohnson gehört zu haben, wenn ihr CD-Player den „Pornograph Blues“ nach erledigtem Oversampling wieder ausspuckt „They don’t know shit“, so der gültige Kommentar. In diesem Sinne nun: LP zwei.
Die startet mit „Ball And Bisquit“, gut sieben Minuten rockender, Stones-gäriger Blues (um Gottes willen nicht: Bluesrock) mit angedeutetem Television-Riff und diversen Jaul-Exkursen ins Jimmy-Page-Territorium. „The Hardest Button To Button“ ist psychotischer Voodoo mit burlesker Storyline, „Little Acorns“ gruselt mit Evangelisten-Pathos zu Stummfilm-Klavier, bevor Jacks Ingrimm die restlichen Haare des Hörers aufstellt. „Hypnotise“ ist patziger Punk zu Liebeslyrik, „The Air Near My Fingers“ rifft und orgelt wie einst Humble Pie, „Girl, You Have No Faith In Medicine“ beweist, dass Meg mehr ist als Mo Tucker meets Pippi Langstrumpf. „It’s True That We Love One Aother“ beendet das Abenteuer mit einem leichtgewichtigen Singalong. Jack, Meg und Holly Golightly mit verteilten Rollen, cheeky und charmant, auf widerspenstige Art.
Der Elefant legt sich zur Ruhe, nicht zur letzten indes. Gleich morgen wird er wieder dröhnen, stampfen, toben, rumpeln und hier und da zu Tränen rühren. Es ist ein Monster, das die White Stripes da geschaffen haben, aber eines mit Langmut und glänzendem Gedächtnis. Vorwärts und nicht vergessen.